Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. Juli 2006
Aktenzeichen: 9 W (pat) 30/04

(BPatG: Beschluss v. 31.07.2006, Az.: 9 W (pat) 30/04)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung des Einspruchs das am 18. September 1999 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Antriebseinrichtung für in vorgegebener Abfolge gegeneinander verstellbare Teile, insbesondere Dach- und/oder Deckelteile von Kraftfahrzeugen"

mit Beschluss vom 9. Dezember 2003 beschränkt aufrechterhalten. Die Patentabteilung ist der Auffassung, dass der Gegenstand des am 4. April 2002 eingereichten Patentanspruchs 1 neu ist und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Einsprechende mit ihrer Beschwerde. Wie bereits im vorhergehenden Einspruchsverfahren vertritt sie in ihrer Begründung die Auffassung, dass der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und durch die DE 195 05 006 C1 nahegelegt sei.

Die Einsprechende beantragt, den Beschluss vom 9. Dezember 2003 aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Ihrer Meinung nach ist die beanspruchte Antriebseinrichtung patentfähig.

Im Tenor des angegriffenen Beschlusses ist die Nennung der für die beschränkte Aufrechterhaltung bestimmten Unterlagen ausgelassen worden. Aus den Gründen des Beschlusses geht allerdings unmissverständlich hervor, dass der beschränkten Aufrechterhaltung die am 4. April 2002 eingereichten Patentansprüche 1 bis 19, eine geänderte Beschreibung sowie die Figuren gemäß erteiltem Patent zugrunde gelegt werden sollten (vgl. auch Schulte, PatG mit EPÜ, 7. Auflage, Rdn. 6, 8 zu § 95).

Der geltende Patentanspruch 1 lautet demnach:

Antriebseinrichtung für in vorgegebener Abfolge gegeneinander verstellbare Teile, insbesondere Dach- und/oder Deckelteile von Kraftfahrzeugen, mit einer Kulissenführung (20) für den Teilen zugeordnete Mitnehmer (7, 8) und für einen entlang der Kulissenführung (20) relativ zu diesen verschiebbaren und gegen diese kuppelbaren Antriebsschlitten (9) sowie mit den Mitnehmern (7, 8) zugeordneten und von diesen mitgeführten Kupplungsgliedern (25, 26), die in Abhängigkeit von der jeweiligen Position des Antriebsschlittens (9) quer zur Vorschubrichtung in eine Verriegelungsposition gegenüber der Kulissenführung (20) oder dem Antriebsschlitten (9) verstellbar sind und/oder in einer solchen Verriegelungsposition gehalten sind, in der der jeweilige Mitnehmer (7 bzw. 8) gegen die Kulissenführung (20) oder den Antriebsschlitten (9) formschlüssig festgelegt ist, wobei das jeweilige Kupplungsglied (25 bzw. 26) in der den Mitnehmer (7 bzw. 8) gegenüber der Kulissenführung (20) festlegenden Position in eine Rastausnehmung (29 bzw. 30) der Kulissenführung (20) eingreift, und, bezogen auf eine Vorschubrichtung, der Antriebsschlitten (9) zwischen dem Einfahren des dem einen Mitnehmer (8) zugeordneten Kupplungsgliedes (26) in die zugehörige Rastausnehmung (30) der Kulissenführung (20) und dem Ausfahren aus der entsprechenden Rastausnehmung (29) des dem anderen Mitnehmer (7) zugeordneten Kupplungsgliedes (25) die Antriebsverbindung des Antriebsschlittens (9) von dem einen auf das andere Teil der über die Antriebseinrichtung gegeneinander verstellbaren Teile wechselt, und wobei für zumindest einen der den gegeneinander verstellbaren Teilen zugeordneten Mitnehmer (7) in der Eingriffsposition des ihm zugeordneten Kupplungsgliedes (25) in die Kulissenführung eine Anschlagposition gegenüber einem kulissenseitigen Festanschlag (Anschlagnase 43) gegeben ist und die Anschlagposition des in Richtung auf den kulissenseitigen Festanschlag (Anschlagnase 43) auffahrenden Mitnehmers (7 bzw. 8) dem Wechsel der Antriebsverbindung der Mitnehmer (7, 8) zum Antriebsschlitten (9) entspricht.

Dem Patentanspruch 1 schließen sich auf diesen zumindest mittelbar rückbezogene Patentansprüche 2 bis 19 an.

II.

Die statthafte Beschwerde ist zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Der geltende Patentanspruch 1 ist zulässig. Dies wurde von der Einsprechenden auch nicht bestritten. Der geltende Patentanspruch 1 stellt eine Zusammenfassung der erteilten Patentansprüche 1, 8, 11 bis 13 dar, die Unteransprüche entsprechen den erteilten Patentansprüchen 2 bis 7, 9, 10 und 14 bis 23 und die geänderte Beschreibung beinhaltet weitere Angaben des Standes der Technik sowie eine Anpassung an die geltenden Patentansprüche.

Die mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Antriebseinrichtung ist patentfähig.

Als Durchschnittsfachmann legt der Senat hier einen Maschinenbauingenieur mit Fachhochschulausbildung zugrunde, der bei einem Fahrzeughersteller oder einem Zulieferer als Konstrukteur tätig ist und einschlägige Berufserfahrung hat.

Die Antriebseinrichtung ist zweifellos gewerblich anwendbar. Sie ist auch unbestritten neu. Aus keiner der in vorhergehenden Verfahren und im Beschwerdeverfahren genannten Druckschriften ist eine Antriebseinrichtung bekannt, bei der für zumindest einen der den gegeneinander verstellbaren Teilen zugeordneten Mitnehmer in der Eingriffsposition des ihm zugeordneten Kupplungsgliedes in die Kulissenführung eine Anschlagposition gegenüber einem kulissenseitigen Festanschlag gegeben ist und die Anschlagposition des in Richtung auf den kulissenseitigen Festanschlag auffahrenden Mitnehmers dem Wechsel der Antriebsverbindung der Mitnehmer zum Antriebsschlitten entspricht.

Die beanspruchte Antriebseinrichtung ergibt sich auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

In der DE 195 05 006 C1 ist eine Antriebseinrichtung für in vorgegebener Abfolge gegeneinander verstellbare Teile (Windabweislamelle 2, Schiebedeckel 3), insbesondere Dach- und/oder Deckelteile von Kraftfahrzeugen offenbart, mit einer Kulissenführung (Führungsschiene 18) für den Teilen zugeordnete Mitnehmer (vorderes Hilfsgleitelement 13 für Windabweislamelle 2, hinteres Gleitelement 33 und vorderes Gleitelement 20 für Schiebedeckel 3). Den Mitnehmern zugeordnet und von diesen mitgeführt sind Kupplungsglieder (vorderer Riegelstein 15 und hinterer Riegelstein 30). Bei der bekannten Antriebseinrichtung sind das vordere Gleitelement 20 und ein mit dem hinteren Gleitelement 33 verbundenes hinteres Hilfsgleitelement 26 durch ein druck- und zugfestes Kabel 27 miteinander verbunden. Vorderes Gleitelement 20, hinteres Hilfsgleitelement 26 und Kabel 27 werden immer gemeinsam bewegt und bilden eine Baugruppe. In diesem Aufbau könnte der Fachmann von der Funktion her einen mehrteiligen Antriebsschlitten erkennen, der in der Kulissenführung (Führungsschiene 18) relativ zu dieser verschiebbar ist, wie die Beschwerdeführerin geltend macht. Die mitgeführten Kupplungsglieder (vorderer Riegelstein 15 und hinterer Riegelstein 30) sind in Abhängigkeit von der jeweiligen Position der Baugruppe vorderes Gleitelement 20, Kabel 27 und hinteres Hilfsgleitelement 26 quer zur Vorschubrichtung in eine Verriegelungsposition gegenüber der Kulissenführung (Führungsschiene 18; vgl. Fig. 3 und 4) oder der Baugruppe 20, 27, 26 (vgl. Fig. 2, 5 und 6) verstellbar und/oder in einer solchen Verriegelungsposition gehalten, in der der jeweilige Mitnehmer (Gleitelement 33 bzw. vorderes Hilfsgleitelement 13) gegen die Kulissenführung (Führungsschiene 18) oder die Baugruppe 20, 27, 26 formschlüssig festgelegt ist. Dabei greift das jeweilige Kupplungsglied (vorderer Riegelstein 15 und hinterer Riegelstein 30) in der den Mitnehmer (vorderes Hilfsgleitelement 13 bzw. Gleitelement 33) gegenüber der Kulissenführung (Führungsschiene 18) festlegenden Position in eine Rastausnehmung (Aussparung 19 bzw. 29) der Kulissenführung (Führungsschiene 18) ein.

Bedingt durch die vorstehend beschriebene konstruktive Gestaltung ergibt sich ein wesentlicher Unterschied im Bewegungsablauf zwischen der vorbekannten und der streitpatentgemäßen Antriebseinrichtung. Bei der vorbekannten Antriebseinrichtung werden beim Öffnen des Daches zunächst alle Mitnehmer gleichzeitig gegen die Fahrtrichtung bewegt, vgl. insb. die Figuren 2 bis 6. Hat die Windabweiserlamelle 2 ihre ausgestellte Position erreicht, vgl. Fig. 4, wird das vordere Hilfsgleitelement 13 per Riegelstein 15 gegen die Führungsschiene 18 festgelegt. Bis dahin wurde der restliche Antriebsschlitten entlang eines Leerweges 25a weiterbewegt, wobei das Deckelteil 3 in seiner geschlossenen Stellung unverändert verbleibt, vgl. insb. Anspruch 2 i. V. m. den Figuren 3 und 4. Nach Ablauf des Leerweges 25a und lösen des Riegelsteins 30 beginnt die Absenkung und anschließende Mitnahme des Deckelteils 3. Mit anderen Worten wird der Mitnehmer der Windabweiserlamelle 2 nach einem bestimmten Weg des Antriebsschlittens, der zum Aufstellen der Windabweiserlamelle 2 erforderlich ist, von diesem abgekuppelt. Im Unterschied dazu vollzieht sich der Wechsel der Antriebsverbindung streitpatentgemäß in dem Augenblick, in welchem ein Mitnehmer auf den kulissenseitigen Festanschlag auffährt, dabei den Antriebsschlitten von diesem Mitnehmer abkuppelt, den anderen Mitnehmer einkuppelt und sich mit diesem Mitnehmer weiterbewegt. Ein Leerweg ist dabei nicht erforderlich und auch nicht vorgesehen. Dieser gleichzeitige Wechsel des Antriebsschlittens von einem zum anderen Mitnehmer ist in den Figuren 4 bis 6 dargestellt, in Sp. 6 Z 8 bis 50 erläuternd beschrieben und entspricht insoweit den letzten kennzeichnenden Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1.

Welche Veranlassung der Fachmann haben sollte, die vorbekannte Antriebsvorrichtung mit den in Rede stehenden Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 abzuändern, vermag der Senat nicht zu erkennen. Dabei kann zu Gunsten der Einsprechenden dahinstehen, ob der zuständige Fachmann den vorbekannten mehrteiligen Antriebsschlitten durch ein in sich geschlossenes Bauteil ersetzt hätte. Denn um ihn außerdem noch so zu gestalten, dass bezogen auf eine Vorschubrichtung, der Antriebsschlitten zwischen dem Einfahren des dem einen Mitnehmer (vorderes Hilfsgleitelement 13) zugeordneten Kupplungsgliedes (Riegelstein 15) in die zugehörige Rastausnehmung 19 der Kulissenführung 18 und dem Ausfahren aus der entsprechenden Rastausnehmung 29 des dem anderen Mitnehmer (hinteres Gleitelement 33) zugeordneten Kupplungsgliedes (hinterer Riegelstein 30) die Antriebsverbindung der Baugruppe 20, 27, 26 von dem einen auf das andere Teil der über die Antriebseinrichtung gegeneinander verstellbaren Teile wechselt, fehlt jegliche Anregung. Dazu müsste vor allem auf den Leerweg 25A verzichtet werden, der für die vorgegebene Abfolge allerdings wesentlich ist, vgl. Patentanspruch 2, Fig. 4 i. V. m. Sp. 3, Z. 67 bis Sp. 4, Z. 8 und Sp. 4, Z. 64 bis Sp. 5, Z. 7. Schließlich müsste noch für zumindest einen der den gegeneinander verstellbaren Teilen zugeordneten Mitnehmer in der Eingriffsposition des ihm zugeordneten Kupplungsgliedes in die Kulissenführung eine Anschlagposition gegenüber einem kulissenseitigen Festanschlag vorgesehen werden, wobei die Anschlagposition des in Richtung auf den kulissenseitigen Festanschlag auffahrenden Mitnehmers dem Wechsel der Antriebsverbindung der Mitnehmer zum Antriebsschlitten entsprechen müsste. Ein durch die Bewegungssituation bedingter Anschlag der Kupplungsglieder (bzw. der Riegelsteine), wie er mit dem Auffahren des hinteren Hilfsgleitelements 26 auf das hintere Gleitelement 33 nach Ablauf des Leerweges 25a beim vorbekannten Stand der Technik gegeben ist, kann diesem Festanschlag nicht gleichgesetzt werden. Denn der kulissenseitige Festanschlag bietet eine zusätzliche Sicherheit, weil die diesem zugeordnete Endlage des jeweiligen Mitnehmers in keinem Fall überfahren werden kann (vgl. Sp. 2, Z. 33 - 42 Streitpatentschrift). Für derartig grundlegende Änderungen geben weder die DE 195 05 006 C1 noch die übrigen im Einspruchsverfahren genannten Druckschriften eine Anregung. Die Einsprechende hat im Beschwerdeverfahren zu den übrigen Druckschriften auch nichts vorgetragen.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist somit patentfähig. Die Patentansprüche 2 bis 19 sind alle zumindest mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen und betreffen zweckmäßige weitere Ausbildungen des Gegenstandes des Patentanspruchs 1, die nicht selbstverständlich sind, und deren Gegenstände sind daher ebenfalls patentfähig.






BPatG:
Beschluss v. 31.07.2006
Az: 9 W (pat) 30/04


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