Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. März 2010
Aktenzeichen: 15 W (pat) 321/05

(BPatG: Beschluss v. 08.03.2010, Az.: 15 W (pat) 321/05)

Tenor

Das Patent 100 50 495 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 11. Oktober 2000 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patentund Markenamt das Patent 100 50 495 mit der Bezeichnung

"Thermoplastisch verarbeitbare Polyurethan-Formmasse"

erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 18. November 2004. Die Patentansprüche des Streitpatents lauten wie folgt:

Gegen die Patenterteilung haben die B... in L..., mit Schriftsatz vom 4. Februar 2005, eingegangen am 8. Februar 2005, sowie die B... AG in L..., mit Schriftsatz vom 11. Februar 2005, eingegangen am 12. Februar 2005, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent zu widerrufen, hilfsweise mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Die Einsprechenden gründen ihren Einspruch auf mangelnde Neuheit sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit und stützen sich dabei auf die Druckschriften

(1)

EP1010712A1

(2)

EP0845492A1

(3)

Kunststoff-Handbuch, 7. Polyurethane, 3. neubearb. Aufl. Carl Hanser Verlag, 1993, auszugsweise S. 457-458

(4)

Datenblatt Loxiol¨ G78 der Cognis Plastics Technology, datiert 26.8.99.

Die Patentinhaberinnen haben dem Vorbringen der Einsprechenden mit Schriftsatz vom 2. Juni 2005 widersprochen und beantragt, das Patent unbeschränkt aufrechtzuerhalten, hilfsweise mündliche Verhandlung anzuberaumen. Sie führen hierzu aus, der Patentgegenstand sei gegenüber der Lehre der Druckschrift (1) nicht nur neu, sondern demgegenüber und gegenüber der Druckschrift (2) einschließlich deren Zusammenschau auch erfinderisch.

Zu den Erläuterungen der B... im Schriftsatz vom 11. August 2005 hinsichtlich des Einsatzes von Loxiol¨ G78 und dem diesbezüglich eingereichten Datenblatt (4) sowie dem Vergleichsversuchsbericht einschließlich der Nacharbeitung des Beispiels 7 der Druckschrift (1) haben die Patentinhaberinnen nicht Stellung genommen.

Auf die Terminsladung vom 16. Dezember 2009 hat die Patentinhaberin zu 1) mit Schriftsatz vom 17. Februar 2010 mitgeteilt, sie beabsichtige den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht am 8. März 2010 nicht wahrzunehmen und auch keinen neuen Schriftsatz einzureichen.

In der mündlichen Verhandlung am 8. März 2010 sind die Patentinhaberinnen nicht erschienen. Mit den erschienenen Vertretern der beiden Einsprechenden wurde die Sachund Rechtslage erörtert.

Die Vertreter der Einsprechenden stellen den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaber haben schriftsätzlich den Antrag gestellt, das Patent aufrecht zu erhalten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet im Einspruchsverfahren auf Grund mündlicher Verhandlung in entsprechender Anwendung von § 78 und § 147 (3) PatG, nachdem die Beteiligten Terminsanträge gestellt haben (vgl. auch BPatG 34. Senat, Mitt. 2002, 417). Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind. Es bestehen weder Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 147 Abs. 3 PatG (BGH GRUR 2007, 859 -Informationsübermittlungsverfahren I), noch berührt die Aufhebung der Bestimmung ihre Geltung für alle bereits tatbestandlich erfassten Fälle (BPatG 19 W (pat) 344/04 und 23 W (pat) 313/03). Nach dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) besteht eine einmal begründete gerichtliche Zuständigkeit vielmehr fort, solange der Gesetzgeber nichts anderes bestimmt hat (BGH GRUR 2007, 862

-Informationsübermittlungsverfahren II; bestätigt durch: BGH GRUR 2009, 184 -Ventilsteuerung).

III.

Die rechtzeitig und formgerecht eingelegten Einsprüche genügen den Erfordernissen des § 59 Abs. 1 PatG und sind zulässig. Denn es sind innerhalb der Einspruchsfrist die den Einspruch nach § 21 Abs. 1 PatG rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt worden, so dass die Patentinhaberinnen und der Senat daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe, hier die angegriffene Neuheit und erfinderische Tätigkeit, ohne eigene Ermittlungen ziehen konnten (§ 59 Abs. 1 PatG).

Die zulässigen Einsprüche haben in der Sache Erfolg und führen zum Widerruf des Patents.

Dem Antrag der Einsprechenden auf vollumfänglichen Widerruf des Streitpatents ist stattzugeben. Denn einer thermoplastisch verarbeitbaren Polyurethan-Formmasse gemäß Patentanspruch 1 mangelt es bereits an der erforderlichen Neuheit gegenüber der Lehre der Druckschrift EP 1 010 712 A1 (1), jedenfalls aber an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit in Verbindung mit der Druckschrift EP 0 845 492 A1 (2).

Gegenstand des Streitpatents ist gemäß Patentanspruch 1 eine 1) Polyurethan-Formmasse 1.1) thermoplastisch verarbeitbar, 1.2) mit hoher Lichtechtheit, erhalten durch Umsetzung 2) eines oder mehrerer aliphatischer Polyole 2.1) mit einem MW von 450 bis 4000 g/mol 2.2) mit einer OH-Zahl von 20 bis 235, 2.3) ausgewählt aus der Gruppe Polyadipate, Polycaprolactone, Polycarbonate, Polytetrahydrofuran und entsprechenden Copolymeren oder deren Gemischen, 3) mit 1,6-Hexamethylendiisocyanat 4) und/oder hydriertem Dicyclohexylmethandiisocyanat 5) sowie einem Kettenverlängerungsmittel ausgewählt aus 5.1) 1,5 Pentandiol, 1,6-Hexandiol, 1,4-Cyclohexandiol, 1,4-Bis(hydroxymethyl)cyclohexan, Bis(hydroxyethyl)hydrochinon, 6) einem Äquivalenzverhältnis von 1,6-Hexamethylendiisocyanat und/oderhydriertem Dicyclohexylmethandiisocyanat zu Polyol von 1,5 : 1 bis 14 : 1, 7) einer NCO-Kennzahl im Bereich von 96 bis 105, sowie jeweils bezogen auf die Gesamtmenge an Polyurethan 8) 0,3 bis 5 Gew.-% metallseifenhaltige Fettsäureester, 9) 0,1 bis 3 Gew.-% eines UV-Licht-Absorbers, 10) 0,1 bis 5 Gew.-% eines Lichtstabilisators, 11) 0,05 bis 2 Gew.-% eines Antioxidans, sowie ggf.

12) bis zu 10 Gew.-% eines Farbpigments oder Farbbatchs.

Gemäß der Lehre der Druckschrift EP 1 010 712 A1 (1) werden thermoplastisch verformbare Polyurethan-Formmassen mit hoher Lichtechtheit erhalten durch Umsetzung von Polyesterpolyolen mit mittleren Molekulargewichten von 600 bis 5000, bevorzugt von 700 bis 4200 (Merkmale 1, 1.1, 1.2, 2, 2.1; vgl. (1) Titel i: V: m: Anspr. 20, 21 sowie i: V. m. d. Aufgabe S. 2 Z. 25-26; S. 2 Z. 44 bis 45), darunter Polyadipate und Polycaprolactone (Merkmal 2.3; vgl. (1) S. 5 Z. 10 bis 12) oder Polytetrahydrofurane (Merkmal 2.3, vgl. (1) S. 5, Z. 29), mit Hexamethylendiisocyanat (Merkmal 3; vgl. (1) S. 2 Z. 40 bis 42), des Weiteren einem Kettenverlängerungsmittel, beispielsweise Hexandiol oder 1,4-Bis(hydroxymethyl)hydrochinon (Merkmale 5, 5.1; vgl. (1) S. 5 Z. 34 bis 52), Fettsäureestern und deren Metallseifen als Gleitmittel in Mengen von 0,1 bis 1% (Merkmal 8; vgl. (1) S. 6 Z. 51 bis 52 i. V. m. S. 7 Z. 1 bis 3), 0,4 bis 0,9 % UV-Stabilisatoren bzw. Lichtstabilisatoren (Merkmale 9 und 10; vgl. (1) S. 2 Z. 49 bis 50 i. V. m. S. 6 Z. 50 bis 53) sowie mit einem Antioxidans in Mengen von 0,1 bis 0,7 % (Merkmal 11; vgl. (1) S. 7 Z. 2 bis 3) sowie ggf. mit Pigmenten (Merkmal 12; vgl. (1) S. 6 Z. 53). Auch die Merkmale 6 (Äquivalentverhältnis Diisocyanat zu Polyol von 1,5 : 1 bis 14 : 1) und 7 (NCO-Kennzahl im Bereich von 96 bis 105) sind bei einer Umsetzung zu Polyurethan-Formmassen gemäß Druckschrift (1) erfüllt (vgl. (1)

S.

2 Z.56bis 58).

Was die OH-Zahlen der eingesetzten Polyole von 20 bis 235 und damit das in (1) expressis verbis nicht angegebene Merkmal 2.2 anbelangt, so liegen die OH-Zahlen der in (1) eingesetzten Handelsprodukte (vgl. (1) Beispiele S. 7 Z. 50 bis 55) genau in diesem, im Übrigen üblichen Bereich, so beispielsweise Terathane 2000¨ mit einer OH-Zahl von etwa 56 und Terathane 1000¨ mit einer OH-Zahl von etwa 112.

Was die metallseifenhaltigen Fettsäureester und damit das Merkmal 8 anbelangt, so vermittelt die Nennung von "Fettsäureestern, deren Metallseifen" als Gleitmittel (vgl. (1) S. 6 Z. 51/52) dem fachkundigen Leser auch die Lehre des Einsatzes eines Gemisches aus Fettsäureestern und Metallseifen, da Metallseifen stets einen gewissen Anteil an denjenigen Fettsäureestern enthalten, aus denen sie hergestellt sind. Darüber hinaus ergibt sich aus den Ausführungsbeispielen in (1) der Einsatz des Handelsprodukts Loxiol¨ G78, das ausweislich des Datenblatts (4) ein Kombinationsgleitmittel aus Metallseifen und Komplexestern darstellt (vgl. (1)

S. 8 Z. 5 i. V. m. (4)). Zwar wird Loxiol¨ G78 in (1) als Sterarinsäure der Fa. Hoechst identifiziert, jedoch handelt es sich dabei für den Fachmann erkennbar sowie ausweislich des Datenblattes (4) tatsächlich um ein Gemisch aus Metallseifen und Komplexestern der Stearinsäure.

Dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents mangelt es daher bereits an der erforderlichen Neuheit gegenüber der Lehre der Druckschrift (1).

Aber selbst wenn man die metallseifenhaltigen Fettsäureester und damit das Merkmal 8 gemäß Patentanspruch 1, für das im Übrigen im Streitpatent selbst keinerlei Angaben zu Material und Herkunft existieren, nicht aus der Druckschrift (1) in der vorstehend ausgeführten Weise entnehmen und damit die Neuheit anerkennen wollte, so ergibt sich das Merkmal 8 jedenfalls aus einer Zusammenschau mit der Lehre der gattungsgleichen Druckschrift EP 0 845 492 A1 (2), die ebenfalls thermoplastisch verarbeitbare PU-Formmassen betrifft. Dort wird bereits unter Bezugnahme auf den Stand der Technik darauf hingewiesen, dass als Wachse Fettsäureester wie Stearinsäureester sowie deren Metallseifen eingesetzt werden (vgl. (2) S. 2 Z. 26 bis 29). Gemäß der eigentlichen Lehre der Druckschrift (2) wird den thermoplastisch verformbaren Polyurethan-Formmassen zu Verarbeitungszwecken darüber hinaus explizit ein Gemisch von Fettsäureestern und Metallseifen zugesetzt (vgl. (2) S. 2 Z. 50 bis 53 i. V. m. S. 4 Z. 12 bis 23, insbes. Z. 15 bis 17).

Damit mangelt es dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, unabhängig von der Neuheitsbewertung, jedenfalls an der zur Patentierung erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.

Die Unteransprüche 2 bis 5 sowie der Verwendungsanspruch 6 fallen mit dem Patentanspruch 1, auf den sie rückbezogen sind, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob diese etwas Schutzfähiges enthalten, da die Patentinhaberinnen die Aufrechterhaltung des Patents erkennbar nur im Umfang des Anspruchssatzes in der erteilten Fassung begehrt haben (BGH GRUR 2007, 862 -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH, GRUR 1997, 120 -Elektrisches Speicherheizgerät).

Die Patentinhaberinnen haben an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen und somit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht in Anspruch genommen (§ 89 Abs. 2 PatG). Der Entscheidung wurden jedoch nur Erkenntnisse und Druckschriften zu Grunde gelegt, zu denen die Patentinhaberinnen ausreichend Stellung nehmen konnten und von denen sie erkennen konnten, dass sie für die Entscheidung von Bedeutung sein werden (BGH GRUR 2009, 1192 -Polyolefinfolie).

Feuerlein Schwarz-Angele Egerer Zettler Bb






BPatG:
Beschluss v. 08.03.2010
Az: 15 W (pat) 321/05


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