Landgericht Duisburg:
Beschluss vom 6. Januar 2005
Aktenzeichen: 34 KLs 24/04

(LG Duisburg: Beschluss v. 06.01.2005, Az.: 34 KLs 24/04)

Tenor

Das bei Gericht am 21.10.2004 eingegangene als Erinnerung auszulegende „Rechtsmittel" des Verteidigers Rechtsanwalt xxx gegen die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren vom 06.10.2004, soweit Hebegebühren abgesetzt worden sind, wird verworfen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Wahlverteidiger des Angeklagten xxx, Rechtsanwalt xx und Rechsanwalt xxx, kündigten mit Schriftsatz vom 04.08.2004 an, in der auf den 10.08.2004 anberaumten Hauptverhandlung nicht aufzutreten. Außerhalb der Hauptverhandlung beantragte Rechtsanwalt xxx am 10.08.2004 unter Niederlegung des Wahlmandats mit Zustimmung des Angeklagten und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft seine Pflichtverteidigerbestellung. Mit Beschluss des Vorsitzenden der Kammer vom 10.08.2004 wurde "zur Sicherung der Hauptverhandlung” Rechtsanwalt Xx zum Pflichtverteidiger für den Angeklagten bestellt. Rechtsanwalt Xx war in der zweitägigen Hauptverhandlung der einzige Verteidiger des Angeklagten.

Im ersten Termin der Hauptverhandlung legte der Verteidiger am 10.08.2004 eine als Anlage zum Protokoll genommene Bescheinigung der xxx xxx vom 09.08.2004 vor. Darin wird bestätigt, dass die Bank am 09.08.2004 den Auftrag entgegengenommen hatte, vom Konto des Verteidigers Rechtsanwalt Xx 250.000,-- € an Rechtsanwalt xxx als Insolvenzverwalter in Sachen des Angeklagten zu dessen Masse für Rechnung des Angeklagten zu überweisen. Im zweiten Termin der Hauptverhandlung legte der Verteidiger am 12.08.2004 eine als Anlage zum Protokoll genommene Umsatzanzeige der xxx xxx mit Wertstellung vom 10.08.2004 zu der vorbezeichneten Überweisung vor. Rechtsanwalt xxx als Sachbearbeiter für Rechtsanwalt xxx teilte mit ebenfalls als Anlage zum Protokoll genommenem Fax vom 12.08.2004 den Eingang des Geldes bei der Insolvenzmasse mit Gutschrift am 11.08.2004 mit.

Am 12.08.2004 beantragte Rechtsanwalt Xx als Verteidiger des Angeklagten xxx während der Unterbrechung der Hauptverhandlung die Annahme von 100.000,-- € bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Duisburg als Sicherheit für den Fall einer Haftverschonung durch die Kammer, zahlte das Geld bei der Gerichtskasse ein und bezeichnete sich als Einzahler. Die Hinterlegungsstelle nahm das Geld an und die Gerichtskasse quittierte die Einzahlung.

Mit Schriftsatz vom 02.09.2004 beantragte Rechtsanwalt Xx als Pflichtverteidiger außer der Festsetzung unter anderem der Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor der Wirtschaftsstrafkammer bei bestehender Untersuchungshaft (Nr. 4119 Kostenverzeichnis: 322,-- €) und den Terminsgebühren für die beiden Sitzungstage der Hauptverhandlung vor der Wirtschaftsstrafkammer (Nrn. 4121 und 4122 Kostenverzeichnis: 2 x 434,-- € und 2 x 178,-- €) auch die Festsetzung von Hebegebühren gegen die Staatskasse, und zwar:

"Hebegebühr 100.000,-- € Kaution RVG 1009 287,50 €,

Hebegebühr 250.000,-- € Leistung an Masse RVG 1009 662,50 €”.

Die Rechtspflegerin setzte am 06.10.2004 die Rechtsanwalt Xx aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen - einschließlich der geltend gemachten Verfahrens- und Terminsgebühren - fest. Die geltend gemachten Hebegebühren setzte sie mit der Begründung ab, die Tätigkeit sei nicht vom Umfang der Beiordnung nach § 48 RVG gedeckt.

Gegen die Absetzung richtet sich das bei Gericht am 21.10.2004 eingegangene "Rechtsmittel” des Verteidigers mit dem Antrag, auch die geltend gemachten Hebegebühren festzusetzen, und der Begründung, die Absetzung finde im Kostenrecht neuer Fassung keine Stütze.

Der Bezirksrevisor als Vertreter der Landeskasse beantragt, die als Erinnerung zu wertenden Einwendungen dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen. Er hält den Rechtsbehelf aus den Gründen der angegriffenen Entscheidung nicht für begründet.

Die Rechtspflegerin hilft der Erinnerung nicht ab.

Die Erinnerung hat keinen Erfolg.

II.

Die nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG zulässige Erinnerung gegen die Absetzung der Hebegebühren bei der Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren gegen die Staatskasse ist unbegründet.

Der Pflichtverteidiger hat keinen weiteren Vergütungsanspruch nach § 48 Abs. 1 RVG auf Hebegebühren.

Nach dieser Norm bestimmt sich der Vergütungsanspruch nach dem Beschluss, durch den der Rechtsanwalt bestellt worden ist. Die Pflichtverteidigerbestellung erstreckt sich nicht auf Geldgeschäfte, für die gesondert Hebegebühren nach

Nr. 1009 Kostenverzeichnis entstehen.

Der Bestellungsbeschluss hat dem Pflichtverteidiger keine Aufgaben zugewiesen, die vom Üblichen abweichen. Rechtsanwalt Xx ist nach dem Beschluss vom 10.08.2004 für den Angeklagten zum Pflichtverteidiger bestellt worden, um die Hauptverhandlung, in der die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt nach

§ 140 StPO notwendig war, zu sichern; denn die Wahlverteidiger Rechtsanwalt xxx und Rechtsanwalt xxx hatten zuvor Ihr Nichterscheinen angekündigt, und Rechtsanwalt Xx hatte am ersten Tag der Hauptverhandlung im Namen und mit Vollmacht des Angeklagten die Bestellung zum Pflichtverteidiger unter Niederlegung seines Wahlmandats beantragt. Eine Beschränkung der allgemeinen Aufgaben des Pflichtverteidigers oder eine Aufgabenausweitung war durch den lediglich begründenden Zusatz "zur Sicherung der Hauptverhandlung” nicht beabsichtigt und ist auch dadurch nicht erfolgt. Die Erstreckung der Bestellung auf zusätzliche Aufgaben des Verteidigers oder auf eine Beschränkung seiner Aufgaben war weder beantragt. Noch ist sie in irgendeiner Form in dem Beschluss durch Benennung bestimmter Aufgaben konkret vorgenommen worden.

Das RVG hat das Gebührensystem der BRAGO beibehalten. Es unterscheidet zwar zwischen Wahl- und Pflichtverteidigern noch bei der Höhe der Gebühren, nicht aber mehr bei den Gebührentatbeständen.

Die Pauschgebühren entgelten gemäß Vorbemerkung 4.1 Abs. 2 Satz 1 Kostenverzeichnis die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts. Die festgesetzten Verfahrens- und Terminsgebühren nach Nrn. 4119, 4121 und 4122 Kostenverzeichnis decken damit die gesamte Tätigkeit dieses Pflichtverteidigers im Verfahren ab. Die Verfahrensgebühr erhält der Rechtsanwalt für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und die Terminsgebühr für die Teilnahme an den gerichtlichen Terminen.

Soweit der Pflichtverteidiger Verwahrungsgeschäfte oder sonstige Geldtransferleistungen im Auftrag des Angeklagten erbracht hat, und zwar im Rahmen der Zahlung von 250.000,-- € zur Insolvenzmasse und von 100.000,-- € als Sicherheit für eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls, handelt es sich dabei um besondere Angelegenheiten. Sie werden nicht von den Verfahrens- und Terminsgebühren erfasst, auf die der Pflichtverteidiger auf Grund seiner Bestellung Anspruch hat.

Das folgt zum Einen aus einem Gegenschluss aus der Vorbemerkung 4.1 Abs. 2 Satz 2 des Kostenverzeichnises im Teil 4 "Strafsachen”, wonach durch die Gebühren des Verteidigers auch Tätigwerden im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleiches, soweit der Gegenstand nicht vermögensrechtlich ist, entgolten wird. Zum Anderen folgt das aus der Gesetzesystematik. Die Hebegebühren sind in Teil 1 "Allgemeine Gebühren” Nr. 1009 des Kostenverzeichnis als gesonderte Gebührentatbestände ausgestaltet.

Dem steht nicht die Vorbemerkung 1 im Teil 1 "Allgemeine Gebühren” entgegen, wonach die Gebühren dieses Teils neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren entstehen. Damit wird vielmehr deutlich gemacht, dass es sich um eine gesonderte Angelegenheit handelt, für die ein Gebührenanspruch einen darauf bezogenen eigenen Rechtsgrund voraussetzt. Die Hebegebühr nach Nr. 1009 Vergütungsverzeichnis soll dem Rechtsanwalt eine Entschädigung gewähren für die verantwortungsvolle und aus dem Rahmen seiner sonstigen Tätigkeit herausfallende Auszahlung oder Rückzahlung und die damit verbundene Verwaltung der Gelder (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. , VV 1009 Rz. 2). Die Hebegebühr kann als eigene Angelegenheit mehrmals entstehen (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. , VV 1009 Rz. 3).

Der Abgeltungsbereich der anwaltlichen Vergütung ist allgemein in § 15 RVG geregelt. Die Vorschrift ist Grundlage für das Gebührensystem des RVG, das die anwaltliche Tätigkeit in gebührenrechtliche Angelegenheiten aufteilt. Von der Einordnung der anwaltlichen Tätigkeit in eine bestimmte Angelegenheit hängt es ab, ob und welche Gebühren der Rechtsanwalt erhält. § 15 Abs. 1 RVG enthält die allgemeine Regelung zum Pauschalcharakter der anwaltlichen Vergütung. Dieser Pauschalcharakter wird für das Strafverfahren noch einmal in Vorbemerkung 4.1 Abs. 2 Satz 1 und 2 RVG unter Ausschluss vermögensrechtlicher Geschäfte wiederholt.

Dafür, dass eine Pflichtverteidigerbestellung keinen Rechtsgrund für die Festsetzung von Hebegebühren gegen die Staatskasse geben kann, spricht auch, dass die Pflichtverteidigerbestellung nicht weiterreicht als die Rechtsstellung eines Wahlverteidigers, der durch seine Beauftragung und Bevollmächtigung als Verteidiger allein nicht sogleich auch zur Empfangnahme von Geldern ermächtigt ist. Der Pflichtverteidiger hat wie der Wahlverteidiger die Rechtsstellung eines Beistandes des Angeklagten; Vertreter des Angeklagten ist er ohne besondere Bevollmächtigung mit Ausnahme der gesetzlichen Zustellungsvollmacht nach § 145a StPO in der Regel nicht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 234 Rz. 1, Vor

§ 137 Rz. 1ff.). Auch die Ausgestaltung des Hebegebührentatbestandes nach

Nr. 1009 Vergütungsverzeichnis setzt für die gebührenpflichtige Erhebung, Verwahrung und Ablieferung von Geld einen besonderen Auftrag zur Empfangnahme, Auszahlung oder Rückzahlung der Gelder voraus (Gerold/Schmidt/ v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. , VV 1009 Rz. 4). Diesen hat der Pflichtverteidiger auf Grund seiner Bestellung indes gerade nicht erhalten.

Auch Sinn und Zweck der Pflichtverteidigerbestellung ergeben, dass die Bestellung keine zusätzlichen Gebühren für Geldgeschäfte rechtfertigen kann, die für den Angeklagten durch oder über seinen Pflichtverteidiger im Rahmen eines Schadensausgleichs oder einer Kautionsstellung abgewickelt werden. Die Pflichtverteidigerbestellung betrifft ausschließlich Fälle notwendiger Verteidigung. Mit dem Institut der notwendigen Verteidigung und mit der Bestellung eines Verteidigers ohne Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten sichert der Gesetzgeber das Interesse, das der Rechtsstaat an einem prozessordnungsgemäßen Strafverfahren und zu diesem Zweck nicht zuletzt an einer wirksamen Verteidigung hat (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 140 Rz. 1 m.w.N.). Diese verfahrensbezogene Stellung des Pflichtverteidigers umfasst die verfahrensbezogenen Beratungen und Erklärungen des Anwalts. Die

Abwicklung von Geldgeschäften kann sich zwar - wie hier - bei der Haft

auf den Gang eines Verfahrens und bei Fragen der

Strafzumessung auf seine Ergebnisse auswirken. Die Abwicklung von Geldgeschäften für den Angeklagten durch oder über einen Verteidiger geht aber über einen Beitag zu einem prozessordnungsgemäßen Verfahren hinaus und ist dafür auch nicht erforderlich. Nach Beratung kann der Angeklagte, soweit er nicht durch das Insolvenzverfahren ohnehin an der Verfügung über sein Vermögen rechtlich gehindert ist, selbst oder eine dritte Person die Geldgeschäfte erledigen. Dafür bedarf es keines Pflichtverteidigers. Hier hätte dies auch einer der noch mandatierten beiden Wahlverteidiger erledigen können, wenn ein Anwalt dafür überhaupt notwendig gewesen sein sollte.

Unberührt bleiben zivilrechtliche Honoraransprüche des Anwalts gegen den Angeklagten oder einen Dritten, der dem Anwalt zu den Geldtransferleistungen zur Zahlung an die Insolvenzmasse und für eine Kaution zur Außervollzugsetzung des Untersuchungshaftbefehls Aufträge erteilt hat. Soweit der Angeklagte oder ein Dritter den Anwalt mit Geldgeschäften beauftragt hat, kann der Anwalt die dadurch entstandenen zusätzlichen Gebühren unmittelbar gegen den Auftraggeber geltend machen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss kann Beschwerde beim Landgericht Duisburg innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 7 Satz 2 RVG).

Duisburg, den 06. Januar 2005

Landgericht, 4. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer -






LG Duisburg:
Beschluss v. 06.01.2005
Az: 34 KLs 24/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c99d2907089e/LG-Duisburg_Beschluss_vom_6-Januar-2005_Az_34-KLs-24-04




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share