Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. März 2002
Aktenzeichen: 8 W (pat) 47/00

(BPatG: Beschluss v. 21.03.2002, Az.: 8 W (pat) 47/00)

Tenor

1. Der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse B 23 B des Patentamts vom 10. Juli 2000 wird aufgehoben.

2. Die Stammanmeldung 199 44 406.4-14 wird an das Patentamt zurückverwiesen.

3. Die Teilanmeldung 199 64 272.9-14 wird an das Patentamt verwiesen.

Gründe

I Die Patentanmeldung 199 44 406.4-14 mit der Bezeichnung "Bohrer, insbesondere Gesteinsbohrer" ist am 16. September 1999 beim Patentamt eingegangen und von dessen Prüfungsstelle für Klasse B 23 B mit Beschluß vom 10. Juli 2000 zurückgewiesen worden. In den Beschlußgründen ist ausgeführt, der Gegenstand des seinerzeit geltenden Patentanspruchs 1 sei gegenüber dem Stand der Technik nach der deutschen Offenlegungsschrift 197 34 094 nicht mehr neu. Zum Stand der Technik waren außerdem die US-Patentschrift 5 921 723 und die europäische Offenlegungsschrift 0 452 255 in Betracht gezogen worden.

Gegen den Zurückweisungsbeschluß hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt.

Mit einem am 14. Mai 2001 eingegangenen Schriftsatz hat sie neugefaßte Unterlagen u.a. mit Zeichnungsfiguren 1 bis 8d eingereicht und zum Stand der Technik noch auf die ältere Anmeldung 100 38 039.5 (deutsche Offenlegungsschrift 100 38 039) hingewiesen. Am 11. Juli 2001 hat sie die Teilung/Ausscheidung aus ihrer Patentanmeldung 199 44 406.4 erklärt, Unterlagen zu der Teilanmeldung eingereicht und Gebühren bezahlt. Die Teilanmeldung hat das Aktenzeichen 199 64 272.9-14 erhalten.

Zur Stammanmeldung hat die Anmelderin am 25. Februar 2002 geänderte Unterlagen mit Patentansprüchen 1 bis 23 eingereicht. Patentanspruch 1 lautet (ohne die Bezugszeichen):

"Gesteinsbohrer mit einem Einsteckende und einem Bohrerkopf, wobei der Bohrer auf seiner in Vorschubrichtung weisenden Stirnseite zumindest eine Schneidplatte aufweist, wobei die Schneidplatte dachförmig ausgebildet ist, wobei die Schneidplatte auf beiden Seiten ihrer dachförmigen Ausbildung eine an ihrer Stirnseite vorgesehene Schneidkante und eine in Drehrichtung des Bohrers vor der Schneidkante angeordnete Spanfläche sowie eine in Drehrichtung des Bohrers hinter der Schneidkante angeordnete Freifläche aufweist undwobei an der Stirnseite der Schneidplatte durch die am Dachfirst aufeinandertreffenden Freifläche eine Querschneide gebildet ist, dadurch gekennzeichnet, daß jede Freifläche in einem benachbart zu der Querschneide befindlichen Teilbereich konkav ist, derart, daß die radial äußeren Enden der Querschneide an den Stirnseiten der Schneidplatte gegenüber dem dazwischenliegenden Zentrum der Querschneide axial vorstehen."

Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 2 bis 23 wird auf die Akten Bezug genommen.

Die Anmelderin vertritt die Auffassung, die Gegenstände der Stammanmeldung und der Teilanmeldung seien gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik patentfähig.

Sie beantragt, den Beschluß der Prüfungsstelle B 23 B des Patentamts vom 10. Juli 2000 aufzuheben und Patente mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

in der Stammanmeldung Patentansprüche 1 bis 23, Beschreibung Seiten 1 bis 7, jeweils eingegangen am 25. Februar 2002, 7 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 8d, eingegangen am 14. Mai 2001, in der Teilanmeldung Patentansprüche 1 bis 26, Beschreibung Seiten 1 bis 8, 7 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 8d, jeweils eingegangen am 11. Juli 2001.

II Die Beschwerde ist zulässig und insoweit begründet, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt.

Die Teilungserklärung ist wirksam.

Die Teilung der Anmeldung gemäß § 39 PatG ist am 11. Juli 2001 schriftlich erklärt worden. Die mit der Erklärung eingereichten Unterlagen bestimmen den Gegenstand der Teilanmeldung. Der Senat wertet die mit dem Schriftsatz der Anmelderin vom 14. Mai 2001 eingegangenen Unterlagen als den Umfang der Stammanmeldung bestimmend, weil in dem Schriftsatz bereits auf die Absicht einer Teilung hingewiesen worden ist.

A) Zur Stammanmeldung 1. Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist ein Gesteinsbohrer mit einem Einsteckende, mit einem Bohrerkopf und mit ("zumindest") einer Schneidplatte auf seiner in Vorschubrichtung weisenden Stirnseite.

Die Schneidplattea) ist dachförmig ausgebildet, b) weist auf beiden Seiten ihrer dachförmigen Ausbildung jeweils auf:

b1) eine an ihrer Stirnseite vorgesehene Schneidkante, b2) eine in Drehrichtung des Bohrers vor der Schneidkante angeordnete erste Meißelschneidenfläche ("Spanfläche"), b3) eine in Drehrichtung des Bohrers hinter der Schneidkante angeordnete zweite Meißelschneidenfläche ("Freifläche"), c) weist an ihrer Stirnseite eine Querschneide auf, die durch die am Dachfirst von beiden Seiten aufeinandertreffenden "Freiflächen" gebildet ist.

b3.1) Jede "Freifläche" ist in einem der Querschneide "benachbarten" Teilbereich konkav ausgebildet, derart, daß

c1) die ("radial äußeren") Enden der Querschneide gegenüber dem dazwischenliegenden Zentrum der Querschneide axial vorstehen.

Mit einem solchen Gesteinsbohrer soll gegenüber üblichen Gesteinsbohrern ein höherer Bohrfortschritt erzielt sein. "Benachbart" (Merkmal b3.1)) ist aufgrund der Verknüpfung mit dem Merkmal c1) durch "derart" im Sinne von "unmittelbar angrenzend" zu verstehen.

2. Ein Gesteinsbohrer nach dem Patentanspruch 1 ist in den ursprünglichen Unterlagen offenbart. Die Gegenstände nach den Unteransprüchen gehen nicht über die Ursprungsoffenbarung hinaus.

Der geltende Anspruch 1 geht auf den ursprünglichen Hauptanspruch zurück. Die dachförmige Ausbildung der Schneidplatte und das beiderseitige Vorhandensein von "Spanfläche" und "Freifläche" ist im ursprünglichen Anspruch 23 offenbart. Die in einem Teilbereich konkave Ausbildung der "Freiflächen" war als eine Alternative im ursprünglichen Hauptanspruch genannt; aus dem ursprünglichen Anspruch 25 geht die Lage der Teilbereiche benachbart zu der Querschneide hervor (Merkmal b3.1)). Die Merkmale c) und c1) stützen sich auf den Absatz im Übergang von S. 8 auf S. 9 der ursprünglichen Beschreibung.

Die geltenden Ansprüche 2 bis 18 und 20 bis 23 entsprechen inhaltlich den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 11, 14 bis 20 und 22 bis 25. Anspruch 19 geht auf den ursprünglichen Anspruch 21 zurück und berücksichtigt zusätzlich die Lehre nach Anspruch 1.

3. Der Zurückweisungsgrund der mangelnden Neuheit gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik liegt für den Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 nicht vor.

Aus der europäischen Offenlegungsschrift 0 452 255 ist ein Gesteinsbohrer mit Einsteckende, Bohrerkopf und Schneidplatte im Sinne der Anmeldung bekannt, der die Merkmale a), b) bis b3) und c) der Gliederung in Abschnitt II.1 aufweist. Die "Freiflächen" sind eben; die zwischen ihnen gebildete Querschneide ist gerade, so daß sich der Anspruchsgegenstand hiervon durch die Merkmale b3.1) und c1) unterscheidet. Dieselben Unterschiede liegen auch gegenüber dem Gesteinsbohrer nach der deutschen Offenlegungsschrift 197 34 094 und nach der älteren deutschen Patentanmeldung 100 38 039.5 vor. Die US-Patentschrift 5 921 723 betrifft einen Schneideinsatz für den Einbau in ein Zerspanungswerkzeug derart (vgl. Fig. 8 und 9), daß konkave Teilbereiche 21 als Spanformvertiefungen in der Spanfläche wirksam werden (Sp. 4, zweiter Absatz); die Neuheit des Anspruchsgegenstands ist hierdurch nicht in Frage gestellt.

4. Der Senat konnte nicht feststellen, daß sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik ergibt.

Weder die europäische Offenlegungsschrift 0 452 255 noch die deutsche Offenlegungsschrift 197 34 094 - beide betreffen Gesteinsbohrer - konnten dem Fachmann, einem mit der Konstruktion von Werkzeugen für die Gesteinsbearbeitung befaßten Maschinenbautechniker, einen Hinweis darauf vermitteln, zur Steigerung des Bohrfortschritts von der bekannten geraden, durch den Schnitt zweier ebener "Freiflächen" bestimmten Querschneide abzugehen und durch konkave "Freiflächen" eine sattelförmige Querschneide mit vorspringenden Enden zu erzeugen. Auch die US-Patentschrift 5 921 723, die einen dreieckförmigen Schneideinsatz für die Metallbearbeitung mit konkaven, der Spanformung dienenden Einsenkungen auf der Spanfläche zeigt, vermochte ihn nicht zur anmeldungsgemäßen Lösung hinzuführen.

5. Nach der Änderung des Schutzbegehrens ist der angefochtene Zurückweisungsbeschluß aufzuheben, weil der Zurückweisungsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik für den Gegenstand des nunmehr geltenden Hauptanspruchs nicht mehr vorliegt. Gleichwohl ist eine Patenterteilung derzeit nicht gerechtfertigt.

In den ursprünglichen, der Prüfung durch die Prüfungsstelle zugrundeliegenden Unterlagen waren laut Hauptanspruch die alternativen Ausbildungen zumindest eines Teilbereichs der "Freifläche" als "sich abweichend von einem ebenen Verlauf in die Schneidplatte hinein" erstreckend oder als "konkav" nebeneinandergestellt; von einer Querschneide oder gar deren spezieller Ausbildung war nicht die Rede. Im ursprünglichen Anspruchssatz ist erstmals im Unteranspruch 25 eine Querschneide erwähnt, und zwar als Ortsangabe für den Teilbereich (der sich "benachbart zu der Querschneide" befinden soll). Dieser Anspruch 25 nimmt Bezug auf den Unteranspruch 24, laut dem die (gemäß Unteranspruch 23 wegen der dachförmigen Ausbildung der Schneidplatte "beiden") "Freiflächen" im Sinne des Hauptanspruchs entweder sich in die Schneidplatte hinein erstrecken oder konkav sind. Wie diese konkave Ausbildung beschaffen sein soll, geht aus den ursprünglichen Ansprüchen nicht hervor; Ausführungen, bei denen die Querschneide trotz konkaver benachbarter Teilbereiche gerade bleibt, sind mit umfaßt. Erst bei der Erläuterung des Ausführungsbeispiels nach Fig. 3a bis 3d (Absatz im Übergang von S. 8 zu S. 9 der ursprünglichen Beschreibung) wird ein Zusammenhang zwischen den "im Bereich der Querschneide konkav(en)" "Freiflächen" und der Sattelform der Querschneide im Sinne des Merkmals c1) des geltenden Hauptanspruchs hergestellt. Die übrigen Ausführungsbeispiele nach den Fig. 5, 6, 7 und 8 zeigen diese Sattelform im übrigen gerade nicht.

Nach alledem konnte die Prüfungsstelle aus den ursprünglichen Unterlagen nicht erkennen, daß das Schutzbegehren zu einem wesentlichen Teil auch auf eine Schneidplatte mit einer durch eine ganz bestimmte Konkavität der Freiflächen bewirkte Sattelform der Querschneide gerichtet gewesen sein sollte. Sie hat (vgl. den Prüfungsbescheid vom 10. März 2000) ihr Augenmerk entsprechend dem ursprünglichen Hauptanspruch auf die Freiflächenausbildung an sich gerichtet und hierzu für eine der beiden Alternativen Entgegenhaltungen genannt. Darüber hinaus hat sie zu den Unteransprüchen Stellung genommen, unter anderem auch zu den von der Anmelderin in der Verhandlung hervorgehobenen Ansprüchen 23 bis 25, jedoch folgerichtig in der Sicht auf die Alternative gemäß Hauptanspruch. Es kann also keine Rede davon sein, daß die Prüfung sich bereits auf die Lehre der Patentansprüche 23 bis 25 im Hinblick auf die Erläuterung zu Fig. 3 erstreckt habe, wie die Anmelderin vorträgt. Im übrigen boten die Ausführungen der Anmelderin in ihrer Erwiderung auf den Prüfungsbescheid keine Veranlassung zu einer Nachrecherche hinsichtlich der nunmehr beanspruchten Querschneidenform.

Mithin hat das Patentamt noch nicht in der nunmehr zu beurteilenden Sache selbst entschieden (§ 79 Abs 3 Satz 1 Nr. 1 PatG). Die glaubhafte Versicherung der fachkundigen Anmelderin, ihr sei entgegenstehender Stand der Technik nicht bekannt, vermag eine Prüfung anhand einer Recherche im Prüfstoff des Patentamts nicht zu ersetzen. Der Senat hält die Verfahrensverzögerung, die die Anmelderin in Kauf zu nehmen hat, für weniger gewichtig als den Verzicht auf eine ausreichende Prüfung in der Sache durch die hierfür zuständige Instanz und sieht daher von einer eigenen Sachentscheidung ab.

Bei der Prüfung wird das Patentamt u. a. zu beachten haben, daß Anmeldungsgegenstand laut der technischen Bezeichnung im Oberbegriff des Hauptanspruchs nunmehr ausschließlich ein Gesteinsbohrer ist.

B) Zur Teilanmeldung Mit der Teilungserklärung ist eine Teilanmeldung entstanden, deren Gegenstand sich sowohl vom Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung als auch von dem der verbliebenen Stammanmeldung unterscheidet und der vom Patentamt noch nicht auf Patentfähigkeit geprüft worden ist. Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 umfaßt nach seinem kennzeichnenden Teil u. a. das Merkmal, daß jede "Freifläche" in mindestens einem Teilbereich konkav ausgebildet ist. Zu dieser konkaven Ausbildung hat die Prüfungsstelle, wie oben zur Stammanmeldung dargelegt, noch nicht Stellung genommen. Die Teilanmeldung ist daher zur sachgerechten Prüfung gemäß § 79 Abs 3 Satz 1 Nr. 1. PatG an das Patentamt zu verweisen.

Kowalski Dr. Maier Viereck Dr. Huber Cl






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