Oberlandesgericht Rostock:
Urteil vom 4. September 2013
Aktenzeichen: 2 U 7/13

(OLG Rostock: Urteil v. 04.09.2013, Az.: 2 U 7/13)

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 25.01.2013, Az. 3 O 1084/11, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Berufungsurteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Rostock sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Der Streitwert wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

II.

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Höhe von pauschalen Entschädigungen bei Reiserücktritt.

Der Kläger ist ein in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der Interessen seiner Mitglieder gehört, insbesondere die Achtung darauf, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden. Die Beklagte ist eine Kreuzfahrtreederei und Reiseveranstalterin.

Die Beklagte bietet neben den höherpreisigen Kreuzfahrten in den Produkten A PREMIUM und A VARIO Kreuzfahrten als Produkt JUST A an. Das Produkt JUST A dient der Vermarktung von Reisen zu einem stark ermäßigten Preis.

Tritt der Kunde einer gebuchten JUST A Reise von dem Reisevertrag zurück, erhebt die Beklagte - wie bei allen Reiserücktritten - eine nach Rücktrittszeiträumen gestaffelte pauschale Entschädigung. Diese beträgt gemäß Ziffer 7.2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für JUST A Reisen bis zum 60. Tag vor Reiseantritt pro Person pauschal 50% des jeweiligen Reisepreises.

Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz ihren bisherigen Vortrag berichtigt und vorgetragen dass Stornierungen im Produkt JUST A nicht, wie erstinstanzlich erklärt, im Regelfall 18 Tage vor Reiseantritt erfolgen sondern im Regelfall 49 Tage vor dem geplanten Reiseantritt. Sämtliche stornierten Reisen werden, unabhängig vom Ausgangsprodukt, wieder dem Gesamtkontingent zugeführt. Welche der stornierten Reisen aus den jeweiligen Tarifen erneut und zu welchen Tarifen verkauft werden, ist der Beklagten im Einzelnen nicht bekannt. In der Berufungsinstanz hat die Beklagte jedoch das übliche Buchungsverhalten ab dem 49. Tag vor Reiseantritt, ausgehend von 60.073 freien Kabinen, wie folgt dargestellt:

Tarif Verkäufe in % Premium 2.440 4% Vario 36.989 62% Just 12.242 20% Sonderkonditionen 6.490 11% Frei 1.912 3% Gesamt 60.073 100%.Das nach den regulären Verkäufen verbleibende Rücktrittskontingent (etwa 11%) verwertet die Beklagte ca. 14 Tage vor Reisebeginn durch Verkauf unter weiteren erheblichen Abschlägen an Angehörige, Geschäftspartner, Reisebüromitarbeiter etc.

Der Kläger begehrt die Unterlassung der für das Produkt JUST A gemäß Ziffer 7.2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Beklagten geforderten Rücktrittspauschale für den Fall eines Rücktritts bis zum 60. Tag vor Reiseantritt und hat die Beklagte mit Schreiben vom 12.08.2011 zur Abgabe einer außergerichtlichen strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Dieses hat die Beklagte verweigert.

Der Kläger sieht in der streitgegenständlichen Pauschale einen Verstoß gegen § 307 Absatz 1 i.V.m. Absatz 2 Nummer 1 BGB, § 651i BGB, § 308 Nummer 7 BGB, § 309 Nummer 5 BGB. Er ist der Ansicht, die erhobene Pauschale berücksichtige die ersparten Aufwendungen und den anderweitig zu erzielenden Gewinn nicht hinreichend und verweist auf die Rücktrittspauschalen anderer Anbieter von Schiffsreisen, die wesentlich niedriger seien. Auch sei zu bedenken, dass die Vermarktungsorganisation der Beklagten es zulasse, dass eine stornierte JUST A Reise in einem höheren Preissegment weiterverkauft werde.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, nachfolgende oder mit diesen inhaltsgleiche Bestimmungen in Verträge über die Teilnahme an Schiffskreuzfahrten mit Verbrauchern einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen nach dem 1. April 1977, zu berufen:

7.2 In jedem Fall der Rücktritts des Kunden steht A C unter Berücksichtigung gewöhnlich ersparter Aufwendungen und gewöhnlich möglicher anderweitiger Verwendung der Reiseleistung folgende pauschale Entschädigung pro Person - zu:

Bis zum 60. Tag* (mind. 50 € p.P.) 50%*vor Reisebeginn

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die Höhe der streitgegenständlichen pauschalen Entschädigung entspreche dem, was sie gewöhnlich an Aufwendungen erspare und durch anderweitige Verwertung der Reiseleistung erziele. Eine Vergleichbarkeit mit den von der Klägerin angeführten anderen Anbietern von Schiffsreisen sei nur eingeschränkt möglich, da diese entweder Flussfahrten anböten oder lediglich eingekaufte Reisen vermarkten würden.

Im Falle eines Rücktritts fielen keine maßgeblichen ersparten Aufwendungen an. Sowohl die Transportkosten (insbesondere Kosten für Treibstoff und Liegeplatzgebühren) als auch die Anzahl der Besatzungsmitglieder inklusive Service und Reinigungspersonal würden durch das Fernbleiben eines Gastes nicht beeinflusst. Auch müssten alle Serviceeinrichtungen und -leistungen an Bord und im Bereich der Landausflüge weiter vorgehalten werden, so dass auch dort keine Einsparungen entstünden. Zudem entspreche der Durchschnittserlös im Produkt JUST A pro Passenger Cruise Day (PCD) 76,99 Euro, während sich die Kosten pro PCD auf 92,60 Euro belaufen würden. Da bereits die Herstellungskosten über den regulären JUST A Reisepreisen lägen, könnten im Fall der Stornierung keine ersparten Aufwendungen anfallen. Einsparungen seien allenfalls im Bereich Verpflegung möglich, die jedoch bei einer durchschnittlichen Passagierzahl von 2.200 Gästen und 600 Mann Crew kaum messbar seien.

Das Landgericht Rostock hat der Klage mit Urteil vom 25.01.2013 stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Sie trägt vor, dass die Argumentation der Kammer nicht greife, dass stornierte Reisen aus dem Tarif JUST A wieder in einem höherpreisigen Tarif verkauft werden könnten. So könnten nur 4% der stornierten JUST A Reisen im PREMIUM-Tarif weiterverkauft werden.

Die Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des Landgerichts Rostock, Az.: 3 O 1084/11(1) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht worden, die Klägerin ist gemäß § 3 Absatz 1 Nummer 1 UKlaG, § 8 Absatz 3 Nummer 3 UWG i.V.m. § 4 UKlaG anspruchsberechtigt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet, das Landgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben und dem Kläger den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG zugesprochen.

Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten geregelte Stornopauschale bei Rücktritt von einer A JUST Reise bis zum 60. Tag vor dem geplanten Abreisetag in Höhe von 50% des Reisepreises hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Absatz 1 BGB nicht stand. Denn der festgelegte Vomhundertsatz des Reisepreises übersteigt den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden. Die Klausel verstößt damit gegen § 309 Absatz 1 Nummer 5a BGB und ist, da es sich hierbei um ein Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit handelt, unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.1989 - VII ZR 332/88 zu § 11 Nr. 5a AGBG).

Gemäß § 651i Absatz 1 BGB kann der Reisende vor Reisebeginn jederzeit von dem Reisevertrag zurücktreten. In einem solchen Fall verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis, an seine Stelle tritt eine angemessene Entschädigung, die der Reiseveranstalter gemäß § 651i Absatz 3 BGB auch pauschal als Vomhundertsatz des Reisepreises festsetzen kann. Bei der Festsetzung der Pauschale sind die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ersparten Aufwendungen und der durch anderweitige Verwendung der Reiseleistung gewöhnlich mögliche Erwerb zu berücksichtigen. Deshalb muss sich der Reiseveranstalter nicht nur den böswillig unterlassenen, sondern jeden möglichen anderweitigen Erwerb sowie die gewöhnlich ersparten Aufwendungen anrechnen lassen. Dieses ist bereits bei der Bemessung der Rücktrittspauschale zu berücksichtigen und nicht erst bei zuzulassenden Einwendungen des Reisenden (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 20.07.1999 - 3 U 1559/99). Ausgangspunkt für die Bemessung der Pauschale ist der Reisepreis.

Die Beklagte ist für die Angemessenheit der von ihr geforderten pauschalen Rücktrittsentschädigung darlegungs- und beweispflichtig. Dem ist sie auch in der Berufungsinstanz nicht in überzeugendem Umfang nachgekommen.

Zuzustimmen ist der Beklagten darin, dass ein Vergleich mit Stornopauschalen anderer Anbieter nicht maßgeblich ist. Denn da das Gesetz die Verhältnisse, Strukturen und Erfahrungssätze des jeweiligen konkreten Reiseveranstalters als erheblich ansieht, können branchenübliche Erfahrungssätze nicht generell in gleicher Höhe für alle Mitbewerber festgesetzt werden.

Auch ist nachvollziehbar, dass der Umsatz im Produkt JUST A nachhaltig fixkostenlastig ist und Einsparungen bei Rücktritten allenfalls im Bereich Verpflegung anfallen, die die Beklagte entsprechend berücksichtigt, wie sich aus der Rücktrittspauschale in Höhe von 95% bei Rücktritt am Tage des Reisebeginns ergibt. Ausschlaggebend kann dagegen nicht sein, dass, wie die Beklagte vorträgt, der Reisepreis per PCD im Tarif JUST A unter den Kosten per PCD liegt. Dieses ist ihre eigene betriebswirtschaftliche Kalkulation, die sich der Kunde nicht entgegenhalten lassen muss.

Die insoweit darlegungsbelastete Beklagte hat allerdings nicht darlegen können, dass ihr ein typischer zu erwartender Durchschnittsschaden im Falle einer Stornierung in Höhe von 50% des Reispreises einer JUST A Reise bei Stornierung bis zum 60. Tag vor Reiseantritt entsteht. Im Gegenteil:

Ausgehend davon, dass nach dem Geschäftsmodell der Beklagten alle stornierten Reisen im Gesamtkontingent wieder zu sämtlichen Tarifen zum Verkauf gestellt werden, konnte sie zwar nicht den konkreten Weiterverkauf der stornierten streitgegenständlichen Reisen nachweisen. Sie hat aber dargestellt, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge im Zeitraum ab dem 49. Tag vor der geplanten Abreise die diesem Zeitpunkt nicht verkauften Reisen € und eben auch die stornierten JUST A Reisen - zu etwa 86% im JUST ATarif oder höherpreisig verkauft werden können. Hieraus ergibt sich, dass die Einnahmen aus anderweitiger Verwendung der stornierten Reiseleistung nach dem gewöhnlichen Verlauf sehr viel höher sind als die von der Beklagten angesetzten 50% des Reisepreises, der zu erwartende Verlust damit geringer ist als 50% des Reisepreises.

Da bereits hieraus ersichtlich ist, dass die Stornopauschale von 50% selbst unter Berücksichtigung anfallender Verwaltungskosten deutlich überhöht ist, kann es dahingestellt bleiben, dass die Beklagte ihre Angaben auf den 49. Tag vor Abreise und nicht auf den 60. Tage vor Abreise bezieht. Ebenfalls kann dahingestellt bleiben, dass die Beklagte in den letzten 14 Tagen vor Abreise Reisen zusätzlich zu Sonderkonditionen verkauft und sich damit weitere Einnahmen aus anderweitiger Verwendung verwirklichen.

Die Reisen der Beklagten sind nach deren Angaben im Durchschnitt zu 99,36% ausgebucht, sie hat lediglich etwa 1.912 "Leerfahrten" im Jahr. Zwar steht der Anspruch aus § 651i BGB dem Reiseveranstalter zu, solange keine volle Ausbuchung vorliegt. Die von der Beklagten verwendete Mischkalkulation muss sie sich jedoch entgegenhalten lassen, so dass der durch Leerfahrten entstehende Verlust anteilig auf die Buchungsgrade der einzelnen Preissegmente zu verteilen ist. Nicht statthaft ist es jedenfalls, einen überproportionalen Teil des Gesamtverlustes durch JUST A Reisen auszugleichen. Dass dieser Tarif der Verlustminimierung dient, darf nicht dazu führen, dass die Stornopauschalen im Tarif JUST A auch die durch Stornierung der anderen Reisen entstehenden Verluste auszugleichen haben.

Lediglich ergänzend weist der Senat auf die Empfehlungen des Deutschen Reiseverbandes (DRV) hin, der, unbeschadet der bei der Berechnung der Pauschale nach § 651i BGB immer notwendigen Einzelfallbetrachtung, bis zum 30. Tag vor Reisebeginn eine Entschädigung in Höhe von 25 % für angemessen hält.

Auch dem Zahlungsanspruch hat das Landgericht zu Recht stattgegeben. Die Berechtigung des Anspruchs auf Ersatz der Abmahnkosten ergibt sich aus § 12 Absatz 1 Satz 2 UWG, der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Absatz 1 Satz 2 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch die Voraussetzungen des § 543 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 ZPO liegen nicht vor.

Den Streitwert für den auf Unterlassung der Verwendung der streitigen Klausel gerichteten Klageantrag bemisst der Senat, ausgehend von den hierzu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, mit 3.000,00 Euro, § 5 UKlaG i.V.m. §§ 48 Absatz 1 GKG, § 3 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2012 € XI ZR 500/11 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 28.09.2006 € II ZR 33/06). Die Abmahnkosten erhöhen nicht den Streitwert, wenn sie, wie hier, neben dem Hauptanspruch als Nebenforderung geltend gemacht werden, § 4 Absatz 1 Halbsatz 2 ZPO, § 43 Absatz 1 GKG, § 23 Absatz 1 Satz 1 RVG.






OLG Rostock:
Urteil v. 04.09.2013
Az: 2 U 7/13


Link zum Urteil:
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