Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 1. Dezember 2009
Aktenzeichen: 14 K 3641/08

(VG Köln: Urteil v. 01.12.2009, Az.: 14 K 3641/08)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin, ein Unternehmen der E. U. H. , plant die Errichtung einer Mobilfunkbasisstation im Raum Königswinter/Heisterbacherrott. Mit dieser Anlage soll eine verbesserte Mobilfunkversorgung für die Ortschaften Thomasberg und Heisterbacherrott sowie für das Kloster Heisterbach erreicht werden.

Unter dem 14.03.2007 beantragte sie bei der Stadt Königswinter die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Funkbasisstation auf dem Flurstück 0000, der Flur 0, Gemarkung Heisterbacherrott. Die Funkstation besteht aus einem 40 m hohen Stahlgittermast, auf dem noch ein 5 m hohes Aufsatzrohr montiert werden soll. Der Mast und 4 zu errichtende Technikcontainer sollen mit einem 2 m hohen Zaun eingefriedet werden. Der geplante Antennenträger soll Antennen der Mobilfunknetzbetreiber T-Mobile, Telefonica O2 und E-Plus aufnehmen. Nach der als Anlage zum Baugenehmigungsantrag eingereichten "Funktechnischen Erläuterung der Wahl des Standortes" - erarbeitet von O2 (Germany) GmbH & Co. OHG - wurden neben dem ausgewählten Standort 11 weitere Standorte für die geplante Funkstation geprüft. Nach der oben bezeichneten Erläuterung wurden 2 Standorte mit der Begründung "interne Ablehnung" und 9 Standorte mit der Begründung "externe Ablehnung" ausgeschieden. Der geplante Standort wird derzeit als Ackerfläche genutzt und liegt nördlich der L 268 (Dollendorfer Straße) nahe dem Waldgebiet Weilberg. Er liegt im Geltungsbereich der Ordnungsbehördlichen Verordnung der BZR Köln über das Naturschutzgebiet (NSG) "Siebengebirge" vom 12.05.2005 (NSG-VO), die den Bereich als Naturschutzgebiet ausweist. Nach § 5 Abs. 2 Ziff. 1 NSG-VO ist es insbesondere verboten, bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 LBO NRW zu errichten. Der geplante Standort liegt zudem innerhalb des Bereichs, den die Bundesrepublik der EU als Fauna-Flora-Habitat(FFH-)Gebiet (Nr. DE 5309-301 - Siebengebirge) gemeldet hat. Das Naturschutzgebiet Siebengebirge ist inzwischen mit der Entscheidung der Kommission vom 18.12.2008 (Abl. EU Nr. L 43/63 vom 13.02.2009) in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gem. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 92/3EWG (FFH-Richtlinie) aufgenommen worden.

Die Stadt Königswinter übersandte den Bauantrag der Klägerin unter dem 13.07.2007 an den Beklagten und bat ihn um Óberprüfung, ob landschaftsrechtliche Hinderungsgründe dem Vorhaben entgegenstehen.

Der Beklagte fasste dieses Ersuchen als Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Befreiung gem. § 69 LG NRW von den Verboten der NSG-VO auf und leitete das Verfahren zur Beteiligung des Landschaftbeirats (vgl. § 11 LG NRW) und der nach § 12 Abs. 3 Ziff. 6 LG NRW zu beteiligenden Naturschutzvereine ein.

Die ULB des Beklagten teilte dem Landschaftsbeirat unter dem 02.08.2007 mit, dass sie beabsichtige, die erforderliche Befreiung für das Vorhaben zu erteilen. Sie bat den Beirat, der Erteilung der Befreiung auf seiner Sitzung am 23.08.2007 zuzustimmen. Zur Begründung führte sie aus, dass dem Antragsverfahren eine umfangreiche Standortsuche vorausgegangen sei. Der in Rede stehende Standort sei der aus naturschutzfachlicher Sicht am besten geeignete Standort. Die Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung sowie eine Aussage zur FFH-Erheblichkeit ergäben sich aus dem im Auftrag der Klägerin angefertigten landschaftspflegerischen Begleitplan des Ingenieurbüros "J. M. Q. " (J1. ).

Der Landschaftsbeirat stellte in seiner Sitzung vom 23.08.2007 die Entscheidung über die Zustimmung zu der beabsichtigten Befreiung zurück und bat die ULB des Beklagten darum, weitere Standortalternativen für die Mobilfunkbasisstation zu untersuchen. Daraufhin bat die ULB des Beklagten die Klägerin, Machbarkeitsstudien vorzulegen für Alternativstandorte der Funkbasisstation und für eine geänderte technische Variante, bei der die geplanten Antennenvorrichtungen auf mehrere kleinere Masten verteilt würden.

In ihrer Stellungnahme vom 19.09.2007 wies die T-Mobile GmbH darauf hin, dass der nördlich gelegene Alternativstandort "Kasseler Heide" funktechnisch ungeeignet sei. Für die GSM-Technik bringe der Standort eine Versorgungslücke im südlichen Bereich der L 268 und im bebauten Bereich von Heisterbacherrott mit sich. Für die UMTS-Technik würden diese Defizite noch deutlicher. Eine UMTS-Nutzung werde nur in den Ortsrandbereichen möglich. Mit der ergänzenden Stellungnahme vom 14.01.2008 teilte die T-Mobile GmbH mit, dass bei einer Lösung mit niedrigerem Antennenträger im Bereich des Klosters Heisterbacherrott ein weiterer Mast mit 25 m Höhe errichtet werden müsse. Ein exponierter Mast - wie der geplante - sei zudem zukunftssicherer für zukünftige Funksysteme. Der Mobilfunkbetreiber O2 wies mit undatierter E-Mail (Beiakte 1, S. 213) darauf hin, dass der Standort "Kasseler Heide" funktechnisch nicht geeignet sei. Bei einer Entfernung von 1,1 km bis zur Stadtgrenze und über 2 km zum Stadtzentrum könne nicht das ganze Versorgungsgebiet vollständig mit einer Indoorversorgung abgedeckt werden. Für die UMTS-Technik sei die Nähe zum Versorgungsgebiet zwingend erforderlich. Der Standort müsse in oder am Stadtrand von Thomasberg liegen, sonst sei er für UMTS ungeeignet.

Die ULB des Beklagten bat den Landschaftsbeirat unter dem 30.10.2007 erneut der Befreiung von den Verboten der NSG-VO zuzustimmen. Sie verwies darauf, dass der Standort "Kasseler Heide" nach den von der Klägerin durchgeführten Untersuchungen funktechnisch ungeeignet sei. Als weiterer Standort komme noch der etwa 85 m westlich vom geplanten Standort entfernt liegende Parkplatz am Weilberg in Betracht. Hier würde sich die Auswirkung auf das Landschaftsbild erheblich reduzieren, da er innerhalb einer Waldkulisse liege und die Masthöhe hier wegen des höheren Geländeniveaus um 5 m reduziert werden könne. Der Landschaftsbeirat vertagte die Entscheidung über die Zustimmung zu der beantragten Befreiung auf seiner Sitzung am 08.11.2007 erneut.

In der Folgezeit wandte sich die Bürgerinitiative "Risiko Mobilfunk" an den Beklagten. Sie wies ihn darauf hin, dass nach ihrer Einschätzung der nördlich gelegene Standort "Kasseler Heide" aus Sicht des Naturschutzes geeigneter sei. Dieser Standort liege lediglich im Landschaftsschutzgebiet. Zur funktechnischen Eignung des Standortes "Kasseler Heide" legte die Bürgerinitiative eine in ihrem Auftrag erstellte funktechnische Untersuchung des Ing. Büros I. vom 02.11.2007 vor. Nach dieser Untersuchung ist der Standort "Kasseler Heide" geeignet, eine ausreichende Versorgung der Ortschaften Thomasberg und Heisterbacherrott mit Mobilfunk (Óbertragungstechnik GSM) zu gewährleisten. Auch im Bereich des Klosters Heisterbach und entlang der L 268 würden die erforderlichen Leistungsflussdichten erreicht, die die vom Gesetzgeber geforderte Outdoorversorgung ermögliche. Das mobile Telefonieren werde aber auch in den meisten Häusern möglich sein. Die Sendetechniken UMTS, WIMAX und Tetra seien keine Universaldienstleistungen und gehörten nicht zur telekommunikationsrechtlichen Grundversorgung. Die Klägerin bat Prof. Dr. X. um eine fachliche Bewertung der Untersuchung des Ing. Büros I. . Dieser beanstandete in seiner Stellungnahme vom 11.01.2008, dass die Studie I. sich nur mit einer ausreichenden Feldstärkenversorgung mit GSM-Mobilfunk (genau nur mit GSM-900 Mobilfunk) beschäftige. Die in der Studie angegebenen Empfangsleistungswerte seien aber durchaus realistisch.

Am 18.12.2007 besichtigten Vertreter des Beirates, der ULB des Beklagten, der Stadt Königswinter, der Mobilfunkbetreiber und der Bürgerinitiative anlässlich eines Ortstermins den geplanten Standort und die Alternativstandorte am Weilbergparkplatz und in der "Kasseler Heide".

Unter dem 06.02.2008 bat die ULB des Beklagten den Landschaftsbeirat erneut um seine Zustimmung zu der von ihr beabsichtigten Befreiung von den Verboten der NSG-VO für den geplanten Standort. Der Standort am Weilbergparkplatz scheide aus, weil das Land NRW als Eigentümer des Grundstücks seine Zustimmung nicht erteilen werde. Der Standort "Kasseler Höhe" sei ungeeignet. Er liege wie der ausgewählte Standort innerhalb der Pflegezone 2 c des geplanten Nationalparks, habe aber für das Landschaftsbild größere Auswirkungen. Seitens der Klägerin werde zudem seine funktechnische Eignung verneint.

Der Landschaftsbeirat sprach sich auf seiner Sitzung am 20.02.2008 für die Errichtung des Funkmastes auf dem Standort Weilbergparkplatz aus. Auf Nachfrage des Beklagten teilte der Landesbetrieb Wald und Holz NRW unter dem 26.03.2008 mit, dass das Land NRW als Grundstückseigentümer nicht bereit sei, den Weilbergparkplatz für die Errichtung einer Mobilfunkanlage zur Verfügung zu stellen.

Mit Bescheid vom 16.05.2008 lehnte der Beklagte den von der Klägerin sinngemäß gestellten Antrag auf Befreiung von den Verboten der NSG-VO ab. Zur Begründung führte er aus, dass die nach § 69 LG NRW erforderliche unbeabsichtigte Härte nicht gegeben sei. Das Bauverbot sei auch für Mobilfunkanlagen vom Verordnungsgeber beabsichtigt. Die NSG-VO sei neueren Datums, sie datiere aus dem Jahr 2005. Gleichwohl habe der Verordnungsgeber für fernmeldetechnische Einrichtungen keine Ausnahmetatbestände geschaffen, wie er das für andere Vorhaben getan habe. Óberwiegende Gründe des Allgemeinwohls erforderten ebenfalls keine Befreiung. Gemeinwohlinteressen seien vorliegend lediglich insofern betroffen, als mit der geplanten Anlage einige Versorgungslücken der GSM-Óbertragungstechnik geschlossen würden sowie ein Indoor-Empfang der GSM-Technik und die Nutzung von UMTS-Diensten ermöglicht werde. Diese Vorteile könnten die mit der Mobilfunkanlage verbundenen gravierenden Nachteile für das Landschaftsbild nicht rechtfertigen. Die verfassungsrechtlich gem. Art. 87 f GG gebotene Grundversorgung im Mobilfunkbereich erfasse in erster Linie die Nutzung der gewöhnlichen Netze (GSM) außer Haus, weil im Haus üblicherweise Festnetztelefone zur Verfügung stünden. Eine solche Versorgung sei nach Angaben der Netzbetreiber auf deren Websites für den Bereich Königswinter auch ohne den Bau der geplanten Mobilfunkanlage gewährleistet. Durch den Bau der Mobilfunkanlage würde das Landschaftsbild der Kulturlandschaft "Siebengebirge" erheblich beeinträchtigt. Der 45 m hohe Mast werde aus allen Nah- und Fernbereichen deutlich sichtbar sein. Eine Verzahnung mit der ihn umgebenden Landschaft sei nicht möglich. Zudem bestehe die Gefahr des Verlustes des sog. Europadiploms, also eines der Markenzeichen des "Siebengebirges". Das BMU habe mitgeteilt, dass die Auswahlkommission in Straßburg die Errichtung einer Mobilfunkstation als Ausschlusskriterium genannt habe.

Die Klägerin hat am 27.05.2008 Klage erhoben. Sie meint, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gegeben seien. Óberwiegende Gründe des Allgemeinwohls erforderten eine Befreiung. Bei der Ausfüllung des Begriffs des Allgemeinwohls könne auf die zu § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Diese habe die ausreichende und angemessene Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen als öffentlichen Belang eingestuft. Von den überprüften Standorten sei nur der ausgewählte in Betracht gekommen. Der funktechnisch ebenfalls geeignete Standort Weilbergparkplatz sei nicht verfügbar, weil der Grundstückseigentümer der Errichtung des Mastes auf ihrem Grundstück nicht zugestimmt habe. Die für das Vorhaben sprechenden Gründe des Wohls der Allgemeinheit überwögen die Belange des Naturschutzes. Eine ausreichende Indoorversorgung und eine Versorgung mit UMTS-Diensten seien von wesentlicher Bedeutung. Die Mobilfunkanlage solle eine ausreichende Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen i.S.v. Art. 87 f GG sicherstellen. Aus der E-Mail des Vereins "Bausteine für das Leben" e.V. vom 11.02.2008 ergebe sich, dass die Mobilfunkversorgung der T-Mobile Deutschland GmbH im Bereich des Hauses Heisterbach, des Klostergeländes Heisterbach und des Ortsteiles Heisterbach äußerst schlecht sei. Gerade der Verein sei auf eine verlässliche Mobilfunkversorgung angewiesen. Die Einführung der UMTS-Standards in Deutschland durch die Versteigerung entsprechender Lizenzen beruhe auf einer Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.12.1998. Diesem Beschluss lasse sich nicht entnehmen, dass die GSM-Óbertragungstechnik im öffentlichen Interesse stehe und die UMTS-Technik nicht. Die Zahl der UMTS-Nutzer steige stetig. Für das Jahr 2008 werde ein Anstieg auf 16 Mio. Nutzer erwartet. Gerade viele Berufstätige nutzten die UMTS-Óbertragungstechnik, um sich von zu Hause mit ihrem Notebook in das Netz ihres Arbeitgebers einzuloggen und um E-Mails zu versenden.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 16.05.2008 zu verpflichten, die beantragte Befreiung von den Verboten der Ordnungsbehördlichen Verordnung der BZR Köln über das Naturschutzgebiet (NSG) "Siebengebirge" vom 12.05.2005 (NSG-VO) für die Errichtung einer Mobilfunkanlage auf dem Grundstück der Gemarkung Heisterbacherrott, Flur 0, Flurstück 0000 zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Seiner Auffassung nach sind die Indoorversorgung und die Versorgung mit UMTS-Diensten keine überwiegenden Gründe des Wohls der Allgemeinheit, die eine Befreiung rechtfertigen. In den Häusern stünden mit den Festnetzverbindungen ausreichende Telekommunikationsdienstleistungen zur Verfügung. Der Wunsch des von der Klägerin genannten Vereins nach Versorgung mit Mobilfunk überall und zu jeder Zeit, sei nachvollziehbar, gehe aber über die Grundversorgung im Bereich der Telekommunikation hinaus. Mobilfunk sei nicht Bestandteil der Grundversorgung i.S.v. Art. 87 f. GG. Der Mobilfunk werde in § 78 TKG, der die Grundversorgung einfachgesetzlich ausgestalte, nicht genannt. Selbst wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit für die Errichtung des Sendemastes sprächen, überwögen die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes. Die Klägerin habe trotz entsprechender Aufforderung nicht dargelegt, warum ein anderer Standort nicht möglich oder unwirtschaftlich sei. Insbesondere sei nie offen gelegt worden, was unwirtschaftlich sei und welche Beträge als Standortmiete hätten gezahlt werden müssen. Der bei der Stadt Königswinter im September 2009 gestellte Bauantrag zur Errichtung eines Funkmastes belege, dass für den Sendemast auch ein Standort im bebauten Bereich in Betracht komme. Die Errichtung des von der Klägerin geplanten Funkturms würde erhebliche Beeinträchtigungen mit sich bringen. Der naturnahe fließende und harmonische Óbergang vom Wald über das Feld hin zu dem Dorf Heisterbacherrott würde zerstört. Jedenfalls eine Ermessensreduzierung auf die begehrte Befreiung sei nicht gegeben. Gegen die Erteilung der Befreiung spreche, dass von ihr eine negative Vorbildwirkung ausgehe, die ihn unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten zur Erteilung von Befreiungen für weitere Funkanlagen im Naturschutzgebiet verpflichte.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme der Àrtlichkeit wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten und der Stadt Königswinter beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Niederschrift über den Ortstermin vom 25.11.2009.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Befreiung von dem in § 5 Abs. 2 Nr. 1 NSG-VO geregelten Verbot zum Bau einer Mobilfunkstation auf dem Flurstück 0000 der Flur 0, Gemarkung Heisterbacherrott. Der den Antrag der Klägerin ablehnende Bescheid des Beklagten vom 16.05.2008 lässt Rechtsfehler, namentlich Ermessensfehler nicht erkennen.

Die Voraussetzungen der für die Erteilung der Befreiung allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 69 Abs. 1 LG NRW liegen bereits tatbestandlich nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann der Beklagte als Untere Landschaftsbehörde von den Verboten der aufgrund des LG NRW erlassenen Verordnungen auf Antrag eine Befreiung erteilen, wenn a) die Durchführung der Vorschrift im Einzelfall aa) zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu vereinbaren ist, oder bb) zu einer nicht gewollten Beeinträchtigung von Natur und Landschaft führen würde oder b) überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern.

Das Bauverbot des § 5 Abs. 2 Nr. 1 NSG-VO führt nicht zu einer unbeabsichtigten Härte i.S.d. § 69 Abs. 1 a) LG NRW. Es ist vom Verordnungsgeber auch für die hier streitige Mobilfunkbasisstation gewollt. Die NSG-VO stammt aus dem Jahre 2005 und damit aus neuerer Zeit, in der auch für den Verordnungsgeber erkennbar war, dass die technische Fortentwicklung moderner Kommunikationstechniken die Errichtung technischer Infrastrukturanlagen auch für den das NSG umgebenden Bereich notwendig werden lässt. Dennoch hat sich der Verordnungsgeber in den Ausnahmebestimmungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) bis d) NSG-VO dazu entschlossen, nur für bestimmte kleinere bauliche Anlagen, die "keine nachteiligen und nachhaltigen Auswirkungen" auf das Schutzgebiet haben, ausdrücklich Ausnahmen vom Bauverbot zuzulassen. Andere bauliche Anlagen - wie die hier streitige Mobilfunkstation -, die die in § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) bis d) NSG-VO festgelegten Ausnahmevoraussetzungen nicht erfüllen, sollten nach dem Willen des Verordnungsgebers erkennbar vom Bauverbot des § 5 Abs. 2 Nr. 1 NSG-VO erfasst werden.

Óberwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit erfordern die Befreiung vom Verbot zur Errichtung der Mobilfunkanlage ebenfalls nicht. Der Begriff der überwiegenden Gründe des Gemeinwohls erfordert eine Abwägungsentscheidung, bei der in Rechnung zu stellen ist, dass eine Ausnahme allenfalls dann in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht sie rechtfertigen. In die mit den Gründen des Naturschutzes abzuwägenden Belange sind nur Gründe des öffentlichen Interesses und nicht auch private Belange einzustellen,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 - 4 B 12/02 -, BauR 2002, 1368.

Durch die mit der Entscheidung der EU-Kommission vom 12.12.2008 (Amtsbl. L 43/63 vom 13.02.2009) erfolgte Aufnahme des NSG Siebengebirge in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gem. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 92/43EWG (FFH-Richtlinie) sind im Rahmen der nach § 69 Abs. 1 lit. b) LG NRW vorzunehmenden Abwägung zugunsten der Belange der Naturschutzes die Schutzanforderungen der FFH-Richtlinie zu berücksichtigen, soweit durch die begehrte Ausnahme gemeinschaftsrechtliche Erhaltungsziele beeinträchtigt sind. Solche sind hier mit der Erhaltung der in § 3 lit. b) ba), Spiegelstr. 5-8 NSG-VO bezeichneten Buchenwaldtypen betroffen. Die Erhaltung dieser gemeinschaftsrechtlichen Lebensraumtypen umfasst vorliegend auch den Schutz vor Beeinträchtigungen ihres natürlichen Erscheinungs- und Landschaftsbildes. Ist ein Gebiet von gemeinschaftsrechtlicher Bedeutung - wie hier - rechtsförmlich als Naturschutzgebiet gem. § 20 LG NRW ausgewiesen, ergibt sich der Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob eine Befreiung mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung vereinbar ist, gem. § 48 d Abs. 1 Satz 2 LG NRW aus dem Schutzzweck der nationalstaatlichen Unterschutzstellung und den dazu erlassenen Vorschriften. Der Schutzzweck der NSG-VO umfasst auch den Schutz des Landschaftsbildes des Siebengebirges. Nach § 3 lit. d), 1. und 4. Spiegelstrich NSG-VO erfolgte die Unterschutzstellung des Naturschutzgebietes Siebengebirge wegen der Seltenheit, besonderen Eigenart und hervorragenden Schönheit des Siebengebirges als ein zusammenhängendes ausgedehntes Laubwaldgebiet und zum Schutz der vielfältigen Blickbeziehungen, insbesondere vom Siebengebirge auf die umliegenden Landschaften sowie innerhalb des Siebengebirges. Bedeutet das Vorhaben, für das eine Befreiung begehrt wird, eine erhebliche Beeinträchtigung dieser Schutzzwecke kann eine Befreiung nur erteilt werden, wenn das Vorhaben aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art notwendig ist und zumutbare Alternativen nicht gegeben sind (vgl. Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie, § 48 d Abs. 5 LG NRW).

Gemessen an diesen Grundsätzen hält die Entscheidung des Beklagten, der Klägerin die sinngemäß beantragte Befreiung gem. § 69 Abs. 1 LG NRW zu versagen, einer rechtlichen Óberprüfung stand. Für das Vorhaben der Klägerin streiten zwar Gründe des Wohls der Allgemeinheit. Die Klägerin bezweckt mit der Errichtung der Mobilfunkstation vor allem eine Versorgung der Ortslagen Heisterbacherrott und Thomasberg mit der UMTS-Óbertragungstechnik sowie eine verbesserte Versorgung mit der GSM-Óbertragungstechnik, die eine Nutzung von Mobilfunktelefonen in den Gebäuden der genannten Ortslagen ermöglicht. Daneben sollen mit der geplanten Anlage einige wenige Versorgungslücken in der GSM-Outdoor-Versorgung im südlichen Bereich der L 268 geschlossen werden, die für den in Rede stehenden Gesamtversorgungsbereich ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Netzabdeckungskarten weitgehend gewährleistet ist. Die mit der geplanten Mobilfunkanlage bezweckte verbesserte Mobilfunkversorgung liegt angesichts des heutigen hohen Verbreitungsgrades von Handys und der fortschreitenden technischen Entwicklung neuer Óbertragungstechniken im öffentlichen Interesse.

Es kann offen bleiben, ob die im Allgemeinwohl liegende Verbesserung der Mobilfunkversorgung die beantragte Befreiung erfordert oder ob es der Klägerin nicht auch zugemutet werden kann, die beabsichtigte Verbesserung der Mobilfunkversorgung durch eine andere Standortwahl zu erreichen. Die Klägerin hat in ihrem Baugenehmigungsantrag neben dem streitigen Standort elf weitere Alternativstandorte genannt, die sie mit der pauschalen Begründung "interne" und "externe" Ablehnung ausgeschieden hat. Von diesen Alternativstandorten liegt der überwiegende Anteil innerhalb der zu versorgenden Ortslagen. Soweit die Klägerin einige Alternativstandorte aus wirtschaftlichen Erwägungen - etwa wegen zu hoher Mietzinszahlungen - ausgeschieden hat, hat sie nicht dargelegt, welche Kriterien sie für die Beurteilung des Alternativstandortes als unwirtschaftlich angelegt hat. Diese Angaben sind erforderlich für die Beurteilung, ob der Klägerin ein etwaiger Alternativstandort für ihr Vorhaben zugemutet werden kann. Denn zur Vermeidung von Beeinträchtigungen eines ausgewiesenen Naturschutzgebietes ist es der Klägerin durchaus zumutbar, Standorte auszuwählen, die die von ihr selbst aufgestellten Wirtschaftlichkeitskriterien nicht vollem Umfang erfüllen.

Ob das Vorhaben der Klägerin nicht auch an für sie zumutbaren Alternativstandorten verwirklicht werden kann, muss allerdings nicht abschließend entschieden werden. Die Klägerin kann die begehrte Befreiung jedenfalls deshalb nicht verlangen, weil den mit der Befreiung verfolgten Allgemeinwohlinteressen kein besonderes überwiegendes Gewicht beigemessen werden kann, welches die Beeinträchtigung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege rechtfertigt.

Die Errichtung der Mobilfunkstation am geplanten Standort würde eine erhebliche Beeinträchtigung der durch die NSG-VO geschützten Belange des Naturschutzes bedeuten. Die Mobilfunkstation soll auf einer derzeit als Acker genutzten Fläche errichtet werden, die unmittelbar an den Waldbestand des Weilberges angrenzt. Der Waldbestand des Weilberges wird vorwiegend durch einen etwa 20 m hohen Buchenwald gebildet. Der zu errichtende Stahlgittermast mit einer Gesamthöhe von insgesamt 45 m würde den Baumbestand mit bis zu 25 m überragen. Der Blick auf das natürliche Waldpanorama aus nördlicher und östlicher Richtung aus allen Nah- und Fernbereichen wäre durch den Funkmast empfindlich gestört. Er wäre von den Ortslagen Heisterbacherrott und Thomasberg, aber auch von den umgebenden Hügeln und Anhöhen über die Ackerfläche vor dem Wald weithin sichtbar. Auch von den unmittelbar am Waldrand verlaufenden Waldwegen wäre er von Besuchern des Naturschutzgebietes wahrnehmbar. Das Blickfeld auf die natürliche Waldkulisse zwischen Weilberg, Petersberg, Nonnenstromberg und Stenzelberg wäre durch den Mast empfindlich beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung des Landschaftsbildes wiegt umso schwerer, weil in unmittelbarer Umgebung innerhalb der Pufferzone zwischen der Ortslage Heisterbacherrott und dem Waldgebiet keine technischen Anlagen vorhanden sind. Der harmonische Óbergang von der als Ackerfläche und Streuobstwiese genutzten Kulturlandschaft hin zum Waldbestand würde durch die gebietsfremde technische Anlage mit einer beträchtlichen Höhe von 45 m nachhaltig gestört. Diese vornehmlich durch die beträchtliche Höhe der Anlage bedingte gravierende landschaftsästhetische Beeinträchtigung kann durch bauliche Maßnahmen - wie etwa eine unauffällige Farbgebung oder Veränderungen in baulicher Konstruktion - nicht vermindert werden. Das für die Anlage streitende öffentliche Interesse vermag die mit der Anlage verbundenen schwerwiegenden Nachteile für das Landschaftsbild nicht zu überwiegen. Der mit der Anlage vor allem bezweckten Versorgung der Ortslagen Heisterbacherrott und Thomashof mit der UMTS-Óbertragungstechnik und der Verbesserung der Indoor-GSM-Versorgung kommen gegenüber den beeinträchtigten Belangen des Naturschutzes kein entscheidendes Gewicht zu. Die von der Klägerin geplante Verbesserung der Mobilfunkversorgung ist weder gesetzlich noch von Verfassungs wegen im öffentlichen Interesse geboten. Art. 87 f GG gewährleistet im Bereich der Telekommunikation zwar flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen nach Maßgabe eines Bundesgesetzes. In Umsetzung der Universaldienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2002/22/EG vom 07.03.2002, Abl. L 108/51 vom 24.04.2002) bestimmt § 78 TKG den Umfang der verfassungsrechtlich gebotenen Grundversorgung. Unter dem in § 78 Abs. 2 Nr. 1 TKG vorgesehenen Anschluss - an einem festen Standort - an ein öffentliches Telefonnetz ist gem. § 3 Nr. 16 TKG ein Anschluss an ein Telekommunikationsnetz zu verstehen, der zur Bereitstellung des öffentlich zugänglichen Telefondienstes genutzt wird und darüber hinaus weitere Dienste, Telefax- oder Datenfernübertragung und einen funktionalen Internetzugang ermöglicht. Diese Grundversorgung ist für die Bewohner der genannten Ortslagen über die dort bestehenden Festnetzanschlüsse gewährleistet. Weder das TKG noch die Universaldienstleistungsrichtlinie fordern eine flächendeckende Anschlussmöglichkeit an den Mobilfunk,

vgl. Cornils, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 78 Rn. 5; Windthorst, in: Scheuerle/Mayen, TKG, § 78 Rn. 26.

Auf die von ihr angeführte baurechtliche Rechtsprechung kann sich die Klägerin hier nicht mit Erfolg berufen, weil die dort aufgestellten Grundsätze nicht auf vorliegenden Fall einer förmlich als Naturschutzgebiet unter Schutz gestellten Fläche übertragbar sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung gem. § 124 a Abs. 1 VwGO sind nicht gegeben. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie einen Einzelfall einer landschaftsrechtlichen Befreiung zum Gegenstand hat.






VG Köln:
Urteil v. 01.12.2009
Az: 14 K 3641/08


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