Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 30. März 2010
Aktenzeichen: 5 Sch 3/09

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 30.03.2010, Az.: 5 Sch 3/09)

1. Eine Zusammenrechnung des Aktienbesitzes mehrerer Aktionäre zur Erreichung des Quorums erfolgt nicht.

2. Das Fehlen eines ausreichenden Aktiennachweises ist unschädlich, wenn die Erreichung des Aktienquorums unstreitig wird.

3. Zur Rückwirkung der Freigaberegelung

Tenor

Es wird festgestellt, dass Mängel der am 15.7.2009 in das Handelsregister eingetragenen Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 8.5.2009 zu nachstehenden Gegenständen die Wirkung der Eintragung der Beschlüsse in das Handelsregister unberührt lassen:

a) zu Tagesordnungspunkt 6 über die Aufhebung des bisherigen genehmigten Kapitals I, die Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals I und eine entsprechende Satzungsänderung,

b) zu Tagesordnungspunkt 7 über die Aufhebung des bisherigen genehmigten Kapitals II, die Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals II und eine entsprechende Satzungsänderung.

Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin verlangt die Freigabe von zwei Hauptversammlungsbeschlüssen vom 8.5.2009 über die Aufhebung bisherigen und die Schaffung neuen genehmigten Kapitals nebst entsprechender Satzungsänderung, bezogen auf Kapitalerhöhungen mit und ohne Bezugsrechtsausschluss, über Nennbetragserhöhungen von zusammen 19.200.000 €. Das Grundkapital der Antragstellerin betrug 161.143.734,00 € und war in jeweils 80.571.867 Stammaktien und ebenso viele Vorzugsaktien ohne Stimmrecht eingeteilt. Die mit 99,17% der abgegebenen gültigen Stimmen gefassten entsprechenden Beschlüsse wurden am 15.7.2009 in das Handelsregister eingetragen.

Die Antragsgegnerin zu 1.) war in der Hauptversammlung mit 86.021 Aktien vertreten. Mit Schriftsatz vom 17.2.2010 trägt die Antragstellerin vor, die Antragsgegnerin zu 1.) besitze 22.727 Stammaktien. In der Hauptversammlung stellte der Antragsgegner zu 2.), der über 5 Aktien verfügt, eine Reihe von Fragen, und zwar zur Ausnutzung von genehmigtem Kapital in früheren Jahren die Fragen 6 bis 8, wie folgt:

6.) €Ich möchte bezüglich der Ausnutzung des genehmigten Kapitals in den Jahren 2005 bis 2008 wissen, welche Provisionen bezüglich der einzelnen Kapitalerhöhungen an welche Banken und Berater gezahlt wurden, und zwar unter Angabe der jeweiligen Höhe, gegebenenfalls auch Teilbeträge und unter Angabe des Datums der jeweiligen Überweisung.€

7.) €Ich möchte weiter wissen, welche Zahlungen (auch Teilzahlungen) auf das gezeichnete Kapital jeweils erfolgt sind unter Angabe des Namens des Zahlenden, Datum der Zahlung und Eingangskonto bei der Gesellschaft.€

8.) €Welche Unterlagen lagen dem Aufsichtsrat bei seiner Beschlussfassung über die Zustimmung zum genehmigten Kapital vor€€

Die Beantwortung der Frage 7 wurde von der Antragstellerin verweigert, zu den Fragen 6 und 8 wurden Antworten erteilt. Die Antragsgegner haben gegen die Beschlussfassungen zu TOP 6 und 7 beim Landgericht Frankfurt am Main am 2.6. 2009 und am 4.6.2009 Anfechtungsklagen eingereicht. Mit den Klagen ist die Fehlerhaftigkeit der vorgenannten Beschlüsse angegriffen worden, weil die Fragen zum genehmigten Kapital nicht oder nicht ausreichend beantwortet worden seien. Das Landgericht hat inzwischen der Anfechtungsklage der Antragsgegnerin zu 1.) stattgegeben, wogegen die Antragstellerin Berufung eingelegt hat. Die Anfechtungsklage des Antragsgegners zu 2.) ist abgewiesen worden.

Mit dem Freigabeantrag wird geltend gemacht, dass die Auskünfte auf die Fragen Nr. 6 und 8 erteilt seien und für Frage Nr. 7 kein Anspruch bestehe, sodass die Klagen insoweit offensichtlich unbegründet seien, wie auch der Antragsgegner zu 2.) das Quorum nicht erreiche. Die Interessen der Antragstellerin an der Möglichkeit der Ausnutzung genehmigten Kapitals seien vorrangig, auch wenn derzeit kein konkreter Bedarf bestehe.

Die Antragstellerin beantragt, festzustellen,

1. dass Mängel des am 15.7.2009 in das Handelsregister eingetragenen Beschlusses der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 8.5.2009 zu Tagesordnungspunkt 6 über die Aufhebung des bisherigen genehmigten Kapitals I, die Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals I und eine entsprechende Satzungsänderung die Wirkung der Eintragung dieses Beschlusses in das Handelsregister unberührt lassen,

2. dass Mängel des am 15.7.2009 in das Handelsregister eingetragenen Beschlusses der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 8.5.2009 zu Tagesordnungspunkt 7 über die Aufhebung des bisherigen genehmigten Kapitals II, die Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals II und eine entsprechende Satzungsänderung die Wirkung der Eintragung dieses Beschlusses in das Handelsregister unberührt lassen.

Die Antragsgegner beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin zu 1.) hat eingewandt, der Umgang der Antragstellerin mit den Fragen 6 bis 8 sei jedenfalls nicht offensichtlich rechtsmäßig. Es fehle auch ein vorrangiges Vollzugsinteresse, weil die Antragsstellerin die Anträge erst am 18.12.2009, also mehr als sieben Monate nach der Hauptversammlung, angebracht habe. Der Antragsgegner zu 2.) hat sich zur Sache nicht geäußert. Die Antragsschrift ist ihm gegen Zustellungsurkunde am 3.2.2010 zugestellt worden.

II.

Die Anträge auf Freigabe sind zulässig.

Die Zuständigkeit des erkennenden Senats als erstinstanzlichem Gericht folgt aus § 246a Abs.1 Satz 3 AktG idF. vom 1.9.2009. Die Anwendbarkeit des § 246a AktG auf die Europäische Gesellschaft (SE) folgt aus Art.9 Abs.1 c SE-VO und Art.10 SE-VO. Das SE-Ausführungsgesetz enthält keine Sonderregelung für die Europäische Gesellschaft. Die Neufassung des § 246a AktG ist zur Zuständigkeit heranzuziehen, ohne dass es € an dieser Stelle - auf eine Auslegung zu § 20 Abs.4 EGAktG ankommt. Neues Verfahrensrecht ist nach den Grundsätzen intertemporalen Zivilprozessrechts (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, Einl. Rz.104) immer jeweils unmittelbar anzuwenden (ständige BGH-Rechtsprechung: vgl. BGHZ 172, 136 Rz.25 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), wenn nicht eine Überleitungsvorschrift anderes regelt (so auch schon Senat 5 Sch 1/09 S.4, ebenso im Ergebnis OLG München ZIP 2010, 84, Rz.16 bei juris) oder abgeschlossene Prozesslagen und abgeschlossenen Prozesshandlungen betroffen sind (BGH wie vor; Zöller /Vollkommer, wie vor).

Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass die Satzungsänderung und die Ermächtigung des Vorstands zu den genehmigten Kapitalien I und II schon in das Handelsregister eingetragen worden sind, nämlich bereits am 15.7.2009. Allerdings ist die gesetzliche Schadensersatzfolge des § 246a Abs.4 Satz 1 AktG n.F. auf denjenigen Schaden bezogen, der dem Aktionär €aus einer auf dem Beschluss beruhenden Eintragung entstanden ist€.

Daraus folgt jedoch nicht, dass Schadensersatz nur möglich ist, wenn die im Wortlaut genannte Reihenfolge - erst Freigabe, dann Eintragung- eingehalten ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird die Möglichkeit der Freigabe nach bereits erfolgter Eintragung durchweg bejaht (vgl. OLG Celle ZIP 2008, 318; OLG Düsseldorf AG 2009, 538; OLG Köln vom 8.3.2007, 18 W 71/06 € zitiert nach juris). Dass das Rechtschutzinteresse wegen der bereits erfolgten Eintragung nicht entfallen ist, folgt auch aus den weitergehenden Wirkungen einer freigegebenen Eintragung, die sich nach § 246a Abs.3 Satz 5, Abs.4 Satz 2 AktG n.F. und aus § 242 Abs.2 Satz 5 AktG richten. Danach wird bei Freigabe ein Nichtigkeitsurteil nicht in das Handelsregister eingetragen und eine bereits erfolgte Eintragung kann nicht von Amts wegen gelöscht werden. Nach allgemeiner Auffassung tritt damit ein Bestandsschutz der Eintragungswirkungen ein (vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 246a Rz.5 m. zahlr. Nachweisen; Spindler/Dörr, AktG 2007, § 246a Rz.35; auch Regierungsentwurf zum UMAG BT-Drucksache 15/5092 S.28 linke Spalte). Dem folgt der Senat. Die im Wortlauf etwas zu kurz geratene Schadensersatzregelung des § 246a Abs.4 Satz 1 AktG wird nach dem Regelungssinn nötigenfalls erweiternd auszulegen sein.

Dass der gestellte Antrag nur auf die zweite Hälfte der Freigabewirkungen des § 246a Abs.1 Satz 1 AktG bezogen ist, also auf die Bestätigung der Mängelfestigkeit der Eintragung, ist unschädlich. Die Oberlandesgerichte Köln und Düsseldorf (wie oben) hatten in ihren Aussprüchen freilich noch jeweils die Überwindung der faktischen Registersperre nachträglich zum Ausdruck gebracht. Das ist nach bereits erfolgter Eintragung nicht mehr geboten.

Die Anträge sind nach § 246a Abs.2 AktG n.F. begründet.

§ 246a AktG ist auch hinsichtlich der Freigabevoraussetzungen in der seit dem 1.11.2009 gültigen Fassung anzuwenden. Die Überleitungsbestimmung des § 20 Abs.4 EGAktG regelt, dass die Neufassung nicht auf bereits laufende Freigabeverfahren anzuwenden sei. Nach der Regierungsbegründung soll damit sichergestellt werden, dass es in einem laufenden Verfahren nicht zu einem Wechsel der Maßstäbe komme (zitiert nach Wicke, Einführung in das Recht der Hauptversammlung, das Recht der Sacheinlagen und das Freigabeverfahren nach dem ARUG, 2009, S.482). Ob man für andere Verfahren eine Regelungslücke hinsichtlich der Überleitung darin sehen kann, die im Umkehrschluss geschlossen werden müsste, kann dahinstehen.

Ohnehin ist das novellierte Recht nämlich ab seinem Inkrafttreten anzuwenden, wie schon aus Art. 20 Abs.3 GG folgt.

Der Rechtsgedanke der Ausnahmevorschrift des Art.170 EGBGB betrifft nur Schuldverhältnisse (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, Einf. vor § 241 Rz.14 mwN.). Nach ihm ist für ein Schuldverhältnis das alte materielle Recht weiter anzuwenden, wenn unter ihm der gesamte Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses verwirklicht wurde. Das aktienrechtliche Anfechtungsrecht fällt hierunter nicht (vgl. auch OLG Hamm NZG 2005, 897), weil es keine schuldrechtliche Beziehung begründet und auch kein Gestaltungsrecht darstellt. Die Gestaltung nimmt das Gericht vor (§ 241 Nr.5 AktG), der Aktionär hat nur ein Antragsrecht, d.h. ein verfahrensbezogenes Recht.

Wie bereits ausgeführt, gilt auch im Verfahrensrecht nur für abgeschlossene Prozesslagen oder abgeschlossene Prozesshandlungen das alte Verfahrensrecht (Zöller/Vollkommer, wie oben, Einl. Rz. 104), wie das der BGH in der Entscheidung BGHZ 172, 136 für die aktienrechtliche Nebenintervention, deren Voraussetzungen geändert worden waren, angenommen hatte. Damit kommen die Freigabevoraussetzungen bereits unmittelbar zur Anwendung, auch wenn man sie als Verfahrensregelung ansehen wollte. Die Anfechtungsklagen der Antragsgegner wurden zwar unter dem früheren Recht zugestellt und damit Rechtshängigkeit der Anfechtungsklagen vor Inkrafttreten der Novelle begründet. In die Rechtshängigkeitswirkung wird indessen mit der Neuregelung nicht eingegriffen, sodass sie keine abgeschlossene Prozesshandlung abweichend regelt. Die Anfechtungsklagen können trotz Freigabe zu einer Nichtigerklärung per Urteil führen, wie es in § 242 Abs.2 AktG ausdrücklich geregelt ist. Die Freigabe betrifft damit - nur - das registerrechtliche Verfahren, das gerade noch nicht abgeschlossen ist, solange die Eintragung noch fehlt oder eine Amtslöschung erfolgen kann. Eine registerrechtliche Position haben die Antragsgegner nicht erlangt und diese wird ihnen auch nicht verfahrensrechtlich entzogen.

Wenn man überhaupt eine Rückwirkung annehmen wollte (verneinend von der Linden/Ogorek EWiR 2010,5), könnte diese ohnehin nur eine sogenannte unechte sein. Auch für eine unechte Rückwirkung muss eine Rechtsposition entwertet werden (vgl. BVerfGE 95, 64, 88; BVerfGE 101, 239, 263; übersichtlich bei Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 31. Aufl. 2005, S.108), die man hier vermissen könnte. Ob als Rechtsposition die Möglichkeit ausreicht, über eine Anfechtungsklage in die Unternehmensführung einzugreifen, kann dahin stehen. Geht man von einer unechten Rückwirkung aus, ist diese nämlich zulässig.

Grundsätzlich ist eine unechte Rückwirkung zulässig, es sei denn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Vertrauensschutz setzten Grenzen (BVerfGE, wie vor).

Die Regelungswirkung zu bereits rechtshängigen Anfechtungsklagen ist verhältnismäßig, wie auch anderes hier nicht eingewandt wird. Verhältnismäßigkeit verlangt die Eignung der Maßnahme für das Gesetzesziel und gebietet den geringst möglichen Eingriff, auch als Erforderlichkeit bezeichnet (BVerfGE 95, 64,88). Entsprechend dem Ziel der Neuregelung (vgl. Referentenentwurf, zitiert nach Wicke, S. 436) bezweckt die Erstreckung der Neuregelung auf bereits laufende Anfechtungsverfahren, auch dort schon eingetretene Blockaden durch Kleinaktionäre aufzuheben bzw. zu verhindern. Die gesetzliche Erstreckung der Quorenregelung auf die bereits laufenden Anfechtungsverfahren ist zur Aufhebung einer bereits bestehenden Blockade durch Kleinaktionäre - auf der Hand liegend - geeignet. Es ist nicht ersichtlich, welches mildere Mittel die Aufhebung bereits bestehender Blockaden sonst hätte bewirken können.

Vertrauensschutz zugunsten der Altregelung kommt nur in Betracht, soweit Vertrauen investiert wurde (Zippelius/Würtenberger, wie oben, S.108). Im Zeitpunkt der Investitionsmaßnahme, hier der kostenauslösenden Klageerhebung, darf dieses noch nicht zerstört sein. Eine Vertrauensgrundlage wird regelmäßig durch den Parlamentsbeschluss über die Neufassung zerstört, auch wenn das Gesetz erst später verkündet wird (vgl. BVerfGE 72, 200, 260; Zippelius/Würtenberger, S.108). Die Verabschiedung der Neuregelung durch den Bundestag erfolgte am 28.5.2009 (Tagesordnungspunkt 22 der Sitzung, vgl. auch Wicke, wie oben, S. 10). Der Bundesrat beschloss nur noch am 12.6.2009, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen (Wicke, S.10; auch BR-Drucksache 512/09). Beide Klagen wurden damit erst eingereicht, als das Gesetz bereits vom Bundestag bereits verabschiedet war. Ein mit Blick auf die bisherige Regelung betätigtes Vertrauen wäre ohnehin nicht schutzwürdig. Die Vertrauensgrundlage war ungeachtet der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag bereits entscheidend geschwächt, weil die Neuregelung von langer Hand angekündigt worden war. Der veröffentlichte Referentenentwurf stammt immerhin vom 6.5.2008. Ein dem Fortbestand der früheren Anfechtungslage entgegengebrachtes Vertrauen wäre auch deshalb nicht schutzwürdig, weil die Quorenregelung nur Ausdruck der auch unter dem bisherigen Recht bestehenden Nachteilsabwägung ist, wonach geringer Aktienbesitz zu einem Zurücktreten des Interesses an der Klärung der Anfechtbarkeit hinter dem Vollzugsinteresse der Gesellschaft führen kann.

Dass eine unechte Rückwirkung zur Freigabe zulässig ist, entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des 12. Senats des OLG Frankfurt am Main bei der Einführung des Freigabeverfahrens (12 W 185/05 € ZIP 2006, 370), der Ansicht des OLG Stuttgart (NZG 2010, 27) und einer früheren Entscheidung des erkennenden Senats (5 W 2/09).

Das Antragsrecht der Antragstellerin ist nicht verwirkt, weil weder das Zeitmoment noch das Umstandsmoment gegeben sind. So hat auch das OLG München das Zuwarten mit dem Freigabeantrag nur im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt (OLG München ZIP 2010, 84 € Rz. 28 bei juris).

Der Antrag ist gegenüber dem Antragsgegner zu 2.) begründet, schon weil er den Besitz an Aktien im Nennwert von 1.000 € nicht nachgewiesen hat (§ 246 Abs.2 Ziff. 1 und 2 AktG n.F.). Die Antragsschrift ist jedenfalls am 3.2.2010 gegen Zustellungsurkunde zugestellt worden. Ein Nachweis ist in der gesetzlichen Wochenfrist nicht geführt. Nach der unbestrittenen Darstellung der Antragstellerin verfügt der Antragsgegner zu 2.) nur über 5 Aktien (Bl. 10), also über einen Nennwert von 5,00 €.

Der Antraggegner zu 2.) kann sich auch nicht das Quorum der Antragsgegnerin zu 1.) zurechnen lassen. Denn im Rahmen des Freigabeverfahrens erfolgt keine Zusammenrechnung des Quorums, wie der Senat bereits in der Sache 5 Sch 2/09 entsprechend der allgemeinen Ansicht in der Fachliteratur entschieden hat (vgl. Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 824; Leuering NJW-Spezial 2009, 543; Simon in KK zum UmwG, 2009, § 16 Rz.104; Marsch-Barner in Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 16 Rz.41b; Regierungsbegründung zitiert nach Wicke, wie oben, S.442; offengelassen in OLG München ZIP 2010, 84 Rz. 23, 24; unerreichtes Quorum als Aussetzungsgrund: Stellungnahme Rechtsausschuss, zit. nach Wicke, S. 447).

Ein Freigabegrund wegen unerreichten Quorums (§ 246a Abs.2 Ziff.2 AktG) besteht gegenüber der Antragsgegnerin zu 1.) nicht, auch wenn sie den Nachweis des Quorums nicht in der Wochenfrist durch eine Urkunde erbracht hat.

Die in der Frist vorgelegte Bescheinigung der ...-Bank ist freilich nur als unbeglaubigte Kopie vorgelegt worden, die den Anforderungen der §§ 415, 416 ZPO nicht genügt hat und damit keine Urkunde darstellt. Unstreitig hält die Antragsgegnerin zu 1.) aber seit der Einberufung Aktien im Nennbetrag von mehr als 1.000 €. In der Hauptversammlung war sie mit 86.021 eigenen Aktien vertreten, an Stammaktien soll sie 22.727 Stück halten.

Bei Unstreitigkeit der Erreichung des Quorums ist der zunächst eingetretene Nachweismangel bedeutungslos, wie dies für eine Beweisaufnahme anerkannt ist, zu der die Beweistatsache später unstreitig wird. Die kurze Frist und der urkundliche Nachweis des Quorums dienen bei zutreffendem Verständnis nur der Verfahrensbeschleunigung und Klärung der Freigabevoraussetzungen. Materielle Freigabevoraussetzung bleibt das Nichterreichen des Quorums selbst. Für diese Deutung spricht die Gesetzesentstehung: In dem Referentenentwurf war die Vorlagefrist zunächst nicht enthalten. Sie wurde in den Regierungsentwurf eingefügt und damit begründet, dass es insoweit um den €Nachweis der Legitimation gehe€ (nach Wicke, wie oben, S.441). Darauf kommt es aber nicht mehr an, wenn der Aktienbesitz unstreitig ist. Dieses Verständnis entspricht dem des Urkundenverfahrens (§ 592 ZPO), für das auch anerkannt ist, dass unstreitige Tatsachen des Urkundennachweises nicht bedürfen (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 592 Rz.11). Diese Auslegung dürfte auch als verfassungskonform geboten sein, weil die strenge Auffassung unverhältnismäßig wäre. Zur Erreichung des Gesetzesziels, nämlich Störungen durch Kleinstaktionäre zu vermeiden, ist der qualifizierte Nachweis nicht geboten, sofern in dem von dem Verhandlungsgrundsatz beherrschten Verfahren die Erreichung des Quorums unstreitig ist.

Ob im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1.) ein Freigabegrund nach § 246a Abs.2 Ziff.1 AktG, d.h. wegen offensichtlicher Unbegründetheit gegeben ist, muss nicht entschieden werden, weil ihr gegenüber jedenfalls ein Freigabegrund nach § 246a Abs.2 Ziff.3 AktG vorliegt. Danach ist freizugeben, wenn das alsbaldige Wirksamwerden der Hauptversammlungsbeschlüsse bei Abwägung möglicher Nachteile für die Antragstellerin gegen solche für die Antragsgegnerin zu 1.) vorrangig erscheint und die Ausnahme eines besonders schweren Rechtsverstoßes nicht vorliegt.

Die Interessenabwägung ist eröffnet, weil die geltend gemachten Anfechtungsgründe keine besonders schweren Rechtsverstöße darstellen.

Solche sind nach der Regierungsbegründung Umstände, die den Verdacht auf eine Unredlichkeit nahelegen oder eine grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung sind (BT-Drucksache 16/11642 S.41; auch Senat 5 Sch 1/09 und 5 Sch 2/09 € jeweils nicht veröffentlicht). Dazu gehören die geltend gemachten Auskunftspflichtverletzungen nicht. Die Behauptung der Antragsgegnerin zu 1.) in der mündlichen Verhandlung, ihre Fragen hätten gerade zur Klärung gedient, ob alles redlich zugegangen sei, ist unerheblich. Es ergibt sich daraus nicht, weshalb der Verdacht einer Unredlichkeit nahe gelegen haben könnte.

In der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin zu 1.) keine beachtlichen Aufschubinteressen vorgetragen hat. Soweit sie geltend gemacht hat, es sei zu befürchten, dass bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital überhöhte Provisionen gezahlt werden könnten, handelt es sich um ein zu vernachlässigendes Interesse am Aufschub. Selbst wenn dies in gewissem Umfang einträte, würde sich der Wert der Anteile der Antragsgegnerin zu 1.) kaum messbar verändern. Zu einem Verwässerungsschaden ist nichts geltend gemacht. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Antragsgegnerin zu 1.) und dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden begründen € auf der Hand liegend € kein schützenswertes Aufschubinteresse, was auch nicht geltend gemacht wird.

Auf der anderen Seite steht das Unternehmensinteresse der Antragstellerin. Der BGH hat wiederholt betont, dass das Institut des genehmigten Kapitals €der Aktiengesellschaft die erforderliche Bewegungsfreiheit u.a. bei der Verbindung mit anderen Unternehmen geben soll, um die sich auf dem Kapitalmarkt bietenden Gelegenheiten rasch und flexibel ausnutzen zu können. Die Notwendigkeit, schnell und flexibel zu handeln, besteht in erhöhtem Maß im heutigen Wirtschaftleben.€ (BGH € Siemens/Nold € BGHZ 136, 133, 140). In der Entscheidung Mangusta I (BGHZ 164, 241 € Rz.12) ist erneut € fast wortgleich - die Aufgabe des genehmigten Kapitals als eines flexiblen Finanzierungsinstruments betont worden.

Es entspricht der Natur eines Vorratsbeschlusses, dass seine Wirkungen im Vorrat gehalten werden. Deshalb vermag, worauf der Senat schon früher hingewiesen hat (5 W 3/07 € AG 2007, 867), der Umstand, dass keine konkreter Finanzierungsbedarf geltend gemacht ist, die Interessen der Aktiengesellschaft an der Bereitstellung dieses Finanzierungsinstruments nicht entscheidend zu schmälern.

Das Vollzugsinteresse ist auch nicht ausreichend gewahrt mit der bereits erfolgten Eintragung, worauf die Antragstellerin unwidersprochen hingewiesen hat. Denn ohne die Mängelerklärung bliebe die Kapitalerhöhung rückabwicklungsgefährdet (vgl. etwa Hdb-Gesellschaftsrecht/Krieger, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz.144 ff.). Auf mögliche Bestätigungsbeschlüsse der nächsten Hauptversammlung ist die Antragstellerin nicht sinnvoll zu verweisen. Das Vollzugsinteresse der Antragstellerin ist mit Zeitablauf nicht geringer geworden, wie das OLG München am 4.11.2009 (BB 2010, 340) für die Freigabe eines Umwandlungsbeschluss aber gemeint hat. Es trifft zu, dass das Freigabeverfahren, das zeigen die Begrenzung des Instanzenzugs und die knappen Fristen, auf Beschleunigung angelegt ist. Es mag sich auch im Einzelfall, so bei der einstweiligen Verfügung anerkannt, als Zeugnis gegen sich selbst eignen, wenn mit einem Eilantrag zu lange gewartet wird, weil das Eilinteresse eines Antragstellers damit in Frage stehen kann. Hier verhält es sich aber anders: Dass die Antragstellerin für einige Zeit eine Beschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten hingenommen hat, besagt nicht, dass sie daran das Interesse verloren hat. Das Gegenteil liegt näher. Zuwarten wird den Druck erhöhen, gebotene Zukäufe oder Erweiterungen unter Ausnutzung des genehmigten Kapitals vorzunehmen.

Auch in einer Gesamtbetrachtung überwiegt das Vollzugsinteresse des Unternehmens € unzweifelhaft € ein Aufschubinteresse der Antragstellerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO. Der Streitwert für das Verfahren richtet sich nach § 247 Abs.1 AktG iVm. § 246a Abs.1 AktG. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats beläuft er sich je Beschlusspunkt bei der größeren Aktiengesellschaft auf 50.000 €, sodass der Gesamtwert hier 100.000,00 € beträgt.

Die nachgereichten Schriftsätze der Antragsgegner rechtfertigen keine andere Entscheidung.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 30.03.2010
Az: 5 Sch 3/09


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