Bundespatentgericht:
Urteil vom 11. Juli 2007
Aktenzeichen: 1 Ni 9/07

(BPatG: Urteil v. 11.07.2007, Az.: 1 Ni 9/07)

Tenor

1. Das europäische Patent 1 184 276 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 14. August 2001 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 100 43 005 vom 1. September 2000 angemeldeten europäischen Patents 1 184 276 (Streitpatent), das unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist und beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 501 04 526 geführt wird. Das in deutscher Verfahrenssprache am 17. November 2004 veröffentlichte Streitpatent trägt die Bezeichnung: "Bremseinrichtung für ein Fahrrad" und umfasst 22 Patentansprüche, die sämtlich mit der Klage angegriffen werden.

Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut:

"Fahrzeug, insbesondere Fahrrad, mit einer einem Laufrad des Fahrzeugs zugeordneten Bremseinrichtung, wobei eine Nabe des Laufrads zusammen mit der Bremseinrichtung über eine Achse an einem Ausfallende (3) eines Rahmenteils (2) des Fahrzeugs befestigt oder befestigbar ist, wobei an einer Bremsträgerplatte (1) der Bremseinrichtung ein Ausleger angeordnet ist, der vermittels eines Verbindungsteils mit einem Befestigungsglied (5) am Rahmenteil (2) derart verbunden oder verbindbar ist, dass eine beim Bremsen auftretende Bremsreaktionskraft von der Bremsträgerplatte (1) über den Ausleger (4) und das Befestigungsglied (5) auf das Rahmenteil (2) übertragbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass zum Verbinden des Auslegers (4) mit dem Befestigungsglied (5) als Verbindungsteil ein am Befestigungsglied (5) angebrachter oder anzubringender Adapter (6) vorgesehen ist, der derart ausgelegt ist, dass durch Einschieben der Achse in das Ausfallende (3) im Zuge der Montage des Laufrads am Rahmenteil (2) der Adapter (6) mit dem Ausleger (4) in die Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung herstellenden Eingriff gebracht oder bringbar ist."

Mit Patentanspruch 11 nach Hauptantrag wird Schutz begehrt für ein:

"Verfahren zur Montage einer Bremseinrichtung an einem Fahrzeug, insbesondere einem Fahrrad, bei dem die Bremseinrichtung zusammen mit einer Nabe eines Laufrads des Fahrzeugs über eine Achse an einem Ausfallende (3) eines Rahmenteils (2) des Fahrzeugs befestigt wird, wobei ein an einer Bremsträgerplatte (1) der Bremseinrichtung angeordneter Ausleger (4) vermittels eines Verbindungsteils mit einem Befestigungsglied (5) am Rahmenteil (2) derart verbunden wird, dass eine beim Bremsen auftretende Bremsreaktionskraft von der Bremsträgerplatte (1) über den Ausleger (4) und das Befestigungsglied (5) auf das Rahmenteil (2) übertragbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass zum Verbinden des Auslegers (4) mit dem Befestigungsglied (5) zuerst am Befestigungsglied (5) ein Adapter (6) als Verbindungsteil angebracht wird, und dass dann durch Einschieben der Achse in das Ausfallende (3) im Zuge der Montage des Laufrads am Rahmenteil (2) der Adapter (6) mit dem Ausleger (4) in die Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung herstellenden Eingriff gebracht wird."

Auf Patentanspruch 1 sind die Patentansprüche 2 bis 10, auf Patentanspruch 11 die Patentansprüche 12 bis 22 direkt oder indirekt rückbezogen.

Die Klägerin trägt u. a. vor, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents sei nicht neu gegenüber der französischen Offenlegungsschrift FR 2 246 439 (LNK 6), deren deutsche Übersetzung die Klägerin als Anlage LNK 6a vorlegt.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 1 184 276 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage im Umfang der in der mündlichen Verhandlung überreichten Anlage Wei 13, weiter hilfsweise im Umfang der in der mündlichen Verhandlung überreichten Anlage Wei 14 abzuweisen.

Patentanspruch 1 in der Fassung gemäß Anlage Wei 13 hat folgenden Wortlaut, wobei die Einfügungen gegenüber der erteilten Fassung des Anspruchs 1 im Druck hervorgehoben sind:

"Fahrzeug, insbesondere Fahrrad, mit einer einem Laufrad des Fahrzeugs zugeordneten Bremseinrichtung, die als Trommelbremse ausgeführt ist, wobei eine Nabe des Laufrads zusammen mit der Bremseinrichtung über eine Achse an einem Ausfallende (3) eines Rahmenteils (2) des Fahrzeugs befestigt oder befestigbar ist, wobei an einer Bremsträgerplatte (1) der Bremseinrichtung ein Ausleger (4) angeordnet ist, der vermittels eines Verbindungsteils mit einem Befestigungsglied (5) am Rahmenteil (2) derart verbunden oder verbindbar ist, dass eine beim Bremsen auftretende Bremsreaktionskraft von der Bremsträgerplatte (1) über den Ausleger (4) und das Befestigungsglied (5) auf das Rahmenteil (2) übertragbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass zum Verbinden des Auslegers (4) mit dem Befestigungsglied (5) als Verbindungsteil ein am Befestigungsglied (5) angebrachter oder anzubringender Adapter (6) vorgesehen ist, der derart ausgelegt ist, dass durch Einschieben der Achse in das Ausfallende (3) im Zuge der Montage des Laufrads am Rahmenteil (2) der Adapter (6) mit dem Ausleger (4) in die Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung herstellenden Eingriff gebracht oder bringbar ist, wobei gleichzeitig die Achse in das Ausfallende (3) und der Ausleger (4) in den Adapter (6) einschiebbar sind, dass der Adapter (6) an mindestens einer von zwei Bohrungen (8) des Befestigungsgliedes (5) angeordnet ist, das zur Befestigung eines Bremssattels einer Scheibenbremse geeignet ist, und dass der Adapter (6) mit dem Befestigungsglied (5) verschraubt ist."

Patentanspruch 1 in der Fassung gemäß Anlage Wei 14 (Hilfsantrag II) unterscheidet sich von Patentanspruch 1 in der Fassung gemäß Anlage Wei 13 durch Hinzufügung des im Druck hervorgehobenen weiteren Merkmals:

"Fahrzeug, insbesondere Fahrrad, mit einer einem Laufrad des Fahrzeugs zugeordneten Bremseinrichtung, die als Trommelbremse ausgeführt ist, wobei eine Nabe des Laufrads zusammen mit der Bremseinrichtung über eine Achse an einem Ausfallende (3) eines Rahmenteils (2) des Fahrzeugs befestigt oder befestigbar ist, wobei an einer Bremsträgerplatte (1) der Bremseinrichtung ein Ausleger (4) angeordnet ist, der vermittels eines Verbindungsteils mit einem Befestigungsglied (5) am Rahmenteil (2) derart verbunden oder verbindbar ist, dass eine beim Bremsen auftretende Bremsreaktionskraft von der Bremsträgerplatte (1) über den Ausleger (4) und das Befestigungsglied (5) auf das Rahmenteil (2) übertragbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass zum Verbinden des Auslegers (4) mit dem Befestigungsglied (5) als Verbindungsteil ein am Befestigungsglied (5) angebrachter oder anzubringender Adapter (6) vorgesehen ist, der derart ausgelegt ist, dass durch Einschieben der Achse in das Ausfallende (3) im Zuge der Montage des Laufrads am Rahmenteil (2) der Adapter (6) mit dem Ausleger (4) in die Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung herstellenden Eingriff gebracht oder bringbar ist, wobei gleichzeitig die Achse in das Ausfallende (3) und der Ausleger (4) in den Adapter (6) einschiebbar sind, dass der Ausleger (4) eine in ihrer Form dem Adapter (6) angepasste Ausnehmung (9) mit einer Einführöffnung aufweist, wobei der Adapter zur formschlüssigen Herstellung der Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung beim Einschieben der Achse in das Ausfallende (3) in die Ausnehmung (9) einführbar oder eingeführt ist, dass der Adapter (6) an mindestens einer von zwei Bohrungen (8) des Befestigungsgliedes (5) angeordnet ist, das zur Befestigung eines Bremssattels einer Scheibenbremse geeignet ist, und dass der Adapter (6) mit dem Befestigungsglied (5) verschraubt ist."

Bezüglich des Wortlauts der sich Patentanspruch 1 in der jeweiligen Fassung anschließenden Patentansprüche wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Die Klägerin hält ihren Angriff wegen fehlender Patentfähigkeit auch gegen die hilfsweise verteidigten Fassungen aufrecht.

Die Beklagte trägt vor, die Druckschrift nach LNK 6 zeige im Gegensatz zum Streitpatent eine Speziallösung, so dass diese Entgegenhaltung angesichts der abweichenden Aufgabenstellung im Streitpatent vom Fachmann für seine Überlegungen keinesfalls in Betracht gezogen werde. Patentanspruch 1 in der jeweiligen Fassung des Streitpatents sei gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik sowohl neu als auch erfinderisch. Das gelte entsprechend für den nebengeordneten Verfahrensanspruch.

Zu weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die in zulässiger Weise erhobene Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art. 54 Abs. 1 und Art. 56 EPÜ) geltend gemacht wird, ist begründet.

Die Gegenstände der angegriffenen Patentansprüche sind nicht patentfähig. Dies gilt gleichermaßen bei Zugrundelegung der Fassung der Patentansprüche nach der Streitpatentschrift (Hauptantrag) als auch bei Zugrundelegung der hilfsweise vorgelegten Fassungen der Patentansprüche.

1. Zum erteilten Patentanspruch 1 a. Das Streitpatent betrifft ein Fahrzeug, insbesondere ein Fahrrad, mit einer einem Laufrad des Fahrzeugs zugeordneten Bremseinrichtung sowie ein Verfahren zur Montage einer Bremseinrichtung an einem Fahrzeug.

Nach der Beschreibungseinleitung geht das Streitpatent von einer Trommelbremse (Abs. 0002) oder einer Scheibenbremse (Abs. 0003) aus, die zusammen mit einer Nabe des Laufrads über eine Achse an einem Ausfallende eines Rahmenteils des Fahrzeugs befestigt oder befestigbar ist. Die Bremse umfasst eine Bremsträgerplatte mit einem an ihr angeordneten Ausleger, der vermittels eines Verbindungsteils mit einem Befestigungsglied am Rahmenteil derart verbunden oder verbindbar ist, dass eine beim Bremsen auftretende Bremsreaktionskraft von der Bremsträgerplatte über den Ausleger und das Befestigungsglied auf das Rahmenteil übertragbar ist. Bei der Befestigung des Laufrads mit montierter Bremse am Rahmenteil wird der Ausleger des Bremsträgers üblicherweise mit einem am Rahmenteil vorgesehenen Befestigungsglied - z. B. durch Verschrauben - verbunden. Im Falle des Verschraubens müssen Öffnungen/Bohrungen des Auslegers gegenüber denen des Befestigungsgliedes ausgerichtet werden, so dass eine Schraube eingeführt und mit einer Mutter versehen werden kann.

Die Positionierung des Auslegers gegenüber dem Befestigungsglied wird in der Streitpatentschrift als montagetechnisch anspruchsvoll gesehen und soll dadurch entfallen, dass zum Verbinden des Auslegers mit dem Befestigungsglied als Verbindungsteil ein am Befestigungsglied angebrachter oder anzubringender Adapter vorgesehen ist, der derart ausgelegt ist, dass durch Einschieben der Achse in das Ausfallende im Zuge der Montage des Laufrads am Rahmenteil der Adapter mit dem Ausleger in die Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung herstellenden Eingriff gebracht oder bringbar ist. Anspruch 1 des Streitpatents lautet daher in der von der Klägerin vorgelegten Merkmalsanalyse, die von der Beklagten nicht in Frage gestellt wird, wie folgt:

1. Fahrzeug, insbesondere Fahrrad, mit einer einem Laufrad des Fahrzeugs zugeordneten Bremseinrichtung, 2. wobei eine Nabe des Laufrads zusammen mit der Bremseinrichtung über eine Achse an einem Ausfallende (3) eines Rahmenteils (2) des Fahrzeugs befestigt oder befestigbar ist, 3. wobei an einer Bremsträgerplatte (1) der Bremseinrichtung ein Ausleger angeordnet ist, 3.1 der vermittels eines Verbindungsteils mit einem Befestigungsglied (5) am Rahmenteil (2) derart verbunden oder verbindbar ist, 3.2 dass eine beim Bremsen auftretende Bremsreaktionskraft von der Bremsträgerplatte (1) über den Ausleger (4) und das Befestigungsglied (5) auf das Rahmenteil (2) übertragbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass 4. zum Verbinden des Auslegers (4) mit dem Befestigungsglied (5) als Verbindungsteil ein am Befestigungsglied (5) angebrachter oder anzubringender Adapter (6) vorgesehen ist, 5. der derart ausgelegt ist, dass durch Einschieben der Achse in das Ausfallende (3) im Zuge der Montage des Laufrads am Rahmenteil (2) der Adapter (6) mit dem Ausleger (4) in die Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung herstellenden Eingriff gebracht oder bringbar ist.

b. Das Fahrzeug nach Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ist nicht patentfähig, denn es ist nicht neu.

Als Durchschnittsfachmann ist ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau (Fachhochschule oder Universität) mit mehrjähriger Berufserfahrung bei einem Fahrzeugzulieferer oder -hersteller anzusehen, der für die Konstruktion und den Einbau von Bremsen in Fahrzeugen, insbesondere für Zweiradfahrzeuge wie Fahrräder, zuständig ist.

Aus der Entgegenhaltung LNK 6 ist ein Fahrzeug, insbesondere Fahrrad, bekannt, mit einer einem Laufrad des Fahrzeugs zugeordneten Bremseinrichtung (Scheibenbremse) (Merkmal 1) (vgl. S. 1, Z. 1 bis 2, Fig. 1). Eine Nabe 5 des Laufrads ist zusammen mit der Bremseinrichtung über eine Achse 7 an einem Ausfallende einer am Rahmenteil 9 fest gehaltenen (geklemmt/gepresst) Hülse 23 befestigt oder befestigbar (vgl. Fig. 1 und 2). Die Hülse ist als Rahmenteil aufzufassen (Merkmal 2). Das wird auch von der Patentinhaberin so gesehen (vgl. den am 6. November 2006 eingegangenen Schriftsatz vom 3. November 2006, S. 15, letzten Vollabsatz). An einem Flansch 13, der einer Bremsträgerplatte der Bremseinrichtung entspricht, ist als Ausleger ein Arm 16 mit seinem Ende 22 vorgesehen (Merkmal 3). Der Ausleger ist vermittels eines Verbindungsteils (Bolzen/Stift 25) mit einem Befestigungsglied (laschenartige Verankerung 24 als Teil der Hülse 23) am Rahmenteil 9 derart verbunden oder verbindbar ist (vgl. Fig. 1 und 3, S. 3, Z. 5 bis 10) (Merkmal 3.1), dass eine beim Bremsen auftretende Bremsreaktionskraft von der Bremsträgerplatte (Flansch 13) über den Ausleger (Arm 16/22) und das Befestigungsglied (Verankerung 24 an Hülse 13) auf das Rahmenteil 9 übertragbar ist (Merkmal 3.2) (vgl. Fig. 1 i. V. m. S. 3, Z. 29 bis 38 und Z. 13 bis 17). Zum Verbinden des Auslegers (Arm 16/22) mit dem Befestigungsglied (Verankerung 24) ist als Verbindungsteil ein am Befestigungsglied angebrachter oder anzubringender Bolzen/Stift 25 vorgesehen (vgl. Fig. 3). Der Bolzen/Stift 25 muss selbstverständlich an die nach oben offene Ausnehmung 26 des Auslegers (Arm 16/22) angepasst sein (vgl. Fig. 1) - oder die Ausnehmung an den Bolzen - und erfüllt somit die Funktion eines Adapters (Merkmal 4). Er ist derart ausgelegt, dass er durch Einschieben der Achse in das Ausfallende im Zuge der Montage des Laufrads am Rahmenteil 9 (bzw. Hülse 23) mit dem Ausleger (Arm 16/22) in die Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung herstellenden Eingriff gebracht oder bringbar ist (Merkmal 5). Dies ergibt sich aus Seite 2, Zeilen 6 bis 12, in der die Demontage beschrieben ist (die Montage erfolgt in umgekehrter Reihenfolge) i. V. m. Seite 3, Zeilen 8 bis 11.

Dem Einwand der Patentinhaberin, dass das Befestigungsglied (Verankerung 24) ein Abschnitt des Rahmenteils (Hülse 23) sei und somit im Gegensatz zum Streitpatent stehe, bei dem das Befestigungsglied ein gesondertes, am Rahmenteil zusätzlich angebrachtes Bauteil sei, kann nicht gefolgt werden. Derartiges lässt sich aus den Funktionsangaben oder der Formulierung "am Rahmenteil" nicht ableiten. Denn Patentanspruch 1 des Streitpatents lässt die Art des Anbringens offen und betrifft somit eine beliebige Verbindungsart von Befestigungsglied und Rahmenteil, insbesondere auch eine integrale Verbindung nach Art von LNK 6, bei der der Bolzen 25 offenbar als fest in die Verankerung eingesetzter Stift ausgebildet ist (vgl. LNK 6 S. 2, Z. 6 bis 7; Anspruch 6; Fig. 3).

Die Patentinhaberin meint zudem, der Bolzen 25 sei kein Adapter im Sinne der Merkmale 4 und 5 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Da Patentanspruch 1 auch hier vollkommen offen lässt, wie die Verbindung zwischen dem Ausleger der Bremsträgerplatte und dem Befestigungsglied zustande kommt und diese nur durch ihre Funktion bestimmt ist, kann dem nicht gefolgt werden, zumal die funktionellen Angaben zur Montageweise - im Gegensatz zur Auffassung der Patentinhaberin - denen aus der Schrift LNK 6 entsprechen. Der Bolzen muss dabei zwangsläufig so gestaltet sein, dass der Ausleger der Bremsträgerplatte an das Befestigungsglied am Rahmenteil passt. Er erfüllt somit die Funktion einer Adaption zwischen Bremsträgerplatte und Befestigungsglied und ist in dieser Funktion folglich ein Adapter. Bei dem bekannten Fahrrad muss die Bremsreaktionskraftübertragung überdies auch durch In-Eingriff-Bringen des Bolzens 25 mit dem Ausleger 16/22 erfolgen.

Dem Bolzen 25 kann nach Auffassung der Patentinhaberin zudem keine Adaptierungsfunktion für die Anpassung eines für ein Zusammenwirken mit einem bestimmten Bremseinrichtungstyp, z. B. Scheibenbremse, ausgeführten Befestigungsglieds zugeschrieben werden, damit das Befestigungsglied stattdessen mit einem anderen Typ von Bremseinrichtung, z. B. einer Trommelbremse, für die Übertragung einer beim Bremsen auftretenden Bremsreaktionskraft zusammenwirken kann. Es trifft zwar zu, dass in der Entgegenhaltung LNK 6 der Aspekt des Austausches einer Bremse eines bestimmten Typs durch den eines anderen Typs nicht angesprochen wird, jedoch geht auch dieser Einwand fehl. Der Patentanspruch 1 legt nämlich nicht fest, dass ausschließlich der Austausch von Bremsentypen betroffen sein soll. Dies ist vielmehr ein Gesichtspunkt, der lediglich fakultativ beispielsweise in Absätze 0009 und 0010 der Streitpatentschrift zum Ausdruck gebracht wird.

Nach Auffassung der Patentinhaberin erfordert bei LNK 6 das Einschieben der Achse in das Ausfallende ein exaktes Positionieren für das Ende 22 des Auslegers 16 hin in Richtung zum Bolzen 25, was montagetechnisch anspruchsvoll sei. Hierzu ist anzumerken, dass auch beim Streitpatentgegenstand ein Einschieben und In-Eingriff-Bringen ohne Positionierung des Auslegers gegenüber dem Befestigungsglied "Adapter" nicht möglich ist und dass irgendwelche Maßnahmen, die die Montage erleichtern könnten, Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen sind.

2. Zum Hilfsantrag I:

Gegenüber dem Hauptantrag wird im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I das beanspruchte Fahrzeug dahingehend präzisiert, dass die Bremseinrichtung als Trommelbremse ausgeführt ist, und dass gleichzeitig die Achse in das Ausfallende und der Ausleger in den Adapter einschiebbar sind, wobei der Adapter an mindestens einer von zwei Bohrungen des Befestigungsgliedes angeordnet ist, das zur Befestigung eines Bremssattels einer Scheibenbremse geeignet ist, und dass der Adapter mit dem Befestigungsglied verschraubt ist.

Das Fahrzeug nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I ist durch die Präzisierung, dass die Bremseinrichtung als Trommelbremse ausgeführt ist, gegenüber dem aus der FR 2 246 439 (LNK 6) bekannten Fahrzeug zwar neu, gleichwohl jedoch nicht patentfähig, denn es ergibt sich für einen Durchschnittsfachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Bereits bei dem Fahrzeug nach der Druckschrift LNK 6 ist es bekannt, zur Montage gleichzeitig die Achse des Rades in das Ausfallende an der Hülse 23 und den Ausleger 16/22 in den Adapter 25 einzuschieben (vgl. S. 2, Z. 6 bis 12 i. V. m. S. 3, Z. 8 bis 11). Aber auch die weiteren Merkmale sind durch LNK 6 nahegelegt.

Bremseinrichtungen für Fahrzeuge werden insbesondere in der Fahrradindustrie oftmals als Zubehör von Zulieferern des Fahrzeugherstellers entwickelt und gebaut. Es liegt schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auf der Hand, einen bestimmten Bremsentyp passend für eine Mehrzahl von Fahrzeuggestaltungen auszubilden. Der Bremsenhersteller, für den der hier zuständige Fachmann tätig ist, hat aus wirtschaftlichen Erwägungen überdies Interesse daran, seine Produkte auch für bereits auf dem Markt befindliche Fahrzeuge unabhängig von deren Ausstattung mit einem bestimmten Bremsentyp attraktiv zu gestalten und einen Anreiz zu bieten, dass die Fahrzeuge umgerüstet werden. Dazu gehört nicht nur, eine Bremse mit besonderen Eigenschaften bereitzustellen, sondern auch die Gewährleistung, dass sie an vorhandene Fahrzeuge montiert werden kann. Wie beide Parteien übereinstimmend erklärten und wie auch in der Streitpatentschrift ausgeführt ist (vgl. Abs. 0011), ist es Usus, am Rahmen der Fahrräder zwei Befestigungspunkte für den Träger einer Scheibenbremse vorzusehen. Damit liegt es sehr nahe, zumindest einen dieser beiden Befestigungspunkte für die Befestigung der neuen Zubehör-Bremse zu nutzen. Da sich das Produkt nicht zuletzt an den Nutzer im privaten Bereich wendet, ergibt es sich von selbst, dass eine Verschraubung des Verbindungsteils mit dem Rahmen in Betracht kommt. Denn diese kann auch ein nichtprofessioneller Nutzer ausführen. Schließlich liegt es auf der Hand, dass das Verbindungsteil an die entsprechende Bremse und an das Befestigungsglied am Rahmen angepasst, also "adaptiert" sein muss.

Die Patentinhaberin hat vorgetragen, dass der Fachmann durch die Entgegenhaltung LNK 6 geradezu vom Quasi-Industriestandard zur Befestigung von Scheibenbremsen weggeführt werde. Um Gewichtsprobleme zu vermeiden, schlage diese Schrift vor, den einen der beiden herkömmlichen Befestigungspunkte von der Gabel zu der Achse des Rades zu verlegen, so dass der Abstand der beiden Befestigungspunkte des Bremssattelhalters mindestens dem Radius der Bremsscheibe entspreche. Dadurch solle es möglich sein, auf eine Einspannung des Bremssattelträgers an den Befestigungspunkten zu verzichten. Nach Auffassung des Senats stellt das Verlegen des einen Befestigungspunktes an das Ausfallende lediglich eine fachübliche Maßnahme dar, die der Fachmann anstatt der Art einer ausschließlichen Befestigung am Rahmenteil nach dem Vorbild der LNK 6 vornimmt.

3. Zum Hilfsantrag II:

Gegenüber dem Hilfsantrag I wird im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II für die Bremseinrichtung des beanspruchten Fahrzeugs zusätzlich gefordert, dass der Ausleger eine in ihrer Form dem Adapter angepasste Ausnehmung mit einer Einführöffnung aufweist, wobei der Adapter zur formschlüssigen Herstellung der Bremsreaktionskraftübertragungsverbindung beim Einschieben der Achse in das Ausfallende in die Ausnehmung einführbar oder eingeführt ist.

Auch das so definierte Fahrzeug nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II ergibt sich für einen Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Soweit die Merkmale des beanspruchten Fahrzeugs mit denen des Fahrzeugs nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags I übereinstimmen, wird auf die Ausführungen zu diesem hingewiesen. Das weitere in diesem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II enthaltene Merkmal ist jedoch für den Fachmann ebenfalls aus dem Stand der Technik, der Entgegenhaltung LNK 6, entnehmbar. Der dem Ausleger entsprechende Arm 16 mit seinem Ende 22 weist eine nach oben offene Ausnehmung 26 auf, in die der die Funktion eines Adapters erfüllende Bolzen 25 in montiertem Zustand eingreift (vgl. Fig. 1 i. V. m. S. 3, Z. 8 bis 12). Da es sich hier um eine sicherheitsrelevante Verbindung handelt, ist für den Fachmann ein spielfreier Sitz der Eingriffspaarung Ausleger/Bolzen selbstverständlich. Er wird deshalb ohne Weiteres die Ausnehmung im Ausleger und den Bolzen in ihrer Formgestalt so aneinander anpassen, dass in der endgültigen Einbauposition Spiel ausgeschlossen und zum Herstellen der endgültigen Einbauposition eine geeignete Einführmöglichkeit, z. B. in Form einer Einführöffnung, gegeben ist. Dabei bildet sich in Umfangsrichtung der Nabe eine formschlüssige Verbindung zur Übertragung der Bremsreaktionskräfte. Die formschlüssige Verbindung zwischen Bolzen 25 und Ende 22 des Auslegers 16 kommt beim Einschieben der Achse in das Ausfallende des Rahmens zustande, wenn der Bolzen in die Ausnehmung 26 eingeführt ist. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

4. Eine Teilabweisung der Klage auf der Grundlage eines von der Beklagten im Rahmen ihres Hilfsantrags II vorgelegten nebengeordneten Verfahrensanspruchs bzw. eines der dort aufgeführten Unteransprüche scheidet aus. Die Beklagte hat diese Ansprüche weder zum Gegenstand eines Hilfsantrags gemacht noch diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, so dass sich weitere Erörterungen hierzu erübrigen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 11.07.2007
Az: 1 Ni 9/07


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