Landgericht Bonn:
Urteil vom 23. April 2009
Aktenzeichen: 14 O 18/09

(LG Bonn: Urteil v. 23.04.2009, Az.: 14 O 18/09)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Dieses Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollsteckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger, bundesweit tätiger Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen der Bundesländer und weiterer 25 verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland und in die beim Bundesjustizamt geführte Liste gemäß § 4 UKlaG eingetragen, begehrt von der Beklagten die Unterlassung von Schreiben an Verbraucher wie als Anlage zum Antrag abgebildet. Ein Schreiben mit diesem Inhalt vom ...08.20... wurde an Herrn U, der ein Sparkonto und ein Girokonto bei der Beklagten unterhält, übersandt; wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zum Protokoll verwiesen. Die Beklagte behauptet unwidersprochen, sie habe dieses Schreiben ausschließlich an Teile ihrer Girokonto-Kunden übersandt, die über eine gewisse Bonität verfügen. Dem Schreiben war ein Prospekt und ein Antragsformular - wie Hülle Blatt ... d. A. - beigefügt, in dessen Kopf es hieß:

Q W Card H

Ihre Q W Card H

1 Jahr lang kostenlos!

Bei Freischaltung bis zum ...09.20...

Ja, ich möchte, dass meine Q W Card H freigeschaltet wird.

Darunter befinden sich in einer Rubrik "Meine persönlichen Angaben" bereits Name und Anschrift eingetragen. Der Name befindet sich ebenfalls auf der mit dem Schreiben durch einen Klebstoff verbundenen Karte, Unterhalt von Gültigkeitsdatum und Kartennummer.

Der Kläger beanstandet die Werbemaßnahme im Hinblick auf §§ 4 Abs. 1 bis 4, 5 Abs. 2 und 7 UWG:

Das Schreiben erwecke den Eindruck, dem Verbraucher würde eine Art Treueprämie gewährt; und es bedürfe lediglich noch einer technischen Mitwirkung, der Freischaltung, damit das bereits "konfigurierte Produkt" eingesetzt werden könne. Tatsächlich beantrage der Verbraucher durch Unterzeichnung und Zurücksenden des Formulars den Abschluss eines Kreditkartenvertrages mit Kreditkonditionen, die unter Verweis auf eine Nr. # der besonderen Bedingungen, auf der Rückseite des Antragsformulars, dargestellt würden und einen effektiven Jahreszins von derzeit 15,25 % auswiesen. Die inhaltlichen Konditionen des Vertrages, selbst die Laufzeit, sei nur rudimentär dargestellt. Der Verbraucher werde von einem umfassenden Marktvergleich abgehalten und von den erheblichen Risiken, insbesondere dem Risiko Überschuldung, abgelenkt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen bei Wettbewerbshandlungen an Verbraucher unaufgefordert Schreiben mit der Überschrift "Unser Henes Dankeschön für Sie: Die Q W Card H 1 Jahr lang kostenlos!", in dem eine auf den Namen des Verbrauchers ausgestellte Kreditkarte "W" beigefügt ist wie in dem als Anlage zum Antrag abgebildeten, zu versenden

an ihn, den Kläger, 200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (...02.20...) zu zahlen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, dass

die Karte vor einer Gebrauchsmöglichkeit zwingend aktiviert (= freigeschaltet) werden muss,

nach der Aktivierung keine Pflicht zu einer unmittelbaren Gegenleistung, zu einer Inanspruchnahme eines Kredites und damit zur Zinszahlung entstehe.

Das beigefügte zweiseitige Vertragsformular bringe zum Ausdruck, dass es sich um ein rechtlich erhebliches Schriftstück handele.

In Ansehung des bestehenden Kundenverhältnisses sei der Aufwand, der bei der Entsorgung des Schreibens mit Karte zu betreiben wäre, sozialverträglich (Vortrag im Termin). Ohne die einsatzbereite Karte sei ein Missbrauch nicht denkbar. Ein etwaiger Dieb des Kartenmusters könne dieses nicht erfolgreich verwenden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden verwiesen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch in dem in den Anträgen mitgeteilten Umfang.

I.

Ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 3 UWG besteht nicht.

Der Kläger gehört unstreitig zu den in § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG aufgeführten Organisationen. Die von ihm beanstandete Handlung der Beklagten, die Versendung des Schreibens mit der Henen W-Karte an Verbraucher, erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 3 UWG, denn es handelt sich nicht um eine unlautere Wettbewerbshandlung, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Im Einzelnen:

Sie verstößt nicht gegen § 4 Nr. 1 UWG. Danach handelt unlauter im Sinne von § 3 UWG, wer Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit unter anderem der Verbraucher durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen sachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. In Frage kommt nur Verstoß durch einen "sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss". Dieser lässt sich beschreiben als eine Einwirkung auf Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer mit dem Ziel, sie von rationalkritischen Erwägungen über Vor- und Nachteile eines Angebots, insbesondere über seine Preiswürdigkeit und Qualität, abzuhalten. Der unangemessene unsachliche Einfluss muss so intensiv sein, dass er objektiv geeignet ist, die freie Entscheidung des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu beeinträchtigen. Die Fremdbestimmung muss die freie, rationale Selbstbestimmung überlagern (vgl. Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 26. Auflage 2008, Rn. 1.7 zu § 4 Nr. 1 UWG. Bei der gebotenen Würdigung der Gesamtumstände ist nicht festzustellen, dass die Beklagte eine Situation schafft oder ausnutzt, in dem der Adressat (Verbraucher) eine rationalkritische Entscheidung nicht treffen kann. Er wird nicht übertrieben angelockt, denn der auszufüllende Antrag weist auf vorzunehmende rechtsgeschäftliche Erklärungen hin und ist mit seinem Lästigkeitsfaktor eher das Gegenteil zum Anlocken. Die dazu erteilten Informationen sind ausreichend, um darauf hinzuweisen, dass der Verbraucher eine rechtsgeschäftliche Erklärung des näher beschriebenen Inhalts abgibt. Von einer Überrumpelung kann keine Rede sein.

Das Schreiben stellt keine Wettbewerbshandlung dar, die geeignet ist, die geschäftliche Unerfahrenheit, die Leichtgläubigkeit, die Angst oder die Zwangslage von Verbrauchern im Sinne von § 4 Nr. 2 UWG auszunutzen. Zweck der Vorschrift ist es, Verbraucher, die sich in Ausnahmesituationen, wie Angst oder einer sonstigen Zwangslage, befinden, zu schützen. Zudem sollen besonders schutzbedürftige Verbraucherkreise, Kinder und Jugendliche, aber auch sprach- und geschäftsungewandte Mitbürger, vor einer Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit geschützt werden (vgl. Köhler a. a. O., Rn. 2.1 zu § 4 Nr. 2 UWG). Die Werbung wendet sich an Kunden der Beklagten, mithin erwachsene Verbraucher. Für ein "Ausnutzen" der geschilderten besonderen Umstände besteht kein Anhaltspunkt.

Der Werbecharakter der Maßnahme der Beklagten wird nicht im Sinne von § 4 Nr. 3 UWG verschleiert. Sie ist nicht etwa als privater Brief getarnt, sondern kommt offen als Werbung daher, ist in diesem Sinne auf den ersten Blick zu erkennen.

Die Bedingungen für die Inanspruchnahme des Geschenkes - 49,00 € kostenlose Nutzung der W Card H bei Freischaltung bis zum ...09.20..., danach erst 49,00 € im Jahr, sind klar und eindeutig mitgeteilt: Die Vergünstigung kann in Anspruch genommen werden, wenn das Antragsformular (der "Freischaltungsauftrag") innerhalb der vorgegebenen Frist ausgefüllt wird.

Die Beklagte hat mit der Versendung des Werbeschreibens keine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG n. F. vorgenommen. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält, oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die im Einzelnen aufgeführten Umstände. Die Beklagte täuschte nicht über die Konsequenzen im Zusammenhang mit der Übersendung der W H Karte: Das Schreiben vom ...08.20... offerierte zwar die W H Karte "1 Jahr lang kostenlos", wenn die Freischaltung bis zum ...09.20... erfolge. Daran war ohne weiteres zu erkennen, dass es einer Freischaltung bedurfte, die durch einen "Freischaltungsauftrag" zu veranlassen war. Der Freistellungsauftrag war von dem Interessenten zu ergänzen, Geburtsdatum, Ort, Staatsangehörigkeit, Nettoeinkommen, Telefonnummer und Kontoverbindung einzusetzen und zu unterschreiben, und zwar auch für den Erhalt der Widerrufsbelehrung. Aufgeklärt wurde auf der Vorderseite des Antrag über die Voraussetzungen in dem Fall, dass Zinszahlungen nicht geleistet werden sollten ("Teilzahlungsfunktion"), aber auch unter welchen Voraussetzungen Zinsen zu zahlen waren. Die Erstattung der Umsätze ist gesetzliche Rechtsfolge (§ 676 h BGB). Wer dieses Antragsformular las und ausfüllte, konnte über den Charakter, dass es sich dabei um eine Willenserklärung handeln sollte, die zu einem Kreditkartenvertrag führen sollte, ebenso wenig im Zweifel sein wie darüber, dass er für die Einräumung eines Kredites ("Sollsaldo auf meinem Kreditkartenkonto" "am Monatsende") Zinsen zu leisten hatte, zur Zeit 15,25 % p. a. gemäß Nr. # der besonderen Bedingungen, auf der Rückseite abgedruckt. Der Kläger hat weitere in Frage kommende irreführende Angaben in der Werbung nicht dargelegt; insbesondere ist es unerheblich, wenn die für Herrn U bestimmte Kreditkarte ein Gültigkeitsdatum nur bis Februar 20... aufwies, weil diese Tatsache zu der versprochenen kostenfreien Nutzung von einem Jahr nicht im Widerspruch stehen muss.

Der Empfänger des beanstandeten Schreibens wurde durch dieses nicht in unzumutbarer Weise belästigt. Unter Belästigung sind solche Wettbewerbsmethoden zu verstehen, die bereits wegen der Art und Weise des Herantretens an andere Marktteilnehmer, unabhängig vom Inhalt in der Äußerung, von den Adressaten als Beeinträchtigung ihrer privaten oder beruflichen Sphäre empfunden werden. Die Beeinträchtigung besteht darin, dass das Anliegen den Empfängern "aufgedrängt" wird, diese sich also ohne oder gegen ihren Willen damit auseinandersetzen müssen. Davon zu unterscheiden ist der Inhalt der Werbung, der nicht gemäß § 7 UWG untersagt werden kann (vgl. Köhler a. a. O., Rn. 12 zu § 7 UWG). Unlauter ist jedoch nicht jede Belästigung, sondern nur die "in unzumutbarer Weise". Dementsprechend ist bei Bejahung einer unzumutbaren Belästigung die Prüfung des Merkmals der "nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung" im Sinne des § 3 UWG a. F. nicht mehr veranlasst (BGH GRUR 2007, 607). Dabei ist nicht auf die jeweilige individuelle Befindlichkeit des Werbeadressaten abzustellen, sondern auf den durchschnittlich empfindlichen Durchschnittsverbraucher bzw. -marktteilnehmer (Köhler a. a. O., Rn. 13 zu § 7 UWG). Briefwerbung, die an den Empfänger persönlich adressiert ist, ist grundsätzlich auch ohne das vorherige Einverständnis des Empfängers zulässig. Denn die damit verbundene Beeinträchtigung der Privatsphäre des Empfängers (Belästigung aufgrund der Notwendigkeit der Entgegennahme, Prüfung und ggfls. Entsorgung der Werbung; Verstopfung des Briefkastens) ist nicht so gravierend, als dass das Absatzinteresse der werbenden Wirtschaft und das Informationsinteresse der Verbraucher dahinter zurücktreten müssten. Ausnahmen bestehen, sofern der Empfänger widersprochen oder sich in eine Robinson-Liste eintragen lassen hat (Köhler a. a. O., Rn. 29 zu § 7 UWG). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zwar im Termin zurecht darauf hingewiesen, dass bei einem großen Teil der Bevölkerung Angst vor Missbrauch von Kreditkarten besteht, dass Kreditkarten nicht wie ein normales Werbemittel behandelt werden, auch weil sie nach außen wie eine gültige Karte erscheinen. Dieses gilt (auch), weil nicht erkennbar ist, ob die Karte freigeschaltet ist oder nicht, also unabhängig davon, dass ohne Freischaltung ein Missbrauch nicht möglich ist. Daraus folgt eine gewisse Sonderbehandlung, die den entscheidenden Kammermitgliedern nicht unbekannt ist, etwa die Entsorgung erst nach (Teil-) Zerstörung der Karte. Bei Konkretisierung des Wertmaßstabs des § 7 Abs. 1 UWG, zum einen unter Heranziehung von § 7 Abs. 2 und 3 UWG n. F. zur Beurteilung von Grad und Maß der Belästigung, zum anderen unter Abwägung der widerstreitenden Grundrechte (Art. 2 Abs. 1 GG einerseits und Art. 12, 14, 5 Abs. 1 Satz 1 GG andererseits, vgl. Köhler a. a. O.) ist es dem Empfänger, der Kunde bei der Beklagten ist, zuzumuten, die geringen Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen und die Karte zu entsorgen. Dabei ist, dabei bleibt die Kammer, zur Erkenntnis des Werbecharakters des beanstandeten Schreiben kein besonderer Aufwand erforderlich: Der Charakter als Werbeschreiben ist auf den ersten Blick erkennbar. Die Kammer lässt die Richtlinie 2007/64/EG außer Acht: Zum einen ist diese nicht umgesetzt und erst bis zum 31.10.2009 umzusetzen. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass sich diese Richtlinie auf die Art und Weise der Werbung im Verhältnis zum Schutzbedürfnis des Verbrauchers vor Beeinträchtigung der privaten und beruflichen Sphäre bezieht.

II.

Der Zahlungsanspruch gemäß § 12 Abs. 1 UWG ist nicht gegeben, denn die Abmahnung war unbegründet.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 Satz 1 ZPO.

Streitwert: bis 15.000,00 €






LG Bonn:
Urteil v. 23.04.2009
Az: 14 O 18/09


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