Bundespatentgericht:
Urteil vom 4. Dezember 2001
Aktenzeichen: 4 Ni 3/01

(BPatG: Urteil v. 04.12.2001, Az.: 4 Ni 3/01)

Tenor

1. Das europäische Patent 0 270 794 (DE 37 79 581) wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 bis 3 für nichtig erklärt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 23.000.- vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 270 794 (Streitpatent), das am 22. Oktober 1987 unter Inanspruchnahme der Priorität der DE 3641843 vom 8. Dezember 1986 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 37 79 581 geführt wird, betrifft eine "Hämodialysevorrichtung mit Sterilisiereinrichtung". Es umfaßt sieben Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:

"1. Hämodialysevorrichtung mit Sterilisiereinrichtung für die Dialysierflüssigkeit, mit einem Dialysator (12), der durch eine Membran (14) in zwei Kammern (16, 18) geteilt ist, wobei die erste Kammer (16) in einen Dialysierflüssigkeitsweg und die zweite Kammer (18) in einen Blutweg geschaltet ist und der Dialysierflüssigkeitsweg eine Zuleitung (22), die sich von einer Einrichtung zur Bereitstellung von Dialysierflüssigkeit bis zum Dialysator erstreckt und in die ein erstes Absperrorgan (34) eingeschaltet ist, und eine Ableitung (24) aufweist, die sich vom Dialysator zum Abfluss erstreckt und in die ein zweites Absperrorgan (36) eingeschaltet ist, mit einer Pumpe (78) zum Fördern der Dialysierflüssigkeit im Dialysierflüssigkeitsweg, einer zwischen den Absperrorganen im Dialysierflüssigkeitsweg vorgesehenen Ultrafiltrationseinrichtung (74, 76), mit einer die Zuleitung mit der Ableitung des Dialysierflüssigkeitswegs verbindenden Bypassleitung (54), in die ein Bypassventil (58) eingeschaltet ist, und mit einem Sterilfilter (38), das durch eine Keime zurückhaltende Membran (40) in eine erste Kammer (42) und eine zweite Kammer (44) geteilt ist, mit einem ersten Abschnitt (26) der Zuleitung der Dialysierflüssigkeit zur ersten Kammer des Sterilfilters und einem zweiten Abschnitt (28) der Zuleitung der Dialysierflüssigkeit von der zweiten Kammer des Sterilfilters zum Dialysator, dadurch gekennzeichnet, daß der Auslass (48) der ersten Kammer (42) des Sterilfilters (38) mit der zur Ableitung (24) führenden Bypassleitung (54) verbunden ist."

Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Unteransprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Mit der Behauptung, die Lehre beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1 bis 3 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften:

- DE 28 38 414 A1 (D1)

- Prospekt Nikkiso Co., Ltd., Model DBB-22 (D2)

- J.H. Miller und andere, "Technical Aspects of High-Flux Hemodiafiltration for Adequate Short (under 2 hours) Treatment" in Volume XXX, Transactions, American Society for Artificial Internal Organs , 1984, S. 377-381 (D3)

- M. Tolon und andere, "Entkeimung der Dialyselösung durch Filtration oder Bestrahlung" in Medizinische Klinik 72 (1977), S. 1451 - 1454 (Nr. 36) (D4)

- JP 56-158664 (D5)

- DE 34 44 671 A1, (D6)

- US-PS 4,209,391 (D13)

- US-PS 4,366,061 (D14)

Außerdem macht sie die Vorbenutzung des Gegenstandes der D2 geltend.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 270 794 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent für bestandsfähig.

Gründe

Die Klage, mit der der in Art II § 6 Absatz 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Absatz 1 lit a EPÜ iVm Artikel 54 Abs 1, 2 und Art 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist in vollem Umfang begründet.

I. Das Streitpatent betrifft eine Hämodialysevorrichtung mit Sterilisiereinrichtung.

Nach der Beschreibung ist im Stand der Technik bekannt, die Dialysierflüssigkeit unmittelbar vor dem Dialysator durch einen Filter zu leiten, der Keime und Pyrogene (fiebererregende Stoffe) zurückhält. Dieser Filter müsse jedoch vor jeder Hämodialyse-Behandlung getestet und regelmäßig von den sich dort ablagernden Keimen und Pyrogenen gereinigt werden. Die im Stand der Technik bekannten Anordnungen erlaubten dies nicht ohne weiteres.

Vor diesem Hintergrund formuliert die Streitpatentschrift die Aufgabe, die Dialysevorrichtung so fortzubilden, daß ein Zusetzen des Sterilfilters mit Keimen oder Pyrogenen während der Dialysebehandlung im wesentlichen verhindert wird.

II. Patentanspruch 1 beschreibt demgemäss eine Hämodialysevorrichtung mit Sterilisiereinrichtung für die Dialysierflüssigkeit, mit einem Dialysator (12), 1. der durch eine Membran (14) in zwei Kammern (16, 18) geteilt ist, wobei 1.1. die erste Kammer (16) in einen Dialysierflüssigkeitsweg und 1.2. die zweite Kammer (18) in einen Blutweg geschaltet ist;

2. der Dialysierflüssigkeitsweg weist eine Zuleitung (22) auf, 2.1. die sich von einer Einrichtung zur Bereitstellung von Dialysierflüssigkeit bis zum Dialysator erstreckt und 2.2. in die ein erstes Absperrorgan (34) eingeschaltet ist;

3. der Dialysierflüssigkeitsweg weist eine Ableitung (24) auf 3.1. die sich vom Dialysator zum Abfluss erstreckt und 3.2. in die ein zweites Absperrorgan (36) eingeschaltet ist;

4. es ist eine Pumpe (78) zum Fördern der Dialysierflüssigkeit im Dialysierflüssigkeitsweg vorhanden;

5. zwischen den Absperrorganen ist eine Ultrafiltrationseinrichtung (74, 76) im Dialysierflüssigkeitsweg angeordnet;

6. die Zuleitung des Dialysierflüssigkeitswegs ist mit der Ableitung des Dialysierflüssigkeitswegs durch eine Bypassleitung (54) verbunden;

7. in die Bypassleitung ist ein Bypassventil (58) eingeschaltet;

8. es ist ein Sterilfilter (38) vorhanden, der durch eine Keime zurückhaltende Membran (40) in eine erste Kammer (42) und eine zweite Kammer (44) geteilt ist;

9. ein erster Abschnitt (26) der Zuleitung der Dialysierflüssigkeit geht zur ersten Kammer des Sterilfilters;

10. ein zweiter Abschnitt (28) der Zuleitung der Dialysierflüssigkeit geht von der zweiten Kammer des Sterilfilters zum Dialysator;

dadurch gekennzeichnet, daß

11. der Auslaß (48) der ersten Kammer (42) des Sterilfilters (38) mit der zur Ableitung (24) führenden Bypassleitung (54) verbunden ist.

III. a) Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents ist neu, denn keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften beschreibt eine Hämodialysevorrichtung mit sämtlichen in diesem Anspruch genannten Merkmalen. Es erübrigt sich jedoch, hierauf näher einzugehen, dennb) diese Hämodialysevorrichtung beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus z.B. der Druckschrift D2 (mit Übersetzung der Figurenbeschreibung durch die Klägerin nach N13), deren Vorveröffentlichung nicht bestritten worden ist, ist eine Hämodialysevorrichtung mit einem Dialysator (1 in der Figur) bekannt, der durch eine Membran in zwei Kammern geteilt ist, wobei die erste Kammer in einen Dialysierflüssigkeitsweg und die zweite Kammer in einen Blutweg geschaltet ist (was bei jedem für die Hämodialyse verwendeten Dialysator zwingend vorausgesetzt ist, da sonst eine Dialyse nicht möglich ist) und der Dialysierflüssigkeitsweg eine Zuleitung, die sich von einer Einrichtung zur Bereitstellung von Dialysierflüssigkeit bis zum Dialysator erstreckt (obere Leitung zwischen Position 8 und 1 in der Figur) und in die ein erstes Absperrorgan (Ventil an der Stelle mit der Bezeichnung "sampling port") eingeschaltet ist und eine Ableitung aufweist, die sich vom Dialysator zum Abfluß erstreckt (untere Leitung zwischen Position 1 und 8 in der Figur) und in die ein zweites Absperrorgan eingeschaltet ist (Ventil etwa bei Position 6 in der Figur), mit einer Pumpe (5 in der Figur) zum Fördern der Dialysierflüssigkeit im Dialysierflüssigkeitsweg, einer zwischen den Absperrorganen im Dialysierflüssigkeitsweg vorgesehenen Ultrafiltrationseinrichtung (7 in der Figur), mit einer die Zuleitung mit der Ableitung des Dialysierflüssigkeitswegs verbindenden Bypassleitung (14 in der Figur), in die ein Bypassventil eingeschaltet ist (vgl. die beiden dreieckförmigen Elemente in der Figur).

Damit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom Stand der Technik zum einen durch das Vorsehen eines Sterilfilters mit spülbarer Membran, das in die Dialysierflüssigkeitszuleitung vor dem Dialysator eingeschaltet ist und zum anderen durch die Verbindung des Spülauslasses dieses Sterilfilters mit der zur Ableitung führenden Bypassleitung.

Diese Maßnahme dient dazu, eventuell in der Dialysierflüssigkeit vorhandene Keime und Pyrogene zu entfernen. Dem Fachmann, das ist hier der mit dem Entwurf und der Herstellung von Hämodialysevorrichtungen befaßte Physiker oder Maschinenbauingenieur mit Hochschulausbildung, der bei medizinischen Problemen mit einem entsprechenden Facharzt zusammenarbeitet, ist grundsätzlich bewußt, daß bei Hämodialysevorrichtungen, die unmittelbar mit dem Blutkreislauf des menschlichen Körpers verbunden sind, stets Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen, um eine höchstmögliche Sterilität zu erhalten, da ansonsten Komplikationen wie Sepsis mit Schüttelfrost auftreten können (vgl. z.B. D4, Seite 1453 rechte Spalte, 3. Absatz, 2. Satz). Er ist daher immer bestrebt, sein Produkt in Richtung höchster Keimfreiheit zu verbessern. Wenn er nun feststellt oder an ihn herangetragen wird, daß die zugeführte Dialysierflüssigkeit einen Schwachpunkt bezüglich der Keimfreiheit darstellt, so wird er hier Vorkehrungen und Verbesserungen anstreben. Im Stand der Technik ist bereits auf die Filterung der Dialysierflüssigkeit (vergl. z.B. D3, S.378, Fig. 2) und zwar möglichst nahe am Dialysator (vergl. D4, S. 1451 "Zusammenfassung", S. 1453, re. Sp. vorl. Abs., le. Satz) hingewiesen. Der Fachmann wird diesen Hinweis aufgreifen und den Einbau eines Filters auch bei der Vorrichtung nach D2 in Erwägung ziehen.

Dabei muß er zuerst festlegen welchen Filtertyp er einsetzt, einen ganz "normalen" Filter, wie er z.B. in D3, Fig. 2 (Pyrogen Filter) verwendet wird oder einen spülbaren Filter, wie er in D5 zur Herstellung von Dialysierflüssigkeit eingesetzt wird. Er wird dann sofort erkennen, daß dem Filter nach D5 gegenüber dem nach D3 entscheidende Vorteile zukommen. Denn dieser Filter ermöglicht eine Reinigung, ohne daß er ausgebaut werden muß, wodurch ein Zusetzen des Filters mit Keimen oder Pyrogenen während der Dialysebehandlung im wesentlichen verhindert werden kann. Der aus D5 bekannte Filter weist nämlich eine Keime zurückhaltende Membran auf, die den Filter in eine 1. und eine 2. Kammer unterteilt, wobei die 1. Kammer einen zusätzlichen Anschluß (Auslaß) aufweist, der eine Durchspülung des Filters möglich macht, so daß die an der Filtermembran zurückgehaltenen Keime und Verunreinigungen ausgespült werden können (vgl. Figur 1 mit Beschreibung, von der Klägerin eingereichte englische Übersetzung Seite 4, letzter Absatz bis Seite 5 vorletzter Absatz nach Anlage N 7). Somit wird der Durchschnittsfachmann diesem Filtertyp den Vorzug geben. Wenn er diesen Filter zur Reinigung der Dialysierflüssigkeit in die Zuleitung der Vorrichtung nach D2 einsetzt, wozu es, wie aus den vorangegangenen Ausführungen ohne weiteres folgt, keinerlei erfinderischer Überlegungen bedarf, muß er sich zwangsläufig überlegen, wohin er die Auslaßleitung des Filters führt. Da in dem nach D2 bekannten System schon eine Leitung vorhanden ist, die die verbrauchte, aus dem Dialysator kommende Dialysierflüssigkeit aus dem System entfernt und in die auch die Bypassleitung mündet, ist die nächstliegende Möglichkeit, den Filterauslaß ebenfalls in die vorhandene Ausgangsleitung einzuleiten und dabei im besonderen an die Bypassleitung anzuschließen, weil hierdurch eine zusätzliche parallel zur bestehenden Bypassleitung liegende Leitung eingespart werden kann.

Für eine Einführung des Filterauslasses in das Rückführungssystem spricht zudem noch die Tatsache, daß Hämodialysen heutzutage, wie auch die Beklagte eingeräumt hat, aus Sicherheitsgründen nahezu ausschließlich mit sogenannten bilanzierenden Systemen ausgeführt werden. Das sind Systeme, die die Zuflußmenge zur Hämodialysevorrichtung exakt mit der Rückflussmenge vergleichen. Würde der Fachmann also die zur Filterspülung benutzte Flüssigkeitsmenge anderweitig verwerfen, z.B. mit einem separaten Auslauf aus dem Gesamtsystem ableiten, so stimmte die Flüssigkeitsbilanz nicht mehr und es müßten besondere, möglicherweise viel kompliziertere Maßnahmen ergriffen werden, um die verworfene Flüssigkeit beim Bilanzieren zu berücksichtigen.

IV. Die ebenfalls angegriffenen nachgeordneten Ansprüche 2 und 3 teilen das Schicksal des Hauptanspruchs.

Ihre Gegenstände beruhen ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Gegenstände der Ansprüche 2 und 3 werden durch den Gegenstand der Druckschrift D6 nahegelegt.

Die im Anspruch 2 beschriebene Belüftungseinrichtung dient zur Überprüfung der Intaktheit des Sterilfilters (siehe Streitpatent Spalte 4, Zeile 8ff). In D6 ist eine ganz ähnliche Belüftungseinrichtung beschrieben, die ebenfalls zum Zweck der Überprüfung eines Systemteils in einer Hämodialyseeinrichtung dient (vgl. insbesondere den Absatz "Prüfen" beginnend auf Seite 14), so daß keine Erfindung darin gesehen werden kann, durch eine solche Maßnahme die Überprüfung der Intaktheit eines Sterilfilters zu ermöglichen.

Ein Belüftungsventil, wie es im Anspruch 3 genannt ist, ist durch das Gerät nach D6 ebenfalls nahegelegt, weil es dem Fachmann ohne weiteres möglich ist, den dort an der Position 86, 88 eingesetzten Verschluß durch ein Verschlußventil zu ersetzen.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZP0, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Dr. Schwendy Klosterhuber Dr. Kraus Schuster Dr. Strößner Pr






BPatG:
Urteil v. 04.12.2001
Az: 4 Ni 3/01


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