Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 27. Oktober 2004
Aktenzeichen: 3 Ws 1094/04

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 27.10.2004, Az.: 3 Ws 1094/04)

Tenor

Die angefochtene Verfügung wird aufgehoben.

Die Bestellung von Rechtsanwalt A, ...

Der Angeklagten wird Rechtsanwalt B, ..., als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Mit Beschluss der Kammer vom 18.5.2004 über die Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 16.4.2004 und die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde der Angeklagten Rechtsanwalt A, den sie am 15.1.2004 mandatiert hatte, gemäß § 140 Abs. 1 Ziff. 1 u. 2 StPO €antragsgemä߀ als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 9.7.2004 verurteilte die Kammer sie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge (Kokain) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten. Mit Schreiben vom 14.7.2004 legte Rechtsanwalt A für die Angeklagte beim Landgericht Revision gegen das Urteil ein. Am 15.7.2004 zeigte Rechtsanwalt B unter Vorlage einer Vollmacht vom selben Tag die Vertretung der Angeklagten an und legte ebenfalls für sie Revision ein. Nach Zustellung des Urteils am 3.8.2004 an Rechtsanwalt A wurde die Revision durch Rechtsanwalt B mit Schriftsatz vom 29.8.2004 begründet. Am 13.9.2004 stellte Rechtsanwalt A den Antrag auf Aufhebung seiner Beiordnung mit der Begründung, das Vertrauensverhältnis für das Revisionsverfahren sei nicht mehr gegeben, so dass die Verurteilte im Revisionsverfahren von einem anderen Rechtsanwalt vertreten werden wolle. Rechtsanwalt B beantragte mit Schreiben vom 15.9.2004 seine Beiordnung als Pflichtverteidiger unter Hinweis auf das Entpflichtungsbegehren des Kollegen A und das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und der Mandantin, €da er bereits im Revisionsverfahren für sie tätig geworden sei€.

Mit der in Beschlussform ergangenen Verfügung vom 20.9.2004 hat der Kammervorsitzende die Anträge beider Verteidiger abgelehnt. In den Gründen ist ausgeführt, der pauschale Hinweis auf den Wegfall des Vertrauensverhältnisses rechtfertige die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers nicht. Diese komme erst in Betracht, wenn vom Standpunkt eines vernünftigen und besonnenen Angeklagten eine ernsthafte und substantiierte Störung des Vertrauensverhältnisses dargetan sei, die so massiv sei, dass sich nachhaltige schädliche Gegensätze zwischen Verteidiger und Angeklagten ergeben. Dazu bedürfe es der - hier fehlenden - Beibringung konkreter Tatsachen.

Hiergegen richtet sich die namens der Angeklagten eingelegte Beschwerde von Rechtsanwalt B, mit der dessen Beiordnung unter Entpflichtung von Rechtsanwalt A begehrt und geltend gemacht wird, die Störung des Vertrauensverhältnisses beruhe darauf, dass Rechtsanwalt A der Mandantin erklärt habe, €als Rechtsanwalt, der nicht im Strafrecht spezialisiert sei, nicht in der Lage zu sein, eine Revision zum BGH auszuführen€.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 StPO). Sie ist insbesondere nicht dadurch prozessual überholt, dass die eingelegte Revision bereits begründet worden ist und sich die - wie hier - unbeschränkte Beiordnung durch den Tatrichter zwar auf das Revisionsverfahren, nicht aber auf die Mitwirkung an einer eventuellen Revisionshauptverhandlung erstreckt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 120 Randnummern 7 bis 9). Denn zur Tätigkeit eines vom Tatrichter bestellten Pflichtverteidigers gehören nicht nur die Einlegung und Begründung der Revision, sondern auch gegebenenfalls erforderlich werdende Gegenerklärungen und Erwiderungen auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verwerfung der Revision nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. Senatsbeschluss vom 10.6.2003 - 3 Ws 682/03).

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Allerdings ist dem Wunsch eines Angeklagten, den bestellten Rechtsanwalt zu entpflichten und ihm stattdessen einen anderen Rechtsanwalt beizuordnen, grundsätzlich nur ausnahmsweise bei Vorliegen wichtiger Gründe dafür Rechnung zu tragen. Ein wichtiger Grund kommt insbesondere dann in Betracht, wenn dem Pflichtverteidiger entweder ein Fehlverhalten von besonderem Gewicht vorzuwerfen ist oder wenn eine nachhaltige, vom Angeklagten nicht verschuldete Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses vorliegt. Der bloße Hinweis des Angeklagten auf den Wegfall des Vertrauensverhältnisses reicht dazu nicht. Es müssen Umstände von Gewicht vorgetragen und glaubhaft gemacht werden bzw. sonst ersichtlich sein, die plausibel erscheinen lassen, dass der Fortbestand des Vertrauensverhältnisses unmöglich ist und die besorgen lassen, dass die Verteidigung durch den bestellten Pflichtverteidiger nicht mehr sachgerecht erfolgen kann, was vom Standpunkt eines vernünftigen und besonnen Angeklagten zu beurteilen ist (st. Rechtsprechung des Senats - z. B. Beschluss vom 16.4.2002 - 3 Ws 412/02 m. N.).

Ob ein derartiger wichtiger Grund für die Auswechselung des Pflichtverteidigers vorliegt - was gegebenenfalls der eingehenderen Klärung des Beschwerdevorbringens, der bisherige Pflichtverteidiger habe sich selbst der Mandantin gegenüber als unfähig zur sachgerechten Verteidigung in der Revisionsinstanz erklärt, bedürfte - kann vorliegend dahingestellt bleiben. Unabhängig davon ist dem Wunsch des Angeklagten auf Wechsel des Pflichtverteidigers nämlich ausnahmsweise dann zu entsprechen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Beiordnung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung, noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden (so KG NStZ 1993, 2001; OLG Hamburg StV 1999, 588; Brandenburgisches OLG StV 2001, 442; Meyer-Goßner, StPO, § 123 Rdnr. 5 m. w. N.). Das gebietet die aus § 142 StPO resultierende Fürsorgepflicht des Gerichts, auch dem Angeklagten, der von einem Pflichtverteidiger vertreten wird, den gleichen Rechtsschutz zu gewähren wie demjenigen, der seinen Verteidiger selbst wählt, und ihm, da ein Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagten eine wesentliche Voraussetzung für eine sachdienliche Verteidigung ist (st. Rechtsprechung des Senats - vgl. z. B. Beschluss vom 9.1.2002 - 3 Ws 22/02), eine Verteidigung durch den Anwalt seines Vertrauens zu ermöglichen, wenn keine wichtigen Gründe entgegenstehen (vgl. z. B. KG a.a.O. Seite 202; Senat a.a.O.). So verhält es sich hier. Da der bisherige Pflichtverteidiger um seine Entpflichtung nachgesucht hat, ist von seinem Einverständnis mit dem Wechsel der Pflichtverteidigung auszugehen. Dass damit eine Verfahrensverzögerung einhergehen könnte, ist nach Anbringung der Revisionsbegründung durch den neuen Verteidiger und Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht zu befürchten. Durch die Entpflichtung des bisherigen Verteidigers nach Abschluss der 1. Instanz und die Beiordnung des neuen Verteidigers in der Revisionsinstanz entstehen der Staatskasse auch keine Mehrkosten. Mit den Rechtsanwalt A zustehenden Gebühren für den ersten Rechtszug - gemäß der Übergangsvorschrift des § 61 RVG wegen dessen Beiordnung vor dem 1.7.2004 in Anwendung der BRAGO zu berechnen - ist auch die Einlegung der Revision zum Landgericht entgolten (§§ 87, 97 BRAGO). Für das Revisionsverfahren stünde ihm - ungeachtet seiner Beiordnung vor dem 1.7.2004 - als dem in erster Instanz bereits tätig gewordenen Rechtsanwalt die Vergütung nach RVG zu, da das Rechtsmittel nach dem 30.6.2004 eingelegt worden ist (§ 61 Abs. 1 S. 2 RVG; vgl. Hartung/Römermann, RVG, § 61 Rdnr. 6; Nomos, RVG, § 60 Rdnr. 14). Seine Revisionstätigkeit würde, da er in erster Instanz tätig war, mit seiner ersten Tätigkeit nach Einlegung des Rechtsmittels beginnen (§ 19 Rdnr. 10 RVG; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller/Raabe, RVG, 4130 bis 4135 VV, Rdnr. 1, 4124 bis 4129 VV Rdnr. 2). Auf die Rechtsanwalt B als Pflichtverteidiger zustehende Vergütung ist ebenfalls das RVG anzuwenden, da seine Beauftragung und Beiordnung nach dem 1.7.2004 erfolgt ist bzw. erfolgt. Das Revisionsverfahren begann für ihn mit der Einlegung der Revision. Er erhält seine Vergütung in dem Rechtszug auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt der Bestellung (§ 41 Abs. 5 S. 2 RVG). Die Gebühren für das Revisionsverfahren sind nach dem RVG strukturell ebenso gegliedert wie für das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren. Der Verteidiger und ebenso der Pflichtverteidiger (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Raabe, 4100 bis 4105 VV, Rdnr. 10 und 27) erhält mithin für das Betreiben des Geschäfts, also vor allem für die Begründung der Revision, die Verfahrensgebühr, und gegebenenfalls - im Fall seiner Bestellung durch den Vorsitzenden des Revisionsgerichts - für jeden Hauptverhandlungstag im Revisionsverfahren eine Terminsgebühr (Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Raabe, 4130 bis 4135 VV Randnummern 3 und 12), außerdem mit der erstmaligen Einarbeitung in den Rechtsfall die Grundgebühr gemäß VV 4100 (Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Raabe, a.a.O. Rdnr. 7). Sie entsteht nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt die erstmalige Einarbeitung erfolgt, also grundsätzlich nur, wenn der Verteidiger nicht bereits in der Vorinstanz tätig war (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Raabe, a.a.O. Randnummern 7 und 45). Obwohl das bezogen auf Rechtsanwalt A der Fall war, würde die Grundgebühr hier auch ihm zustehen, da die BRAGO keine Grundgebühr im Sinne der Nr. 4100 VV bzw. 5100 VV kannte und somit schon vom Wortlaut her in den Übergangsfällen die Grundgebühr erhalten bliebe. Eine derartige Besserstellung der in der Übergangszeit tätigen Rechtsanwälte ist hinzunehmen, da ansonsten für die Übergangsregel eine undurchschaubare Gemengelage zwischen BRAGO und RVG entstehen würde (so Nomos, RVG, § 61 Rdnr. 4).

Mithin war Rechtsanwalt A zu entpflichten und Rechtsanwalt B als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 27.10.2004
Az: 3 Ws 1094/04


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