Landessozialgericht der Länder Berlin und Brandenburg:
Beschluss vom 13. April 2016
Aktenzeichen: L 32 AS 79/15 NZB

(LSG der Länder Berlin und Brandenburg: Beschluss v. 13.04.2016, Az.: L 32 AS 79/15 NZB)

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 8. Dezember 2014 zugelassen.

Das Beschwerdeverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung einer Berufung durch die Klägerin bedarf.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgen der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten der Klägerin für die Widerspruchsverfahren W 4529/13 und W 5904/12 in Höhe von insgesamt 309,40 EUR und die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren W 4529/13.

Das Sozialgericht Cottbus hat mit am 22. Dezember 2014 zugestelltem Urteil vom 8. Dezember 2014 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung der Beklagten betreffend die Höhe der zu erstattenden Kosten erweise sich als zutreffend. Die Kammer verweise daher nach § 136 Abs 3 SGG auf diese Bescheide. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass das Gesetz auf die Verhältnisse des Auftraggebers abstelle und zudem das Haftungsrisiko keinen eigenen Gebührentatbestand darstelle. Das Haftungsrisiko sei bei der Bestimmung der Billigkeit der festzusetzenden Gebühr zu berücksichtigen. Berufungszulassungsgründe seien nicht ersichtlich. Das Urteil wurde mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, in der über die Möglichkeit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung belehrt wurde.

Die Klägerin hat durch Computerfax mit eingescannter Unterschrift ihres Bevollmächtigten am 9. Januar 2015 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt. Sie rügt als Verfahrensmangel die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil einem Verlegungsantrag wegen Verhinderung des Bevollmächtigten nicht gefolgt worden sei, und, dass das Sozialgericht einen unzutreffenden Sachantrag seiner Entscheidung zu Grunde gelegt habe. Die Beschwerdeschrift ging im Original am 15. Januar 2015 beim Landessozialgericht ein.

Die Beklagte hält die Beschwerde für unbegründet.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 8. Dezember 2014, mit dem die Berufung nicht zugelassen worden ist, ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft. Zu Recht ist das Sozialgericht im Urteil vom 8. Dezember 2014 davon ausgegangen, dass die im Grundsatz nach § 143 SGG statthafte Berufung vorliegend kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Denn nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ist im vorliegenden Fall die Berufung nicht zulassungsfrei. Die Berufung bedarf gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 der Vorschrift).

In dem diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Klageverfahren begehrt die Klägerin die Erstattung von Kosten der Klägerin für die Widerspruchsverfahren W 4529/13 und W 5904/12 in Höhe von insgesamt 309,40 EUR und die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren W 4529/13. Damit werden Leistungen in einer Höhe begehrt, die deutlich unterhalb des Schwellenwertes für eine Berufung von 750,01 Euro liegen. Es sind Leistungen nicht für mehr als 12 Monate im Streit, so dass auch im Hinblick auf die zeitliche Komponente die Sache nicht zulassungsfrei in die Berufung gelangen kann.

Die Beschwerde ist fristgerecht jedenfalls durch die Einreichung des Originalschreibens eingereicht.

Sie ist auch begründet, denn zu Recht macht die Klägerin einen Verfahrensmangel geltend.

Nach § 144 Abs 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Ein Verfahrensmangel ist gegeben, wenn infolge einer unrichtigen Anwendung oder Nichtanwendung einer Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, das Verfahren des Sozialgerichts bis zum Erlass einschließlich des Urteils fehlerhaft abgelaufen ist. Der Verfahrensmangel ist nur beachtlich, wenn er vom Beschwerdeführer gerügt wird, wobei es genügt, dass Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, aus denen sich schlüssig der Mangel des Verfahrens ergibt. Der Verfahrensmangel muss auch tatsächlich vorliegen. Bei einem heilbaren Mangel darf allerdings Heilung nicht eingetreten sein. Nicht erforderlich ist, dass das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht; es genügt, dass das Urteil auf ihm beruhen kann, also die Möglichkeit besteht, dass er die Entscheidung beeinflusst hat (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 11. Auflage, 2014, § 144 RdNr 32, 34a, 32a, 36, 37, 35).

Die Berufung ist nach § 144 Abs 2 Nr 3 SGG zuzulassen, weil ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Kläger haben die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) ordnungsgemäß gerügt. Sie haben die Verletzung von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG hinreichend bezeichnet. Die Rüge ist berechtigt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten die Möglichkeit einzuräumen, sich vor Erlass der Entscheidung zum Prozessstoff zu äußern und sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 11. Aufl. 2014, § 62 RdNr 1). Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen (BSG, Beschluss vom 07.07.2011, B 14 AS 35/11 B, RdNr 6). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht - wie im vorliegenden Fall erfolgt - die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.

Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung oder -vertagung vorliegen und diese beantragt wird. Ein im Sinne von § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Vertagungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (BSG, Urteil vom 30.10.2001, B 4 RA 49/01 R, JURIS-RdNr 13; BSG, Beschluss 07.07.2011, B 14 AS 35/11 B, RdNr 7). Nach § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Nach § 227 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ZPO sind erhebliche Gründe insbesondere nicht das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist. Diese Bestimmungen schränken das subjektive Interesse der Rechtssuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz durch Gewährung rechtlichen Gehörs in der mündlichen Verhandlung ein (BSG, Urteil vom 22.09.1999, B 5 RJ 22/98 R, JURIS-RdNr 16). Bei ihrer Anwendung, insbesondere bei Ausfüllung der darin enthaltenen Ermessens- und Beurteilungsspielräume sind daher die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur Tragweite des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz sowie das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (Art 19 Abs 4 und Art 2 Abs 1 i V m Art 20 Abs 3 GG) zu beachten (BSG ebd unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 02.03.1993, 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118, 125). Zu diesen Grundsätzen gehört, dass der Richter allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet ist (BSG, Urteil vom 22.09.1999, B 5 RJ 22/98 R, JURIS-RdNr 16 unter Hinweis auf BVerfG Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvR 669, 686, 687/87, BVerfGE 78, 123, 126 mwN sowie Kammerbeschluss vom 15.08.1996, 2 BvR 2600/95, SGb 1997, 165). Dazu gehört ferner, dass bei der notwendigen Abwägung des allgemeinen Interesses an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung mit dem subjektiven Interesse des Rechtssuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz die betroffenen Belange angemessen zu gewichten sind und in Bezug auf die Auswirkung der Regelung auf den einzelnen Rechtssuchenden der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (BSG, Urteil vom 22.09.1999, B 5 RJ 22/98 R, JURIS-RdNr 16 mwN). Dies setzt eine Würdigung im Einzelfall voraus (Blüggel SGb 2006, 514, 518), für deren Vornahme die höchstrichterliche Rechtsprechung verschiedene Kriterien entwickelt hat.

Danach stellt eine nicht zu beseitigende Terminskollision mit einem anderweitigen Rechtsstreit einen erheblichen Grund i S von § 227 Abs 1 ZPO dar (BSG, Beschluss vom 07.08.2015, B 13 R 172/15 B, RdNr 8 mwN). Das gilt insbesondere für bereits früher anberaumte Gerichtstermine (BSG ebd mwN), doch kann bei Vorliegen besonderer Umstände auch erst später angesetzten Verhandlungen Vorrang zukommen (zu kurzfristig anberaumten Fortsetzungsterminen der Hauptverhandlung einer Großen Strafkammer vgl BSG Urteil vom 10.08.1995, 11 RAr 51/95, JURIS-RdNr 22). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG, Beschluss vom 07.08.2015, B 13 R 172/15 B, RdNr 7 mwN; Beschluss vom 07.07.2011, B 14 AS 35/11 B, RdNr 7). Es muss sich bei Abwägung der betroffenen Belange um eine nicht zu beseitigende Terminskollision handeln.

Ein erheblicher Grund ist nicht immer schon dann gegeben, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt oder der anwaltlich vertretene Kläger verhindert ist, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Ein Anspruch darauf, dass der Rechtsanwalt der eigenen Wahl den Gerichtstermin persönlich wahrnimmt, besteht zwar grundsätzlich nicht (BSG, Urteil vom 22.09.1999, B 5 RJ 22/98 R, JURIS-RdNr 17 mwN). Im Falle einer Terminkollision muss nach der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung bei einem Einzelanwalt in der Regel € und vor allem bei einem ersten Verlegungsantrag € eine Terminverlegung erfolgen (BSG, Beschluss vom 30.09.2015, B 3 KR 23/15 B, RdNr 12); auf die Möglichkeit der Vertretung des Einzelanwalts darf hier regelmäßig noch nicht verwiesen werden (BSG, Beschluss vom 30.09.2015, B 3 KR 23/15 B, RdNr 12; BSG, Beschluss vom 26.06.2007, B 2 U 55/07 B, RdNr 12 noch weitergehend: Ein Beteiligter ist nicht verpflichtet, einen anderen Prozessbevollmächtigten zu bestellen oder einen anderen Terminsvertreter zu beauftragen, da einem Beteiligten nicht ohne schwerwiegende Gründe vorgeschrieben werden kann, sich durch einen anderen als den Rechtsanwalt des Vertrauens vertreten zu lassen). Dies gilt insbesondere, wenn ausdrücklich erklärt worden ist, dass der Mandant nur mit einer Wahrnehmung des Termins durch den gewählten Sachbearbeiter einverstanden ist. Eine solche Beschränkung der Vollmacht ist grundsätzlich zu beachten. Ein Gericht darf von einem Rechtsanwalt keine Verletzung des Mandatsvertrags durch eine unerlaubte Unterbevollmächtigung verlangen (BSG, Beschluss vom 30.09.2015, B 3 KR 23/15 B, RdNr 12). Dem Wunsch des Prozessbeteiligten, etwa seine Interessen durch einen für die betroffenen rechtlichen Belange als besonders kompetent oder engagiert geltenden Anwalt vertreten lassen zu wollen oder im Hinblick auf die persönlichen Aspekte des Falles die Vertretung durch einen bestimmten Bevollmächtigten in Anspruch zu nehmen, kommt mithin erhebliches Gewicht zu.

Diese als Regeln formulierten Aspekte der höchstrichterlichen Rechtsprechung gebieten vor allem im Hinblick auf die in Abwägung zu bringenden Rechtswerte des allgemeinen Interesses an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung die Prüfung von Ausnahmen. Das Interesse der Allgemeinheit und der übrigen Prozessbeteiligten an einer Verfahrensbeschleunigung und zügigen Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits gegenüber dem Interesse des Klägers an einem möglichst umfassenden Rechtsschutz gewinnt zunehmend an Bedeutung, wenn Verhandlungstermine bei unveränderter prozessualer Situation bereits mehrfach auf Antrag des Klägers verlegt werden mussten (BSG, Beschluss vom 26.06.2007, B 2 U 55/07 B, RdNr 11). Dem Prozessbevollmächtigten kann es dann zumutbar sein, zur Erlangung des rechtlichen Gehörs Terminskollisionen unter Zurückstellung anderweitiger Interessen aufzulösen oder geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um für eine Vertretung im Termin zu sorgen. Daher spielen Aspekte der Verfahrensdauer, nicht nur im Hinblick auf die Anzahl bisher gestellter Terminsverlegungsanträge einer Prozesspartei, sondern auch angesichts des bisherigen Mitwirkungsverhaltens und der absoluten Dauer des Verfahrens sowie auch Terminskapazitäten des Spruchkörpers bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter eine Rolle. Aber auch der Gedanke des Rechtsmissbrauchs wird selbst bei bislang kurzen Verfahren von Gewicht sein.

Nach §§ 202 SGG, 227 Abs 2 ZPO sind die erheblichen Gründe auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Diese gesetzliche Verfahrensregelung erlaubt den Anwälten und den Gerichten eine praktikable Handhabung bei der Auflösung der durchaus häufigen Terminskollisionen. Beantragt der Prozessbeteiligte unverzüglich nach Erhalt der Ladung die Terminsverlegung, steht es im Ermessen des Gerichts € auch unter Beachtung der dafür bereits vorgebrachten Gründe € die Glaubhaftmachung der geltend gemachten erheblichen Gründe zu verlangen. Dies betrifft die Umstände einer Verhinderung (z.B. Krankheit oder Ortsabwesenheit) oder einer Terminskollision, und, inwieweit diese (ggf durch Vertretung) nicht zu beseitigen ist, sowie auch den ausdrücklichen Wunsch des Mandanten auf Wahrnehmung des Termins nur durch den gewählten Anwalt und die dafür bestehenden Gründe. Nur bei kurzfristig vor dem Termin gestellten Verlegungsanträgen obliegt die Glaubhaftmachung dem Anwalt unaufgefordert (Leitherer aaO § 110; RdNr 4b mwN).

Nach diesen Kriterien war im vorliegenden Fall ein erheblicher Grund für eine erforderliche Terminsverlegung anzunehmen. Unverschuldet war der als Einzelanwalt tätige Prozessbevollmächtigte der Klägerin wegen einer Terminskollision verhindert.

Der Bevollmächtigte hat seinem am 7. November 2014 gestellten Antrag auf Verlegung des für den 8. Dezember 2014, 9:15 Uhr, am 27. Oktober 2014 anberaumten Termins vor der 14. Kammer (Zugang der Ladung am 03.11.2014) die bereits am 8. September 2014 erfolgten Ladungen der 22. Kammer des Sozialgerichts Cottbus zu durchgehenden Verhandlungsterminen am 8. Dezember 2014, um 8:30 Uhr und 10:00 Uhr sowie in späteren Terminen am selben Tag beigefügt und hinzugefügt, dass eine Terminsvertretung durch einen anderen Kollegen von dem Mandanten nicht gewünscht werde. Zwischen den für 8:30 Uhr und 10:00 Uhr geladenen Sachen war eine weitere Sache geladen (S 22 AS 1768/11), welche dieselbe Bedarfsgemeinschaft betraf. Dieser Termin wurde durch den Bevollmächtigten der Klägerin wahrgenommen, er währte von 9:00 Uhr bis 9:17 Uhr, die Folgesache von 9:19 Uhr bis 9:31 Uhr. Seine Terminskollision bestand also tatsächlich fort. Es ist nicht ersichtlich, dass im Hinblick auf die kollidierenden Termine mit drei Rechtssachen derselben Bedarfsgemeinschaft dem Bevollmächtigten anzusinnen gewesen sein könnte, die Verschiebung dieser kollidierenden Termine zu beantragen, zumal es sich ausweislich der Aktenzeichen teilweise um ältere Verfahren handelte. Es handelt sich bei dem Prozessbevollmächtigten um einen Einzelanwalt, der einen ersten Terminverlegungsantrag in der Angelegenheit gestellt hatte. Der Verlegungsantrag war unverzüglich gestellt und mit der Terminskollision begründet worden. Eine nähere Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe war vom Vorsitzenden nicht verlangt worden. Die bisherige Mitwirkung der Klägerin und ihres Bevollmächtigten und auch die Gesamtverfahrensdauer lassen vor diesem Hintergrund eine Ausnahme von der Regel einer Terminsverlegung in einer solchen Situation nicht als sachgerecht erscheinen.Es ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass der Antrag auf Terminsverlegung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtsmissbräuchlich gestellt worden wäre. Bei einem einmaligen Verlegungsantrag wegen einer Terminskollision bestehen keine Anhaltspunkte für eine offenkundige Prozessverschleppungsabsicht. Auch die vom Sozialgericht in seinem Beschluss vom 11. November 2014, mit dem der Terminsverlegungsantrag abgelehnt worden ist, genannten Gründe können keinen Rechtsmissbrauch belegen. Bereits bei Bevollmächtigten, die nicht in dem wie bei dem Bevollmächtigten dieses Verfahrens gerichtsbekannten Umfang Mandanten betreuen, kann nicht ohne weiteres erwartet werden, dass sie einer Terminsladung zum 8. Dezember 2014, die am 29. Oktober 2014 von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts abgesandt wurde, in jedem Fall Folge leisten können. Die Voraussetzungen nach § 53 BRAO sind vorliegend ebenfalls nicht erfüllt, denn die Pflicht, einen Vertreter zu bestellen, besteht für den Rechtsanwalt nur im Fall einer einwöchigen Abwesenheit bzw. Verhinderung der Berufsausübung (Absatz 1).Schließlich kann auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs die Entscheidung des Sozialgerichts auch beruhen. Obwohl die Verletzung des rechtlichen Gehörs im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund geregelt ist (§ 202 SGG iVm § 547 ZPO), ist wegen der Bedeutung der mündlichen Verhandlung im Allgemeinen davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Gerichtsentscheidung beeinflusst hat. Nähere Darlegungen dazu, inwiefern das Urteil auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann, sind daher nicht erforderlich (BSG, Beschlüsse vom 26.06.2007, B 2 U 55/07 B, RdNr 7; und 07.07.2011, B 14 AS 35/11 B, RdNr 11; Urteil vom 10. August 1995 11 Rar 51/95, JURIS-RdNr 16 jeweils mwN).

Wegen dieses Verfahrensfehlers war die Berufung zuzulassen. Unerheblich ist deshalb, ob weitere Zulassungsgründe, etwa die Annahme eines unzutreffenden Klagebegehrens (§ 123 SGG), vorgelegen haben könnten.

Das Beschwerdeverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung durch die Klägerin bedarf es nicht (§ 145 Abs 5 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).






LSG der Länder Berlin und Brandenburg:
Beschluss v. 13.04.2016
Az: L 32 AS 79/15 NZB


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