Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 17. Dezember 2002
Aktenzeichen: X ZB 27/02

(BGH: Beschluss v. 17.12.2002, Az.: X ZB 27/02)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 8. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. Juni 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe

I. Das Beschwerdegericht hat mit Urteil vom 31. Oktober 2001 die Berufung der Beklagten gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Die Klägerin hat hiergegen Revision eingelegt, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt hat. Die Klägerin hat sodann die Revision zurückgenommen; auf Antrag der Beklagten hat ihr der Senat die Kosten des Rechtsmittels auferlegt.

Der Rechtspfleger des Landgerichts hat unter Zurückweisung des weitergehenden Kostenfestsetzungsantrags für die in der Revision tätige Prozeßbevollmächtigte der Beklagten eine 10/10-Prozeßgebühr festgesetzt. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Festsetzung einer 20/10-Gebühr, hilfsweise die zusätzliche Festsetzung einer vollen Gebühr aus dem Kostenwert erstrebt.

II. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und gemäß § 575 ZPO auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat nur mit ihrem Hilfsbegehren Erfolg.

1.

Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, daß die Beklagte nach Einlegung der Revision durch die Klägerin ihrerseits anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen konnte und nach Rücknahme der Revision grundsätzlich Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten beanspruchen kann. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 17. Dezember 2002 -X ZB 9/02, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2.

Das Beschwerdegericht hat jedoch nur eine 10/10-Prozeßgebühr als erstattungsfähig angesehen. Der Sachantrag der Beklagten, die Revision zurückzuweisen, habe mangels eines Revisionsantrags und einer Revisionsbegründung keinen tatsächlichen Gehalt gehabt und könne deshalb nicht als notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO angesehen werden. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde sind nicht begründet.

Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts ist die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der einmal bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf, insbesondere ob die erst bei Stellung eines Sachantrags endgültig in voller Höhe anfallende Prozeßgebühr auch dann in dieser Höhe erstattungsfähig ist, wenn der Antrag gestellt wird, bevor feststeht, daß das Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt wird (so insbesondere OLG Düsseldorf, JurBüro 1989, 363; MDR 1995, 857; AnwBl. 1996, 589; zustimmend Gebauer, in: Gebauer/Schneider, BRAGO, § 32 Rdn. 58), oder ob in diesem Fall, wie ganz überwiegend angenommen wird, nur eine halbe Gebühr gemäß § 32 Abs. 1 BRAGO geltend gemacht werden kann (so KG, AnwBl. 1984, 620; OLG Hamburg, JurBüro 1995, 90; OLG Hamm, JurBüro 1991, 1084; OLG Karlsruhe, JurBüro 1997, 142; OLG Koblenz, MDR 1995, 968; OLG Köln, JurBüro 1992, 801; OLG München, JurBüro 1994, 93; OLG Naumburg, AnwBl. 1999, 56; OLG Nürnberg, MDR 2000, 415; OLG Schleswig, MDR 1999, 381; Belz in: MünchKomm ZPO, 2. Aufl., § 91 Rdn. 26; von Eicken, in: Gerold/ Schmidt, BRAGO, 15. Aufl., § 31 Rdn. 20; Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, BRAGO, 20. Aufl., S. 287 f.; Meyer, JurBüro 2001, 296, 297; Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 91 Rdn. 13 "Berufung").

Die Rechtsbeschwerde meint mit den Befürwortern einer Erstattungsfähigkeit der vollen Prozeßgebühr, die Gegenmeinung benachteilige den Rechtsmittelgegner ohne hinreichende Begründung. Es sei dem Rechtsmittelführer zuzumuten, sich bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist darüber klar zu werden, ob er das Rechtsmittel durchführen wolle oder nicht. Gegebenenfalls könne er eine Vereinbarung mit der Gegenseite dahin herbeiführen, daß sich der Gegner bis zur Entscheidung über die Durchführung des Rechtsmittels nicht legitimiere.

Dem kann der Senat nicht folgen. Beantragt der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsbeklagten die Zurückweisung der Revision, bevor die Revision begründet worden ist, so ist dem Revisionsbeklagten nur die halbe Prozeßgebühr zu erstatten. Das im vorliegenden Zusammenhang vielfach herangezogene Prinzip der "Waffengleichheit" besagt nicht, daß es dem Rechtsmittelgegner stets möglich sein muß, Anwaltskosten in gleicher Höhe erstattet zu verlangen, wie sie dem Rechtsmittelführer entstanden sind. Die Erwägung, es sei nicht einzusehen, warum der Rechtsmittelbeklagte sich kostengünstig verhalten solle, wenn der Rechtsmittelkläger keine Stillhaltevereinbarung herbeiführe oder wenigstens anstrebe (Gebauer, aaO, § 32 Rdn. 58), vermag deshalb nicht die Begründung dafür zu ersetzen, warum die Stellung eines Sachantrags vor Begründung des Rechtsmittels zur zweckentsprechenden Verteidigung gegen dieses Rechtsmittel erforderlich sein soll. Eine solche Begründung ist indessen jedenfalls für den Regelfall nicht erkennbar und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht gegeben. Ihr Vorbringen, dem Rechtsmittelbeklagten sei es nicht zuzumuten abzuwarten, bis die Begründung des Rechtsmittels vorliege, ohne bereits zuvor Maßnahmen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zu ergreifen und die hierdurch entstehenden Kosten gegebenenfalls als notwendige Kosten geltend machen zu können, ist deshalb ebenso zutreffend wie zur Rechtfertigung der Erstattungsfähigkeit von Kosten ungeeignet, die sich aus gerade nicht zweckentsprechenden prozessualen Maßnahmen ergeben.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 13.10.1969 (BGHZ 52, 385). Die Entscheidung befaßt sich lediglich bejahend mit der Frage, ob ein Antrag auf Abweisung der Klage oder eines Antrages einschließlich eines Rechtmittels als Sachantrag im Sinne des Gebührenrechts anzusehen ist, so daß dem zum Prozeßbevollmächtigten bestellten Rechtsanwalt des Beklagten oder Antragsgegners oder Rechtsmittelbeklagten, der einen Schriftsatz mit diesem Inhalt bei Gericht eingereicht hat, auch die volle Prozeßgebühr zusteht. Über die Erstattungsfähigkeit dieser Gebühr durch die Gegenpartei ist damit nichts ausgesagt.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof in dem angeführten Beschluß auch darauf hingewiesen, daß das Rechtsanwaltsgebührenrecht allgemein von dem Gedanken beherrscht wird, daß die Gebühren nach generalisierend bestimmten und einfach feststellbaren Tatbeständen die Arbeit und Tätigkeit des Rechtsanwalts abgelten sollen, ohne daß dabei im Einzelfall auf den Umfang und das Maß seiner Arbeit abgestellt oder diese etwa nachgeprüft werden soll (BGHZ 52, 385, 390 f.). Das besagt jedoch zunächst nur, daß die Entstehung einer Gebühr nicht davon abhängt, ob die den gesetzlichen Gebührentatbestand ausfüllenden Maßnahmen erforderlich waren. Dagegen hängt die Erstattungsfähigkeit nach § 91 ZPO grundsätzlich von ihrer Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung ab. Zuzugeben ist der Rechtsbeschwerde lediglich, daß auch in diesem Zusammenhang Zurückhaltung bei der Nachprüfung geboten ist, denn die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO regelmäßig ohne weiteres zu erstatten. Der Rechtsanwalt hat grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden, was er im einzelnen zur Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten für zweckmäßig und notwendig hält. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Rechtsprechung für prozessuale Standardsituationen den Grundsatz konkretisiert, daß der unterlegene Gegner mit den Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigungnicht erforderlicher Maßnahmen nicht belastet werden darf. Sofern im Einzelfall nach anwaltlicher Einschätzung besondere Umstände ein von der Regel abweichendes Vorgehen rechtfertigen, bleibt es der obsiegenden Partei unbenommen, dies im Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machen.

3. Die Beklagte begehrt hilfsweise die Festsetzung einer vollen Gebühr aus dem Kostenwert. Da im Streitfall die Verpflichtung, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen, nach §§ 566, 515 Abs. 3 ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung nur auf Antrag auszusprechen war, kann die Erstattungsfähigkeit der durch diesen Antrag ausgelösten Gebühr nicht verneint werden. Zur Ermittlung des Kostenwertes und zur Festsetzung der von diesem zu berechnenden Gebühr ist die Sache daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu übertragen ist.






BGH:
Beschluss v. 17.12.2002
Az: X ZB 27/02


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