Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. März 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 388/03

(BPatG: Beschluss v. 08.03.2006, Az.: 7 W (pat) 388/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Die Erteilung des Patents 198 58 073 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Erzeugung von dünnen Warmbändern aus Stahl mit verbesserter Tiefziehfähigkeit" ist am 24. April 2003 veröffentlicht worden. Am 24. Juli 2003 ist gegen die Erteilung dieses Patents Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei. Zum Stand der Technik ist u. a. der Aufsatz De Paepe, Annick et al., Deep drawable ultra low carbon TI IF steels hot rolled in the ferrite region, steel research 68 (1997) No. 11 S. 479 bis 486, (D1) genannt worden.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

Sie macht geltend, dass der Gegenstand des Patents eine patentfähige Erfindung darstelle.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Erzeugung von dünnen Warmbändern aus Stahl mit verbesserter Tiefziehbarkeit, bei dem Brammen oder Dünnbrammen zunächst im Austenitgebiet vorgewalzt und nach einer Abkühlung bis zur vollständigen Umwandlung in ferritisches Gefüge fertiggewalzt werden, danach gehaspelt und rekristallisierend geglüht werden, dadurch gekennzeichnet, dass die Bänder mit einer Endwalztemperatur unter 760 ¡C fertiggewalzt und danach gehaspelt werden, und dass die Coils unmittelbar anschließend an das Haspeln in noch warmem Zustand in einen Glühofen eingesetzt, darin auf Rekristallisationstemperatur erwärmt und rekristallisierend geglüht werden."

Die Ansprüche 2 und 3 sind auf Merkmale gerichtet, mit denen das Verfahren nach Anspruch 1 weiter ausgebildet werden soll.

Laut Beschreibung soll die Aufgabe gelöst werden, die Abhängigkeit der Warmwalzendtemperatur von der Rekristallisationstemperatur zu entkoppeln und damit einen zusätzlichen Freiheitsgrad zu schaffen, der es ermöglicht, durch stärkere Absenkung der Warmwalzendtemperatur eine bessere Walztextur mit einer erhöhten Anzahl von Körnern in der günstigen {111} Vorzugsrichtung zu erreichen und zwar ohne zusätzlichen Aufwand durch Ausnutzung vorhandener Aggregate [0006].

Für weitere Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Absatz 3 Satz 1 Ziffer 1 Patentgesetz durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Entgegen der von der Patentinhaberin im Schriftsatz vom 14. Mai 2004 vertretenen Auffassung geht die Einspruchsbegründung auch ausreichend auf das Merkmal des patentgemäßen Verfahrens ein, dass die Coils unmittelbar anschließend an das Haspeln in noch warmem Zustand in einen Glühofen eingesetzt werden. Auf den Fall, dass die Coils sofort nach dem Haspeln in einen Glühofen verbracht werden, wird konkret im letzten Absatz auf Seite 3 des Einspruchsschriftsatzes 3. eingegangen.

3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt keine patentfähige Erfindung im Sinne des PatG § 1 bis § 5 dar, denn er beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

In steel research (D1) a.a.O. werden Untersuchungen zur Erzeugung von Tiefziehblech beschrieben. U. a. wird ein Verfahren angegeben, bei dem Brammen oder Dünnbrammen zunächst im Austenitgebiet vorgewalzt und nach einer Abkühlung bis zur vollständigen Umwandlung in ferritisches Gefüge fertiggewalzt werden. Gemäß Figur 1.c werden die Bänder dabei mit einer Endwalztemperatur von unter 760 ¡C fertig gewalzt und danach gehaspelt. Die gehaspelten Bänder werden einer zusätzlichen Rekristallisation durch Erwärmung in einem Salzbadofen unterzogen (S. 481 re. Sp. Abs. 2). Ob das Rekristallisationsglühen unmittelbar anschließend an das Haspeln stattfinden soll, ist in der Druckschrift im Gegensatz zum angefochtenen Patent nicht gesagt. Außerdem unterscheidet sich das Verfahren nach Anspruch 1 dadurch vom Stand der Technik, dass das Rekristallisationsglühen in einem Glühofen stattfinden soll.

Ein weiterer Unterschied könnte darin bestehen, dass bei dem bekannten Verfahren unabhängig von der Temperatur des letzten Walzstiches (710 ¡C, 690 ¡C oder 670 ¡C) bei 500 ¡C gehaspelt wird (Fig. 1c). Daraus wird der Fachmann, als welcher hier ein Diplomingenieur des Maschinenbaus oder verwandter Fachrichtungen mit Erfahrungen in der Blechherstellung durch Walzen anzusehen ist, entnehmen, dass das Blech zwischen dem letzten Walzstich und dem Haspel (geringfügig) gekühlt wird. Im angefochtenen Patent ist dagegen die Haspeltemperatur nicht festgelegt. Eine Kühlung des gewalzten Bleches ist nicht vorgesehen.

Das somit neue Verfahren nach Anspruch 1 ergibt sich jedoch für den Fachmann in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik nach der vorgenannten Druckschrift. In dieser sind Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen dargestellt. Das hat gewisse Einschränkungen und Besonderheiten, z. B. hinsichtlich der Größe der gewalzten Brammen, der Walzen und sonstiger Ausrüstung zur Folge. Für den Fachmann liegt es auf der Hand, dass für den Einsatz des Verfahrens in einer normalen Produktion Anpassungen erforderlich sind. So drängt es sich auf, statt der in der D1 beschriebenen Simulation des Rekristallisationsglühens in einem Salzbadofen im großtechnischen Einsatz das Erwärmen auf Rekristallisationstemperatur in einem Glühofen durchzuführen.

Ein geringfügiges Kühlen des Walzbandes zwischen dem letzten Walzstich und dem Haspel erschließt sich dem Fachmann zwar aus der Figur 1c, ist aber im Text der Druckschrift nirgends erwähnt. Der Fachmann wird daraus entnehmen, dass eine solche Abkühlung nicht zu den für das Erreichen des gewünschten Endergebnisses erforderlichen Verfahrensschritten zählt, sondern dass sie aus anderen Gründen vorgesehen wurde, z. B. um die Zahl der veränderlichen Parameter zu begrenzen und konstante Randbedingungen zu schaffen. Es ist daher nahe liegend, beim Übergang zur großtechnischen Produktion eine solche Zwischenkühlung nicht vorzunehmen, sondern das Band so, wie es aus dem letzten Walzenpaar ausläuft, zu haspeln.

Das abschließende Rekristallisationsglühen ist in der D1 in einem Satz mit dem Haspeln des warmen Bandes genannt (S. 481 re. Sp. Abs. 2). Das legt zumindest den Gedanken nahe, das Rekristallisationsglühen unmittelbar anschließend an das Haspeln durchzuführen, ohne das gehaspelte Band nennenswert abkühlen zu lassen. Ein solches Vorgehen wird der Fachmann auch beim großtechnischen Verfahren auch schon deswegen anstreben, weil dadurch die zu einem Wiederaufwärmen des abgekühlten Bandes erforderliche Energie eingespart werden kann. Im Übrigen ist die Angabe "unmittelbar anschließend an das Haspeln in noch warmem Zustand" im Anspruch 1 ziemlich unbestimmt. In der Beschreibung ist angegeben, dass die gewalzten und gehaspelten Warmbänder ohne große Zeitverzögerung in noch warmem Zustand in den Glühofen eingesetzt werden, wobei man von einer relativ niedrigen Geschwindigkeit der Temperaturabnahme von 30 K/h ausgehen könne (Sp. 2 Z. 19 bis 23). An anderer Stelle ist ausgeführt, dass ein sofortiges Erwärmen des Warmbandcoils ein wesentlicher Aspekt der Erfindung sei, da eine langsame Abkühlung, etwa auf Raumtemperatur - d. h. eine vollständige Abkühlung - und eine erst dann erfolgende erneute Erwärmung zur Rekristallisation eine Entschärfung der gewünschten Textur verursachen würde. Auf Befragen in der mündlichen Verhandlung wollte die Patentinhaberin nicht ausschließen, dass auch das Einsetzen eines Coils in einen Glühofen wenige Stunden nach dem Haspeln noch als unmittelbar anschließend an das Haspeln aufgefasst werden könne. Die Lehre des Anspruchs bedingt somit insoweit keine besonderen Maßnahmen zur Abkürzung des Zeitraums zwischen dem Haspeln und dem Einsetzen des Coils in einem Glühofen.

Der Hinweis der Patentinhaberin auf die Aufwendigkeit von Entwicklungen auf dem Gebiet der Walztechnik ist zwar zutreffend, kann aber nicht zu einer anderen Beurteilung der Patentierbarkeit des Verfahrens nach Patentanspruch 1 führen. In der Druckschrift D1 sind Ergebnisse von Untersuchungen mitgeteilt, die die wesentlichen Merkmale des streitpatentgemäßen Verfahrens zur Verfügung stellen. Die verbleibenden Unterschiede ergeben sich, wie vorstehend dargestellt, für den Fachmann unter Einsatz seines routinemäßigen Wissens und Könnens in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik.

Der Patentanspruch 1 hat somit keinen Bestand. Das Gleiche gilt auch für die auf ihn rückbezogenen Ansprüche 2 und 3. Dass diese Ansprüche noch etwas Patentfähiges enthielten, hat der Senat im Übrigen nicht erkennen können und ist auch nicht vorgetragen worden.






BPatG:
Beschluss v. 08.03.2006
Az: 7 W (pat) 388/03


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