Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. Oktober 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 73/03

(BPatG: Beschluss v. 04.10.2006, Az.: 7 W (pat) 73/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 13 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Juni 2003 aufgehoben und das Patent beschränkt aufrechterhalten mit den Patentansprüchen 1 bis 11 vom 28. Juni 2006 (Hilfsantrag), Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die Beschwerde der Patentinhaberin ist gegen den Beschluss der Patentabteilung 13 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Juni 2003 gerichtet, mit dem das am 1. Februar 2001 veröffentlichte Patent 196 41 467 mit der Bezeichnung "Sekundärluftsystem" nach Prüfung des gegen das Patent erhobenen Einspruchs widerrufen worden ist.

Die Patentinhaberin reicht mit Schriftsatz vom 28. Juni 2006 einen neuen Patentanspruch 1 ein, an den sich die erteilten Patentansprüche 1 bis 10 und 12 als nachgeordnete Patentansprüche anschließen. In der mündlichen Verhandlung schlägt sie einen nochmals geänderten Patentanspruch 1 vor, auf dessen Grundlage das angefochtene Patent nunmehr vorrangig verteidigt werden soll.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten in der erteilten Fassung, wobei in Patentanspruch 1 in Zeilen 9 und 10 die Worte "oder durch eine variable Turbinengeometrie" gestrichen werden (Hauptantrag), hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 11 vom 28. Juni 2006, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag gegenüber dem Stand der Technik nach DE 42 19 267 A1 (Druckschrift D1) und EP 0 609 674 A2 (D2), die Lehre des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag unter zusätzlicher Berücksichtigung der von ihr in der mündlichen Verhandlung noch vorgelegten Auszüge aus "Dubbels Taschenbuch für den Maschinenbau", 12. Auflage, Springer-Verlag Berlin, Göttingen, Heidelberg, 1961, S. 298 bis 303 (im Weiteren als D3 bezeichnet), nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Sekundärluftsystem für eine Brennkraftmaschine, bestehend aus wenigstens einer Leitung zum Einblasen der Sekundärluft in das Abgasrohr der Brennkraftmaschine sowie einer Förderpumpe, wobei der Antrieb der Förderpumpe über eine von der Ansaugluft beaufschlagte Turbine erfolgt und eine Aufbereitungseinrichtung für die Sekundärluft vorgesehen ist, wobei die Regelung der Turbine über eine turbinennahe Verstelleinrichtung, die einen variablen Turbineneintrittsquerschnitt bildet, erfolgt."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag lautet:

"Sekundärluftsystem für eine Brennkraftmaschine, bestehend aus wenigstens einer Leitung zum Einblasen der Sekundärluft in das Abgasrohr der Brennkraftmaschine sowie einer Förderpumpe, wobei der Antrieb der Förderpumpe über eine von der Ansaugluft beaufschlagte Turbine erfolgt und eine Aufbereitungseinrichtung für die Sekundärluft vorgesehen ist, wobei die Regelung der Turbine durch eine variable Turbinengeometrie in Form eines im Eintrittsquerschnitt der Turbine axial verschiebbaren Konus erfolgt."

Dem angefochtenen Patent liegt gemäß Streitpatentschrift die Aufgabe zugrunde, bekannte Sekundärluftsysteme für Brennkraftmaschinen zu verbessern (Sp. 1 Z. 18 bis 20).

Weiterbildungen des Sekundärluftsystems nach Patentanspruch 1 (Hauptantrag) sind in den erteilten Patentansprüchen 2 bis 12, Weiterbildungen des Sekundärluftsystems nach Patentanspruch 1 (Hilfsantrag) in den erteilten Patentansprüchen 2 bis 10 und 12 in angepasster Nummerierung 2 bis 11 angegeben.

II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch insoweit begründet als sich der hilfsweise verteidigte Patentgegenstand als patentfähig erweist.

Als hier zuständiger Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus anzusehen, der mit der Abgastechnik bei Brennkraftmaschinen befasst ist und der Kenntnisse von Strömungsmaschinen und deren Regelungen besitzt.

1. Zum Hauptantrag:

Der Gegenstand des nach Hauptantrag verteidigten Patents stellt keine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.

Die geltende Patentanspruch 1 ist zulässig und unbestritten neu. Er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

In der DE 42 19 267 A1 (D1) ist ein Sekundärluftsystem für eine Brennkraftmaschine beschrieben, das in Übereinstimmung mit Merkmalen des angefochtenen Patentanspruchs 1 eine Sekundärluftaufbereitungseinrichtung, z. B. einen Luftfilter 9, eine Leitung 16 zum Einblasen der Sekundärluft in Abgasrohre 9 der Brennkraftmaschine 1 und eine Fördereinrichtung (Verdichter 15) für die Sekundärluft aufweist, wobei die Fördereinrichtung von einer von der Ansaugluft beaufschlagten Turbine (Strömungsmaschine 13) angetrieben ist (Figur und zugehörigen Beschreibung). Durch ein gesteuertes Takten der Öffnung eines in der Sekundärluftleitung hinter dem Verdichter angeordneten Absperrventils 17 (Sp. 1 Z. 67 bis Sp. 2 Z. 2) ist eine mittelbare Einflussnahme auf die Turbinenarbeit gegeben. Sie stellt jedoch keine Regelung der Turbine im Sinne des Patentanspruchs 1 dar, für die eine turbinennahe Verstelleinrichtung zur Bildung eines variablen Turbineneintrittsquerschnittes vorgeschlagen ist.

Dieses Unterschiedsmerkmal ist dem Fachmann jedoch durch die EP 0 609 674 A2 (D2) zur Übertragung auf das Sekundärluftsystem nach D1 nahegelegt, wenn bei diesem eine Verbesserung der Steuerung der Fördermenge des Verdichters durch unmittelbare Regelung der Antriebsturbine angestrebt werden soll. D2 beschreibt eine Brennkraftmaschine mit einer Turbine 104, die für den Antrieb einer Lichtmaschine 106 der Brennkraftmaschine ausgebildet ist (Schaltschema Figur 3). Die Turbine wird entsprechend der Lehre der D1 und des angefochtenen Patents von der Ansaugluft der Brennkraftmaschine beaufschlagt. Gemäß D2 ist die der Turbine zugeleitete Luftmenge abhängig vom Leistungsbedarf der Brennkraftmaschine variabel einstellbar. Im Falle z. B. eines hohen Leistungsbedarfs der Brennkraftmaschine wird der größere Teil des Ansaugluftstroms über einen Bypass (bypass valve 124) an der Turbine vorbei direkt in den Ansaugteil der Brennkraftmaschine, die restliche angesaugte Teilluftmenge der Turbine zum Zwecke der Stromgewinnung, nachfolgend dem Ansaugteil der Brennkraftmaschine zugeführt (Fig. 3 i. V. m. Sp. 7 Z. 56 bis Sp. 8 Z. 44 und Fig. 18 bis 20 i. V. m. Sp. 10 Z. 34 bis 39). Dabei erfolgt die Regelung der Turbine durch Ändern der Querschnittsgröße des Turbineneintritts, also durch eine turbinennahe Verstelleinrichtung des Eintrittsquerschnittes (variable admission turbine nozzle 116; vgl. z. B. Fig. 5 bis 8 i. V. m. Sp. 8 Z. 57 bis Sp. 9 Z. 57), entsprechend dem einzigen Unterschiedsmerkmal des angefochtenen Patentanspruchs 1. Da der von der D1 ausgehende Fachmann lediglich nach einer Regelungsweise einer Turbine Ausschau hält, sieht er sich nicht durch die in D2 aufgezeigte andere Verwendung des Turbinenantriebs für einen Stromerzeuger daran gehindert, eine derartige Regelung aufzugreifen und bei Bedarf bei einem Turbinenantrieb für die Fördereinrichtung eines Sekundärluftstromes einer Brennkraftmaschine gemäß D1 zu nutzen.

2. Zum Hilfsantrag:

Der Gegenstand des Patents nach Hilfsantrag ist dagegen patentfähig.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag konkretisiert die Regelung der Turbine gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag dadurch, dass die Verstellung des Eintrittsquerschnittes der Turbine durch einen axialen verschiebbaren Konus erfolgt. Dieses Merkmal ist ursprünglich offenbart und geht aus dem erteilten Patentanspruch 11 hervor. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag ist damit zulässig.

Der unbestritten neue Gegenstand des Patentanspruchs 1 begründet auch eine erfinderische Tätigkeit, denn der entgegengehaltene Stand der Technik liegt nach Überzeugung des Senats ein Sekundärluftsystem für eine Brennkraftmaschine mit Regelung der Turbine durch einen axial verschiebbaren Konus im Eintrittsquerschnitt der Turbine nicht nahe.

Die Einsprechende macht geltend, dass der Fachwelt aus D3 (Dubbels Taschenbuch für den Maschinenbau, S. 300, Bild 14 und zugehörige Erläuterungen) bekannt war, einen axial verschiebbaren Konus zur Änderung des Eintrittsquerschnittes einer Turbine und damit zur Regelung des Mengenstroms der Turbine zu verwenden. Der Fachmann werde diese Maßnahme ohne weiteres auf eine Turbine nach D1 übertragen, wenn er sich hiervon Vorteile verspreche.

Der Senat konnte dieser Ansicht nicht folgen. Das von der Einsprechenden genannte Ausführungsbeispiel der D3 bezieht sich nämlich auf eine Wasserturbine der Pelton-Bauart, bei der mittels der Düse Wasser, also ein inkompressibles Medium, zu einem freien Strahl geformt werden muss, um auf die becherartigen Schaufeln des Laufrades gerichtet werden zu können, wobei zugleich die Wassermenge durch axiales Verschieben einer Düsennadel, die gemäß Bild 14 mit einem Doppelkegel bestückt ist. regelbar ist. Ein derartiges Erfordernis zur Strahlformung besteht bei einer mit einem kompressiblen Medium (Ansaugluft) beaufschlagten Turbine gemäß D1 nicht, so dass der Fachmann keine Veranlassung hatte, die für Pelton-Turbinen geeignete Düsenausbildung auch für eine Ansaugluftturbine eines Sekundärluftsystems heranzuziehen. Die Verwendung eines einfachen Konus zur vorrangig druckverlustarmen Veränderung des Eintrittsquerschnitts einer Ansaugluft-Turbine zum Zwecke der Regelung der Sekundärluftmenge einer Brennkraftmaschine war somit nicht durch den aufgezeigten Stand der Technik angeregt. Die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag ist danach als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend zu werten.

Die dem Patentanspruch 1 zumindest mittelbar nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 11 nach Hilfsantrag enthalten vorteilhafte Ausgestaltungen des Sekundärluftsystems nach Anspruch 1. Die Patentfähigkeit der Gegenstände dieser Ansprüche wird von der des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag mitgetragen.






BPatG:
Beschluss v. 04.10.2006
Az: 7 W (pat) 73/03


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