Bundesgerichtshof:
Urteil vom 28. Oktober 2014
Aktenzeichen: X ZR 55/11

(BGH: Urteil v. 28.10.2014, Az.: X ZR 55/11)

Tenor

Die Berufung gegen das am 20. Januar 2011 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Beklagte ist Inhaber des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 744 478, das am 15. März 1996 angemeldet worden ist und eine Priorität vom 22. Mai 1995 in Anspruch nimmt. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zur Detektion von Fremdstoffen in Faseröffnungslinien und umfasst sieben Patentansprüche, wobei die Ansprüche 2 bis 7 auf Patentanspruch 1 rückbezogen sind. Patentanspruch 1 lautet:

"Vorrichtung zum Erfassen von andersfarbigen Fasern, Folien oder Geweben in Faseröffnungslinien, dadurch gekennzeichnet, dass gegenüber der Oberfläche einer Öffnungswalze (W) Farbsensoren (S) über die Arbeitsbreite der Öffnungswalze angebracht sind, die dann, wenn die Farbsensoren und die Auswerteelektronik eine deutliche Farbabweichung im geöffneten Material gegenüber der Normalfaser feststellen, dafür sorgen, dass der Faserstrom ganz oder teilweise aus der normalen Faseröffnungslinie durch eine Ausschleusevorrichtung (F) ausgeschleust werden kann."

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sowie der auf diesen rückbezogenen Ansprüche sei nicht patentfähig. Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen das Urteil des Patentgerichts wendet sich die Berufung der Klägerin, die weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpatents erstrebt. Der Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. U. M. , emeritierter Professor der ETH Zürich, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Gründe

I. 1. Das Streitpatent betrifft die Detektion von Fremdfasern und dergleichen bei der Verarbeitung von Baumwolle. Solche Fremdfasern führen nach den Angaben in der Streitpatentschrift zu Reklamationen der Kunden von Spinnereien. Während Fremdstoffe, die ein höheres Gewicht als Baumwolle aufweisen, etwa Pflanzenreste, durch den Einsatz von Zentrifugalkraft ausgesondert werden, gelingt dies nicht bei Fremdfasern, die in etwa die gleiche Masse wie Baumwolle aufweisen. Im Stand der Technik war es, wie die Streitpatentschrift erläutert, einerseits bekannt, die Baumwolle in der Flocke zu inspizieren. Hierfür habe ein Gerät unter der Bezeichnung "OPTiSCAN" weite Verbreitung gefunden. Bei diesem Gerät würden in der Reinigungslinie in einer separaten Maschine die Flocken über ein Transportband gefördert. Gegenüber diesem Transportband seien in einem engen Spalt Farbsensoren angeordnet, die Farbunterschiede durch Fremdteile erkennen und eine Ausschleusevorrichtung auslösen. Zum anderen sei es bekannt gewesen, das fertige Baumwollgarn zu inspizieren. Dabei erfolge die Erkennung von Fremdfasern im Spulprozess. Die Garne würden mit einem Schwarzweiß-Sensor beurteilt und dunklere Garnstücke herausgeschnitten. Die Streitpatentschrift führt aus, beide Methoden seien mit erheblichen Investitionskosten verbunden und nicht einfach in vorhandene Anlagen zu integrieren.

Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das technische Problem, eine preiswerte und leicht zu installierende Hilfe zur Bekämpfung von Fremdfasern in der Spinnerei zu schaffen.

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt die Streitpatentschrift eine Vorrichtung zum Erfassen von andersfarbigen Fasern, Folien oder Geweben mit folgenden Merkmalen vor (Gliederungspunkte des Patentgerichts in eckigen Klammern):

Vorrichtung zum Erfassen von andersfarbigen Fasern, Folien oder Geweben [1]

1. Die Vorrichtung ist in einer Faseröffnungslinie angeordnet; [2]

2. sie umfasst 2.1 mindestens eine Öffnungswalze, [4 teilweise]

2.2 Farbsensoren, [5 teilweise]

2.3 eine Auswerteelektronik, [5 teilweise]

2.4 eine Ausschleusevorrichtung. [6 teilweise]

3. Die Farbsensoren 3.1 sind gegenüber der Oberfläche einer Öffnungswalze über deren Arbeitsbreite angebracht, [3 und 4 teilweise]

3.2. sind zusammen mit der Auswertelektronik geeignet, eine deutliche Farbabweichung im geöffneten Material gegenüber der Normalfaser festzustellen, [5 teilweise] und 3.3 sorgen bei Feststellung einer solchen Farbabweichung dafür, dass der Faserstrom ganz oder teilweise aus der normalen Faseröffnungslinie durch eine Ausschleusevorrichtung ausgeschleust werden kann. [6 teilweise]

3. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

a) Die in Ballen angelieferte Baumwolle wird zur Verarbeitung in der Öffnerei/Putzerei zunächst in Flocken (= Faserbündel) zunehmender Feinheit zerlegt. Dieser Teil des Verarbeitungsprozesses wird als Faseröffnungslinie bezeichnet. An die Faseröffnungslinie schließt sich die Karde an. In dieser werden die Flocken weiter aufgelöst und in einzelne Fasern zerlegt. Aus den vereinzelten Fasern wird sodann ein Vlies gebildet, aus dem ein kontinuierliches Faserband hergestellt wird.

b) Unter einer Öffnungswalze in einer Faseröffnungslinie versteht der Fachmann, ein Maschinenbauingenieur (FH) mit mehrjähriger Erfahrung in Konstruktion und Herstellung von Faservorbereitungsmaschinen, eine Walze, die dazu dient, größere Flocken in kleinere Flocken zu zerlegen, wobei dies dadurch bewirkt wird, dass die Walze mit einer Garnitur, etwa Stiften, Nadeln, Zähnen oder einem sägeblattähnlichen Metallband, versehen ist, die im Zusammenwirken mit einer relativ hohen Umdrehungszahl der Walze bewirkt, dass die mit relativ niedriger Geschwindigkeit an sie herangeführten Flocken abrupt beschleunigt und zu kleineren Flocken zerfetzt werden. Ein entsprechendes Verständnis des Begriffs findet sich etwa in der US-Patentschrift 4 126 913, (NK9.3, Sp. 1, Z. 5 bis 14) und der europäischen Patentanmeldung 175 851 (NK9.7, S. 1, Z. 9 bis 15). Danach kann nicht in jeder walzenförmigen Vorrichtung, die auf irgendeine Weise zur weiteren Auflösung von Faserbüscheln beiträgt, eine Öffnungswalze im Sinne von Merkmalen 2.1 und 3.1 gesehen werden. Kennzeichnend für eine Öffnungswalze im Sinne des Streitpatents ist vielmehr eine Gestaltung, die darauf zielt, größere Faserbündel durch das Zusammenwirken einer hohen Umdrehungszahl und einer Garnitur zu zerkleinern.

Der Patentschrift lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Begriff der Öffnungswalze im vorliegenden Zusammenhang abweichend zu verstehen sein sollte, vielmehr weisen die Ausführungen in der Beschreibung auf ein gleichlaufendes Verständnis hin. So wird in Absatz 3 erläutert, dass die Öffnungswalze mit Garnitur, Stiften oder Nasen versehen ist. In Absatz 4 wird beschrieben, dass die Walze beispielsweise einen Durchmesser von 350 mm aufweisen und mit 500 Umdrehungen/Minute rotieren könne, was dazu führe, dass die Faserbüschel von den Stiften der Öffnungswalze geöffnet würden. Anschließend liegen jedoch weiterhin Baumwollflocken vor, die von der Trommel am Umfang transportiert werden.

Das Patentgericht hat daher zutreffend angenommen, dass Vorrichtungen, die Bestandteil der Karde sind und dazu dienen, kleine Flocken in einzelne Fasern aufzulösen, aus fachlicher Sicht nicht unter den Begriff der Öffnungswalze im Sinne des Streitpatents gefasst werden.

c) Zur Anordnung der Ausschleusevorrichtung lässt sich Patentanspruch 1 lediglich entnehmen, dass sie sich noch im Bereich der Faseröffnungslinie befinden muss.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet, weil der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nicht vorliege.

Als Öffnungswalze sei nach der Patentschrift eine mit Stiften und Haken versehene Walze oder Trommel anzusehen, wobei mit den Stiften oder Haken Faserbüschel geöffnet und Baumwollflocken und Fremdfasern von der Trommel am Umfang transportiert würden. So werde der Begriff auch in dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. G. (im Folgenden: Gutachten G. , Anlage NK9) verstanden. Demnach sei eine Karde, die an ihrer Oberfläche zwar eine stift- oder hakenartige Garnitur aufweise, jedoch Flocken zu Einzelfasern auflöse, nicht als Öffnungswalze anzusehen.

Die in der europäischen Patentanmeldung 606 626 (NK2) gezeigte Vorrichtung nehme den Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht vorweg. Sie umfasse eine Präsentationswalze (presentation cylinder), die nicht die Funktion einer Öffnungswalze habe. Die Fasern würden bereits bevor dem Erreichen der Präsentationswalze durch die Probenentnahmevorrichtung vereinzelt. Damit fehle es an den Merkmalen 3 und 4. Außerdem sei nicht offenbart, dass der Faserstrom durch eine Ausschleusevorrichtung ganz oder teilweise aus der normalen Faseröffnungslinie ausgeschleust werden könne (Merkmal 6). Ein Ausschleusen werde in der NK2 nur für den Doffer offenbart, der den Faserflor von der Karde abnehme, keine Auflösefunktion habe und somit nicht mehr zur Faseröffnungslinie zu rechnen sei. Zudem sei der Faserflor nicht als Faserstrom anzusehen.

Auch wenn zugunsten der Klägerin unterstellt werde, dass der Beitrag "Fremdfasererkennung und -Ausschleusung im Vorwerk" des Beklagten (NK10) vorveröffentlicht sei, stelle er die Patentfähigkeit des Streitpatents nicht in Frage. Die in der dortigen Abbildung 4 gezeigte Walze könne - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht als Öffnungswalze angesehen werden. Die Flocken würden dort zwar zur besseren Fremdfasererkennung beschleunigt und gestreckt, jedoch nach dem Verständnis des Fachmanns, eines Maschinenbauingenieurs (FH) mit langjähriger Erfahrung in Konstruktion und Herstellung von Faservorbereitungsmaschinen, nicht geöffnet. Damit fehle es an einer Offenbarung der Merkmale 3 und 4.

Der weiter eingeführte Stand der Technik sei gleichfalls nicht neuheitsschädlich.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Aus einer Kombination von NK10 und NK2 habe sich keine Anregung ergeben, die Fremdfasererkennung an einer Öffnungswalze durchzuführen und hierzu gegenüber der Oberfläche einer Öffnungswalze über deren Arbeitsbreite Farbsensoren anzubringen. Auch eine Zusammenschau mit weiteren Entgegenhaltungen führe nicht zur Vorrichtung nach Patentanspruch 1. Aus keiner dieser Schriften habe sich eine Anregung ergeben, die Fremdfasererkennung an der Öffnungswalze durchzuführen, vielmehr befassten sie sich jeweils mit der Erkennung von Fremdfasern an bereits zu Einzelfasern aufgelöstem Material, wohingegen an einer Öffnungswalze noch nicht zu Einzelfasern aufgelöste Flocken vorlägen.

Die rückbezogenen Ansprüche hätten ebenfalls Bestand, da sie nicht selbstverständliche Ausgestaltungen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 beträfen.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug stand.

1. Das Patentgericht hat seiner Entscheidung ein zutreffendes Verständnis der Öffnungswalze zugrunde gelegt. Zwar findet sich in den Entscheidungsgründen der Hinweis, es handele sich dabei um eine Walze, die Öffnungs- und Reinigungsfunktion habe. Das Patentgericht hat im nächsten Absatz jedoch zutreffend ausgeführt, unter einer Öffnungswalze sei eine mit Stiften oder Haken versehene Walze oder Trommel zu verstehen, bei diese Stifte oder Haken dazu dienen, Faserbüschel zu öffnen, wobei dies dadurch geschehe, dass die noch zusammenhängenden Faserbüschel gegen die mit großer Geschwindigkeit rotierende Walze bewegt werden. Daraus wird deutlich, dass das Patentgericht nicht angenommen hat, der Öffnungswalze selbst komme notwendig auch die Funktion zu, die Baumwolle zu reinigen. Es hat vielmehr zutreffend zugrunde gelegt, dass die Öffnungswalze dazu dient, die Baumwolle soweit zu zerkleinern, dass Fremdfaserfetzen erkannt werden können, und damit die Voraussetzungen für eine Reinigung der Baumwolle zu schaffen.

2. Das Patentgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch den Stand der Technik nicht neuheitsschädlich getroffen ist.

a) Der Beitrag "Fremdfasererkennung und -Ausschleusung im Vorwerk" des Beklagten (NK10) nimmt den Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht vorweg.

aa) NK10 stellt unter der Bezeichnung "OPTiSCAN" eine Vorrichtung vor, die dazu dienen soll, bereits in der Phase der Aufbereitung der Baumwolle zur dosierten, gereinigten Flocke Fremdfasern auszuscheiden. Nachfolgend ist die Abbildung 4 aus der NK10 wiedergegeben:

Unter Fremdfasern werden hierbei nicht einzelne Fasern verstanden, sondern kleine Garnabschnitte, kleine Stücke farbigen Gewebes oder Folie, aber auch Baumwollflocken, die etwa durch den Kontakt mit Öl oder Farbe verfärbt sind (S. 1, r. Sp. unten/2 l. Sp. oben). Zur optischen Erkennung und Ausschleusung so definierter Fremdfasern wird das Material durch einen Kondensator angesaugt und in einen Schacht geleitet. Durch eine als Transporteinrichtung bezeichnete Vorrichtung werden die Flocken verzogen und an einem optischen Erkennungssystem vorbeigeführt. Ein Computer wertet die Messungen aus. Treten Fremdfasern auf, werden Sektoren einer Düsenleiste angesteuert, die sie durch einen kurzen Luftstoß ausscheiden. In NK10 wird ausgeführt, es sei einerseits wünschenswert, die Fasern gut aufzulösen, um ein Verdecken von Fremdfasern zu vermeiden, andererseits sei anzustreben, dass Faserverbände und Folien nicht zerrissen werden, um die Erkennung zu erleichtern (S. 3, r. Sp.). Die Vorrichtung lasse sich gut in vorhandene Öffnungszüge integrieren. Dabei werde sie vor Feinreinigern, die mit Stiften oder Garnituren bestückt sind, eingesetzt.

bb) Die in NK10 vorgestellte Vorrichtung ist in dem Bereich angeordnet, in dem aus Baumwollballen Flocken gewonnen werden und damit in der Faseröffnungslinie (Merkmal 1). Sie umfasst auch Farbsensoren und eine Auswerteelektronik, durch die Fremdfasern erkannt und gezielt ausgeschleust werden (Merkmale 2.2 bis 2.4, 3.2 und 3.3).

Die Vorrichtung weist jedoch keine Öffnungswalze im Sinne des Streitpatents auf. In der aus Abb. 4 ersichtlichen, etwa in mittlerer Höhe angeordneten, mit einer senkrechten und einer waagrechten Linie und im oberen Bereich mit einem Kreissegment versehenen, in NK10 als Transporteinrichtung bezeichneten Walze kann - entgegen der Auffassung der Klägerin - keine Öffnungswalze im Sinne des Streitpatents gesehen werden. Der Abbildung ist nicht zu entnehmen, dass die Transportwalze mit einer Garnitur versehen ist, die der weiteren Zerkleinerung der Flocken dient. Vielmehr heißt es dort (S. 3, r. Sp.), sie sei in der Öffnungslinie vor den Feinreinigern, die mit Stiften oder Garnituren bestückt seien, eingesetzt. Die Funktion dieser Walze wird in NK10 lediglich dahin beschrieben, dass die ihr zugeführten Flocken verzogen werden (S. 2, r. Sp.). Der Sachverständige hat dies dahin erläutert, dass ein Verziehen der Flocken dazu dienen kann, Geschwindigkeit, Dichte und Maß des Flockenstroms an die Leistungsfähigkeit der Komponenten anzupassen, mit denen Fremdfasern optisch erfasst werden sollen.

Anders als die Klägerin meint, ergibt sich auch aus dem zugehörigen Text nichts anderes. Die Klägerin ist der Ansicht, auch wenn die Abbildung 4 eine Garnitur der Walze nicht erkennen lasse, entnehme der Fachmann dem zugehörigen Text, dass eine solche Garnitur vorhanden sein müsse. Dies ergebe sich daraus, dass dort ein Verziehen der Flocken beschrieben und angemerkt werde, die Fasern seien gut aufzulösen, um ein Verdecken von Fremdfasern zu vermeiden. Das trifft nicht zu. Bei der in NK10 vorgestellten Vorrichtung werden die Flocken in einer geringen Schichtdicke - beispielhaft wird eine Dicke von 8 mm angegeben (S. 3, r. Sp.) - an Sensoren vorbeigeführt. Hierfür kann es sinnvoll sein, die Flocken zu verziehen, also in die Länge zu strecken und dadurch ihre Dicke zu verringern. Dass eine Flocke verzogen wird, bedeutet jedoch nicht, dass sie zerfetzt, also in kleinere Flocken auseinandergerissen wird. Aus dem Umstand, dass in NK10 von dem Erfordernis einer guten Auflösung der Fasern - gemeint sind in diesem Zusammenhang Fasernbüschel, also Flocken - die Rede ist, ergibt sich nicht, dass diese Auflösung gerade durch die Transporteinrichtung des OPTiSCAN erfolgen soll. Vielmehr verdeutlichen die Ausführungen auf S. 5 und 6 der NK10, dass die Öffnung der Baumwolle durch andere Vorrichtungen erfolgen und der OPTiSCAN an verschiedenen Stellen der Öffnungslinie, etwa nach dem Ballenbrecher, dem Monoreiniger oder dem Mischer, integriert werden kann, um die Baumwolle in dem Öffnungszustand, in welchem sie sich an der entsprechenden Stelle befindet, auf Fremdfasern zu untersuchen.

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin für ihre Auffassung auf das von ihr vorgelegte Zusatzgutachten von Prof. Dr. G. . Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat in seinem schriftlichen Gutachten (S. 12/13 und 36/37) überzeugend dargelegt, dass der Fachmann aus dem Text und den Abbildungen der NK10 nicht zu dem Schluss gelangte, die dort gezeigte Walze müsse mit einer Garnitur ausgerüstet sein. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, dass aus fachlicher Sicht zwar denkbar ist, die Oberfläche der Transporteinrichtung in irgendeiner Weise strukturiert auszugestalten, dass diese aber deshalb nicht als Öffnungswalze im oben erläuterten Sinn anzusehen ist und insbesondere die Größe der Flocken unverändert bleibt.

Ist danach in der NK10 eine Öffnungswalze nicht - schon gar nicht nicht unmittelbar und eindeutig - offenbart, fehlt es an einer Vorwegnahme der Merkmale 2.1 und 3.1.

b) Die europäische Patentanmeldung 606 626 (NK2), die in deutscher Übersetzung als NK2a vorliegt, nimmt den Gegenstand von Patentanspruch 1 ebenfalls nicht vollständig vorweg.

aa) NK2 betrifft Verfahren und Vorrichtungen zur Messung und Kontrolle von Fremdkörpern innerhalb dünner Vliese in textilem Material (measurement and control of entities in thin webs of textile materials). NK2 schildert, die Erfassung und Identifikation der Fremdkörper solle vorzugsweise durch Kameras erfolgen. Daraus könnten Steuersignale abgeleitet werden, die der Entfernung unerwünschter Elemente dienten. Die Kontrolle solle an einem dünnen Vlies erfolgen. Ein solches dünnes Vlies liege in bestimmten Verarbeitungsmaschinen ohnehin vor. Meist sei es jedoch unmöglich, den Produktionsdurchfluss zu 100% zu überwachen. Dann sollten aus den als Flocken oder als Band vorliegenden Fasern Proben entnommen und zu einem dünnen Vlies geformt werden, das auf Fremdkörper untersucht werde (NK2, Sp. 1, Z. 48 bis 56).

Die NK2 beschreibt zunächst die Überwachung des Kardenvlieses (card web) insgesamt während des Verarbeitungsprozesses. Werden hierbei Fremdkörper erfasst, werden diese aus dem Kardenvlies entfernt, was etwa durch Druckluftdüsen erfolgen kann (NK2, Sp. 2, Z. 11 bis 58). Beschrieben wird ferner eine andere Ausführungsform, bei der während der Verarbeitung des textilen Materials Proben entnommen und aus diesen ein gewünschtes Gebilde geformt wird. Die so geformte Probe wird dann auf fremde Elemente kontrolliert (NK2, Sp. 3, Z. 1 bis 32). Die Figuren 1 bis 5 und 7 zeigen eine Vorrichtung, mit der Proben entnommen und zu einem gewünschten Gebilde geformt werden, das anschließend kontrolliert wird. Ein solcher Probennehmer (web forming sampler) wird in der zugehörigen Beschreibung eingehend erläutert (NK2, Sp. 5, Z. 20 bis Sp. 10, Z. 41).

bb) (1) Die in NK2 gezeigte Vorrichtung zur Probenentnahme dient dazu, Fremdfasern zu erfassen. Die beschriebenen Überwachungsmittel, etwa Kameras, können erkennen, ob das zu untersuchende Material die für saubere Baumwolle typische Farbe hat oder eine abweichende spektrale Reaktion aufzeigt und damit als Fremdmaterial einzuordnen ist (NK2, Sp. 21, Z. 27 bis 31). Damit weist die Vorrichtung Farbsensoren und eine Auswerteelektronik aus, die Farbabweichungen festzustellen vermag (Merkmale 2.2, 2.3, 3.1 und 3.2).

(2) Die in NK2 gezeigte Vorrichtung ist im Verarbeitungsprozess an einer Stelle angeordnet, an der die Fasern nur noch in kleinen Büscheln vorliegen und dann vollständig aufgelöst werden. Ausgesondert werden sollen hier einzelne Fasern, Nissen oder Trashteilchen. Eine Erfassung einzelner andersfarbiger Fasern ist jedoch, wie der Sachverständige erläutert hat, bei Flocken der Größe, wie sie am Ende der Faseröffnungslinie vorliegen, nicht möglich. Die in NK2 beschriebene Vorrichtung befindet sich danach im Bereich der Karde und damit nicht mehr in der Faseröffnungslinie, die vor der Karde endet. Damit ist Merkmal 1 nicht offenbart.

(3) Die Vorrichtung umfasst, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, keine Öffnungswalze. Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Klägerin bleiben ohne Erfolg. Der aus Figur 3 ersichtliche Präsentationszylinder (40) (presentation cylinder) stellt keine Öffnungswalze dar.

Die Figuren 1 bis 3 zeigen eine Vorrichtung, bei der eine Platte (18) um eine Achse (19) in einen Kanal (11) geschwenkt wird, in dem in einem Luftstrom Flocken (10) geleitet werden. Mit der Platte werden auftreffende Flocken eingefangen und gesammelt. Die Platte wird nach unten an eine Wand geschwenkt, die Löcher aufweist. Diese sind zunächst abgedichtet, werden jedoch nach dem Einsammeln der Probe freigegeben. Ein Probennehmer (32), der eine Nadelreihe (33) aufweist, fährt an die Löcher heran und nimmt Proben auf. Der Probennehmer wird sodann in eine Stellung verschwenkt, in der er mit dem Präsentationszylinder zusammenwirken kann. Von der Förderrolle (34) des Probennehmers werden die Fasern auf die Trommel gegeben, dort gekämmt, ausgerichtet und zu einem dünnen Vlies (thin web) geformt. Der Präsentationszylinder legt das so gewonnene dünne Vlies zur Prüfung durch Bildanalysemittel (50) vor.

Wie oben ausgeführt ist aus fachlicher Sicht unter einer Öffnungswalze eine Walze zu verstehen, die dazu dient, größere Flocken in kleinere Flocken zu zerlegen. Dies wird dadurch bewirkt, dass die Walze mit einer Garnitur, etwa Stiften, Nadeln, Zähnen oder einem sägeblattähnlichen Metallband, versehen ist. Im Zusammenwirken mit einer relativ hohen Umdrehungszahl der Walze bewirkt die Garnitur, dass die mit relativ niedriger Geschwindigkeit an sie herangeführten Flocken abrupt beschleunigt und zu kleineren Flocken zerkleinert werden.

Der Präsentationszylinder kann mit Stiften versehen sein, doch werden auch Gestaltungen beschrieben, bei denen Stifte fehlen und nur ein feinmaschiges Sieb vorhanden ist, auf dem die als Probe entnommenen Fasern abgelegt werden (NK2, Sp. 6, Z. 48 und Sp. 7, Z. 4 bis 7). Schon dies schließt es aus, diesen Zylinder als Öffnungswalze anzusehen, und macht deutlich, dass dieses Vorrichtungselement nicht dazu dient, größere Flocken in kleinere zu zerrupfen, denn dazu bedarf es notwendig einer Garnitur. Der NK2 lassen sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Präsentationszylinder der weiteren Auflösung der Baumwollflocken dient. Die als Probe entnommenen Faserbüschel sollen vielmehr in etwa gleichmäßig auf dem Präsentationszylinder abgelagert werden, so dass sich ein dünnes Vlies ergibt (fibers are uniformly released from the pins 33 by rotating the clamping/feed roll 34 in the fiber sampler 32 in concert with rotation of the thin web presentation cylinder 40 so that fibers and other entities are approximately uniformly deposited on the cylinder 40; NK2, Sp. 6, Z. 53 bis 58). Zwar ist an einer Stelle (NK2, Sp. 7, Z. 28 bis 32) davon die Rede, dass die Stifte (42), die der gleichmäßigen Abnahme und Beladung dienen, auch Kämm- und Vereinzelungsvorgänge gewährleisten (fine pins 42 and perforations 44 are used to assure uniform removal and loading as well as to assure some combing and separation actions of the sample as it is removed from the needles 33). Der Umstand, dass der Präsentationszylinder zu einer weiteren Auflösung der entnommenen Faserbüschel beitragen kann, genügt jedoch nicht, um ihn als Öffnungswalze im Sinne des Streitpatents einzuordnen. Für eine weitere Zerkleinerung der Flocken besteht grundsätzlich kein Anlass. Nach der Darstellung der NK2 dient bereits der Probennehmer der Vereinzelung der Fasern zu Testzwecken.

Der Präsentationszylinder weist zudem nicht die für eine Öffnungswalze kennzeichnende hohe Geschwindigkeit auf. Nach den im Streitpatent für eine mögliche Ausgestaltung angegebenen Zahlen bewegt sich die Oberfläche der Öffnungswalze dort mit einer Geschwindigkeit von etwa 33 km/h. Nach den in NK2 angegebenen Daten beträgt die Geschwindigkeit des Präsentationszylinders dagegen lediglich 3 km/h. Der Präsentationszylinder dient mithin nicht der weiteren Zerkleinerung des entnommenen Materials, sondern dazu, die probeweise entnommenen Faserbüschel von den Nadeln des Probennehmers abzuziehen, sie auf dem Präsentationszylinder abzulagern und daraus ein dünnes Vlies zu bilden, das für eine Untersuchung mit Bildanalysegeräten geeignet ist. Entsprechend wird in NK2 zur Beschreibung der Figur 4 gesagt, dass auch dort die Probe durch den mit Nadeln versehenen Probennehmer erlangt und über die Vorzeigetrommel verteilt wird (the sample is acquired by needle sampler 32 and spread on the presentation cylinder 40 as before; NK2, Sp. 8, Z. 10 bis 12). Ferner heißt es dort (NK2, Sp. 7, Z. 7 bis 13), dass es Ziel der Übertragung vom Probennehmer auf den Präsentationszylinder sei, die Fasernprobe vollständig, einschließlich aller in ihr vorhandenen Elemente wie Nissen oder Trashteile, zu übertragen ohne sie wesentlich abzuändern, und aus der Probe ein dünnes Vlies zu bilden, das dem Bildanalysesystem vorgelegt werden kann.

Damit fehlt es auch an einer Offenbarung der Merkmale 2.1 und 3.1.

(4) Die in NK2 gezeigte Vorrichtung zur Entnahme von Proben offenbart zudem nicht das Merkmal 3.3.

Beschrieben wird vielmehr, dass am Ende eines Probenentnahmezyklus' alle Fasern einschließlich anderer Elemente vom Präsentationszylinder entfernt und wieder zurück in den Kanal (11) geleitet werden (NK2, Sp. 7, Z. 38 bis 53, siehe auch Sp. 8, Z. 39 f.). Die Ausscheidung von erkannten Fremdstoffen, etwa durch Luftstoß oder Ausstanzen, wird in NK2 nur für eine Vorrichtung dargestellt, bei der ein dünnes Vlies nicht nur für eine Probe hergestellt wird, sondern ohnehin im Verarbeitungsprozess vorliegt und damit vollständig untersucht werden kann (NK2, Sp. 22, Z. 51 bis Sp. 25 mit Figuren 18 ff.).

c) Die Beurteilung des Patentgerichts, dass auch keine der anderen Entgegenhaltungen die Neuheit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in Frage stellt, greift die Klägerin nicht an.

3. Das Patentgericht hat ferner zu Recht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch den Stand der Technik nicht nahegelegt ist.

a) Die NK10 offenbart, wie ausgeführt, eine Vorrichtung, die die Merkmale 1, 2.2 bis 2.4 sowie 3.2 und 3.3 vorwegnimmt. Nimmt man sie zum Ausgangspunkt, ergab sich für den Fachmann aus dem Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt keine Anregung, die dort beschriebene Vorrichtung dahin weiterzubilden, dass die Farbsensoren gegenüber einer Öffnungswalze angeordnet werden. Anders als die Klägerin meint, läge darin nicht lediglich eine bloße Umbenennung der als Transporteinrichtung bezeichneten Walze. Wie dargelegt, dient diese Walze nicht dazu, Faserbüschel zu zerrupfen und damit weiter zu verkleinern, sondern bewirkt lediglich deren Streckung, also nur eine Verformung. Weder aus der NK10 selbst noch aus einer der sonst von der Klägerin in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen ergab sich für den Fachmann die Anregung, die Erkennung von Fremdfasern statt dessen gerade dort anzuordnen, wo größere Flocken durch eine Öffnungswalze in kleinere Flocken aufgelöst werden. In der NK10 wird dem Fachmann vielmehr vorgeschlagen, die beschriebene Vorrichtung dort in die Faseröffnungslinie zu integrieren, wo die Baumwolle bereits durch andere Komponenten so weit geöffnet ist, dass eine Erfassung von Fremdstoffen mit dem OPTiSCAN zweckmäßig ist. Daraus ergab sich für den Fachmann nicht die Anregung, die weitere Öffnung der Baumwolle und die Erfassung von Fremdstoffen mit Farbsensoren in einer Komponente zusammenzufassen.

b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch dann nicht, wenn als Ausgangspunkt die NK2 gewählt wird. Abgesehen davon, dass diese Entgegenhaltung den Bereich der Karde betrifft, der, wie der Sachverständige bestätigt hat, von Fachleuten, die sich mit der Konstruktion von Vorrichtungen für die Öffnerei und Putzerei beschäftigen, allenfalls am Rande zur Kenntnis genommen wird, fehlte es hier aus fachlicher Sicht schon an einer Anregung, die Vorrichtung dahin weiterzubilden, dass bei der Feststellung von Farbabweichungen der Faserstrom ganz oder teilweise aus der normalen Faseröffnungslinie ausgeschleust wird. Ein solches Vorgehen hat bei einer Vorrichtung, bei der aus dem gesamten Fasermaterial nur Proben entnommen und auf Fremdfasern untersucht werden, technisch keinen Sinn, weil die im übrigen Teil des Fasermaterials enthaltenen Fremdstoffe nicht ausgeschieden würden. Der Fachmann erhielt zudem aus dem Stand der Technik keine Anregung, die Vorrichtung dahin abzuwandeln, dass anstelle eines Präsentationszylinders eine Öffnungswalze vorgesehen wird. Eine solche eignet sich nicht, aus den entnommenen Proben ein gleichmäßiges, dünnes Vlies zu formen, das geeignet ist, einem Bilderfassungssystem vorgelegt zu werden.

4. Die Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 begründet ebenso die Rechtsbeständigkeit der diesem nachgeordneten Ansprüche 2 bis 7, da die darin angegebenen zusätzlichen Merkmale zweckmäßige und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 betreffen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck Gröning Grabinski Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 20.01.2011 - 2 Ni 13/09 (EU) -






BGH:
Urteil v. 28.10.2014
Az: X ZR 55/11


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