Verwaltungsgericht Gelsenkirchen:
Urteil vom 28. Juli 2006
Aktenzeichen: 15 K 4205/02

(VG Gelsenkirchen: Urteil v. 28.07.2006, Az.: 15 K 4205/02)

Tenor

Die Sperrungsverfügung der Bezirksregierung E.°°°°°°°° vom 6. Februar 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2002 wird aufgehoben.

Im Óbrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die jeweilige Kostenschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die je-weilige Kostengläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin bietet ihren Kunden Internetdienste an (Internet-Service- Provider). Ihre Tätigkeit beschränkt sich insoweit auf die Vermittlung des Zuganges zum Internet (Access-Provider) und zwar in der Weise, dass sie ihren Endkunden den Zugang zum Internet ausschließlich als Wiederverkäuferin von Netzdienstleistungen anderer Netzbetreiber ohne eigene Netzinfrastruktur (sog. Reseller) vermittelt. Über die Zugangsvermittlung der Netzbetreiberin V1. Deutschland GmbH - V1. -, die inzwischen auf die N. Deutschland GmbH verschmolzen wurde, konnten die Kunden der Klägerin auch die Web-Seiten (Internetauftritte) „www.stormfront.org" und „www.nazilaucknsdapao.com" aufrufen.

Mit Ordnungsverfügung vom 6. Februar 2002 gab die Bezirksregierung E. , der Klägerin auf, den Zugang zu den Webseiten „www.stormfront.org" und „www.nazilaucknsdapao.com" zu sperren. Zur Begründung führte die Bezirksregierung aus, sie sei als die für den gesetzlichen Jugendschutz zuständige Behörde im Sinne des Mediendienste- Staatsvertrages (MDStV) für die Medienaufsicht zuständig. Die genannten Web-Seiten enthielten unzulässige Inhalte und verstießen damit gegen den Staatsvertrag. Auf Grund der zahlreichen Links habe das Gesamtangebot zugleich die Funktion einer Verteilungsdrehscheibe für die deutsche rechtsextremistische Szene. Namentlich verstoße das Angebot gegen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) und zwar seien die Tatbestände der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und 2 StGB und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86 StGB erfüllt. Ferner werde der Krieg verherrlicht. Darüber hinaus sei das Angebot offensichtlich geeignet, Kinder und Jugendliche sittlich schwer zu gefährden. Das Unternehmen könne als Access-Provider in Anspruch genommen werden. Eine direkte Inanspruchnahme der Content-Provider oder Service-Provider sei nicht durchführbar. Auf eine entsprechende Aufforderung der Bezirksregierung sei keine Reaktion erfolgt. Auch die gemeinsame Stelle der Jugendministerien „jugendschutz.net" sei mit ihren Bemühungen nicht erfolgreich gewesen. Die Sperrungen seien technisch möglich. Nach dem derzeitigen Stand der Technik kämen drei Möglichkeiten in Betracht: Sofern der Access-Provider einen DNS (Domain Name Server) betreibe, könne dieser so konfiguriert werden, dass Anfragen umgeleitet würden. Bei Verwendung eines Proxy-Servers könnten die Zugriffe auf die indizierten Seiten gesperrt werden. Schließlich könnten die IPs (Internet Protocols) im Router (Rechner, der Daten im Netzwerk weiterleitet) durch entsprechende Konfiguration gesperrt werden. Die Sperrungen seien zumutbar. Die Maßnahmen dienten dem Schutz hochwertiger Rechtsgüter. Demgegenüber sei der technische und personelle Aufwand für die Klägerin gering. Die Maßnahmen seien auch verhältnismäßig. Insbesondere seien sie geeignet. Dafür sei nicht Voraussetzung, dass unbedingt der volle Erfolg zum Tragen komme. Vielmehr reiche es aus, dass mit Hilfe der angeordneten Maßnahme der gewünschte Erfolg näher rücke. Das sei hier der Fall. Zumindest entstehe auch eine Erschwernis für den durchschnittlichen Nutzer, die Web-Seiten zu erreichen, auch wenn eine theoretische Umgehungsmöglichkeit stets gegeben sei. Die Sperrungen seien erforderlich, um den Zugang für den durchschnittlichen Nutzer zu erschweren. Sie seien angemessen. Die Informationsfreiheit verletzten sie nicht, weil dieses Grundrecht im vorliegenden Zusammenhang eingeschränkt sei.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung E. durch Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2002, zugestellt am 5. August 2002, als unbegründet zurück.

Am 4. September 2002 hat die Klägerin Klage gegen die Bezirksregierung E. auf Aufhebung der Sperrungsverfügung erhoben.

Unter dem 18. September 2002 ordnete die Bezirksregierung E. die sofortige Vollziehung ihrer Ordnungsverfügung vom 6. Februar 2002 an, wogegen die Klägerin mit Erfolg einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bei dem erkennenden Gericht gestellt hat (Az.:15 L 2613/02).

Nach dem Inkrafttreten des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) zum 1. April 2003 beantragte die Klägerin bei der Bezirksregierung E. die Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 6. Februar 2002, weil die Zuständigkeitsnorm, auf die die Sperrungsverfügung sich stütze, ersatzlos gestrichen worden sei. Diesen Antrag lehnte die Bezirksregierung durch Bescheid vom 10. Juni 2003 ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2003, zugestellt am 26. August 2003, zurück. Mit Schriftsatz vom 24. September 2003 (Eingang bei Gericht am selben Tag) hat die Klägerin ihre Klage vor dem erkennenden Gericht insoweit erweitert.

Die Klägerin macht zusammengefasst folgendes geltend:

Die Sperrungsverfügung sei bereits formell rechtswidrig, weil die die Ordnungsverfügung erlassende Bezirksregierung unzuständig geworden sei.

Sie sei aber auch materiell rechtswidrig. Der Mediendienste-Staatsvertrag sei nicht anwendbar, weil sie als Access-Provider einen Teledienst anbiete, die Beanstandungen indessen inhaltlicher Natur seien. Die Bezirksregierung müsse vielmehr gegen die Handlungsstörer vorgehen, die Mediendienste anböten. Ferner verweise das Gesetz auf die Möglichkeit des Vorgehens nach dem Telekommunikationsgesetz. Dafür fehle es der Bezirksregierung an der Kompetenz. Die beanstandeten Web-Seiten seien auch nicht durch publizistische Inhalte geprägt. Es würden dort lediglich Devotionalien angeboten, ein redaktioneller Teil sei allenfalls von untergeordneter Bedeutung. Einer Anwendung der Ermächtigungsgrundlage widerspreche auch das Gebot der Staatsferne. Ein unmittelbarer staatlicher Eingriff stelle einen Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit dar, die hier entsprechend gelte. Diesem Prinzip entspreche auch der inzwischen in Kraft getretene Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der die Kontrolle in die Hände einer unabhängigen Kommission lege. Ferner sei auf eine Entschließung des Europäischen Parlaments hinzuweisen, die im Zusammenhang mit der E- commerce-Richtlinie 2001/31/EG ergangen sei und ein isoliertes nationales Vorgehen ausschließe. Inhaltlich liege kein Verstoß gegen § 22 MDStV vor. Zunächst sei strafrechtlich von Bedeutung, dass es sich um Tatbestände handele, die im Ausland vollendet worden seien. Die Seiten wendeten sich auch nicht an Deutsche, sondern an weiße Nationalisten in den Vereinigten Staaten. Eine eventuelle Jugendgefährdung beziehe sich nur auf einzelne Seiten. Deswegen lägen die materiellen Voraussetzungen für eine Sperrung der gesamten Seiten nicht vor. Sie, die Klägerin, sei auch für den Inhalt der Seiten nicht verantwortlich. Sie könne allenfalls als Nichtstörerin herangezogen werden. Es sei unzulässig, dass die Bezirksregierung sie, die Klägerin, zur Zustandsstörerin machen wolle. Zuvor müsse im Wege eines Amtshilfeersuchens der wirklich Verantwortliche in den USA in Anspruch genommen werden. Eine Regulierung mit einem spezifisch nordrheinwest- fälischen Ansatz verbiete sich. Die Beklagte erreiche mit den in Nordrhein- Westfalen ansässigen Providern nur ein sehr kleines Nutzer-Potential. Die Klägerin sei auch die falsche Adressatin für die Sperrungsverfügung, weil sie als Reseller ohne eigenes Netz für die Sperrungsmaßnahmen nicht herangezogen werden dürfe; sie könne Sperrungsmaßnahmen in der von der Beklagten geforderten Weise allein aufgrund der fehlenden eigenen Server und Router gar nicht umsetzen; der bei ihr vorhandene RADIUS-Server diene allein der Authentifizierung der Kunden der Klägerin bei ihrem Netzbetreiber. Außerdem übersehe die Beklagte, dass die Klägerin rechtlich keine Möglichkeit habe, auf den Netzbetreiber V1. bzw. N. vertraglich so einzu- wirken, dass dieser an die Klägerin gerichtete Sperrungsverfügungen umsetze. Die Ordnungsverfügung sei überdies unbestimmt, weil sie die Wahl zwischen drei verschiedenen Wegen zur Befolgung der Sperrungsanordnung vorgebe. Die Verfügung erweise sich auch als unverhältnismäßig. Sie sei insbesondere ungeeignet, weil sie nicht ihr eigentliches Ziel erreichen könne. Die vorgeschlagenen Sperrungen sei leicht zu umgehen. Das könne schon durch Link-Listen auf anderen Web-Seiten geschehen. Die Verfügungen seien auch nicht erforderlich. Der Einsatz von Indizierungen oder Ratings sei gegenüber dem ordnungsrechtlichen Einschreiten das mildere Mittel. Die Bezirksregierung müsse vorrangig gegen Suchmaschinenbetreiber und Hardware-Hersteller vorgehen und diese zum Einsatz von Filter-Software verpflichten. Aus wirtschaftlichen und technischen Gründen seien die angeordneten Sperrungen nicht zumutbar und überdies für die Klägerin als Reseller auch gar nicht möglich. Die DNS-Sperrung werde von der Bezirksregierung als Präzedenzfall angesehen. Insgesamt sei von etwa 6.000 Web-Seiten auszugehen, die potentiell einer Sperrung unterliegen könnten. Die Sperrung aller Seiten sei unzumutbar. Eine Sperrung sei auch deswegen unzumutbar, weil sie zulässige Inhalte einschlösse. Die vorgeschlagene Proxy-Sperrung sei nicht zumutbar, weil die Klägerin deswegen einen Proxy- Server erst einmal anschaffen müsste. Bei der dritten Möglichkeit, der Sperrung der IP-Adresse, sei wegen der Möglichkeit der kurzfristigen Änderung eine Weiterverfolgung nötig. Diese sei sehr aufwändig. Auch hier komme es zu einer Sperrung zulässiger Inhalte. Im Übrigen könne die Klägerin ohne eigenen Router eine solche Sperrung nicht durchführen. Die Bezirksregierung habe ihr Entschließungsermessen nicht ausgeübt. Gleiches gelte für das Auswahlermessen, weil sie nicht als Nichtstörerin bezeichnet werde. Art. 14 des Grundgesetzes sei schließlich verletzt, weil keine Entschädigung gewährt werde. Auch sei der Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes verletzt, weil die Beklagte nicht gegen alle Access-Provider in Nordrhein-Westfalen vorgegangen sei, sondern nur gegen die ihr bekannten, obwohl die Ermittlungen keinen großen Aufwand bedeutet hätten, und sich im Übrigen nicht mit der fehlenden Netzstruktur bei der Klägerin auseinandergesetzt habe. Auch seien durch die Sperrungsverfügung die Presse- und Informationsfreiheit verletzt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Sperrungsverfügung der Bezirksregierung E. vom 6. Februar 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2002 sowie deren Ablehnungsbescheid vom 10. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vortrag der Klägerin unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide entgegen und führt des Weiteren aus, die Klägerin sei auch mit Blick darauf, dass sie Resellerin für einen anderen Netzbetreiber sei, als Handlungsstörerin zu qualifizieren, denn die Klägerin bediene sich der Fa. V. als Dienstleisterin und könne als Dienstherrin dem Netzbetreiber Vorgaben machen; aufgrund der bei der Klägerin stattfindenden Authentifizierung des Kunden mittels eines RADIUS-Servers entscheide die Klägerin faktisch allein über den Zugang des eigenen Kunden zum Internet und müsse deshalb auch mit einer Sperrungsverfügung belegt werden können.

Die Fa. V. hat die gegen sie gerichtete inhaltsgleiche Sperrungsverfügung der Bezirksregierung E. vollständig umgesetzt und die von ihr bei dem erkennenden Gericht erhobene Klage 15 K 4020/02 zurückgenommen; das Verfahren wurde mit Beschluss vom 18. August 2005 eingestellt.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und in dem Verfahren Verwaltungsgericht Gelsenkirchen 15 L 2613/02 (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 8 B 1925/03) sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend verwiesen.

Gründe

I.

Die Klage ist nur teilweise zulässig.

1.

Mit der Klage ficht die Klägerin zwar zulässigerweise zunächst die Sperrungsverfügung der Bezirksregierung E. vom 6. Februar 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2002 an.

Soweit die Klägerin den eine Aufhebung der Sperrungsverfügung vom 6. Februar 2002 ablehnenden Bescheid der Bezirksregierung E. vom 10. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2003 ebenfalls (isoliert) anficht, ist die Klage aber aus zweierlei Gründen mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig; zum einen deshalb, weil bei einer reinen Verpflichtungssituation - wie der hier insoweit vorliegenden - die isolierte Aufhebung des die begehrte Begünstigung ablehnenden Bescheides dem Kläger keinen Vorteil bringt,

vgl. im Einzelnen Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 42 Rdnr. 30,

zum anderen, weil über die dem Antrag auf Aufhebung der Sperrungsverfügung vom 6. Februar 2002 zugrunde liegende Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Sperrungsverfügung unter dem Gesichtspunkt der geänderten Behördenzuständigkeit im Rahmen der die Sperrungsverfügung betreffenden Anfechtungsklage ohnehin mitzuentscheiden ist.

2.

Zutreffend nimmt die Klägerin nunmehr die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen in Anspruch, um ihr Aufhebungsbegehren gegen die Sperrungsverfügung der Bezirksregierung E. durchzusetzen.

Seit dem 1. April 2003 nämlich ist die Beklagte für die Medienaufsicht im vorliegenden Zusammenhang zuständig. Das folgt aus dem Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag - JMStV), veröffentlicht als Anlage zum entsprechenden Gesetz vom 28. Februar 2003 (GV NRW 2003, S. 84 ff.). Dieser Staatsvertrag ist gemäß seinem § 28 Abs. 1 Satz 2 am 1. April 2003 in Kraft getreten, nachdem alle von den Ländern ausgefertigten Ratifikationsurkunden fristgerecht hinterlegt worden sind.

Vgl. die Bekanntmachung des In-Kraft-Tretens des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag) vom 13. Mai 2003 - GV NRW 2003 S. 267 - durch die Landesregierung, dort allerdings fälschlicherweise als „Jugendschutzmedien-Staatsvertrag" bezeichnet.

Der Staatsvertrag stellt eine einheitliche, bei den Medienanstalten der Länder konzentrierte Aufsicht für alle elektronischen Online-Dienste her, nachdem der Bundesgesetzgeber im Jugendschutzgesetz (JuSchG) vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2730), zuletzt geändert durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 (BGBl. I S. 3076, 3078) insoweit auf Jugendschutzbestimmungen verzichtet hatte. Der Zweck des Staatsvertrages dient dem Schutz aller Nutzer, besonders aber dem von Kindern und Jugendlichen, vor Online-Angeboten, die die Entwicklung oder Erziehung von Kindern und Jugendlichen gefährden können oder die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen.

Vgl. die Begründung zum Jugendmedienschutz- Staatsvertrag, Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 13/3431, S. 1 f..

Seit dem 1. April 2003 liegen die Kompetenzen des § 22 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 des Mediendienste-Staatsvertrages vom 27. Juni 1997 (GV NRW 1997 S. 158) in der Fassung des Art. 3 des Sechsten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 7. Juni 2002 (GV NRW 2002 S. 178) - MDStV - bei der Landesmedienanstalt (vgl. § 20 Abs. 4 JMStV) und nicht mehr bei der Bezirksregierung E. ,

vgl. zu deren Zuständigkeit die durch Art. 4 des Gesetzes zum Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien vom 28. Februar 2003 - GV NRW 2003 S. 84 - geänderte Verordnung über die Zuständigkeiten nach dem Mediendienste- Staatsvertrag (Zuständigkeitsverordnung für Mediendienste) vom 1. Juli 1997 (GV NRW 1997 S. 184),

die die angefochtene Ordnungsverfügung erlassen und gegen die sich die Klage zunächst zu Recht gerichtet hatte. Die Aufgaben des Jugendschutzes im Zusammenhang mit Online-Diensten, die die Bezirkregierung E. ausdrücklich als Grundlage ihres ordnungsbehördlichen Einschreitens genannt hat, sind mit Wirkung vom 1. April 2003 auf die Beklagte übergegangen. Dieser Zuständigkeitswechsel bewirkt keine Rechtsnachfolge, die im Falle gesetzlicher Anordnung oder vertraglicher Vereinbarung eintritt. Vielmehr ist der Vorgang als Funktionsnachfolge zu qualifizieren, die Verwaltungskontinuität gewährleistet.

Vgl. dazu Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. I, 11. Aufl., § 41 Rdnr. 18; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1954 - II C 84/53 -, NJW 1954, 935.

Die Funktionsnachfolge bewirkt deshalb nicht nur einen Übergang der Kompetenzen, sondern auch der damit verbundenen gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten und Verpflichtungen. Ohne diesen Übergang könnten Verwaltungsakte der früher zuständig gewesenen Behörde nicht mehr durchgesetzt oder vollstreckt werden, würden also obsolet. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass noch nicht abgeschlossene Verwaltungsverfahren einschließlich der Verteidigung noch nicht rechtskräftiger Verwaltungsakte vor Gericht nunmehr von der neu zuständig gewordenen Behörde weiter geführt werden. Daraus folgt unmittelbar, dass die Landesanstalt für Medien nunmehr berufen ist, im Hinblick auf die angefochtene Ordnungsverfügung der Bezirksregierung E. im Verwaltungsprozess an deren Stelle zu treten.

Ebenso: VG Arnsberg, Urteil vom 26. November 2004 - 13 K 3173/02 - ; VG Köln, Urteil vom 3. März 2005 - 6 K 7151/02 - ; VG Düsseldorf, Urteil vom 10. Mai 2005 - 27 K 5968/02 -; Zur Problematik vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 2. November 1973 - IV C 55.70 -, BVerwGE 44, 148 und vom 13. Dezember 1979 - 7 C 46.78 -, BVerwGE 59, 221 sowie die Kommentierungen von Redeker/von Oertzen § 91 Rdnr. 5 aE; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, Nomos- Komm. zur VwGO § 63 Rdnr. 23; Ortloff, in: Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, Komm. zur VwGO, § 91 Rdnr. 42.

Prozessual hat diese Zuständigkeitsänderung einen Parteienwechsel auf Seiten der Beklagten zur Folge, der von Amts wegen zu beachten ist, aber keine nur unter den Voraussetzungen des § 91 VwGO zulässige Klageänderung darstellt.

II.

Die insoweit zulässige Klage ist auch begründet.

Die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung E. ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Da es sich bei der angegriffenen Ordnungsverfügung um einen Dauerverwaltungsakt handelt - die Klägerin hat die Sperrung auch bei Änderung des technischen Umfelds beizubehalten - kommt es für die Frage der Rechtmäßigkeit nicht allein auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an, sondern auch darauf, ob die Verfügung noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig ist.

Ebenso: VG Arnsberg, Urteil vom 26. November 2004 - 13 K 3173/02 -; VG Köln, Urteil vom 3. März 2005 - 6 K 7151/02 - ,VG Düsseldorf, Urteil vom 10. Mai 2005 - 27 K 5968/02 -.

Die Sperrungsverfügung erweist sich im letztgenannten Zeitpunkt als unverhältnismäßig. Es kann dahinstehen, ob dies bereits deshalb der Fall ist, weil die Klägerin - worum die Beteiligten streiten - als bloßer Reseller technisch gar nicht in der Lage ist, die Verfügung umzusetzen. Jedenfalls ist die Sperrungsverfügung gegenüber der Klägerin spätestens mit dem Eintritt der durch Rücknahme der Klage 15 K 4020/02 bewirkten Bestandskraft der gleichlautenden Sperrungsverfügung gegenüber der Fa. V. unverhältnismäßig geworden, weil sie nicht mehr erforderlich ist.

Die von der Beklagten beabsichtigten Wirkungen der Sperrungsverfügung sind vollständig mit der (nach Bestandskraft) dauerhaften Umsetzung der gegen die V. gerichteten Verfügung durch diese eingetreten. Demgegenüber bringt das Aufrechterhalten der Sperrungsverfügung gegenüber der Klägerin keinen weiteren ordnungsrechtlichen Nutzen. Die Klägerin nimmt als bloße Wiederverkäuferin von Internetzugängen ohne eigene Netzstruktur im hier interessierenden Zusammenhang keine eigenen Handlungen vor, die nicht schon durch die Sperrungsverfügung gegenüber der V. erfasst und vollzogen worden wären. Unstreitig hat sich die Klägerin der Fa. V. als Dienstleisterin in der Weise bedient, dass sie ihren eigenen Kunden die Nutzung der Server der V. ermöglicht hat. Dabei hat die Klägerin lediglich die Authentifizierung des Namens und des Passwortes des Kunden mittels eines eigenen sog. RADIUS-Servers vorgenommen. Unstreitig verfügt die Klägerin im hier interessierenden Zusammenhang über keine eigene Netzstruktur mit Routern und Servern zur eigenständigen unmittelbaren Vermittlung des Internetzugangs. Selbst wenn die Klägerin im Innenrechtsverhältnis zur V. die gegenüber ihr ergangene Sperrungsverfügung vertraglich gegenüber dieser hätte durchsetzen können, was hier keiner Entscheidung bedarf, so ginge ein solcher Akt nach dauerhafter Umsetzung der eigenen Sperrungsverfügung durch die V. ins Leere, weil nicht mehr bewirkt werden könnte als bereits bewirkt ist.

Dass dies im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung anders ist, wird auch durch den letzten Schriftsatz der Beklagten vom 19. Juli 2006 nicht substantiiert vorgetragen. Eine die Aufrechterhaltung der Sperrungsverfügung gegenüber der Klägerin rechtfertigende konkrete Gefahr im Sinne des Ordnungsrechts dergestalt, dass die Klägerin ohne die Vermittlung durch die V. den Zugang zu den von der Verfügung betroffenen Web-Seiten „www.stormfront.org" und „www.nazilaucknsdapao.com" bewirken könnte, wird durch die Ausführungen der Beklagten nicht aufgezeigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.






VG Gelsenkirchen:
Urteil v. 28.07.2006
Az: 15 K 4205/02


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