Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. Mai 2003
Aktenzeichen: 24 W (pat) 94/01

(BPatG: Beschluss v. 06.05.2003, Az.: 24 W (pat) 94/01)

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. September 2000 aufgehoben, soweit der Widerspruch aus der Marke 396 13 003 zurückgewiesen worden ist. Wegen des Widerspruchs aus der Marke 396 13 003 wird die Löschung der Marke 398 61 571 angeordnet.

2. Hinsichtlich des Widerspruchs aus der Marke 396 13 004 ist die Beschwerde derzeit gegenstandslos.

Gründe

I.

Gegen die Eintragung der farbigen Wort-Bildmarke 398 61 571 für die Dienstleistungen

"medizinische Versorgung"

ist Widerspruch erhoben worden aufgrund der Wortmarken 396 13 003

"Medicare", und 396 13 004

"B. BraunMedicare", die jeweils für u. a. die Waren

"flüssige Seife, flüssige Seifen mit desinfizierender Wirkung; Mittel zur Körperpflege; Waschlotionen; geruchshemmende chemische Mittel, nämlich Desodorierungsmittel für den persönlichen Gebrauch; pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; Wundpflegemittel; Verbandmaterial; Desinfektionsmittel; Produkte zur Versorgung pflegebedürftiger Personen, insbesondere zur Inkontinenz- und Stomaversorgung"

geschützt sind.

Die Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Widersprüche mit Beschluß vom 20. September 2000 durch einen Beamten des höheren Dienstes zurückgewiesen. Der den Marken gemeinsame Bestandteil "Medicare" sei äußerst kennzeichnungsschwach und der Schutzumfang dieses Bestandteils in den Widerspruchsmarken daher sehr gering. Außerdem liege zwischen Waren und Dienstleistungen von Natur aus ein gewisser Abstand. Auch wiesen die Waren und Dienstleistungen im vorliegenden Fall in Hinblick auf Beschaffenheit und übliche Ursprungsbetriebe, Vertriebswege sowie berufliche Ausrichtung der Personen, die solche Dienstleistungen üblicherweise erbrächten bzw. solche Waren üblicherweise herstellten, große Unterschiede auf. Insgesamt reiche deshalb die Ähnlichkeit der Marken nicht aus, Verwechslungen zu begründen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Zu deren Begründung wird vorgetragen, die Widerspruchsmarke 396 13 003 "Medicare" werde für "Bettbeutel" benutzt, welche zur Inkontinenzversorgung durch insbesondere medizinisches und Pflegepersonal verwendet werden. Die Dienstleistung der jüngeren Marke umfasse alle im medizinischen Bereich vorkommenden Versorgungsfälle, so daß zu den Waren der Widersprechenden enge Berührungspunkte bestünden. Dies werde besonders deutlich, wenn man bedenke, daß unter der Widerspruchsmarke Mittel für Inkontinenzkranke vertrieben würden, der moderne Krankenpflegebereich als Einheit verstanden werde und die Kosten für Medikamente, Hilfsmittel und Dienstleistungen krankenkassenmäßig als Gesamtkosten miteinander abgerechnet würden. Die sich gegenüberstehenden Marken seien ähnlich, weil der Gesamteindruck der angegriffenen Marke von dem Zeichenwort "MediCARE" geprägt werde, das auch die Widerspruchsmarke 396 13 004 präge und der einzige Bestandteil der Widerspruchsmarke 396 13 003 sei. In der jüngeren Marke sei "MediCARE" das einzige Wort, dem Kennzeichnungskraft zukomme, weil die weiteren Bestandteile lediglich den Tätigkeitsbereich der Firma bzw. deren Rechtsform bezeichneten. Gegen eine Kennzeichnungsschwäche des Markenwortes "Medicare" spreche, daß dieses Wort als Marke eingetragen worden sei und es sich nicht um einen nachweisbaren Begriff handele, dem eine rein beschreibende Bedeutung zukomme. Diese Wortneuschöpfung wirke auch nicht wie ein mehr oder weniger beschreibender Zusatz mit geringer Kennzeichnungskraft.

Die Widersprechende beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Löschung der jüngeren Marke wegen der Widersprüche aus den Marken 396 13 003 und 396 13 004 anzuordnen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke bestreitet die Benutzung der Widerspruchsmarken und trägt vor, zwischen der Dienstleistung der angegriffenen Marke und den Waren der Widerspruchsmarken bestünden keine Berührungspunkte, die die Annahme der Ähnlichkeit der Waren mit der Dienstleistung rechtfertigt.

Die Widersprechende erachtet die Einrede der Nichtbebnutzung als unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache auch Erfolg. Zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke 396 13 003 "Medicare" besteht die Gefahr von Verwechslungen gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.

1.1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Markenrechtslinie, die für die Auslegung der in Umsetzung dieser Richtlinienbestimmung erlassenen Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG von maßgeblicher Bedeutung ist, ist die Frage der Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Zu den dabei maßgebenden Umständen gehören insbesondere die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den Marken und zwischen den damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen. Bei der umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der Marken auf den Gesamteindruck abzustellen, den diese hervorrufen. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher der jeweils in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen wirkt (vgl. EuGH GRUR 1998, 387 "Sabèl/Puma"; BGH GRUR 1996, 198 "Springende Raubkatze"; GRUR 1996, 200 "Innovadiclophont"). Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert auch eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen. So kann ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (EuGH GRUR Int. 1998, 875, 876 f. "Canon"; GRUR Int. 2000, 899 "Marca/Adidas"; BGH GRUR 2000, 506, 508 "ATTACHÉ/TISSERAND"; GRUR 2002, 167, 169 "Bit/Bud" GRUR 2002, 544, 545 "BANK 24"). Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend die Gefahr von Verwechslungen gegeben.

1.2. Der Prüfung der Ähnlichkeit der Dienstleistung der jüngeren Marke mit den Waren der Widerspruchsmarke 396 13 003 ist das Warenverzeichnis in seiner eingetragenen Form zugrunde zu legen, denn die von der Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 1. November 2002 erhobene Einrede der Nichtbenutzung ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG in Verbindung mit § 26 Abs. 5 MarkenG unzulässig. Das Widerspruchsverfahren betreffend die Widerspruchsmarke 396 13 003 ist am 20. Juli 1998 abgeschlossen worden, so daß die Frist des § 43 Abs. 1, § 26 Abs. 5 MarkenG erst mit dem 20. Juli 2003 abläuft.

1.3. Die angegriffene Dienstleistung "medizinische Versorgung" und die Waren "pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; Wundpflegemittel; Verbandmaterial; Desinfektionsmittel; Produkte zur Versorgung pflegebedürftiger Personen, insbesondere zur Inkontinenz- und Stomaversorgung" sind als ähnlich iSv § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG anzusehen. Es sind Berührungspunkte zwischen den vorliegenden Waren und Dienstleistungen insoweit festzustellen, als pharmazeutische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege, Pflegemittel; Verbandmaterial; Desinfektionsmittel; Produkte zur Versorgung pflegebedürftiger Personen, insbesondere zur Inkontinenz- und Stomaversorgung typischerweise im Zusammenhang mit den Dienstleistungen der medizinischen Versorgung eingesetzt werden. Zwar sind Dienstleistungen nicht bereits deshalb mit Waren ähnlich, weil die betreffenden Waren bei der Erbringung der Dienstleistungen verwendet werden (vgl. BGH GRUR 1999, 731, 733 "Canon II"; BPatGE 41, 258, 262 "INDIGO"). Gleichwohl können auch in diesem Verhältnis besondere Umstände die Annahme einer Ähnlichkeit begründen. Maßgeblich ist hierbei, ob bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck aufkommen kann, Ware und Dienstleistung unterlägen der Kontrolle desselben Unternehmens, sei es daß der Dienstleistungsbetrieb sich selbständig auch mit der Herstellung oder dem Vertrieb der Ware befaßt, sei es daß der Warenhersteller oder -händler sich auch auf dem entsprechenden Dienstleistungsbereich selbständig betätigt (vgl. BGH GRUR 1999, 586, 587 "White Lion"; GRUR 2000, 883, 884 f "PAPPAGALLO"; Althammer/Ströbele, Markengesetz, 6. Aufl, § 9 Rdn 67). Das ist besonders dann der Fall, wenn sich die gegenüberstehenden Waren bzw. Waren und Dienstleistungen gegenseitig ergänzen (vgl. BGH BGH GRUR 2001, 507 "REVIAN/EVIAN"). Diese Voraussetzungen erachtet der Senat für die vorliegenden Waren und Dienstleistungen als erfüllt. Der Begriff der medizinischen Versorgung ist weit und beinhaltet sowohl stationäre medizinische Versorgung im Krankenhaus oder in Alters- und Pflegeheimen als auch die ambulante Pflege zu Hause. Nach dem Pflegekostentarif von Krankenhäusern betrifft die ärztliche und medizinische Versorgung u. a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln, Blut, Blutersatzmitteln, Hilfsmitteln, Massagen, Packungen usw. Die von ambulanten Pflegediensten geleistete medizinische Versorgung umfaßt z.B. neben Leistungen in der Behandlungspflege wie Verbände und Wickel, Kathederpflege und -wechsel, Blutzuckerkontrollen, Kälte- und Wärmebehandlung, Dekubitusversorgung, künstliche Ernährung, Anus-Praeter-Versorgung, Uringewinnung für die Diagnostik, Injektionen und die Überwachung von Infusionen, Wundversorgung und Wundpflege, Pflege nach ambulanten Operationen auch die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln wie etwa Windeln und Krankenunterlagen. Unternehmen, welche Dienstleistungen der medizinischen Versorgung erbringen, geben in diesem Zusammenhang deshalb nicht selten auch pharmazeutische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege und vor allem Pflegemittel, Verbandmaterial sowie sonstige Produkte zur Versorgung pflegebedürftiger Personen an ihre Kunden ab. In Krankenhäusern geschieht dies in der Regel über die Krankenhausapotheke. Bei ambulanter Pflege werden solche Waren oft vom Pflegepersonal miterbracht. Hinzu kommt, daß die Kunden mit diesen Produkten in die Lage versetzt werden sollen, in Verbindung mit der empfangenen Leistung der medizinischen Versorgung auch selbst zur Behandlung ihrer Leiden beitragen zu können, indem sie selbst oder ihre Angehörigen etwa Salben aufbringen, Einreibungen vornehmen, Verbände, Krankenunterlagen und Windeln sowie Hilfsmittel zur Stomaversorgung wechseln, Medikamente oder Spritzen (z.B. Insulin) verabreichen usw.. Insoweit liegt der Gedanke nicht fern, daß solche Waren und Dienstleistungen einem gemeinsamen Verantwortungsbereich zuzuordnen sind, der die Ursprungsidentität der Produkte und Leistungen gewährleistet (vgl. hierzu Althammer/Ströbele, aaO, § 9 Rdn 41; vgl. auch BPatG 24 W (pat) 55/99 "isi B/ISIS B", Zusammenfassung veröffentlicht auf PROMA PAVIS CD-ROM). Diesem Ergebnis entspricht auch eine gefestigte Spruchpraxis zur vergleichbaren Problematik der Ähnlichkeit der Dienstleistungen von Friseur- und Schönheitssalons einerseits und kosmetischen Artikeln andererseits (vgl. Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl, S 385 li Sp, 392 rSp mwNachw).

1.4. Eine relevante Kennzeichnungsschwäche der Widerspruchsmarke 396 13 003 "Medicare" kann nicht festgestellt werden. Zwar klingt "Medi-" an die Wörter "Medizin, medizinisch" bzw. "medical" an. Auch hat das englische Wort "care" die Bedeutung von "Pflege". Jedoch ist "Medi-" als Abkürzung ganz unterschiedlicher Wörter denkbar, so daß sich dem Wort in seiner Gesamtheit kein klarer und eindeutiger Sinngehalt entnehmen läßt (vgl. auch HABM R 328/99-3 "MEDI-CARE", Zusammenfassung veröffentlicht auf PROMA PAVIS CD-ROM).

1.5. Bei der Beurteilung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr ist stets vom Gesamteindruck der Marken auszugehen. Weichen - wie im vorliegenden Fall - die Marken in ihrer Gesamtheit betrachtet voneinander ab, so kann trotzdem eine Verwechslungsgefahr bestehen, wenn übereinstimmende oder ähnliche Markenbestandteile den Gesamteindruck der Kombinationsmarken prägen (vgl. BGH GRUR 1996, 198, 199 "Springende Raubkatze"; GRUR 1996, 406 "Juwel"; GRUR 1999, 733, 735 "LION DRIVER"; MarkenR 2000, 20, 21 "RAUSCH/ELFI RAUCH"). Dies ist hier bei dem Wort "MediCARE" in der angegriffenen Marke der Fall. Da die Wörter "Biomedizintechnik" und "GmbH" auch breiten deutschen Verkehrskreisen ohne weiteres erkennbar lediglich die Art des Geschäftsbetriebs bezeichnen, der die Dienstleistung erbringt, kommt als betriebskennzeichnendes Kenn- und Merkwort nur noch das farblich hervorgehobene Wort "MediCARE" in Betracht (vgl. dazu Althammer/Ströbele, aaO § 9 Rn 185, 188; BGH WRP 2002, 256 "IMS Image Management Solutions GmbH/IMS GmbH"). Gesichtspunkte, die es rechtfertigen würden, von diesen Erfahrungssätzen abzuweichen, etwa, daß es sich bei dem Wort "MediCARE" um eine ganz übliche, nicht unterscheidungskräftige Bezeichnung für die angebotene medizinische Versorgung handeln würde, sind - wie oben ausgeführt - nicht ersichtlich. Da der Bestandteil "MediCARE" mit der Wortmarke 396 13 003 "Medicare" klanglich identisch ist, sind somit Verwechslungen nicht zu vermeiden.

2. Im Hinblick auf die in Ziffer 1. des Beschluß-Tenors angeordnete Löschung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 396 13 003 ist festzustellen, daß der Beschwerde hinsichtlich der Zurückweisung des Widerspruchs aus der Marke 396 13 004 derzeit gegenstandslos ist.

3. Es besteht kein Anlaß, einer der Verfahrensbeteiligten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 71 Abs. 1 MarkenG).

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BPatG:
Beschluss v. 06.05.2003
Az: 24 W (pat) 94/01


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