Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 18. Oktober 2004
Aktenzeichen: AnwZ (B) 69/03

(BGH: Beschluss v. 18.10.2004, Az.: AnwZ (B) 69/03)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wurde -nach Verzicht auf die Rechte aus der Zulassung bei dem Amtsgericht G. , dem Landgericht E. und dem Oberlandesgericht J. -durch Urkunde vom 13. Juni 2002 als Rechtsanwalt bei den Amtsgerichten B. und D. zugelassen. Er erklärte, seine Kanzleiunter der Anschrift "W. 17, Sch. " einrichtenzu wollen.

Mit Verfügung vom 14. Oktober 2002 hat die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 6, §§ 27, 35 Abs. 1 Nr. 2 und 5 BRAO widerrufen, weil er innerhalb von drei Monaten nach Aushändigung der Zulassungsurkunde keine Kanzlei eingerichtet habe. Zu den von ihm auf seinem Briefbogen angegebenen Zeiten sei er telefonisch nicht erreichbar gewesen. Der Widerruf der Zulassung bei den Gerichten im Bezirk der Rechtsanwaltskammer T. habe ihm nicht zugestellt werden können. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO); es hat jedoch keinen Erfolg.

1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 6 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn die Zulassung des Rechtsanwalts bei einem Gericht aufgrund des § 35 Abs. 1 BRAO widerrufen wird. Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 2 BRAO kann die Zulassung bei einem Gericht widerrufen werden, wenn der Rechtsanwalt nicht binnen drei Monaten seit seiner Zulassung bei einem Gericht seiner Pflicht nachkommt, an dem nach § 27 BRAO bestimmten Ort seine Kanzlei einzurichten.

Der Rechtsanwalt muß, um der Kanzleipflicht zu genügen, einen oder mehrere Räume haben, in denen er gewöhnlich seinen Berufsgeschäften nachgeht und zu den üblichen Geschäftszeiten normalerweise zu erreichen ist. In diesem Raum/diesen Räumen muß der Rechtsanwalt zu angemessenen Zeiten dem rechtsuchenden Publikum seine anwaltlichen Dienste bereitstellen (BGH, Beschl. v. 13. September 1993 -AnwZ (B) 33/93, n.v.). Es muß eine eindeutig definierte Stelle geben, an die alle für den Rechtsanwalt bestimmten Zustellungen, Mitteilungen und sonstigen Nachrichten wirksam gerichtet werden können. Ist es Behörden und Gerichten nicht möglich, für den Rechtsanwalt bestimmte Zustellungen unter seiner Adresse zu bewirken, kann von einer eingerichteten Kanzlei keine Rede sein.

2. Im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung hatte der Antragsteller keine Kanzlei eingerichtet.

a) Schon mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 18. September 2002 wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, daß er unter der für die Kanzlei angegebenen Telefonnummer nicht erreicht werden könne. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin hat ihr Geschäftsführer auch am 8. Oktober 2002 um 10.30 Uhr vergeblich versucht, mit dem Antragsteller telefonisch in Verbindung zu treten. Es war nur die automatische Ansage zu hören: "Kein Anschluß unter dieser Nummer". Dies wiederholte sich tags darauf.

Dem hat der Antragsteller lediglich entgegengehalten, daß die Telefonanlage seinerzeit defekt gewesen sei. Inzwischen sei der Defekt behoben. Der im Juli 2002 bestellte Anrufbeantworter habe erst am 17. September 2002 installiert werden können. Er sei zunächst ebenfalls fehlerhaft geschaltet gewesen. Dies habe der Antragsteller erst am 3. Oktober 2002 bemerkt. Im Hinblick auf die neueren Erkenntnisse (dazu unten 3 b) erscheint dies nicht glaubhaft.

b) Nach Auskunft der Rechtsanwaltskammer des Landes T. vom 10. Oktober 2002 konnte der Widerruf der bisherigen Zulassung bei den dortigen Gerichten dem Antragsteller unter der von ihm angegebenen neuen Kanzleianschrift nicht zugestellt werden. Die Sendungen kamen mit dem Vermerk zurück: "Empfänger unbekannt verzogen".

3. Es muß davon ausgegangen werden, daß der Antragsteller bis heute keine Kanzlei eingerichtet hat.

a) Die Antragsgegnerin hat nach ihren Angaben eine Ortsbesichtigung vorgenommen. Dabei habe sie festgestellt, daß es sich bei der angeblichen Kanzleiadresse um ein einzelstehenden Haus handele, das einen verlassenen Eindruck mache. Man müsse erst ganz um das Haus herumgehen, bis man ein Kanzleischild entdecke. Darauf stehe: "Rechtsanwalt, Sprechstunden Dienstag 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr".

Falls dies zu bedeuten hätte, daß der Antragsteller seine anwaltlichen Dienste dem rechtsuchenden Publikum nur zu der angegebenen Zeit anbietet, könnte dies schwerlich als angemessen angesehen werden.

b) Nach den Angaben der Antragsgegnerin, denen der Antragsteller nicht entgegengetreten ist, hat diese am 18., 19., 20., 23., 24., 25. und 26. Februar 2004 -meistens mehrfach täglich zu unterschiedlichen Tageszeiten -versucht, zu dem Antragsteller telefonischen Kontakt aufzunehmen. An den beiden ersten Tagen war noch eine Bandansage geschaltet, später nicht mehr. Im Ergebnis war nie jemand zu erreichen.

Nicht bestritten hat der Antragsteller ferner folgenden Vortrag der Antragsgegnerin: Sie habe im Hinblick auf die angeblichen Sprechstunden laut Kanzleischild am 2. März 2004 um 10.05 Uhr, 10.51 Uhr, 11.20 Uhr und 11.55 Uhr nochmals versucht, in der Kanzlei jemanden zu erreichen. Auch an diesem Tage sei das Telefon jedoch nicht besetzt gewesen.

c) Die postalische Erreichbarkeit des Antragstellers ist nach wie vor nicht gewährleistet.

aa) Zwar hat der Antragsteller durch Vorlage von Original-Zustellungsurkunden nachgewiesen, daß am 13. Februar, 15. Juli und 15. August 2003 unter der Kanzleiadresse Zustellungen erfolgt sind.

bb) Andererseits konnte die Ausfertigung des Protokolls der Sitzung vom 21. Juni 2002 zum Aktenzeichen /01 AGH NRW dem Antragsteller am 30. und 31. Dezember 2002 nicht zugestellt werden. Der Vermerk auf der Postzustellungsurkunde lautet:

"Nicht angetroffen 30.12.02 Nicht angetroffen 31.12.02 Empf. ist Postfachinhaber Kein Briefkasten Datum: 31.12.02"

Im vorliegenden Verfahren konnte die Ladung zum Termin am 16. Mai 2003 dem Antragsteller nicht zugestellt werden. Auf der Postzustellungsurkunde hat der Postbedienstete vermerkt:

"Empf. Postfachinhaber. Grundstück verschlossen. Kein Zugang zum Haus möglich. Datum: 05.04.2003"

Das Amtsgericht H. teilte unter dem 7. Mai 2003 der Antragsgegnerin mit, in einem gegen den Antragsgegner gerichteten Ordnungswidrigkeitenverfahren sei eine Zustellung unter der Kanzleianschrift des Antragstellers nicht möglich gewesen.

Mit Schreiben vom 15. Mai 2003 übermittelte das Amtsgericht H. eine Auskunft des Postamts Sch. , wonach eine Zustellung an den Antragsteller auch nicht durch Niederlegung erfolgen konnte, weil "weder ein Briefkasten (Kunde vor kurzem angebaut) noch eine ähnliche Vorrichtung vorhanden ist. Außerdem ist das Grundstück nicht zugänglich (Tor immer verschlossen)".

Nach nicht bestrittenen Angaben der Antragsgegnerin ist am 10. März 2004 die Zustellung eines Bescheids vom 5. März 2004 an den Antragsteller gescheitert. Als Grund für die Nichtzustellung gab der Postbedienstete an: "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln".

d) Am 19. Februar 2004 hat der Antragsteller die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Dabei hat er auf die Frage nach dem Geschäftszweig seines Erwerbsgeschäfts angegeben: "Rechtsanwaltsbüro, zur Zeit jedoch nicht betrieben".

e) Mit einem am 9. Oktober 2004 beim Senat eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsteller mitgeteilt, er werde aus persönlichen Gründen seine Kanzlei nunmehr in Sch. , M. 2, einrichten. Dort würden alle Voraussetzungen, die von der Gegenseite in den bisherigen Räumen "zu Unrecht" vermißt worden seien, gegeben sein. Diese Ankündigung kann allenfalls -sobald der Antragsteller sie in die Tat umgesetzt hat -Anlaß geben, einen Antrag auf Neuzulassung zu stellen.

4. Vergeblich rügt der Antragsteller mit seiner Beschwerde, die Antragsgegnerin habe die rechtlich gebotene Anhörung vor dem Ausspruch des Widerrufs unterlassen, weil das die Aufforderung zur Stellungnahme mit Fristsetzung bis zum 1. Oktober 2002 enthaltende Schreiben der Antragsgegnerin vom 18. September 2002 ihn erst am 2. Oktober 2002 erreicht (in seinem Schreiben vom 5. Oktober 2002 an die Antragsgegnerin hat er den 1. Oktober als Zustellungsdatum angegeben) habe. Die Widerrufsverfügung ist erst am 14. Oktober 2002 verfaßt und am 16. Oktober 2002 versandt worden. Damit hatte der Antragsteller trotz Fristablaufs die Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, und er hat diese auch mit seinem Schreiben vom 5. Oktober 2002 genutzt. Im übrigen könnte der Vortrag des Antragstellers einmal mehr die Schwierigkeiten belegen, an ihn zeitnahe Zustellungen zu bewirken.

5. Dem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Rechtsstreite K. ./. S. (OLG B. U /03) und S. ./. M. als Konkursverwalter (OLG H. U /03) sowie auf Beiziehung der betreffenden Verfahrensakten und der Personalakten der Antragsgegnerin war nicht stattzugeben. Der Antragsteller hat nicht dargetan, daß die angegebenen Verfahren für die im vorliegenden Fall zu treffende Entscheidung vorgreiflich sind; ebensowenig ersichtlich ist, welche neuen, entscheidungserheblichen Erkenntnisse aus der Beiziehung der dortigen Akten zu erwarten sind.

Entsprechendes gilt hinsichtlich des Antrags, die Akten der Rechtsanwaltskammer O. (RAEZ 204/99), der Rechtsanwaltskammer T. , der Staatsanwaltschaft O. ( Js STA /00) sowie der Rechtsanwaltskammer H. ( ZU /01) beizuziehen. Daß sich der Antragsteller in früheren Verfahren erfolgreich gegen die Entziehung der Anwaltszulassung gewehrt hat, ist für den vorliegenden Fall ebensowenig erheblich wie das Scheitern von Umzulassungen wegen der gegen den Antragsteller "eingeleiteten Maßnahmen".

6. Dem Antrag auf Terminsverlegung, weil sich der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers im Erholungsurlaub befinde, war nicht stattzugeben. Die beauftragte Sozietät umfaßt zwanzig Mitglieder. Daß der bisherige Sachbearbeiter als "Anwalt der Familie S. " anzusehen sei, rechtfertigte nicht die Annahme, es sei keinem Kollegen -und auch dem Antragsteller nicht -zuzumuten, sich in den einfach gelagerten Sachverhalt einzuarbeiten. Im übrigen wird auf den Inhalt des Senatsbeschlusses vom 18. Oktober 2004 (dort 2. a der Gründe) Bezug genommen.

Der Bitte des Antragstellers, vor der mündlichen Verhandlung auf jeden Fall über seinen Prozeßkostenhilfeantrag zu entscheiden, ist der Senat nachgekommen. Darauf, daß die Sache hernach vertagt wird, hatte der Antragsteller keinen Anspruch. Eine frühere Entscheidung über das Prozeßkostenhilfegesuch war nicht möglich, weil der Antragsteller mit Schriftsatz vom 16. September 2004 darum nachgesucht hatte, erst nach Vorliegen eines weiteren -bisher nicht eingegangenen -Schriftsatzes darüber zu befinden.

III.

Nach alledem hat die Antragsgegnerin in fehlerfreier Ausübung ihres Ermessens die Zulassung des Antragstellers bei den Amtsgerichten B. und D. widerrufen (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 BRAO), so daß auch der Widerruf nach § 14 Abs. 2 Nr. 6 BRAO berechtigt war.

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BGH:
Beschluss v. 18.10.2004
Az: AnwZ (B) 69/03


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