Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Februar 2010
Aktenzeichen: 23 W (pat) 321/06

(BPatG: Beschluss v. 11.02.2010, Az.: 23 W (pat) 321/06)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Die Prüfungsstelle für Klasse G01D des Deutschen Patentund Markenamtes hat auf die am 21. Januar 2004 eingereichte Patentanmeldung das Patent 10 2004 003 112 (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Vorrichtung und Verfahren zur kapazitiven Messwerterfassung" erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 22. Dezember 2005.

Gegen die Patenterteilung legt die Einsprechende mit Schriftsatz vom 22. März 2006 (am selben Tag beim Deutschen Patentund Markenamt eingegangen) begründet Einspruch ein.

Sie beantragt das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, und begründet dies mit einer fehlenden Ausführbarkeit der Gegenstände der erteilten Patentansprüche 1 bis 25 (Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).

Ferner seien die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche nicht patentfähig

(Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i. V. m. §§ 1 und 3 PatG bzw. 1 und 4 PatG), wobei sie als patenthindernden Stand der Technik unter anderem die Druckschriften bzw. Veröffentlichungen E1: http:web.archive.org/web/20021124070129/www.discovercircuits.com/PDF-FILES/5vtchremom2.PDF, E3: DE 697 33 250 T2, E4: DE 38 15 698 A1, sowie E5: DE 200 17 457 U1 nennt, von denen die Druckschrift E3 eine nachveröffentlichte deutsche Übersetzung der ebenfalls nachveröffentlichten Patentschrift EP 893 931 B1 darstellt.

Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2006 (per Fax am selben Tag eingegangen) verteidigt der Patentinhaber sein Patent mit geänderten Ansprüchen 1 bis 28. Im Übrigen tritt er den Ausführungen der Einsprechenden vollständig entgegen und führt aus, dass die Lehren der jeweiligen Patentansprüche im Lichte der Beschreibung ausführbar und deren jeweilige Gegenstände unter Zugrundelegung des im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Standes der Technik patentfähig seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2010 überreicht der Senat der Einsprechenden die als PCT-Familienmitglied zur nachveröffentlichten Druckschrift E3 (deutsche Übersetzung der zugehörigen EP-Patentschrift) gehörende, vorveröffentlichte Druckschrift E3': WO 98/26506 A1.

Der Vertreter des Patentinhabers erklärt, dass ihm diese Schrift vorliegt.

Nach Diskussion des relevanten Standes der Technik reicht der Patentinhaber in der Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 26 ein (Hauptantrag); außerdem überreicht er neue Patentansprüche 1 bis 24 (Hilfsantrag).

Die Einsprechende äußert Zulässigkeitsbedenken hinsichtlich der jetzt vorgelegten Anspruchssätze; darüber hinaus führt sie aus, dass auch die nunmehr verteidigten Vorrichtungen bzw. Verfahren nicht ausführbar bzw. unter Berücksichtigung des im Verfahren befindlichen Standes der Technik insbesondere nach den Druckschriften E3 bis E5 nicht patentfähig seien.

Dem widerspricht der Patentinhaber vollumfänglich.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Der Patentinhaber stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 26, eingereicht am 11. Februar 2010, Beschreibung und Zeichnung (1 Figur) wie erteilt (Hauptantrag).

Hilfsweise stellt er den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 24, eingereicht am 11. Februar 2010, Beschreibung und Zeichnung (1 Figur) wie erteilt (Hilfsantrag).

Der nunmehr geltende Anspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"1. Auswerteschaltung, welche aufweist:

eine Vorrichtung zur kapazitiven Messwerterfassung, mit einer Schaltung, die aufweist:

ein Mittel (Q1) zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms mit mindestens drei Anschlüssen (A,B,E), ein widerstandsbehaftetes Mittel (RB), ein erstes und ein zweites kapazitätsbehaftetes Mittel (CS, CI), wobeidas Mittel (Q1) zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms an dem ersten Anschluss (B) mit dem widerstandsbehafteten Mittel (RB) und dem ersten kapazitätsbehafteten Mittel (CS) verbunden ist und an dem zweiten Anschluss (A) mit dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (Cl) verbunden ist, und wobeidas erste kapazitätsbehaftete Mittel (CS) eine variable Kapazität besitzt, wobeidas widerstandsbehaftete Mittel (RB) durch eine alternierende Spannung einer Quelle (CL) getrieben wird, Mittel zum Entladen des zweiten kapazitätsbehafteten Mittels (CI) am Beginn einer Messung, Mittel zum Erkennen einer Ladung auf oder Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (CI)."

Die gemäß Hilfsantrag verteidigten, nebengeordneten Vorrichtungsanspruch 1 lautet:

"1. Auswerteschaltung, welche aufweist:

eine Vorrichtung zur kapazitiven Messwerterfassung, mit einer Schaltung, die aufweist:

ein Mittel (Q1) zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms mit mindestens drei Anschlüssen (A,B,E), ein widerstandsbehaftetes Mittel (RB), ein erstes und ein zweites kapazitätsbehaftetes Mittel (CS, CI), wobeidas Mittel (Q1) zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms an dem ersten Anschluss (B) mit dem widerstandsbehafteten Mittel (RB) und dem ersten kapazitätsbehafteten Mittel (CS) verbunden ist und an dem zweiten Anschluss (A) mit dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (Cl) verbunden ist, und wobeidas erste kapazitätsbehaftete Mittel (CS) eine variable Kapazität besitzt, Mittel zum Entladen des zweiten kapazitätsbehafteten Mittels (CI) am Beginn einer Messung, Mittel zum Erkennen einer Ladung auf oder Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (CI).

Mittel zum Vergleich der Anzahl der seit der letzten Entladung verstrichenen Taktzyklen mit einer vorbestimmten Anzahl bei Erreichen einer vorbestimmten Schwell-Ladung auf oder Schwell-Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (Cl)."

Wegen der jeweiligen abhängigen Ansprüche nach Hauptbzw. Hilfsantrag sowie weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Das anhängige Einspruchsverfahren wurde gemäß § 147 Abs. 3, 1. Alternative PatG in der Fassung vom 1. Januar 2002 an das Bundespatentgericht abgegeben. Diese zeitlich bis zum 30. Juni 2006 begrenzte Verlagerung der Zuständigkeit hat der BGH als nicht verfassungswidrig beurteilt (BGH GRUR 2009, 184 -"Ventilsteuerung" m. w. N.).

Demnach besteht eine vor dem 1. Juli 2006 begründete Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch auch nach der Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG fort.

III.

Der Einspruch hat nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung Erfolg, denn er führt zum Widerruf des Streitpatents.

1. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von der Patentinhaberin zwar nicht in Frage gestellt worden. Jedoch haben Patentamt und Gericht auch ohne Antrag des Patentinhabers die Zulässigkeit des Einspruchs in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu überprüfen (vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59, Rdn. 160), da ein unzulässiger, einziger Einspruch zur Beendigung des Einspruchsverfahrens ohne weitere Sachprüfung über die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents führt (vgl. hierzu Schulte, PatG, 8. Auflage, § 61, Rdn. 29; BGH GRUR 1987, 513, II.1. -"Streichgarn").

Gegen die Zulässigkeit des Einspruchs bestehen im vorliegenden Fall aber insofern keine Bedenken, als die Einsprechende innerhalb der Einspruchsfrist gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht und die Tatsachen im Einzelnen angegeben hat, die den Einspruch rechtfertigen (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG), indem sie den erforderlichen Zusammenhang zwischen sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents und beispielsweise dem Stand der Technik nach Druckschrift E1 hergestellt hat (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1988, 250, Leitsatz 2, 251, li. Sp., Abs. 1 -"Epoxidation"; Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 91 bis 97). Ob die dabei vorgetragenen Tatsachen den Widerruf des Patents auch tatsächlich rechtfertigen und ob der genannte Stand der Technik einen älteren Zeitrang begründet, ist nicht bei der Zulässigkeit, sondern bei der Begründetheit des Einspruchs zu prüfen (vgl. BGH GRUR 1987, 513, 514, li. Sp., Abs. 2.a). -"Streichgarn"; BlPMZ 1985, 142, Leitsatz -"Sicherheitsvorrichtung"; Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 99; BGH BlPMZ 2010, S. 28, Leitsatz 1 -"Leistungshalbleiterbauelement").

2. Nach Angaben der geltenden Beschreibung betrifft das Streitpatent Vorrichtungen und Verfahren zur kapazitiven Messwerterfassung, wobei typische Anwendungen im Bereich Dickenmessung, Brandsensoren, Näherungsdetektoren, Aktivierung passiver Zugangssysteme oder ähnliche Anwendungen liegen (vgl. Streitpatent, Abs. [0001] und [0002]).

Zur Messung einer Kapazität ist es im Stand der Technik beispielsweise bekannt, diese in eine Änderung der Impulsbreite eines Ausgangssignals zu wandeln. Nachteilig an diesem Verfahren ist die notwendige Verwendung einer weiteren Schaltung, z. B. eines monostabilen Multivibrators sowie die Notwendigkeit einer bipolaren Schaltungsansteuerung (vgl. Streitpatent, Abs. [0003]). Weiter sind aus dem einschlägigen Stand der Technik eine Vielzahl verschiedener Schaltungen zur Unterdrückung parasitärer Kapazitäten bei der Messung kleiner Kapazitäten bekannt. Hierbei verwenden die entsprechenden Schaltungen in nachteiliger Weise einen stark gegengekoppelten Operationsverstärker, welcher stark schwingungsgefährdet ist und einen hohen konstruktiven [Herstellungs-]Aufwand benötigt. Zur Schaltungsansteuerung wird ebenfalls eine bipolare Ansteuerung benötigt (vgl. Streitpatent, Abs. [0004]). Ferner sind zur Erfassung von Kapazitäten Schaltungen mit Oszillatoren bekannt, welche jedoch in nachteiliger Weise ebenfalls einen hohen konstruktiven [Herstellungs-]Aufwand benötigen (vgl. Streitpatent, Abs. [0005]).

Der vorliegenden Erfindung liegt vor diesem Hintergrund daher die Aufgabe zugrunde, Vorrichtungen zur kapazitiven Messwerterfassung bereitzustellen, welche einfach in verschiedenartige Auswerteschaltungen integriert werden können (vgl. Streitpatent, Abs. [0006]). Weiter ist es Aufgabe, Verfahren zur kapazitiven Messwerterfassung zur Verfügung zu stellen, welche auf einfache Weise die Änderung einer Kapazität mittels der erfindungsgemäßen Vorrichtung erkennen können (vgl. Streitpatent, Abs. [0007]).

Diese Aufgabenstellung wird gemäß Hauptantrag durch die Auswerteschaltungen der nebengeordneten Ansprüche 1 und 7 gelöst. Hinsichtlich des Verfahrens wird die Aufgabe durch die Merkmale der nebengeordneten Ansprüche 15 und 22 gelöst.

Hierbei weist -mit Verweis auf die einzige Figur des Streitpatents -die verteidigte Auswerteschaltung nach Anspruch 1 eine Schaltung auf, welche ein Mittel (Q1) zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms mit mindestens drei Anschlüssen (A,B,E), gemäß Ausführungsbeispiel der Beschreibung ausgebildet als pnp-, npnoder Feldeffekt-Transistor (vgl. Abs. [0014]), ein widerstandsbehaftetes Mittel (RB), welches durch eine alternierende Spannung einer Quelle (CL) getrieben wird, und ein erstes und ein zweites kapazitätsbehaftetes Mittel (CS, CI) aufweist, wobei das Mittel (Q1) zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms an dem ersten Anschluss (B) mit dem widerstandsbehafteten Mittel (RB) und dem ersten kapazitätsbehafteten Mittel (CS) verbunden ist und an dem zweiten Anschluss (A) mit dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (Cl) verbunden ist, und wobei das erste kapazitätsbehaftete Mittel (CS) eine variable Kapazität besitzt. Außerdem weist die Schaltung Mittel zum Entladen des zweiten kapazitätsbehafteten Mittels (CI) am Beginn einer Messung sowie Mittel zum Erkennen einer Ladung auf oder Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (CI) auf.

Gemäß Hilfsantrag wird die Aufgabe durch die Auswerteschaltungen nach den Ansprüchen 1, 2 und 7 gelöst; hinsichtlich des Verfahrens wird die Aufgabe durch die Merkmale der Ansprüche 15, 17 und 20 gelöst.

Hierbei unterscheidet sich die hilfsweise verteidigte Lehre des Anspruchs 1 von der des Hauptantrags durch das Vorsehen eines zusätzlichen Mittels zum Vergleich der Anzahl der seit der letzten Entladung verstrichenen Taktzyklen mit einer vorbestimmten Anzahl bei Erreichen einer vorbestimmten Schwell-Ladung auf oder Schwell-Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (Cl) in der Auswerteschaltung, was das Treiben der Schaltung bzw. des Widerstands durch eine alternierende Spannung einer Quelle impliziert. Mithin lässt sich nach dieser Lehre die Kapazität des ersten kapazitätsbehafteten Mittels aus der jeweiligen Anzahl der Ladezyklen bei konstant vorgegebener Schwell-Ladung bzw. Schwell-Spannung in integrativer Weise bestimmen.

3. Die Fragen der Zulässigkeit der jeweiligen Ansprüche nach Hauptund Hilfsantrag sowie der Ausführbarkeit der entsprechenden Lehren können im Folgenden dahinstehen, denn die Auswerteschaltungen nach den jeweiligen Ansprüchen 1 erweisen sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als nicht patentfähig (vgl. BGH, GRUR 1991, 120, 121 li. Sp. Abs. 3 -"Elastische Bandage").

a) Die Vorrichtung zur kapazitiven Messwerterfassung des Anspruchs 1 nach Hauptantrag ist unter Berücksichtigung der Lehre der Druckschrift E3' nicht neu.

Denn Druckschrift E3' offenbart in Worten des Streitpatents eine Auswerteschaltung (vgl. E3', Seite 1, Zeilen 6 und 7, "... for detecting user contact of the opposite side of the substrate."), wobei die Auswerteschaltung eine Vorrichtung zur kapazitiven Messwerterfassung mit einer Schaltung (differential circuit 32) aufweist (vgl. E3', Fig. 4 mit zugehöriger Beschreibung S. 11, 2. Abs. ff.), die ein Mittel zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms mit mindestens drei Anschlüssen (Transistor Q2), ein widerstandsbehaftetes Mittel (resistor 30), ein erstes und ein zweites kapazitätsbehaftetes Mittel (vgl. E3', Seite 12, Zeilen 2 bis 5, capacitor 35 which represents first electrode field disturbance, capacitor 36 which represents stray sense line capacitance), wobei das Mittel (Transistor Q2) zur Beeinflussung eines Ladungsträgerstroms an dem ersten Anschluss (hier: Basis) mit dem widerstandsbehafteten Mittel (resistor 30) und dem ersten kapazitätsbehafteten Mittel (capacity 35) verbunden ist und an dem zweiten Anschluss (hier: Kollektor) mit dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (capacity 36) verbunden ist, und wobei das erste kapazitätsbehaftete Mittel eine variable Kapazität besitzt (vgl. E3', Seite 15, Zeile 20 ff., "When a user contacts the touch pad [...] the field capacitance of capacitor 35 ist increased").

Des Weiteren weist die Schaltung Mittel zum Entladen des zweiten kapazitätsbehafteten Mittels (capacity 36) am Beginn einer Messung auf (mögliche Entladung der Kapazität 36 über den Widerstand 48) sowie Mittel zum Erkennen einer Ladung auf oder Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (vgl. E3', Seite 10, le. Zeile, "Sense line 24 carries a detection...").

Hierbei wird das widerstandsbehaftete Mittel (resistor 30) durch eine alternierende Spannung einer Quelle (vgl. Fig. 4, source 60) getrieben.

Somit sind aus der Druckschrift E3' sämtliche Merkmale der Vorrichtung des Anspruchs 1 nach Hauptantrag bekannt. Daher ist der nach Hauptantrag verteidigte Anspruch 1 nicht rechtsbeständig.

b) Die Vorrichtung zur kapazitiven Messwerterfassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag beruht unter Berücksichtigung der Lehre der Druckschrift E3' nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns. Dieser ist hierbei als ein berufserfahrener, mit der Schaltungsentwicklung von kapazitiven Messwerterfassungssystemen vertrauter Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Messtechnik mit Fachhochschulabschluss zu definieren.

Denn der Anspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem nach Hauptantrag lediglich durch die Hinzunahme des weiteren Merkmals

"...Mittel zum Vergleich der seit der letzten Entladung verstrichenen Taktzyklen mit einer vorbestimmten Anzahl bei Erreichen einer vorbestimmten Schwell-Ladung auf oder Schwell-Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel (Cl).", wobei dieses Merkmal das Antreiben des widerstandsbehafteten Mittels durch eine alternierende Spannung einer Quelle voraussetzt, wie es im Streitpatent offenbart ist (vgl. hierzu auch Streitpatent, Abs. [0044]. "Hierzu wird wiederum das kapazitätsbehaftete Mittel Cl am Beginn einer Messung entladen. Wird nun durch die Quelle CL ein Takt-Signal in die Schaltung gegeben, so steigt die Spannung am kapazitätsbehafteten Mittel CI und damit die Ladung auf dem kapazitätsbehafteten Mittel CI an. Die Ladung wird mit jedem Zyklus höher und somit steigt auch die Spannung über CI an").

Das hinzugenommene Merkmal beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit des zuständigen Fachmanns. Denn es entspricht fachmännischem Handeln, unter Kenntnis der grundlegenden physikalischen Beziehung Kapazität C = Ladung Q / Spannung U (vgl. bsw. Sieber, Mathematische Tafeln, S. 130, 3. Auflage, Ernst Klett Verlag, 1983) ausgehend von einer vorbestimmten Schwellwert-Ladung oder Schwellwert-Spannung an dem zweiten kapazitätsbehafteten Mittel durch einen Vergleich der Anzahl der seit der letzten Entladung verstrichenen Zyklen mit einer vorbestimmten Anzahl Rückschlüsse über die Natur der Änderung - hier der Änderung der Kapazität an Cs -zu erzielen (vgl. Streitpatent, Abs. [0045]). Die entsprechenden fachnotorischen Mittel zum Durchführen dieser Messung sind dem Fachmann hinreichend bekannt.

Somit fehlt es der Lehre des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns; der Anspruch 1 nach Hilfsantrag ist daher ebenfalls nicht rechtsbeständig.

c) Der Argumentation des Patentinhabers, wonach der Kondensator 36 in Druckschrift E3' eine Streukapazität sei, mithin im Stand der Lehre eine andere Verwendung der Schaltung vorliege, so dass die Streukapazität 36 aus dem Stand der Technik kein "kapazitätsbehaftetes Mittel" im Sinne des Streitpatents darstelle (vgl. BGH, GRUR 2006, S. 923, Leitsatz 1 -"Luftabscheider für Milchsammelanlage"

m. w. N.), kann nicht gefolgt werden.

Denn der Fachmann subsumiert unter dem allgemeinen Begriff "kapazitätsbehaftetes Mittel" im Rahmen der Ausführungsoffenbarung des Streitpatents (vgl. hierzu BGH, GRUR 2004, S. 407, Leitsatz a), "Fahrzeugleitsystem") neben der in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Auslegung als Kondensator insbesondere auch ein kapazitätsbehaftetes Schaltungsbzw. Zuleitungsteil mit einer entsprechenden Streukapazität, wie dies im Stand der Technik nach Druckschrift E3' als wesentliches Element offenbart ist und welches ebenfalls zur Durchführung der entsprechenden Messung bzw. der Anordnung zur kapazitiven Messwerterfassung offenbart ist. Eine solche Verwendung der aus Druckschrift E3' bekannten Schaltung ergibt sich bereits aus dem dort angegebenen Verwendungszweck (vgl. bspw. E3', abstract, "A differential touch sensor apparatus for detecting the presence of an object such as a human appendage...") in Verbindung mit der Schaltungsanordnung nach Fig. 4 (vgl. beispielsweise E3', Seite 12, Zeilen 2 und 3, "Capacitor 35 represents first electrode field disturbance").

Eine -wie vorgetragen -konkretisierende Einschränkung des Begriffs "kapazitätsbehaftetes Mittel" als Kondensator scheitert darüber hinaus bereits an der fehlenden Offenbarung im Streitpatent (vgl. BGH GRUR 2009, S. 382, Leitsätze 2 und 3 -"Olanzapin").

4. Mit den Patentansprüchen 1 nach Hauptund Hilfsantrag fallen aufgrund der Antragsbindung auch die jeweiligen nebengeordneten Ansprüche sowie die jeweils rückbezogenen Ansprüche (vgl. BGH GRUR 2007, 862 Leitsatz -Informationsübermittlungsverfahren II" m. w. N.).

5. Bei dieser Sachlage war das Patent zu widerrufen.

Lokys Dr. Hock Brandt Maile Pü






BPatG:
Beschluss v. 11.02.2010
Az: 23 W (pat) 321/06


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