Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Februar 2003
Aktenzeichen: 30 W (pat) 151/02

(BPatG: Beschluss v. 03.02.2003, Az.: 30 W (pat) 151/02)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Markesiehe Abb. 1 am Endeist am 23. Mai 2000 unter der Nummer 300 13 444 für "Pharmazeutische Erzeugnisse; Medizinprodukte, soweit in Klasse 5 enthalten" in das Markenregister eingetragen worden. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 21. Juni 2000.

Widerspruch erhoben hat am 14. August 2000 die Inhaberin der Marke 395 15 548 cellcristin, die seit dem 7. März 1996 für "Pharmazeutische Erzeugnisse, Arzneimittel, Immunologika und Immuntherapeutika, alle vorgenannten Waren für die Krebsbehandlung" eingetragen ist.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen. Ein Auseinanderhalten der Marken sei wegen der Unterschiede in den Wortanfängen in jeder Hinsicht gewährleistet, zumal der gemeinsame Bestandteil "-cristin" auf den INN "Vincristin" hinweise und auch von daher den Wortanfängen größere Bedeutung zukomme, als den Wortendungen. Auch begriffliche Übereinstimmung sei nicht ersichtlich. Ebenso fehle es an Anhaltspunkten für die mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der Serienmarke.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Mit näheren Ausführungen hält sie insbesondere begriffliche Verwechslungsgefahr für gegeben, weil "Onko" begrifflich "cell" entspreche.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluß der Markenstelle aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Vorsorglich regt sie an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und der Widersprechenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig in der Sache aber nicht begründet. Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG. Der Widerspruch ist deshalb von der Markenstelle gemäß §§ 42 Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zu Recht zurückgewiesen worden.

Ob Verwechslungsgefahr besteht, hängt nach § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG ab von der Identität oder Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken einerseits und andererseits von der Identität oder Ähnlichkeit der von den beiden Marken erfaßten Waren. Darüber hinaus sind auch alle weiteren Umstände zu berücksichtigen, die sich auf die Verwechslungsgefahr auswirken können, insbesondere die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, wobei die verschiedenen für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr heranzuziehenden Faktoren in einer Wechselwirkung stehen (st Rspr vgl BGH GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN; GRUR 2000, 506, 508 - ATTACHÉ/TISSERAND jew mwN). Dies impliziert einen im Einzelfall auszufüllenden Wertungsspielraum, so daß auch bei Ähnlichkeit der Waren einerseits und einer gewissen Zeichenähnlichkeit andererseits nicht zwingend auf das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr geschlossen werden kann (vgl BGH GRUR 2000, 608, 610 - ARD-1). Nach § 9 Abs 1 Nr 2, 2. Halbsatz MarkenG schließt der Begriff der Verwechslungsgefahr die Gefahr ein, daß die Vergleichsmarken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden können.

Ausgehend von der Registerlage können die Marken zur Kennzeichnung gleicher Waren verwendet werden. Zu Gunsten der Widersprechenden geht der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus und läßt es hier dahingestellt sein, ob im Zusammenhang mit den Waren der Widerspruchsmarke die Bestandteile "cell" als Hinweis auf die "Zelle" und "cristin" als Hinweis auf den Wirkstoff "Vincristin" (INN-Bezeichnung) für sich genommen wenig kennzeichnungskräftig sind und auch für die Gesamtbezeichnung zu eine Kennzeichnungsschwäche führen. Denn auch bei Anlegung strenger Maßstäbe ist ein zur Vermeidung von Verwechslungen ausreichender Markenabstand eingehalten.

Zu berücksichtigen ist allerdings, daß bei den vorliegenden Arzneimitteln eine Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen nicht festgeschrieben ist, aber in tatsächlicher Hinsicht der Fachverkehr wegen der Schwere der zu behandelden Erkrankungen und des im Vordergrund stehenden verschreibungspflichtigen Wirkstoffs im Vordergrund steht. Die Bestimmung der Waren für die Krebsbehandlung und der - in beiden Marken im Endbestandteil enthaltene - Anklang an den INN Vincristin führt dazu, daß das hier überwiegend maßgebliche Fachpublikum den enthaltenen Wirkstoff erkennt. Vincristin ist ein Wirkstoff, der nach den derzeit überschaubaren Erkenntnisquellen nur in Arzneimitteln anzutreffen ist, die die Annahme rechtfertigen, daß sie mit ganz besonderer Vorsicht und nicht ohne profunde ärztliche Überwachung und teilweise auch nur durch in der Tumortherapie erfahrene Ärzte verabreicht werden. Die derzeit in der Roten Liste 2002 für vincristinhaltige Mittel verzeichneten Medikamente (Nr 86 010 bis 86 019) sind nicht nur rezeptpflichtig, sondern weisen aufgrund überdurchschnittlich umfangreicher Warnhinweise und Nebenwirkungsanzeigen sowie Gegenanzeigen daraufhin, daß es sich um Mittel mit einem sehr eingeschränkten Anwendungsbereich handelt, bei denen die unmittelbare Beteiligung von Laien deutlich zurücktritt, und die nicht zuletzt wegen ihrer durchweg sehr hohen Verkaufspreise nicht zu einem sorgloseren Umgang Anlaß geben können. Bei solchen sehr speziellen und sehr teueren Krebsmitteln kann die unmittelbare Beteiligung von Laien daher weitgehend vernachlässigt werden.

Zwischen den Vergleichsmarken besteht keine unmittelbare Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG. Schriftbildliche und klangliche Verwechslungsgefahr scheidet insoweit ohne weiteres aus. Denn in ihrer Gesamtheit unterscheiden sich die Vergleichsmarken "Onkocristin" und "cellcristin" klar und unverwechselbar in allen für die Beurteilung des Gesamteindrucks wesentlichen Kriterien. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle Bezug genommen.

Es ist aber auch keine unmittelbare begriffliche Verwechslungsgefahr festzustellen. Gegenüber stehen sich die Wörter "Onkocristin" und "cellcristin". Der Bestandteil "cell" dient als Hinweis auf "Zelle" (lat. "cella = kleinste Bau- und Funktonseinheit von Organismen, vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 259. Aufl S 271; 1809); "Onko" ist ein Wortteil mit der Bedeutung "Geschwulst" (vgl Pschyrembel aaO S 1209); "cristin" kann hier als Hinweis auf die INN-Bezeichnung "Vincristin" dienen. Es könnte sich danach für die Widerspruchsmarke ein Begriff ergeben, der "Vincristin für Zellen" bedeutet. Demgegenüber kann die angegriffene Marke als "Vincristin für Geschwulste" verstanden werden. Auch bei Deutungen in diesem Sinn scheiden hinreichende begriffliche Ähnlichkeiten zwischen den Vergleichsmarken aber aus, für deren Annahme bei fremdsprachigen Wörtern eine eindeutige Übereinstimmung im Sinngehalt erforderlich wäre (Althammer/Ströbele MarkenG 6. Aufl 2000, § 9 Rdn 110 f). "Zelle" und "Geschwulst" sind aber keine Synonyme, etwa auch für Krebs. Denn das Wort "Geschwulst" bezieht sich auf das Ergebnis gestörten Wachstums von Zellen, wobei Geschwulste als solches gutartig wie bösartig sein können (vgl Lexikon der Medizin 16. Aufl S 728); demgegenüber bezieht sich das Wort "Zelle" nur auf die kleinste Einheit als solche ohne Bezug zu einem Zellwachstum. Daß den Marken über den Bestandteil "cristin" wegen des Anklangs an "Vincristin" ein Hinweis auf bösartiges Zellwachstum entnommen werden könnte, reicht für die Bejahung ihrer eindeutigen begrifflichen Übereinstimmung nicht aus.

Schließlich läßt sich auch keine Verwechslungsgefahr durch gedankliches Inverbindungbringen iSv § 9 Abs 1 Nr 2 letzter Halbsatz MarkenG feststellen. Daß die Widersprechende den Markenbestandteil "cristin" für ihre Produkte als Serienzeichen etabliert hätte, hat die Widersprechende nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Im übrigen ist - wie bereits dargestellt - der Begriff "cristin" im einschlägigen Warensektor kennzeichnungsschwach und kann deswegen die Hinweisfunktion nicht entfalten, die sowohl für tatsächliche als auch für nur vermeintliche Serienzeichen erforderlich ist (vgl Althammer/Ströbele, Markengesetz, 6. Aufl, § 9 Rdn 217). Insoweit sind auch keine Anknüpfungspunkte für eine mittelbare begriffliche Verwechslungsgefahr ersichtlich (vgl Althammer/Ströbele aaO § 9 Rdn 224). Fälle, in denen der Verkehr lediglich eine rein assoziative gedankliche Verbindung zwischen den Vergleichsmarken herstellen kann, weil die Wahrnehmung der einen Marke die Erinnerung an die andere Marke weckt, obwohl beide Marken - im markenrechtlichen Sinne - nicht verwechselt werden, fallen nicht unter § 9 Abs 1 Nr 2 letzter Halbsatz MarkenG (vgl EuGH GRUR 1998, 387, 389 - Sabèl/Puma). Denn dieser Tatbestand umfasst nicht Vergleichsbezeichnungen, mit denen eine Ähnlichkeit allein aus einem irgendwie denkbaren Sinnzusammenhang hergestellt werden kann. Die menschliche Fähigkeit, gedankliche Assoziationen herzustellen, ist so unbegrenzt und unerschöpflich, daß andernfalls ein sachlich nicht gerechtfertigter Schutz gewährt würde (BGH BlPMZ 1998, 522 - Stephanskreuz/Stephanskrone).

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG. Der Umstand, daß die Widersprechende letztlich unterlegen ist, rechtfertigt eine Kostenauferlegung nicht. Das Gesetz geht von dem Grundsatz aus, daß jeder Verfahrensbeteiligte seine Kosten selbst trägt. Die Rechtsverfolgung der Widersprechenden kann nicht als von vornherein aussichtslos oder kaum erfolgversprechend beurteilt werden, was vorliegend allein eine Kostenauferlegung rechtfertigen könnte (vgl hierzu Althammer/Ströbele aaO § 71 Rdn 18); denn Fragen der Verwechslungsgefahr im Bereich der Arzneimittel, in dem die Marken überwiegend aus der Zusammenfügung von mehr oder weniger beschreibenden Kürzeln gebildet sind sowie die Fragen der begrifflichen Verwechslungsgefahr sind schwierig zu beurteilen und werden häufig kontrovers diskutiert.

Gründe: für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 83 Abs 2 MarkenG sind nicht ersichtlich.

Dr. Buchetmann Winter Hartlieb Hu Abb. 1 http://agora/bpatgkollision/docs/30W(pat)151-02.1.3.gif






BPatG:
Beschluss v. 03.02.2003
Az: 30 W (pat) 151/02


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