Landesarbeitsgericht Hamm:
Urteil vom 27. Februar 2003
Aktenzeichen: 4 Sa 1108/02

(LAG Hamm: Urteil v. 27.02.2003, Az.: 4 Sa 1108/02)

Tenor

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm

auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2003

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Berscheid sowie

den ehrenamtlichen Richter Körtling und die ehrenamtliche Richterin Köhler

f ü r R e c h t e r k a n n t :

Die Berufung des Klägers gegen das Zweite Versäumnisurteil des Ar-beitsgerichts Paderborn vom 20.06.2002 - 3 [1] 1760/01 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die aufgrund entsprechender Beschwer statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers hat keinen Erfolg und führt deshalb zur Zurückweisung des Rechtsmittels.

Das Zweite Versäumnisurteil ist vom Arbeitsgericht ordnungsgemäß erlassen worden, da der Kläger schuldhaft im Einspruchstermin säumig gewesen ist und sich dabei das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß.

1. Erscheint der Einspruchsführer nicht in der zur mündlichen Verhandlung über den von ihm eingelegten Einspruch bestimmten Sitzung oder in derjenigen Sitzung, auf welche die Verhandlung vertagt ist, nicht oder verhandelt er im Einspruchstermin nicht, dann ist sein Einspruch auf Antrag des Prozeßgegners durch sog. Zweites Versäumnisurteil zu verwerfen (§ 345 ZPO). § 345 ZPO schafft für den Fall zweimaliger aufeinanderfolgender Säumnis derselben Partei Abhilfe und unterbindet die "Flucht in die Säumnis" durch die Möglichkeit des nicht mehr durch Einspruch und nur noch bedingt durch Rechtsmittel (§ 64 Abs. 2 Buchst. d ArbGG) anfechtbaren Zweiten Versäumnisurteils. Besonderheiten gegenüber dem zivilprozessualen Verfahren hinsichtlich der Voraussetzungen und den Erlaß eines zweiten Versäumnisurteils bestehen im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht. Das hat der Gesetzgeber durch die Verweisung auf § 345 ZPO in § 59 Satz 4 ArbGG nochmals klargestellt (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 59 ArbGG Rz. 43).

1.1. Wird ein Zweites Versäumnisurteil erlassen, so bedarf es zur Begründung der Berufung zwar grundsätzlich der vollständigen Darlegung (BGH, Urt. v. 27.09.1990 - VII ZR 135/90, MDR 1991, 328 = NJW 1991, 42 = ZIP 1990, 1628; siehe dazu auch Mennicke, MDR 1992, 221 ff.) der Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen sollen, es habe kein Fall der Versäumung vorgelegen (§ 64 Abs. 2 Buchst. d ArbGG). Anders als sonst ist hier die Schlüssigkeit des Sachvortrags bereits bei der Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels zu prüfen (BGH, Bes. v. 24.01.1985 - I ZR 113/84, VersR 1985, 542; BGH, Bes. v. 23.09.1987 - III ZB 15/87, BGHR § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO Säumnis Nr. 1). Diese Grundsätze gelten auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren (BAG, Urt. v. 08.04.1974 - 2 AZR 542/73, AP Nr. 5 zu § 513 ZPO = EzA § 513 ZPO Nr. 1; LAG Köln, Urt. v. 19.02.1993 - 13 Sa 1054/92, LAGE § 513 ZPO Nr. 7; LAG Köln, Urt. v. 29.10.1993 - 4 Sa 707/93, LAGE § 513 ZPO Nr. 8 = MDR 1994, 1046; LAG München, Urt. v. 25.11.1993 - 4 Sa 551/93, LAGE § 513 ZPO Nr. 9; LAG Köln, Urt. v. 16.02.1995 - 10 Sa 684/94, LAGE § 513 ZPO Nr. 12 = ARST 1995, 211), zumal mit Inkrafttreten des Zivilprozeßreformgesetzes vom 27.07.2001 (BGBl. I S. 1887) mit § 64 Abs. 2 Buchst. d ArbGG eine dem § 514 Abs. 2 ZPO n.F. entsprechende Vorschrift geschaffen worden ist. Der Prüfungsmaßstab ist in beiden Vorschriften gleich, die Berufung ist nunmehr auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren ohne streitwertmäßige Beschränkung statthaft.

1.2. Ist die Partei, die den Einspruch eingelegt hat, ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert, kann gegen sie kein Zweites Versäumnisurteil erlassen werden (BGH, Urt. v. 16.07.1998 - VII ZR 409/97, MDR 1998, 1251 = NJW 1998, 3125 = VersR 1999, 77). Die Verschuldensfrage ist nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (BGH, Urt. v. 22.04.1999 - IX ZR 364/98, MDR 1999, 1025 = NJW 1999, 2120). Anders als nach § 337 Satz 1 ZPO a.F. wird kein unabwendbarer Zufall verlangt, es reicht die übliche, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aus (BGH, Urt. v. 19.11.1998 - IX ZR 152/98, MDR 1999, 178 [E. Schneider] = NJW 1999, 724 = VersR 2000, 121, m.w.N.).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger vorliegend im Kammertermin vom 20.06.2001 vor dem Arbeitsgericht unentschuldbar säumig gewesen. Erscheint eine Partei im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht oder verhandelt sie nicht (§ 333 ZPO), so hat das Arbeitsgericht - wie beim Ersten Versäumnisurteil - vor Erlaß eines Zweiten Versäumnisurteils das Vorliegen der allgemeinen Prozeßvoraussetzungen festzustellen (Düwell/Lipke/Ziemann, § 59

ArbGG Rz. 12) und des weiteren zu prüfen, ob ein Fall der Säumnis überhaupt gegeben ist. Das ist der Fall (GK-ArbGG/Dörner, § 59 ArbGG Rz. 3; ähnl. Zöller/Herget, vor § 330 ZPO Rz. 2-6), wenn

der Termin zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß vor dem Prozeßgericht bestimmt worden ist (§ 216 Abs. 2 ZPO),

die nicht erschienene Partei ordnungsgemäß geladen worden ist (§ 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO),

die Ladungs- und ggf. Einlassungsfristen eingehalten sind,

die Partei bei Aufruf am richtigen Ort und zur rechten Zeit nicht erschienen ist oder nicht verhandelt,

kein Grund zur Zurückweisung des Antrages oder zur Vertagung von Amts wegen (§§ 335, 337 ZPO) vorliegt.

2.1. Ein Zweites Versäumnisurteil darf insbesondere dann nicht ergehen, wenn die Voraussetzungen des § 337 Satz 1 ZPO erfüllt sind. Das Arbeitsgericht hat nach dieser Vorschrift die Verhandlung über den Antrag auf Erlaß des Versäumnisurteils zu vertagen, wenn die vom Vorsitzenden bestimmte Einlassungs- oder Ladungsfrist zu kurz bemessen oder wenn die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist. Ein Dafürhalten, daß die Partei oder ihr Vertreter kein Verschulden an der Säumnis trägt (zweite Alternative), liegt zum einen dann vor, wenn die verhinderte Partei rechtzeitig vor Erlaß des Versäumnisurteils Mitteilung von dem Hinderungsgrund macht, kann zum anderen aber auch dann gegeben sein, wenn der Vorsitzende aus äußeren Umständen schließen kann, daß das Nichterscheinen auf einem entschuldbaren Versehen des Nichterschienenen beruht (GK-ArbGG/Dörner, § 59 ArbGG Rz. 22). Bei straßenverkehrsbedingter Säumnis ist anerkannt, daß dann kein Versäumnisurteil ergehen darf, wenn der Rechtsanwalt mit dem in seinem Fahrzeug mitgeführten "Handy" das Arbeitsgericht innerhalb der Wartefrist über den plötzlichen Eintritt der Verkehrsbehinderung und/oder von der - behobenen - Behinderung und seinem unverzüglichen Erscheinen benachrichtigt (BGH, Urt. v. 19.11.1998 - IX ZR 152/98, MDR 1999, 178 [Schneider] = NJW 1999, 724 = VersR 2000, 121). Wird dagegen nicht dem Arbeitsgericht, sondern nur dem Gegenanwalt mitgeteilt, daß der noch nicht erschienene Prozeßbevollmächtigte im Stau stecke, so muß der Nichterschienene damit rechnen, dass der Gegenanwalt die

Interessen seines Mandanten vor die kollegiale Rücksichtnahme stellt (KG Berlin, Urt. v. 13.10.1994 - 20 U 380/93, KGR Berlin 1995, 36). Auch eine Partei, die infolge der Autopanne den Termin versäumt, kann sich dann nicht auf einen "unabwendbaren Zufall" i.S.d. § 337 ZPO berufen, wenn sie eine noch vor dem Termin mögliche Benachrichtigung des Arbeitsgerichts von dem Hindernis unterlassen hat (BAG, Urt. v. 19.10.1971 - 1 AZR 98/71, MDR 1972, 360 = NJW 1972, 790; LAG Hamm, Urt. v. 24.04.1973 - 7 Sa 147/73, ARST 1975, 128; LAG Nürnberg, Urt. v. 22.10.1976 - 2 Sa 214/76, ARST 1977, 175; a.A. LG Berlin, Urt. v. 21.07.1994 - 67 S 179/94, MDR 1995, 1067, das die Mitteilung des Entschuldigungsgrundes nicht für notwendig hält).

2.2. Auf das "Mißgeschick" des Prozeßbevollmächtigten des Klägers übertragen heißt das, daß eine fernmündliche Benachrichtigung des Arbeitsgerichts durch die Anwaltskanzlei von der Verspätung die Mitteilung des Entschuldigungsgrundes darstellen könnte, wenn sie innerhalb der Wartefrist erfolgt wäre. Die Rechenkünste bei der Feststellung der Uhrzeit des Telefonanrufs sind zwar lesenswert, jedoch steht der von den Mitgliedern der 3. Kammer des Arbeitsgerichts Paderborn unterzeichnete Vermerk, daß die Benachrichtigung über den Anruf der Anwaltskanzlei erst gegen "Viertel vor Zwölf nach Verkündung des VU" vorgelegt worden sei, dagegen und belegt die Säumnis. Das Zeitrisiko zwischen Anruf bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts und Übermittlung des Aktenvermerks in den Sitzungssaal muß die säumige Partei tragen. Es ist ein nach § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zurechenbarer Organisationsmangel, wenn der Rechtsanwalt nicht dafür Sorge trägt, daß er am Terminstag rechtzeitig und nicht erst zur Terminsstunde darauf hingewiesen wird, zu Gericht zu fahren. Keine schuldlose Säumnis kann sich aus standesrechtlichen Grundsätzen des § 13 BORA ergeben, denn das Standesrecht der Anwaltschaft kann nicht die Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung beeinflussen, so daß gegen die nichtvertretene Partei auch gegen die standesrechtliche Übung auf Antrag Versäumnisurteil ergehen muß (BVerfG, Bes. v. 14.12.1999 - 1 BvR 1327/98, BB 2000, 12 [Römermann] = MDR 2000, 175 [Zuck] = NJW 2000, 347 = VersR 2000, 520; KG Berlin, Urt. v. 13.10.1994 - 20 U 380/93, KGR Berlin 1995, 36; OLG Brandenburg, Urt. v. 17.12.1997 - 1 U 26/97, OLGR Brandenburg 1998, 324 = NJW-RR 1998, 1678; a.A. insoweit LG Bonn, Bes. v. 29.10.1990 - 6 S 137/90, JurBüro 1991, 588), so daß es auf die insoweit erhobenen Rügen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers, denen die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten entgegengetreten ist, überhaupt nicht ankommt.

3. Nach alledem hat die Berufung des Klägers ohne Erfolg bleiben müssen.

3.1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

3.2. Der Wert des Streitgegenstandes war nach § 25 Abs. 1 GKG, § 9 BRAGO i.V.m. §§ 3 ff ZPO auf den Schätzwert der streitigen Provisionsforderung festzusetzen. Der Streitwertbeschluß hat mit der Urteilsformel verbunden werden können.

3.3. Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 1 ArbGG ist bei der vorliegenden Einzelfallgestaltung nicht ersichtlich, denn die von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen sind bereits sämtlich beantwortet bzw. konnten dahingestellt bleiben. Die Nichtzulassung der Revision war in den Urteilstenor aufzunehmen, da die Parteien bereits nach Verkündung des Urteils wissen müssen, ob der zwischen ihnen bestehende Konflikt entschieden ist oder nicht (§ 72 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 64 Abs. 3a ArbGG).

gez.:

/Woi.






LAG Hamm:
Urteil v. 27.02.2003
Az: 4 Sa 1108/02


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