Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. August 2002
Aktenzeichen: 24 W (pat) 66/02

(BPatG: Beschluss v. 13.08.2002, Az.: 24 W (pat) 66/02)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. Februar 2002 aufgehoben.

Der Antragstellerin ist Einsicht in die Akten der Markenanmeldung 301 49 593.9/42 beim Deutschen Patent- und Markenamt zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

G r ü n d e I Die Antragstellerin begehrt Einsicht in die Akten der Markenanmeldung 301 49 593.9/42 "Sächsischer Gesundheitslotse", die Dienstleistungen der Klasse 42 betrifft. Zur Begründung ihres Antrags hat sie vor der Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts vorgetragen, sie sei Inhaberin der Marke 398 50 838 "Gesundheitslotse", die ebenfalls für Dienstleistungen der Klasse 42 Schutz genieße. Zur Beurteilung einer etwaigen Kollision sei es erforderlich, Auskunft zu erhalten, für welche Dienstleistungen die Anmeldung getätigt worden sei. Die Anmelderin, die die angemeldete Kennzeichnung bereits im geschäftlichen Verkehr und in ihrer Internetadresse benutze, sei von der Antragstellerin bereits aufgrund ihrer Marke abgemahnt worden.

Die Anmelderin und Antragsgegnerin hat dem Antrag auf Akteneinsicht widersprochen. Die von der Antragstellerin aufgezeigte Möglichkeit eines relativen Eintragungshindernisses rechtfertige nicht die Akteneinsicht bereits vor der Eintragung, weil der hier zur Verfügung stehende Rechtsbehelf des Widerspruchs erst nach erfolgter Eintragung der Marke zulässig sei.

Die Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patentamts hat den Akteneinsichtsantrag mit Beschluß vom 22. Februar 2002 durch einen Beamten des höheren Dienstes zurückgewiesen. Ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Anmelderin habe in der Phase des Eintragungsverfahrens grundsätzlich Anspruch auf Vertraulichkeit des Akteninhaltes. Deshalb müsse das geltendgemachte Interesse an der Akteneinsicht das Interesse der Anmelderin überwiegen. Dies sei hier nicht der Fall, weil eine noch vor Eintragung zu gewährende Akteneinsicht zwecks Beurteilung möglicher Kollisionen die Vorschrift des § 62 Abs. 1 MarkenG weitgehend obsolet machen würde. Im übrigen zeigten die Regelungen des § 42 Abs. 1 MarkenG und § 62 Abs. 2 MarkenG, daß der Gesetzgeber den Inhabern möglicherweise kollidierender Marken das Warten auf eine Eintragungsveröffentlichung und die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Widerspruchs innerhalb eines begrenzten Zeitraums zumute. Außerdem liege in der Anmeldung der Marken noch keine Verletzung von Rechten der Inhaberin der älteren Marke. Es sei auch nichts hinsichtlich Rechtsverletzungen in wettbewerbsrechtlicher, vertragsrechtlicher oder sonstiger Hinsicht vorgetragen worden. Die Abmahnung der Anmelderin durch die Antragstellerin begründe kein berechtigtes Interesse, weil hier nicht die Anmelderin den Geheimhaltungsbereich ihrer Marken verlassen habe.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Zur Begründung trägt sie vor, ein berechtigtes Interesse sei gegeben, weil die Kenntnis der Akte für das künftige Verhalten der Antragstellerin bestimmend sein könne. Dies sei hier der Fall. So habe die Anmelderin auf die auf die Marke 398 50 838 gestützte Abmahnung durch die Antragstellerin dem Begriff "Gesundheitslotse" eine ein Unternehmen identifizierende Bedeutung abgesprochen. Außerdem werde die Bezeichnung "Gesundheitslotse" von der Anmelderin bereits im geschäftlichen Verkehr als Teil einer Internetadresse benutzt. Die Hinzufügung der geografischen Angabe "Sächsischer" sei rechtlich unerheblich. Für das weitere Verhalten der Antragstellerin sei es wichtig, ob die Marke für bestimmte Dienstleistungen, die im geschäftlichen Verkehr erbracht werden sollten, angemeldet sei und ob der Eintragung Schutzversagungsgründe entgegenstünden.

Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und anzuordnen, der Antragstellerin Einsicht in die Akten der Markenanmeldung 301 49 593.9/42 beim Deutschen Patent- und Markenamt zu gewähren.

Die Anmelderin hat sich im Verfahren vor dem Bundespatentgericht weder geäußert noch Anträge gestellt.

II Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, daß sie ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Akten der Markenanmeldung 301 49 593.9/42 hat (§ 62 Abs. 1 MarkenG).

Ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Kenntnis der Akten für das künftige Verhalten des Antragstellers bei der Wahrung und Verteidigung von Rechten bestimmend sein kann. Hierfür genügt auch ein tatsächliches, insbesondere ein wirtschaftliches Interesse (vgl. Althammer/Ströbele, Markengesetz, 6. Aufl. § 62 Rn 4).

Ein solches berechtigtes Interesse liegt hier vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein berechtigtes Interesse für eine der Vorbereitung eines Widerspruchs dienende Akteneinsicht gegeben wäre. Entscheidend ist, daß bereits die Anmeldung von Marken eine Erstbegehungsgefahr der Verletzung der Marke der Antragstellerin begründen und Grundlage für eine vorbeugende Unterlassungsklage sein kann (vgl. Althammer/Klaka, Markengesetz, 6. Aufl., § 14 Rdnr. 108 mit Nachweisen; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 1998, § 14 Rn 26; OLG Köln WRP 1997, 872 "Spring/Swing"). Dies muß vor allem dann gelten, wenn wie im vorliegenden Fall die Kennzeichnung " Gesundheitslotse-Sachsen" bereits als Teil einer Internetadresse verwendet wird und eine Abmahnung durch die Antragstellerin zu keinem Ergebnis geführt hat. Hinzu kommt, daß der Marke der Antragstellerin (und damit auch der angemeldeten Marke) von der Anmelderin in der Entgegnung auf die Abmahnung nur ein ganz minimaler Schutzumfang zugestanden wird. Hierbei könnten sich aus der Akte der angemeldeten Marke wesentliche Erkenntnisse für die Frage ergeben, ob der Schutzgewährung für die angemeldete und schon im Verkehr als Teil einer Internetadresse verwendeten Bezeichnung Gründe entgegenstehen könnten. Auch würden solche Bedenken gegen die Schutzfähigkeit Rückschlüsse hinsichtlich des Schutzumfangs der eingetragenen Marke der Antragstellerin und auf die Aussichten eines weiteren Vorgehens gegen die Anmelderin zulassen. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, daß die Marke der Antragstellerin nur aus dem Wort "Gesundheitslotse" besteht, während die angemeldete Marke zusätzlich das Wort "Sächsischer" enthält, denn dieser Umstand schließt weder ersichtlich die Gefahr von Verwechslungen aus noch liegt es nahe, daß das Hinzufügen einer möglichen geografischen Herkunftsangabe zu einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Schutzfähigkeit führen müßte.

Aus allen diesen Gründen kann für das künftige Verhalten bei der Geltendmachung der Rechte aus einer Marke und bei der Abschätzung der Gefahr von Markenverletzungen der Inhalt der Anmeldeakte von Bedeutung sein.

Dagegen kann nicht eingewendet werden, daß die Regelung für die Widerspruchsfrist dem Inhaber eines älteren Rechts das Warten auf eine Eintragungsveröffentlichung und die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Widerspruchs innerhalb eines begrenzten Zeitraums zumute. Vielmehr ist - wie oben erwähnt - ein Vorgehen wegen drohender Markenverletzung (Begehungsgefahr) bereits gegen eine Anmeldung möglich. Außerdem hat im vorliegenden Fall sich die Anmelderin durch die Verwendung der angemeldeten Kennzeichnung im geschäftlichen Verkehr aus dem geschützten Bereich einer bloßen Anmeldung entfernt, so daß bereits ein Konfliktfall zwischen der Antragstellerin und Inhaberin der älteren Marke "Gesundheitslotse" und der Anmelderin besteht.

Diese Umstände reichen aus, um im Rahmen einer Abwägung das Geheimhaltungsinteresse der Anmelderin gegenüber dem Informationsinteresse der Antragstellerin zurücktreten zu lassen, wobei nicht verkannt werden darf, daß es grundsätzlich nicht auf den Erkenntniswert der Akten oder darauf ankommt, ob das Interesse des Antragstellers auch auf andere Weise befriedigt werden könnte.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Anmelderin, denn bei Akteneinsichtsverfahren entspricht es regelmäßig der Billigkeit (§ 71 Abs. 1 MarkenG), daß der Unterlegene die Verfahrenskosten trägt (vgl. Althammer/Ströbele, Markengesetz, 6. Aufl., § 71 Rn 24 mwN).

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Az: 24 W (pat) 66/02


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