Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 4. März 2011
Aktenzeichen: 2 AGH 1 - 15 u. 17 - 35/10

(OLG Hamm: Urteil v. 04.03.2011, Az.: 2 AGH 1 - 15 u. 17 - 35/10)

Tenor

1.

Die Klagen gegen den belehrenden Hinweis der Rechtsanwaltskammer Hamm vom 07.12.2009 werden abgewiesen.

2.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

3.

Die Berufung an den Bundesgerichtshof wird zugelassen.

4.

Der Gegenstandswert wird vor Verbindung der Klagen auf jeweils 5.000,-- € und nach Verbindung auf insgesamt 75.000,-- € festgesetzt.

Tatbestand

Die Kläger sind Rechtsanwälte. In dem von ihnen verwendeten Briefbogen firmieren sie unter der in dem Briefkopf eingestellten Kurzbezeichnung:

„S ▪ SP

Rechtsanwälte • Notare

Zusammenschluss der Sozietäten Ri, Sp, B & Sc und S, M, St & G“

Auf der Homepage www.ssp.de heißt es wie folgt:

„Wir freuen uns über Ihr Interesse und möchten uns bei Ihnen vorstellen. Die An­waltssozietät S ▪ Sp entstand aus einem Zusammenschluss der Wirtschaftskanzleien S, M & G aus Bielefeld und Ri, Sp, B & Sc aus Hamm. Wir sind heute eine der größten An­waltskanzleien in Westfalen. Die Sozietät S ▪ Sp besteht aus über 50 Rechtsanwälten an ihren Stammsitzen in Bielefeld und Hamm sowie in Berlin, Düsseldorf und Potsdam. Neun Rechtsanwälte sind gleichzeitig Notare. Durch den Zusammenschluss sind wir zu einem der bedeutenden regionalen Anbieter anwaltli­cher Beratung gewachsen, indem wir die Stärken zweier namhafter westfälischer Kanzleien zum Nutzen unserer Mandanten gebündelt haben.“

Der Zusammenschluss der Kläger beruht auf einem Vertragsentwurf vom 01.07.2002. Dieser ist zwar von den Klägern nicht unterzeichnet worden. Die dort niedergelegten Regelungen sind aber - so der unwidersprochene Vortrag der Kläger - mündlich vereinbart und seitdem ständig praktiziert worden.

Unter dem 16.07.2010 - also während des hier laufenden Verfahrens - erstellten die Kläger eine in wenigen Punkten abgewandelte Fassung des Sozietätsvertrages und unterzeichneten diese.

Beide Fassungen enthalten die Regelungen,

- dass die Vertragspartner im Außenverhältnis gegenüber Dritten unter der Be-

zeichnung „S ▪ Sp“ gemeinschaftlich auftreten;

- dass sie ihre berufliche Tätigkeit im Innenverhältnis auf eigene Rechnung und

Verantwortung führen;

- dass sie zur Geltendmachung von Gebührenansprüchen aus den von ihnen

betreuten Mandatsverhältnissen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung

berechtigt sind;

- dass die Außensozietät kein Gesamthandsvermögen bildet;

- dass jeder Vertragspartner im eigenen Namen und auf eigene Rechnung das von

ihm benötigte Personal in dem erforderlichen Umfang beschäftigt;

- dass sie im Außenverhältnis gemeinsame Briefbögen und Praxisschilder führen

und Dritten gegenüber, etwa bei Veröffentlichungen und Praxisbroschüren, Inter-

netdarstellungen etc., gemeinschaftlich auftreten;

- dass sie sich bei der Berufsausübung in jeder Weise wechselseitig unterstützen;

- dass sie sich im Rahmen der berufsrechtlichen Erfordernisse zur Vermeidung von

Interessenkollisionen über sämtliche neue Mandate unterrichten;

- dass für Verbindlichkeiten einschließlich Regressansprüche im Innenverhältnis nur

derjenige Vertragspartner haftet, durch dessen Verhalten die Verbindlichkeit be-

gründet worden ist.

In einem durch die Beklagte im Jahre 2008 wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 u. 2 BORA (Verbot der Vertretung widerstreitender Inte­ressen) gegen den Kläger Sp betriebenem Aufsichtsverfahren führte dieser in einem Schreiben vom 08.08.2008 u.a. aus:

„§ 3 Abs. 2 BORA erstreckt das Verbot zwar auch auf alle mit dem beauftragten Rechtsanwalt in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft verbundenen Rechtsanwälte. Der Unterzeichner ist jedoch mit Herrn Kollegen We nicht im Sinne dieser Bestimmung „verbunden“. Der Kollege We ist kein unmittel­barer Mitgesellschafter des Unterzeichners. Die Sozietät S ▪ Sp ist vielmehr ein Zusammenschluss der selbständigen und rechtsfähigen Sozietäten Ri, Sp, B & Sc einerseits sowie S, M, St & G andererseits.“

Rechtsanwalt We ist ebenfalls Sozius der „zusammengeschlossenen“ Sozi­etäten „S ▪ Sp“, mit Kanzleisitz in Bielefeld.

Die Beklagte erteilte dem Kläger Sp unter dem 11.02.2009 sodann eine Rüge, weil er ihm obliegende Berufspflichten durch Verstoß gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen verletzt habe (§§ 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 u. 2 BORA).

Mit Schreiben vom 31.07.2009 forderte die Beklagte die Kläger auf, u.a. zu einem etwaigen Verstoß gegen §§ 43, 43 b BRAO, 8 BORA Stellung zu nehmen. Unter an­derem aufgrund der vorzitierten Aussage des Klägers Sp handele es sich bei den Kanzleien in Hamm und Bielefeld nicht um Kanzleisitze einer überört­lichen Sozietät, sondern um rechtlich und wirtschaftlich selbständige Kanz­leien. Demgegenüber sei aus der Gestaltung des Kanzleibriefbogens und der Kanz­lei­homepage auf eine übe­rörtliche Sozietät zu schließen. Bestehe keine überörtliche Sozietät, könne ein Ver­stoß gegen §§ 43, 43 b BRAO, 8 BORA vorliegen. Nur im Falle einer überörtlichen Sozietät wäre zudem gemäß § 9 BORA zulässig, die Kanz­leikurzbezeichnung „S ▪ Sp“ zu führen.

Nach Stellungnahme der Kläger durch Rechtsanwalt Sc vom 07.09.2009 erteilte die Beklagte unter dem 07.12.2009 folgenden belehrenden Hinweis:

„Die Außendarstellung Ihrer Kanzlei verstößt gegen §§ 43, 43 b BRAO, 8, 9, 10

Abs. 3 BORA, da in irreführender Weise und unter der unzulässigen Kurzbezeich­nung „S ▪ Sp“ eine überörtliche Sozietät mit Kanzleisitzen u. a. in Hamm und Bielefeld kundgegeben wird, obwohl es sich bei den Standorten in Hamm und Bielefeld um selbstständige Sozietäten handelt. Zudem wurde bis zum 23.09.2009 ein Briefbogen verwandt, auf dem die vollständige Kanzleianschrift nur für die Kanzlei angegeben wurde, die Absender des jeweiligen Schreibens war.“

Der belehrende Hinweis wurde den Klägern am 08.12.2009 zugestellt.

Gegen diesen wenden sich die Kläger mit ihren Klagen vom 07.01.2010, welche am selben Tage beim Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen eingegangen sind.

In ihrer Klagebegründung vom 10.03.2010 rügen sie zunächst eine in formaler Hin­sicht fehlerhafte Ausfertigung des belehrenden Hinweises. In der Sache selbst sei der belehrende Hinweis der Beklagten ebenfalls unrichtig. Die zivilrecht­liche Konstellation, die der überörtlichen Sozietät „S ▪ Sp“ zu­grunde liege, sei eine sogenannte doppelstöckige Sozietät. Seit der Bundesgerichts­hof im Jahre 2001 die Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts an­erkannt habe, könne eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesellschafter einer an­deren Gesellschaft bürgerlichen Rechts sein. Das gelte auch für Anwalts­sozietäten. Mit Wirkung ab 01.02.2002 hätten sich die beiden Sozietäten Ri, Sp, B & Sc in Hamm und S, M, St & G zu einer überörtlichen Sozietät unter Beibehaltung ihrer rechtlichen Selbst­ständigkeit zusam­mengeschlossen. Dies sei unter dem Namen „S ▪ Sp“ geschehen. Gesellschafter dieser neuen überörtlichen Sozietät seien die beiden örtlichen Sozie­täten in Hamm und Bielefeld. Seit diesem Zeitpunkt erfolge die Annahme von Man­danten nur noch im Namen der überörtlichen Sozietät „S ▪ Sp“. Unter den Namen der örtlichen Sozietäten würden keine Mandate mehr angenom­men. Vor diesem Hintergrund könne die Briefkopfgestaltung der überörtlichen Sozietät mit dem Namen „S ▪ Sp“ nicht bean­standet werden. Die noch vom Kläger Sp im Aufsichtsverfahren geäußerte Rechtsauffassung wird von den Klägern ausdrücklich nicht aufrechterhalten. Die Bezeichnung „S ▪ Sp“ sei zudem nach §§ 8, 9 BORA n.F. als Kurzbezeichnung zulässig.

In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger klargestellt, dass sich ihre Klage nicht gegen den belehrenden Hinweis auf die unterlassene Umzulassung der Rechtsanwältin F nach Hamm und die unterlassene Angabe der ver­schiedenen Kanzleianschriften richte.

Die Kläger beantragen,

den belehrenden Hinweis der Beklagten vom 07.12.2009 aufzuheben und ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

hilfsweise,

die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, der belehrende Hinweis vom 07.12.2009 sei zu Recht erfolgt. Zunächst genüge er den verfahrensrechtlichen Anforderungen.

Er sei aber auch in materiellrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Nach einem Zusammenschluss von zwei Sozietäten müsste zumindest eine Sozietät untergegangen sein. Nach der Darstellung der Kläger sei aber keine der beiden Sozietäten (Hamm oder Bielefeld) untergegangen. Mithin sei es auch nicht zu einem „Zusammenschluss“ beider Sozietäten gekommen. Die gewählte Begrifflichkeit passe nicht.

Zudem erfüllten die Kläger bzw. die von ihnen gewählte Organisationsform nicht das wesentliche Kriterium einer Anwaltssozietät. Ein Sozietät sei ein organisierter Zusammenschluss von Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung und zur gemeinsamen Entgegennahme von Aufträgen und Entgelt bei gesamtschuld­neri­scher Haftung. Es fände durch die Kläger weder eine gemeinsame Berufsaus­übung noch eine gemeinsame Entgegennahme von Aufträgen und Entgelt statt. Die Sozie­täten in Hamm und Bielefeld träten lediglich nach außen gemeinschaftlich auf bzw. sie firmierten lediglich gemeinsam. Dies begründe aber keine „gemeinschaftli­che Berufsausübung“, sondern allenfalls eine gemeinschaftliche Haftung.

Die in dem Vertrag vereinbarte Unterstützung bei der Berufsausübung sei das klassi­sche Merkmal einer Kooperation. Die Kläger hätten mithin eine Kooperation begrün­det und nicht den Zusammenschluss im Sinne einer Sozietät.

Der Senat hat die Verfahren 2 AGH 1 - 15 und 2 AGH 17 - 35/10 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Gründe

Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Klagen sind gemäß §§ 112 a, 112 c Abs. 1 BRAO i.V.m. §§ 42 Abs. 1, 74 Abs. 1 VwGO zulässig.

1.

Bei dem „belehrenden Hinweis“ der Beklagten handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme, die geeignet ist, die Kläger in ihrem Recht auf freie Berufsausübung i.S.v. Art. 12 Abs. 1 GG einzuschränken. Die Beklagte hat ein - weiter andauerndes - Verhalten der Kläger ausdrücklich missbilligt. Das Schreiben vom 07.12.2009 geht daher über eine bloße Belehrung i.S.v. § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO hinaus. So sieht es auch die Beklagte selbst, die den belehrenden Hinweis mit einer Rechtsmittelbe­leh­rung versehen hat (vgl. BGH, NJW 2007, 3349).

2.

Die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO ist eingehalten worden. Der belehrende Hin­weis ist den Klägern am 08.12.2009 zugestellt worden. Die Klagen gingen am 07.01.2010 beim hiesigen Anwaltsgerichtshof ein.

II.

Die Klagen sind unbegründet.

1.

Zunächst ist der belehrende Hinweis aus formellen Gründen nicht zu beanstanden. Der vom Vorstand der Beklagten beschlossene Hinweis braucht nicht von allen an der Maßnahme mitwirkenden Vorstandsmitgliedern unterzeichnet zu werden. Es reicht aus, dass in dem belehrenden Hinweis die Namen der Vorstandsmitglieder angegeben werden, die an der Entscheidung mitgewirkt haben (streitig, aber wohl h.M.: vgl. AnwG Hamm MDR 2009, 55 f; Hartung in Henssler/Prütting, 3. Aufl., § 74 BRAO, Rdnr. 44; Feuerich/Weyland, 7. Aufl., § 74 BRAO, Rdnr. 36; a.A.: AnwG Berlin NJW-RR 2002, 1350).

2.

Soweit der belehrende Hinweis die unterlassene Umzulassung der Rechtsanwäl­tin F nach Hamm (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 u. 5 BORA) und die unterlassene An­gabe der verschiedenen Kanzleianschriften im Briefbogen des Klägers (§ 10

Abs. 3 BORA) betrifft, ist er zutreffend gewesen. Die Kläger haben dies auch in ihrem Schreiben vom 07.09.2009 an die Beklagte eingeräumt und ihren Klageantrag in der mündlichen Verhandlung entsprechend beschränkt.

3.

Der angefochtene belehrende Hinweis ist aber auch insoweit zutreffend, als er die Außendarstellung der klägerischen Kanzlei missbilligt. Die Kläger verstoßen mit dem verwendeten Briefkopf und dem Auftritt in ihrer Homepage gegen §§ 43, 43 b BRAO; 8 u. 9 BORA.

a)

Zwar ist die Bildung einer überörtlichen Anwaltssozietät grundsätzlich zulässig. Ins­besondere stehen ihr weder das Berufsrecht für Rechtsanwälte, noch die Re­gelungen der BRAO oder vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht entgegen (vgl. BGH NJW 1989, 2890 f; BGH NJW 1991, 79 f; BGH NJW 1993, 196 ff.).

Auch die Bildung einer sogenannten „doppelstöckigen“ Sozietät, wonach zwei oder mehr Gesellschaften bürgerlichen Rechts durch Vertrag eine übergeordnete Gesell­schaft bürgerlichen Rechts gründen, ist in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Auf die Mitarbeit in einer überörtlichen Sozietät darf ein Rechtsanwalt im geschäftli­chen Verkehr jedoch nur hinweisen, wenn die mit den Sozien getroffenen vertragli­chen Absprachen den Vorstellungen entsprechen, die das rechtsuchende Publikum mit der Kundgabe einer Sozietät berechtigterweise verbindet. Dem Bild des Außen­verhältnisses muss das Innenverhältnis unter den Rechtsanwälten, die als Sozien auftreten, entsprechen. Der Rechtsanwalt darf nicht den Anschein erwecken, sich mit einem anderen Rechtsanwalt oder mehreren anderen Rechtsanwälten zu einer Sozietät zusammengeschlossen zu haben, wenn das in Wahrheit nicht der Fall ist. Die Erwartungen, die der Rechtsuchende mit einer überörtlichen Sozietät verbindet, sind im wesentlichen die gleichen, wie sie durch das Auftreten von Rechtsanwälten in einer örtlichen Sozietät begründet werden. Danach muss eine die Ankündigung der Sozietät rechtfertigende Zusammenarbeit der Sozietätsmitglieder gegeben sein. Jedes Mitglied muss durch die Sozietätsvereinbarung ermächtigt und grundsätzlich verpflichtet sein, den Anwaltsvertrag mit Wirkung für und gegen alle Sozien abzu­schließen und deren gesamtschuldnerische Haftung mit den Mandanten zu vereinba­ren (vgl. BGH NJW 1991, 49 f; BGH NJW 1993, 196 ff; BGH NJW 1996, 2308 ff). Die örtlichen Sozietäten müssen ihre „unternehmerische“ Selbstständigkeit aufgeben, ihren Gesellschaftszweck auf die Führung und Verwaltung der örtlichen Kanzlei be­schränken und dürfen sich nur noch als bloße Organisationseinheit in Form einer Innengesellschaft betätigen. Als solche dürfen sie weder einen selbstständigen Namen führen, insbesondere keine eigenen Gesamtnamen (Kurzbezeichnungen), noch Aufträge im eigenen Namen entgegennehmen. Hierzu ist nur die neue überört­liche Sozietät befugt. Sie darf einen Gesamtnamen führen, der sich aus mehreren einzelnen Namen der verschiedenen örtlichen Anwaltssozietäten zusammensetzt. Dabei ist die Regelung der §§ 9, 10 BORA zu beachten. Die gesamtschuldnerische Haftung für Verbindlichkeiten trifft die überörtliche Sozietät, deren Gesellschafter, die örtlichen Sozietäten, und auch deren Gesellschafter (vgl. Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 59 a BRAO, Randnummern 23 f; 27, 38, 41, 62 u. 116 sowie Henssler in „Anwaltsgesellschaften“ NJW 1993, S. 2138 ff).

b)

Die vorbezeichneten Voraussetzungen erfüllt der Zusammenschluss der Kläger, den sie in ihrem Vertrag vom 16.07.2010 als „Außensozietät“ bezeichnen, nur teilweise:

(1)

Die Kläger führen an jedem ihrer Standorte auf den dort jeweils verwandten Brief­köpfen dieselbe einheitliche Kurzbezeichnung, § 9 BORA.

Im Internet sowie gegen Publikationsorganen wird ein einheitlicher Außenauftritt ge­staltet. Ebenso verwenden die Kläger ein einheitlich gestaltetes Vollmachtsformular und einheitliche Vertragsbedingungen, welche sie in der mündlichen Verhandlung überreicht haben. Nach dem Vollmachtsformular wird das Mandat an die

überörtliche Sozietät, also die übergeordnete Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erteilt. Mit dieser schließt der Mandant den Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.v. § 675 BGB.

Im Zuge der Mandatsannahme wird durch die vom Mandanten kontaktierte örtliche So­zietät eine Kollisionskontrolle durchgeführt. Die im Rechner der jeweiligen örtlichen Sozie­tät gespeicherten Stammdaten des Mandanten bzw. des Mandats sind durch Vernet­zung auch den anderen örtlichen Sozietäten zugänglich. Kollisionsfälle - im engen Sinne der §§ 43 a Abs. 4 BRAO, 3 BORA wie auch im weiteren „wirt­schaftlichen“ Sinne - werden zwischen den örtlichen Sozietäten einvernehmlich geregelt.

Bei der Mandatsannahme und Bearbeitung wird - so die unwidersprochene Darstel­lung der Kläger in der mündlichen Verhandlung - der Mandant an den das betref­fende Fachgebiet bearbeitenden Spezialisten verwiesen. Sollte die aufgesuchte örtliche Sozietät in Hamm, Bielefeld oder Potsdam etc. nicht über einen

geeigneten Fachmann verfügen, wird der Mandant an die örtliche Sozietät weiterverwiesen, die über einen sol­chen verfügt. Das Mandat wird sodann von dort aus (weiter-)bearbeitet.

Die überörtliche Sozietät haftet in Regressfällen gesamtschuldnerisch neben ihren Ge­sellschaftern, den örtlichen Sozietäten, und wiederum deren Gesellschaftern - also den Klägern. Die überörtliche Sozietät hat daher eine Haftpflichtversicherung für sich und ihre Gesellschafter abgeschlossen, eine sogenannte „Sozietätspolice“. Versiche­rungsnehmerin ist also die „S ▪ Sp“ Außensozietät. Der Versiche­rungsbeitrag wird von der örtlichen Sozietät in Hamm gezahlt. Diese lässt sich den ver­auslagten Anteil von den anderen örtlichen Sozietäten erstatten.

Einmal im Jahr findet - so die unwidersprochene Darstellung der Kläger - eine Part­nerversammlung statt. Diese stellt jedoch kein institutionelles Instrument der überörtlichen Sozietät dar, kann also keine die einzelnen örtlichen Sozietäten bindenden Be­schlüsse fassen.

Auch finden regelmäßig gemeinsame Weiterbildungsveranstaltungen für An­wälte/innen und Mitarbeiter/innen statt.

Fachliteratur wird in der Regel gemeinsam angeschafft.

Die Kläger tauschen sich nicht nur bei grundsätzlichen Fachfragen, insbesondere in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Erbrecht und Arbeitsrecht, sondern auch bei der Bearbeitung von problematischen Einzelmandaten aus.

(2)

In den unter (1) aufgeführten Punkten erschöpft sich jedoch die Zusammenarbeit der Kläger im wesentlichen.

So verfügen die Kanzleien in Hamm, Bielefeld, Potsdam, Berlin und Düsseldorf über kein gemeinsames Intranet und keinen gemeinsamen, internen E-Mail-Server. Ein interner Datenaustausch ist zwischen den örtlichen Sozietäten nicht möglich.

Die Außensozietät stellt für die in den örtlichen Sozietäten bearbeiteten Mandate keine Gebührenrechnung und nimmt auch kein Anwaltshonorar entgegen. Sie verfügt über kein eigenes Konto und keine Steuernummer. Die Rechnung für das bearbeitete Mandat wird in der örtlichen Sozietät gestellt, in der das Mandat bearbeitet worden ist. Der Mandant entrichtet die erhobenen Anwaltsgebühren sodann auf das Konto oder eines der Konten dieser örtlichen Sozietät. Auf das oder die Konten der jeweiligen örtlichen Sozietät haben die anderen örtlichen Sozietäten keinen Zugriff. Die angefallene Umsatz­steuer ist mithin ebenfalls von der örtlichen Sozietät abzuführen, in der das Mandat bear­beitet worden ist.

Arbeitnehmer werden von den örtlichen Sozietäten eingestellt, bezahlt und ggf. entlassen. Sie werden dort steuerrechtlich geführt und auch sozialversichert. In der örtlichen Sozietät wird auch über die Einstellung der Mitarbeiter entschieden.

Die Mietverträge über Büroräume etc. werden von den örtlichen Sozietäten geschlossen.

Die Aufnahme von neuen Partnern wird in den örtlichen Sozietäten geprüft und entschieden, in denen die neuen Partner arbeiten sollen. Die anderen örtlichen Sozietäten werden zwar informiert und haben das Recht, eine Stellungnahme abzugeben. Sie haben aber kein Recht, an der Entscheidung mitzuwirken. Diese wird allein in der jeweiligen örtlichen Sozietät getroffen.

Entsprechendes gilt für alle Entscheidungen, welche die jeweiligen örtlichen Sozietäten betreffen. Auf der Ebene der überörtlichen Sozietät wird keine Entscheidung getroffen. Daher verfügt diese auch nicht über ein Steuerungsinstrument, etwa eine Art Generalmanager oder einen entsprechenden Funktionsträger. Entscheidungen, welche die örtlichen Sozietäten betreffen, werden auch nicht in den jährlich ein­mal stattfindenden Partnerversammlungen erörtert, vorbereitet und/oder gefasst (s.o.).

(3)

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die örtlichen Sozietäten ihre „un­ternehmerische“ Selbstständigkeit zugunsten der überörtlichen Sozietät nicht aufgegeben haben und sich auch nicht als bloße Organisationseinheiten innerhalb der überörtlichen Sozietät betätigen und verstehen. Vielmehr verfügt die

überörtliche Sozietät der Kläger über keinerlei unternehmerische Entscheidungsgewalt, über kein Gesamthandsvermögen (vgl. dazu § 1 (4) des Vertrages der Kläger „über eine Außensozietät), über kein eigenes Bankkonto und über keine Steuernummer. Die überörtliche Sozietät nimmt am Wirtschaftsverkehr und an der Bearbeitung der Mandate nicht teil. Sie existiert nur - als eine Art Marketinginstrument - auf dem Briefkopf der Kläger. Eine wirkliche Zusammenarbeit der Kläger als Sozietätsmitglieder findet nicht statt. Die unter (1) aufgezählten Punkte (einheitlicher Briefkopf, Kollisionskontrolle, gemeinsame Haftung und eine entsprechende gemeinsame Versicherung) sind zwingende Notwendigkeiten, um überhaupt nach außen den Anschein einer überört­lichen Sozietät erwecken zu können. Das rechtsuchende Publikum verbindet mit einer überörtlichen Sozietät aber mehr, nämlich eine gemeinsame Berufsausübung in dem Sinne, wie sie unter 3 a) dargestellt worden ist. Mit der Kurzbezeichnung „S ▪ Sp“ wird dem rechtsuchenden Publikum in irreführender Weise eine überörtliche Sozietät kundgegeben, die tatsächlich nicht existiert. Viel­mehr verbindet die selbstständigen Sozietäten in Hamm, Bielefeld, Potsdam, Berlin und Düsseldorf lediglich eine Art Kooperation. Dem Erscheinungsbild im Außenver­hältnis entspricht das Innenverhältnis nicht.

Der belehrende Hinweis der Beklagten ist daher zu Recht erfolgt und die Klage un­begründet.

c)

Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, dass die Außendarstellung der

klägerischen Kanzlei spätestens mit den am 01.03.2011 in Kraft getretenen

Änderungen der §§ 8, 9 BORA zulässig geworden ist. Richtig ist, dass eine

Kurzbezeichnung nach der Gesetzesänderung nicht mehr nur von Sozietäten, sondern auch von Einzelanwälten, Bürogemeinschaften oder Kooperationen geführt werden darf (Deckbrock in: Henssler/Streck, Die Berufsausübungsgemeinschaft,

Kap. M Rz. 190 - erscheint demnächst). Bei der Verwendung einer Kurzbezeichnung muss aber ersichtlich sein, um welche Form der Zusammenarbeit es sich handelt.

Eine Kurzbezeichnung darf nicht zu einer Irreführung der Rechtsuchenden führen. Dies ist aber dann der Fall, wenn man im Außenverhältnis unter der

Kurzbezeichnung „S ▪ Sp“ den Anschein einer überörtlichen Sozietät erweckt, diese aber, wie unter 3. b) dargestellt, gerade nicht vorliegt,

sondern lediglich eine Art Kooperation.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 112 c BRAO i.V.m. 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung ist gemäß §§ 112 e BRAO i.V.m. 124 VwGO zuzulassen gewesen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Bei der Festsetzung des Streitwertes ist der Regelstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG von 5.000,- € wegen der Anzahl der Kläger maßvoll erhöht worden.

Rechtsmittelbelehrung:

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der vollständigen Urteils­gründe bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Ur­teils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht sogleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, beim Bundesgerichtshof, Hausanschrift: Herrenstr. 45 a,

76133 Karlsruhe, Postanschrift: 76125 Karlsruhe, einzureichen.

Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskosten­hilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Pro­zesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule i.S.d. Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt zuge­lassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 - 7 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zuzulas­sen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse kön­nen sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Be­schäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Perso­nen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentli­chen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.






OLG Hamm:
Urteil v. 04.03.2011
Az: 2 AGH 1 - 15 u. 17 - 35/10


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