Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 23. März 2010
Aktenzeichen: 4 U 169/09

(OLG Hamm: Urteil v. 23.03.2010, Az.: 4 U 169/09)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 23. Juni 2009 verkündete Urteil der V. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert.

1.

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, geschäftlich handelnd für ihren Tarif "direkt+" mit der Aussage zu werben

"Volles Konto - volle Leistung: direkt+. Sie werden online und telefonisch vom Service-Team direkt+ betreut und erhalten alle Leistungen der Verei-nigten J - ohne Wenn und Aber.",

wie geschehen mit dem Werbeflyer "Dicker Fisch!", Anlage zur Klage-schrift, wenn die Versicherten dieses Tarifes von der Beklagten nur online und telefonisch betreut werden und nicht die Möglichkeit haben, ihre Versicherungsangelegenheiten in persönlichem Kontakt mit einem Sachbearbeiter der Beklagten zu regeln.

2.

Für jeden Fall zukünftiger schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung gemäß Ziffer 1. wird ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten gegenüber der Beklagten angedroht, wobei die Ordnungshaft an den Vorständen der Beklagten zu vollziehen ist.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Die Beklagte verbreitete im Januar 2009 einen Werbeflyer für ihren "Tarif direkt+". Hierin findet sich u.a. die folgende Aussage:

"Volles Konto - volle Leistung: direkt+ ... Sie werden online und telefonisch vom Service-Team direkt+ betreut und erhalten alle Leistungen der Vereinigten J - ohne Wenn und Aber."

Wegen des näheren Inhaltes des Flyers wird auf das vorlegte Original hiervon (Anl. B 7) verwiesen.

Die Klägerin hat hierin einen Verstoß gegen § 5 UWG, zumindest aber gegen § 5 a UWG gesehen und die Beklagte mit Schreiben vom 05.02.2009 - allerdings unter dem Gesichtspunkt der zusätzlich versprochenen Prämie - erfolglos abgemahnt.

Sie hat gemeint, die Beklagte täusche die angesprochenen Verkehrskreise darüber, dass sie nicht durch einen persönlichen Kontakt mit Mitarbeitern der Beklagten in einer Filiale vor Ort betreut würden. Eine solche persönliche Betreuung sei bei gesetzlichen Krankenversicherungen üblich. Der potentielle Kunde gehe insoweit von einer persönlichen Betreuungsmöglichkeit aus.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte - unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel - zu verurteilen, es zu unterlassen, geschäftlich handelnd für ihren Tarif "direkt+" mit der Aussage zu werben "Volles Konto - volle Leistung: direkt+·. Sie werden online und telefonisch vom Service-Team direkt+ betreut und erhalten alle Leistungen der Vereinigten J - ohne Wenn und Aber." wie geschehen mit dem Werbeflyer "Dicker Fisch!", Anlage zur Klageschrift, wenn die Versicherten dieses Tarifes von der Beklagten nur online und telefonisch betreut werden und nicht die Möglichkeit haben, ihre Versicherungsangelegenheiten in persönlichem Kontakt mit einem Sachbearbeiter der Beklagten zu regeln; ferner die Beklagte zu verurteilen, an sie 208,65 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, die von ihr mit dem Flyer vorgenommene Werbung sei zulässig. Der Verbraucher werde über alle wesentlichen Punkte aufgeklärt. Eine Täuschung über die Vornahme einer persönlichen Beratung in einer Filiale liege schon deshalb nicht vor, weil im Rahmen der Werbung positiv angegeben werde, dass eine Betreuung "online und telefonisch" erfolge. Der angesprochene potentielle Kunde mache sich auch schon deshalb keine falschen Gedanken über die Art der Betreuung, weil bei der Beklagten als Innungskrankenkasse ein ausgebautes Filialnetz wie etwa bei der B typischerweise nicht bestehe. Im Übrigen bringe der für den beworbenen Tarif gewählte Begriff "direkt" das Fehlen persönlicher Betreuung vor Ort hinreichend zum Ausdruck, da er inzwischen für Versicherungen etc., die nur eine online-Betreuung zur Verfügung stellten, üblich sei. Zudem sei es bei den Betriebs- und Innungskrankenkassen gerade nicht üblich, ein landes- bzw. bundesweit ausgebautes Filialnetz anzubieten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und einen Verstoß der Beklagten gegen die §§ 5 und 5 a UWG verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, die gerügte Flyer-Werbung der Beklagten enthalte weder zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Dienstleistung der Beklagten noch würden hiermit wesentliche Umstände verschwiegen. Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher, auf den bei der Frage der Irreführung im Sinne des UWG abzustellen sei, werde durch die vorliegende Werbung nicht darüber getäuscht, dass die Beklagte ihn im Rahmen des Tarifes "direkt+" tatsächlich nicht persönlich in einer ihrer Filialen betreue. Das ergebe sich schon aus dem Wortlaut der gerügten Werbung, in welcher ausdrücklich darauf hingewiesen sei, dass durch ein Service-Team online und telefonisch betreut werde. Dabei werde im Weiteren deutlich gemacht, dass zwischen der Betreuungsleistung und der Leistung aus dem Krankenversicherungsvertrag unterschieden werde. Im Übrigen verweise die Beklagte im Rahmen der Flyer-Werbung auf weitere Infos zu dem hier beworbenen Tarif auf ihrer Internetseite (Anl. K 8), auf welcher sich unter der Überschrift "wo ist der Haken€" ausdrücklich der Hinweis finde, dass auf die Betreuung in Geschäftsstellen verzichtet werde. Auch sei ein Verschweigen wesentlicher Umstände durch die gerügte Werbung der Beklagten nicht gegeben. Durch die ausdrückliche Nennung der Art der Betreuung werde gegenüber dem potentiellen Kunden vielmehr deutlich gemacht, wie die Betreuungsleistung der Beklagten aussehe. Insgesamt werde der die Werbung mit situationsadäquater Aufmerksamkeit aufnehmende Verbraucher nach dem bestehenden Gesamteindruck des Flyers nicht über den Inhalt des Tarifes direkt+·und über deren Serviceleistungen getäuscht.

Ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten stehe der Klägerin auch deshalb nicht zu, weil die insoweit streitgegenständlich abweichende Abmahnung unberechtigt gewesen sei. Die dort gerügte Werbeaussage - zu einem Prämienvorteil vermeintlich bei jedem Neumitglied - wolle die Klägerin offensichtlich selbst nicht mehr verfolgen. Im Übrigen bestehe ein solcher Unterlassungsanspruch nicht, da eine Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise nicht vorliege. Die Werbung kläre hinreichend darüber auf, dass eine Prämie nur für den Fall versprochen werde, dass der Tarif direkt+ gewählt werde.

Die Klägerin wehrt sich hiergegen mit der von ihr eingelegten Berufung. Sie meint weiterhin, dass der Kunde in der Werbung nicht darauf hingewiesen werde, dass er beim Tarif direkt+ ausdrücklich oder in sonstiger Weise nur oder ausschließlich online oder telefonisch betreut werde. Eine solche Aussage mit den Worten "nur" oder "ausschließlich" finde sich in der Werbung nicht. Die Betreuung "online oder telefonisch" werde zwar erwähnt. Das müsse der Adressat aber nicht von vornherein als ausschließlich verstehen, sondern könne es auch als weiteres, zusätzliches Leistungsangebot begreifen. Das gelte umso mehr, als die Beklagte in ihrer Werbung mehrfach darauf hingewiesen habe, dass der Kunde die "volle Leistung" bzw. "alle Leistungen" der Vereinigten J erhalte und das "ohne Wenn und Aber". Dass Betreuungsleistungen nicht hierzu gehörten, erschließe sich hieraus nicht. Die vom Landgericht angenommene Eindeutigkeit lasse sich auch nicht damit begründen, dass die Beklagte in der Werbung darauf hinweise, dass es weitere Informationen zum Tarif direkt+ unter "Internetadresse" (Anl. B 8) gebe und dort erst die fraglichen Informationen gegeben würden. Streitgegenstand sei allein der Werbeflyer der Beklagten. Weitere Informationen an ganz anderer Stelle seien nicht geeignet, der Hinweis- oder Aufklärungspflicht der Beklagten zu genügen. Der Wortlaut stelle keineswegs Betreuungsleistungen und etwa Versicherungsleistungen gegenüber. Die Werbung sei insoweit keineswegs eindeutig. Das Publikum werde beim Unterbleiben des Hinweises, dass es eine persönliche Betreuung nicht gebe, in einem wesentlichen Punkt, der die Vertragsentschließung zu beeinflussen geeignet sei, getäuscht. Bei einer insoweit gebotenen Interessenabwägung müsse eine Irreführung bejaht werden. Ob persönliche Betreuungsleistungen im Filialnetz der Beklagten in Anspruch genommen werden könnten, sei ein für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers wesentlicher Umstand. Es handele sich nach den eigenen Ausführungen der Beklagten um einen sog. Nicht-Inanspruchnahme-Tarif nach § 53 VIII SGB V. Diese Terminologie besage eigentlich alles. Es sei eben eine Besonderheit des Tarifes, dass der Kunde nicht alle Leistungen der Kasse in Anspruch nehmen könne. Über solche Besonderheiten zum üblichen Tarifwerk müsse aufgeklärt werden. Unter der Überschrift in der Darstellung Anl. B8 "Wo ist der Haken€" werde dann ausgeführt, dass der Kunde des Tarifs auf die Betreuung durch die Geschäftsstellen verzichte. Angesichts des Inhalts der Flyerwerbung komme aber kein Adressat auf den Gedanken, dass er auf etwas verzichte. Dieser Verzicht werde von der Beklagten selbst als ein Haken angesehen. Demgegenüber heißt es in der Flyer-Werbung blickfangmäßig hervorgehoben "ohne Haken!". Sodann werde die besondere Preisgünstigkeit des Tarfis direkt+ auch im Vergleich zu anderen Krankenkassen hervorgehoben, die doch eigentlich gleich teuer sein müssten. Dadurch werde ein völlig unzutreffender, irreführender Eindruck vermittelt, da die Beklagte tatsächlich nicht preisgünstiger sei. Tatsächlich gewähre sie wegen des Verzichts auf die Betreuung in den Geschäftsstellen nur weniger Leistung.

Die Klägerin beantragt,

in Abänderung des landgerichtlichen Urteils nach ihren Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen. Sie erläutert zunächst ihren sog. Nichtinanspruchnahmetarif direkt+, bei dem der Versicherte gerade für die Nichtinanspruchnahme der Beratungsleistung in Geschäftsstellen eine Bonifikation/Geldprämie erhalte, die in der Satzung näher geregelt sei. Die Beklagte führt sodann aus, dass der Kern der Auseinandersetzung ihrer Ansicht nach eher eine sozialversicherungsrechtliche, nicht aber wettbewerbsrechtliche Frage sei. Sie meint von daher, dass die fehlende Möglichkeit von Versicherten, sich in Geschäftsstellen beraten zu lassen, keine wesentliche Eigenschaft i.S.v. § 5 a II, III UWG darstelle. Es handele sich hierbei um keinen Verzicht bzw. keine Inanspruchnahme von Leistungen im Sinne des SGB V. Eine Irreführung liege nicht vor. Es gebe keine Erwartungshaltung des angesprochenen Verkehrs, in Geschäftstellen persönlich vor Ort beraten werden zu können. Der Flyer enthalte keine Informationen, die dem angesprochenen Verkehr suggerierten, dass eine solche Beratung vor Ort in Anspruch genommen werden könne. Der Flyer weise vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass es sich um einen Direkttarif, also um eine Direktversicherung handele, und die Beratung telefonisch oder per eMail über ein zentrales Service-Center erfolge. Außerdem könne der angesprochene Verbraucher überhaupt nur irregeführt werden, wenn er positiv wisse, dass sie, die Beklagte, in einzelnen Regionen auch über Geschäftsstellen verfüge.

B.

Die zulässige Berufung ist begründet und führt hinsichtlich der Hauptforderung zur Abänderung des angefochtenen Urteils. Die Klägerin kann von der Beklagten aus §§ 8 I, III Nr. 2; 3; 5 I Nr. 1; 5 a II UWG die Unterlassung der beanstandeten Werbeaussage verlangen. Die geltend gemachten Abmahnkosten können im Übrigen nicht erstattet verlangt werden. Insoweit hat das landgerichtliche Urteil Bestand.

Dem angesprochenen Verkehr wird in dem streitgegenständlichen Flyer, auch wenn es sich nicht um eine Irreführung durch positives Tun handeln mag, eine wesentliche Information über den beworbenen Versicherungstarif vorenthalten. Die Werbung verschleiert jedenfalls für einen erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs, dass der Versicherte nur online und telefonisch betreut wird und dabei keine Möglichkeit direkter persönlicher Kontaktaufnahme besteht. Die Darstellung offenbart nicht in der nötigen Weise, dass der hervorgehobene "dicke Fisch" in Form einer Prämie von "bis zu 200, €" pro Kalenderjahr "auf die Flossen" dadurch erkauft wird, dass eben keine volle Leistungen auch mit Bezug auf die Beratungsleistungen erbracht werden und insoweit eine "Nichtinanspruchnahme" zugrunde gelegt wird.

Eine Angabe ist dann irreführend, wenn sie den angesprochenen Verkehrskreisen einen unrichtigen Eindruck vermittelt. Dabei genügt es, dass die Werbung zur Irreführung und Beeinflussung derer geeignet ist. Auf eine tatsächliche Irreführung kommt es nicht an. Dabei muss der Werbende im Falle einer Mehrdeutigkeit die verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen. Insbesondere genügt es auch, wenn ein erheblicher Teil der durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher insoweit irregeführt wird. Das ist vorliegend auch unter Berücksichtigung einer Abwägung zwischen dem Interesse der getäuschten Verbraucher an dem Schutz vor Irreführung, dem Informationsinteresse der kundigen Verkehrsteile und dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung und Förderung eines funktionsfähigen Wettbewerbs der Fall. Der Verzicht auf persönliche Beratungsleistungen, die ein relevanter Teil des Verkehrs weiterhin erwartet, ist für die Beurteilung des angebotenen Tarifs und den Abschluss wesentlich und durfte nach dem Gesamteindruck der Werbung nicht vorenthalten werden.

Der Interessent benötigt die Information über nicht geleistete persönliche Beratungsleistungen, um nach den Umständen des Streitfalls eine informierte und zutreffende Entscheidung über die beworbene Krankenversicherung treffen zu können. Bei der Beurteilung, ob eine Information wesentlich und somit ihr Verschweigen irreführend ist, sind insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung und die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen. Vor allem bedarf es dann eines aufklärenden Hinweises, wenn es um Abweichungen vom Üblichen geht, mit denen der Verbraucher nicht ohne weiteres rechnet. Das ist vorliegend der Fall. Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen findet jedenfalls auch über die Serviceleistungen statt. Und gerade bei einer Krankenversicherung, bei der mitunter prekäre Entscheidungen zu treffen und maßgebliche Unterlagen zu erörtern sind, geht ein erheblicher Anteil der Verbraucher nach wie vor davon aus, dass im Einzelfall auch eine persönliche Beratung und Überprüfung in einer Geschäftsstelle seiner Krankenkasse erfolgen kann. Der Verbraucher muss insofern für sich selbst prüfen und entscheiden können, ob er nach seinen Bedürfnissen auf eine solche Beratungsleistung in einer Geschäftsstelle Wert legt oder nicht.

Durch die beanstandete Werbung wird jedenfalls für einen erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs verschwiegen, dass diese persönliche Beratungsleistung nicht erbracht wird. Zwar wird mitgeteilt, dass die Kundenbetreuung bei dem Tarif direkt+ online oder telefonisch erfolge, was im Umkehrschluss auch implizieren könnte, dass keine persönliche Beratung oder Betreuung angeboten wird. Nicht unberücksichtigt bleiben kann in dieser Hinsicht auch die Bezeichnung für den Tarif "direkt+". Direktbanken und Direktversicherungen zeichnen sich bekanntermaßen dadurch aus, dass die Beratungs- und Betreuungsebene durch Geschäfts- und Betreuungsstellen fehlt. Indes lässt der vorliegende Flyer insoweit maßgeblich auch eine andere Lesart zu, der vor allem mit dem Internet nicht oder weniger vertraute Verbraucher unterliegen mögen. Die Angabe, dass eine Betreuung online und telefonisch geleistet wird, besagt noch nicht, ob dies ausschließlich oder ergänzend so erfolgt. Dafür, dass es sich danach um zusätzliche Leistungen handelt, jedenfalls insoweit keine Verkürzung des Leistungsangebots stattfindet, spricht zum einen, dass im dortigen Zusammenhang gerade die Vorteile des Tarifs dargestellt werden. An dieser Stelle rechnet der durchschnittliche Verbraucher nicht damit, dass hier ein entsprechender Verzicht versteckt ist. Die Einschränkung der Beratungsleistung stellt sich gerade in diesem Zuge nicht als vorteilhaft dar. Zum anderen wird explizit die "volle Leistung" versprochen. Dies bezieht ein erheblicher Teil der Verbraucher auch auf die Beratungsleistungen. Hiervon werden die Leistungen aus der Versicherung, nämlich "alle Leistungen - ohne Wenn und aber", nicht hinreichend klar abgegrenzt. Es mag einen beachtlichen Teil an Verbrauchern geben, die sich die "vollen" Leistungen allein als die Versicherungsleistungen vorstellen. Ein ebenso maßgeblicher Anteil der Verbraucher kann dies aus den gemachten Informationen wegen des Zusammenhangs mit der Darstellung der Vorteile der Krankenversicherung und des Eindrucks, dass es "volle" Leistungen geben soll ohne Leistungseinschränkungen, so nicht herauslesen. Dieser Teil geht nach wie vor davon aus, dass zusätzlich Beratungen in Geschäftsstellen erfolgen können und dass als Vorteil hierzu noch ein "24 Stunden erreichbares Service-Team" existiert, das per Mail und Telefon erreichbar ist. Hinzu kommt, dass es sich bei dem Flyer um eine Postwurfsendung handelte mit einer Antwortkarte, nicht um ein Online-Angebot oder ähnliches, die nicht nur eine technisch versierte Generation erreicht hat, sondern das gesamte Spektrum der Verbraucher. Erreicht werden ebenfalls die, die weiterhin auf eine persönliche Betreuung vor Ort Wert legen und durch die Werbung aufgrund ihrer diesbezüglichen Erwartungshaltung so in die Irre geführt werden. Dabei ist das Bedürfnis nach einer persönlichen Beratung in Bezug auf die Erörterung von persönlichen Krankheiten und Behandlungen wohl auch höher zu bewerten als etwa bei alltäglichen Bankgeschäften oder allgemeinen Sachversicherungen im Direktvertrieb. Schließlich verfügt die Beklagte, wie im Senatstermin erörtert worden ist, auch über eine beträchtliche Anzahl von Geschäftsstellen. Kunden, die diese kennen oder diese über verschiedenste Medien ausfindig machen, gehen insoweit auch nach Studium des streitgegenständlichen Flyers nicht ohne weiteres davon aus, dass sie diese Geschäftstellen nun nicht mehr in Anspruch nehmen können, möglicherweise sogar bei einem Tarifwechsel bei der Beklagten selbst. Dass sich die Werbung bezogen auf die Beklagte insgesamt nur an Nichtmitglieder richten soll, kann nicht festgestellt werden und wäre im Übrigen auch belanglos. Hiervon sind, wie sich aus der Formulierung "jeder Arbeitnehmer und Selbständige kann den Tarif wählen" ergibt, letztlich alle angesprochen.

Die Irreführung ist keineswegs durch die Informationen hierzu im Internet behoben. Dort heißt es zwar ganz zum Schluss nach einer Reihe anderer Fragen: "Wo ist der Haken€ Es gibt keinen, sondern zwei klare Voraussetzungen: Wenn Sie direkt+-Kunde (...) werden möchten, verzichten Sie auf Betreuung in unseren Geschäftsstellen und binden sich für drei Jahre (...). Im Gegenzug erhalten Sie Ihre jährliche Prämie (...)". Diese Information müsste sich aber bereits aus dem Flyer selbst ergeben, der hier Streitgegenstand ist. Der insofern für einen jedenfalls beachtlichen Teil der Interessenten sehr wohl bestehende "Haken" müsste schon vorher mit der Werbung ausgeräumt werden.

Die verbleibende Vorstellung, dass in Geschäftsstellen eine persönliche Beratungsleistung möglich wäre, ist falsch und von daher in relevanter Weise irreführend.

Die geltend gemachten Abmahnkosten sind allerdings nicht berechtigt, und zwar schon deshalb, weil die Abmahnung vom 05.02.2009 auf einen ganz Gesichtspunkt gestützt war, der überhaupt nicht Streitgegenstand ist und von der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit nicht weiterverfolgt wird.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 II, 708 Nr. 10 ZPO.

Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 543 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 23.03.2010
Az: 4 U 169/09


Link zum Urteil:
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