Bayerisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 21. März 2011
Aktenzeichen: L 15 SF 204/09 B E

(Bayerisches LSG: Beschluss v. 21.03.2011, Az.: L 15 SF 204/09 B E)

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 18. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zusteht. Streitig ist die Höhe der Gebühren (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Erledigungsgebühr).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg S 9 R 832/07 ging es um die Er-höhung der dem Kläger mit Rentenbescheid vom 26.11.2007 ab 01.08.2008 zuerkannten Altersrente für schwerbehinderte Menschen wegen zusätzlicher Berücksichtigung von Beiträgen des Klägers zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) der DDR in der Zeit von 01.06.1976 bis 13.06.1989. In dem zum Rentenbescheid gehörenden Versicherungsverlauf waren Beiträge zur FZR für die Zeit ab Februar 1977 bis Mai 1989 schon erfasst. Nach Klageerhebung durch den Kläger am 20.12.2007 zeigte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 07.01.2008 die Vertretung an und begründete die Klage mit einem eineinhalbseitigen Schriftsatz, dem eine Kopie des Rentenbescheids und Auszüge aus dem Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung beigefügt waren. In Reaktion auf Schriftsätze der Beklagten fertigte der Beschwerdeführer den Schriftsatz vom 17.03.2008 (halbe Seite). Das Sozialgericht Regensburg bewilligte dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg ab Antragstellung zu den Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalts und ordnete ihm den Beschwerdeführer bei (Beschluss vom 15.10.2008). In der mündlichen Verhandlung am 28.10.2008 (12.15 bis 12.55 Uhr) schlossen die Beteiligten einen das Verfahren beendenden Vergleich. Sie einigten sich darauf, dass die Beklagte die Versicherungszeiten überprüfen und die Rente neu feststellen sowie ein Drittel der außergerichtlichen Kosten übernehmen werde.

Mit Schriftsatz vom 31.10.2008 übersandte der Beschwerdeführer seine Kostenrechnung. Er forderte die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV mit 460 Euro, die Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV mit 380 Euro und die Einigungs- oder Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1006 VV mit 350 Euro (außerdem Pauschale 20 Euro: netto 1210 Euro, zzgl. 19 % MWSt 229,90 Euro). Von der Summe 1439,90 Euro wies er als zu zahlenden Betrag 959,93 Euro (zwei Drittel) aus. Er legte dar, dass der Ansatz der Höchstgebühr gerechtfertigt sei. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei erheblich gewesen. Die Aufklärung des Sachverhalts sei besonders zeitaufwändig gewesen, insbesondere weil für einen langen Zeitraum ein Abgleich des Rentenkontos mit den Beitragszahlungen des Klägers erforderlich gewesen sei. Die Unterlagen in den Arbeitsausweisen seien schlecht lesbar und zum Teil unübersichtlich gewesen. Die Angelegenheit sei auch rechtlich schwierig gewesen, da die seltene Frage der Anrechnung von Beiträgen zur Freiwilligen Zusatzversicherung der DDR auf die Altersrente eine besondere Einarbeitung erfordert habe. Die Streitigkeit über die Höhe der Altersrente habe für den Kläger außerdem erhebliche wirtschaftliche Bedeutung.

Die Beklagte teilte mit, dass die in Rechnung gestellten Kosten antragsgemäß zu einem Drittel in Höhe von 479,97 Euro erstattet worden seien (Schreiben vom 19.11.2008).

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Kostenbeamtin) setzte die aus der Staatskasse zu erstattenden Kosten am 09.03.2009 auf 78,94 Euro fest:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 333,00 EuroTerminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 267,00 EuroEinigungsgebühr, Nr. 1006 RVG 253,00 EuroAuslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro 873,00 Euro 19% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG 165,87 Euro 1.038,87 Euroabzüglich (Beklagtenerstattung) 959,93 EuroÜberweisungsbetrag 78,94 EuroFür die Verfahrensgebühr ging die Kostenbeamtin davon aus, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als etwas über dem Durchschnitt liegend und der Schwierigkeitsgrad als überdurchschnittlich zu bewerten sei. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger habe leicht über dem Durchschnitt gelegen, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien unterdurchschnittlich zu bewerten. Unter Berücksichtigung aller Umstände erweise sich der Ansatz der Höchstgebühr als unbillig im Sinn des § 14 RVG, da diese die für angemessen erachtete Gebühr in Höhe von 333 Euro (ca. zwei Drittel des Gebührenrahmens) um mehr als 20 % übersteige. Bezüglich der Terminsgebühr und der Einigungsgebühr gelte das Gleiche.

Nachdem der Beschwerdeführer mit der Erinnerung vom 17.03.2009 klargestellt hatte, dass die Beklagte nur einen Betrag von 479,97 Euro erstattet habe, setzte die Kostenbeamtin den zu erstattenden Betrag mit Beschluss vom 30.03.2009 auf 558,90 Euro fest (78,94 Euro plus 479,97 Euro). Im Übrigen gab sie der Erinnerung nicht statt und legte den Vorgang dem für die Kostenentscheidung zuständigen Richter vor.

Im Erinnerungsverfahren machte der Beschwerdeführer geltend, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts nicht berechtigt sei, von den Rahmengebühren, die der Rechtsanwalt bestimmt habe, abzuweichen. Die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung sei nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei und die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen sei, § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG. Dritte in diesem Sinn seien Beteiligte, die aufgrund einer Kostenentscheidung dem Auftraggeber die Kosten des Verfahrens teilweise oder vollständig zu erstatten hätten. Dritte seien weder die Staatskasse bei bewilligter Prozesskostenhilfe noch die Rechtsschutzversicherung, da es hier an einer Kostenentscheidung fehle; diese seien wie der Auftraggeber zu behandeln. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle sei demnach nicht befugt zu prüfen, ob die Festsetzung der Rahmengebühren unbillig ist. Das Gericht sei, wenn die Höhe der Gebühr streitig sei, lediglich befugt, ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 RVG).

Unabhängig davon, so der Beschwerdeführer weiter, sei auf Folgendes hinzuweisen. Bereits ein außergewöhnliches Merkmal könne den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertigen, auch wenn die übrigen Umstände nur durchschnittlich seien. In der Regel sei die Höchstgebühr gerechtfertigt, wenn mehrere Bewertungsmerkmale überdurchschnittlich seien (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.04.2007, L 7 B 36/07 AS). Bei Streitigkeiten über Dauerrenten, wie dies hier der Fall sei, nehme die Rechtsprechung eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber an. Rechtliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit liege vor, wenn abgelegene Rechtsgebiete eine besondere Einarbeitung des Rechtsanwalts erforderten. Hier habe das abgelegene Rechtsgebiet der Anrechnung von Beiträgen zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der DDR auf die Altersrente eine besondere Einarbeitung erfordert. Zudem sei die Aufklärung des Sachverhalts, wie im angefochtenen Beschluss eingeräumt werde, besonders zeitaufwändig. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass der Antragsteller am Verhandlungstag insgesamt 1005 km von A-Stadt nach R. und zurück gefahren sei, was einer Fahrtzeit von etwa 10 Stunden entspreche.

Das Sozialgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 18.05.2009 die Erinnerung gegen den Festsetzungsbeschluss vom 09.03.2009 in Gestalt des Abhilfebeschlusses vom 30.03.2009 zurückgewiesen. Unter Berücksichtigung der in § 14 RVG genannten Kriterien erscheine für die Verfahrensgebühr eine Erhöhung der Mittelgebühr auf den im Kostenfestsetzungsbeschluss zu Grunde gelegten Betrag von 333 Euro als angemessen. Für den Kläger habe es sich zwar um eine wichtige Angelegenheit mit überdurchschnittlicher Bedeutung gehandelt. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei aber nicht überdurchschnittlich gewesen. Allenfalls die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei als überdurchschnittlich zu beurteilen. Unter Berücksichtigung der allenfalls durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers und der überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für ihn, des überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrads sowie des durchschnittlichen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit und des durchschnittlichen Haftungsrisikos sei eine Erhöhung der Mittelgebühr von 250 Euro auf 333 Euro (ca. 72 % der Höchstgebühr) gerechtfertigt. Der Ansatz der Höchstgebühr sei unangemessen. Da die vorgenommene Gebührenbestimmung oberhalb des Toleranzrahmens von 20 % liege, sei diese Bestimmung nicht mehr verbindlich (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). In einem solchen Fall setze das Gericht die Gebühr unter Billigkeitsgesichtspunkten und unter Heranziehung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG selbst fest. Entsprechend sei der Ansatz der Höchstgebühr für die Terminsgebühr und die Erledigungsgebühr unbillig. Die Festsetzung der Urkundsbeamtin sei dagegen angemessen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem Kläger Prozesskostenhilfe zu den Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalts bewilligt worden sei, müssten die geltend gemachten besonderen zeitlichen Aufwendungen unberücksichtigt bleiben. Der Beschluss endet mit der Belehrung, es sei Unanfechtbarkeit gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben. Er ist dem Beschwerdeführer am 12.06.2009 zugestellt worden.

Der Beschwerdeführer hat am 15.06.2009 mit Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeit gemäß § 56 RVG Beschwerde eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses vom 18.05.2009 und der Kostenfestsetzung vom 09.03.2009 die erstattungsfähigen Kosten auf 959,93 Euro festzusetzen. Die Begründung der Beschwerde entspricht im Wesentlichen dem Vortrag im Erinnerungsverfahren. Der Beschwerdeführer hat die Übertragung der Sache auf den Senat angeregt.

Der Beschwerdegegner hat sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akte des Sozialgerichts Regensburg S 15 SF 14/09 E sowie die Akte S 9 R 832/07 (mit Prozesskostenhilfe-Beiakte) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG); der Wert des Beschwerdegegenstands beläuft sich auf 337 Euro zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer. Die Beschwerde ist auch fristgerecht eingelegt worden. Die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG ist ungeachtet der fehlenden Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Beschluss gewahrt.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf eine höhere Rechtsanwaltsvergütung. Der ihm zuerkannte Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse beruht auf § 45 Abs. 1,

§ 48 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. Nr. 3102 VV (Verfahrensgebühr), Nr. 3106 VV (Terminsgebühr), Nrn. 1006, 1000 VV (Einigungsgebühr). Unstreitig sind diese drei Gebühren angefallen. Streitig ist die Höhe der Gebühren.

Bei Betragsrahmengebühren gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG, um die es hier geht, ist im Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) jeweils ein Gebührenrahmen vorgesehen. § 14 RVG ist die Rechtsgrundlage für die Bestimmung der konkreten Gebühr im Einzelfall. Die Forderung des Beschwerdeführers, ihm stehe für die Verfahrensgebühr, die Terminsgebühr und die Einigungsgebühr jeweils die Höchstgebühr zu, ist nicht berechtigt. Die von der Kostenbeamtin vorgenommene und vom Sozialgericht Regensburg bestätigte Gebührenfestsetzung ist allenfalls zu großzügig, aber keinesfalls zu eng bemessen. Da von Seiten der Staatskasse keine Beschwerde eingelegt worden ist, kann die Kostenfestsetzung nicht zu Lasten des Beschwerdeführers abgeändert werden (Verbot der reformatio in peius; vgl. Müller-Rabe in Gerold/ Schmidt, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, § 56 Rn. 28; vgl. außerdem Meyer-Ladewig, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, vor § 143 Rn. 17).

Die Kritik des Beschwerdeführers an der Vorgehensweise der Kostenbeamtin und des erstinstanzlichen Gerichts bei der Bestimmung der Höhe der ihm zustehenden Gebühren ist nicht berechtigt. Die Gebühren sind korrekt in der vom Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorgegebenen Weise festgesetzt worden. Zentrale Bedeutung hat dabei § 14 RVG.

Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen (Satz 1). Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden (Satz 2). Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4). Gemäß § 14 Abs. 2 RVG hat das Gericht im Rechtsstreit ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist.

Ausgangspunkt für die Vergütungsfestsetzung bei Betragsrahmengebühren ist die Bestimmung der konkreten Gebühr durch den Rechtsanwalt. Das Leistungsbestimmungsrecht des Rechtsanwalts gehört in seiner Ausübung zum Entstehungstatbestand des Vergütungsanspruchs (BGH, Urteil vom 04.12.2008, IX ZR 219/07). Dies gilt auch, wenn der Rechtsanwalt einen Anspruch auf Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe geltend macht (a.A. Sächsisches LSG, Beschluss vom 31.03.2010, L 6 AS 99/10 B KO). Die Vorgehensweise des Sächsischen Landessozialgerichts, die konkrete Gebühr ohne Bestimmung durch den Rechtsanwalt und anhand einer von der Rechtsprechung entwickelten Tabelle, der sog. Chemnitzer Tabelle, zu ermitteln (Beschluss vom 31.03.2010, L 6 AS 99/10 B KO), ist nach Auffassung des Senats nicht mit der Systematik des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vereinbar. Das Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG entfällt lediglich dann, wenn die Vergütung nach Festbetragsgebühren erfolgt, wie dies in den Teilen 4 bis 6 VV RVG für gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwälte in Strafsachen, Bußgeldsachen und sonstigen Verfahren geregelt ist. In den hier relevanten Vorschriften der Teile 1 bis 3 VV RVG sind Festbetragsgebühren nicht vorgesehen, so dass die Gebührenfestsetzung nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 RVG zu erfolgen hat.

Der Gesetzgeber hat dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, um nach Möglichkeit Streit über die billige Gebühr zu vermeiden. Der Rechtsanwalt hat die Gebühr nach billigem Ermessen zu bestimmen und dabei die Kriterien des § 14 RVG zu berücksichtigen. Verbindlich ist die vom ihm vorgenommene Bestimmung der Gebühr nur, wenn sie tatsächlich billigem Ermessen entspricht. Der an sich zutreffende Einwand des Beschwerdeführers, dass die Staatskasse nicht Dritte(r) im Sinn des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG sei und deswegen die Billigkeitskontrolle nicht auf § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG gestützt werden könne (so auch Müller-Rabe in Gerold/ Schmidt, a.a.O. § 55 Rn. 29; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.08.2010, L 3 SF 6/09 E), ändert nichts daran, dass eine Billigkeitskontrolle stattfindet, und zwar auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 315 Abs. 3 BGB in entsprechender Anwendung (ebenso Müller-Rabe in Gerold/ Schmidt, a.a.O, § 55 Rn. 29). § 315 Abs. 3 BGB lautet: Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht (Satz 1). Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird (Satz 2). Die Billigkeitskontrolle des § 315 BGB hat als Schranke gegen den Missbrauch privatautonomer Gestaltungsmacht einen weiten Anwendungsbereich (vgl. Grüneberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Auflage 2011, § 315 Rn. 2). Aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung steht für den Senat die entsprechende Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB im Kontext mit § 14 RVG außer Frage.

Im Fall einer nicht verbindlichen, d.h. nicht der Billigkeit entsprechenden Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt, wird die Gebühr im Kostenfestsetzungsverfahren bestimmt. Der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, im Fall der Erinnerung das gemäß § 56 Abs. 1 RVG zuständige Gericht und im Fall der Beschwerde das Beschwerdegericht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sind befugt und verpflichtet, die vom Rechtsanwalt bestimmten Gebühren auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen und bei Feststellung der Unbilligkeit die Gebühr selbst festzusetzen.

Zu Unrecht wendet der Beschwerdeführer ein, dass nur aufgrund eines vom Gericht eingeholten Gutachtens des Vorstands der Rechtsanwaltskammer (§ 14 Abs. 2 RVG) von der vom Rechtsanwalt bestimmten Gebühr abgewichen werden dürfe. § 14 Abs. 2 RVG ist hier nicht anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, ist § 14 Abs. 2 RVG wie schon die Vorgängerregelung des § 12 Abs. 2 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) nur im Rechtsstreit zwischen Mandant und Rechtsanwalt anzuwenden (BSG, Urteil vom 21.12.2009, B 14 AS 83/08 R; Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R; Urteil vom 18.01.1990, 4 RA 40/89; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.08.2005, 6 C 13/04), nicht aber im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG. Selbstverständlich kann bei Bedarf eine Auskunft der Rechtsanwaltskammer angefordert werden, es gibt aber keine gesetzliche Vorgabe, dass bei Kostenfestsetzungen gemäß §§ 55, 56 RVG so verfahren werden muss (vgl. Mayer in Gerold/ Schmidt, a.a.O. § 14 Rn. 35).

Bei der Bestimmung der billigen Gebühr anhand der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG wird dem Rechtsanwalt zu Recht und im Einklang mit der Systematik des § 315 BGB ein gewisser Spielraum bzw. Toleranzrahmen zugestanden. In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat die vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr für noch verbindlich, wenn sie bis zu 20 % von der Gebühr abweicht, die der Kostenbeamte und gegebenenfalls das Gericht bzw. Beschwerdegericht für angemessen halten (vgl. BGH, Urteil vom 31.10.2006, VI ZR 261/05; BVerwG, Urteil vom 17.08.2005, 6 C 13/04; BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.08.2010, L 3 SF 6/09 E; LSG Thüringen, Beschluss vom 03.04.2009, L 6 B 261/08 SF; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.04.2007, L 7 B 36/07 AS; vgl. auch Mayer in Gerold/ Schmidt, a.a.O., § 14 Rn. 12 m.w.N; Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 14 RVG Rn. 24). Für "Normalfälle" bzw. "Durchschnittsfälle", in denen sich die

Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt, ist die Mittelgebühr, also die Mitte des Gebührenrahmens, zugrunde zu legen (vgl. Mayer in Gerold/ Schmidt, § 14 Rn. 10; Hartmann, a.a.O. § 14 RVG, Rn. 14; BSG vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R).

Die vom Beschwerdeführer vorgenommene Bestimmung der angefallenen Gebühren jeweils in Höhe der Höchstgebühr ist nicht verbindlich. Auch unter Berücksichtigung des Toleranzrahmens von 20 % entspricht diese Gebührenbestimmung nicht billigem Ermessen. Die Kostenbeamtin durfte und musste die Gebühr neu festsetzen, ohne an die Bestimmung durch den Beschwerdeführer gebunden zu sein.

Der Ansatz der Verfahrensgebühr in Höhe von 460 Euro (Höchstgebühr) entspricht nicht billigem Ermessen. Der Senat ordnet den Rechtsstreit S 9 R 832/07, in dem es um die Erhöhung der dem Kläger bereits zuerkannten Altersrente für schwerbehinderte Menschen ging, insgesamt lediglich als Durchschnittsfall ein. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind als durchschnittlich zu bewerten. Die Frage der Anrechnung von Beiträgen zur FZR ist eine normale Beitragsstreitigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung, die im Unterschied zu anderen Beitragsstreitigkeiten keine schwierigen Rechtsfragen aufwirft. Von einem eigenständigen "abgelegenen Rechtsgebiet", in das sich der Beschwerdeführer einarbeiten musste, kann keine Rede sein. Auch Inhalt und Umfang der im Klageverfahren gefertigten Schriftsätze lassen nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer rechtliche oder sonstige Schwierigkeiten bewältigt hätte. Soweit er sich auf eine besonders aufwändige Aufklärung des Sachverhalts beruft und dabei nicht ganz zu Unrecht auf die schlechte Lesbarkeit und Unübersichtlichkeit der Arbeitsausweise hinweist, kann der Senat nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer die Aufklärung des Sachverhalts tatsächlich vorangebracht hätte. Vielmehr hat sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch Ermittlungen bei den früheren Arbeitgebern bereit erklärt, woraufhin die Beteiligten einen das Verfahren beendenden Überprüfungsvergleich geschlossen haben. Zutreffend hat die Kostenbeamtin eine leicht überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger angenommen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Gegenstand des Verfahrens nicht die Rentengewährung dem Grunde nach war, sondern die Erhöhung der schon festgestellten Rente streitig war, wobei im angefochtenen Rentenbescheid Beiträge zur FZR schon in großem Umfang berücksichtigt waren. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des prozesskostenhilfeberechtigten Klägers sind unterdurchschnittlich. Das Haftungsrisiko ist von durchschnittlicher Art.

Der Ansatz der Terminsgebühr in Höhe von 380 Euro (Höchstgebühr) entspricht nicht billigem Ermessen. Hier ist ebenfalls von einem Durchschnittsfall auszugehen. Anhaltspunkte, die eine höhere Gebühr als die Mittelgebühr gerechtfertigt erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich. Die mündliche Verhandlung hat 40 Minuten gedauert und hat mit einem Vergleich geendet. Die Reisekosten des Beschwerdeführers sind bei der Bemessung der Terminsgebühr nicht berücksichtigungsfähig, zumal die Prozesskostenhilfe zu den Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalts bewilligt worden ist.

Schließlich entspricht auch der Ansatz der Einigungsgebühr in Höhe von 350 Euro (Höchstgebühr) nicht billigem Ermessen. Auch hier ist unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG ein Durchschnittsfall anzunehmen. Die Einigung der Beteiligten im Wege eines Überprüfungsvergleichs gibt keinen Anlass für eine andere Bewertung.

Diese Entscheidung trifft der Kostensenat des Bayer. Landessozialgerichts nach Übertragung der Rechtssache auf den Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).






Bayerisches LSG:
Beschluss v. 21.03.2011
Az: L 15 SF 204/09 B E


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