Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. August 2000
Aktenzeichen: 34 W (pat) 41/99

(BPatG: Beschluss v. 02.08.2000, Az.: 34 W (pat) 41/99)

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Juli 1999 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Patentabteilung das Patent aufrechterhalten.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

Sie macht geltend, dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne; außerdem sei der Gegenstand des Patents mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig (§ 21 Abs 1 Nr 1 und 2 PatG). Es liege insbesondere nahe, Schüttungen, wie sie aus der DE-OS 21 46 653 (D3) bekannt seien, an einem Müllfahrzeug nach der DE-PS 25 58 433 (D5) einzusetzen, womit man bereits zum Gegenstand des Streitpatents komme.

Die Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.

Der erteilte, weiterhin geltende Patentanspruch 1 lautet:

Müllsammelfahrzeug mit einem Müllsammelbehälter, der durch wenigstens eine vertikale Längstrennwand (10) in wenigstens zwei Kammern (12, 14) für unterschiedliche Müllfraktionen unterteilt ist und hintere Schüttungsöffnungen (16, 18) aufweist, sowie mit einer am Fahrzeugheck angeordneten Schüttung mit einer Hub-Kipp-Vorrichtung zur Entleerung von Müllbehältern (20, 22) dadurch gekennzeichnet, daß der Müllsammelbehälter über seine Breite im Verhältnis 60 zu 40 bis 70 zu 30 in zwei Kammern unterteilt ist, wobei die größere Kammer (14) mit der größeren Schüttöffnung (18) für Großmüllbehälter (22) mit maximal 1,1m3 Normgröße bemessen ist, daß die Hub-Kipp-Vorrichtung eine einteilige, sich quer über alle Schüttungsöffnungen (16, 18) erstreckende Kammleiste (24) mit einer Klemmleiste (26) zur Aufnahme und Fixierung von Müllbehältern (20, 22) an ihrem oberen Behälterrand aufweist und ferner an der breiteren Kammer (14) zusätzlich Klapparme (30, 32) mit Aufnahmeklauen (34) für Großmüllbehälter (22) umfaßt, wobei die Klemmleiste (26) oder die Klapparme (30, 32) wahlweise zur Aufnahme von Großmüllbehältern (22) einsetzbar sind, daß die Kammleiste (24) eine Mehrzahl Zähne (28) trägt, deren gegenseitige Abstände nach den Normgrößen einer Mehrzahl genormter Müllbehälter bemessen sind, und daß die Klemmleiste (26) und die Klapparme (30, 32) miteinander über Schüttungsträger (46) gekoppelt und durch einen Antrieb aus Schüttungszylindern (52) gemeinsam betätigbar sind, derart, daß gleichzeitig ein Großmüllbehälter (22) in die breitere Kammer (14) und ein Kleinmüllbehälter (20) in die schmalere Kammer (12) entleerbar sind und dabei der Großmüllbehälter (22) wahlweise mittels der Klemmleiste (26) oder der Klapparme (30, 32) erfaßbar ist.

An diesen Anspruch schließen sich 7 Unteransprüche an.

Im Verfahren sind außerdem noch folgende Druckschriften zu berüchsichtigen:

EP 0 231 848 A2 (D1)

DE 34 05 997 C2 (D2)

DE 41 21 442 A1 (D4)

Dornier Abschlußbericht "MKMS", Mai 1980 (D6)

DE 92 17 803 U1 GEESINK-Prospekt "Mehrkammerwagen"

GB 2 165 814 A.

Wegen Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

A) Die zulässige Beschwerde konnte keinen Erfolg haben.

Der Einspruch war ebenfalls zulässig.

B) Der auch in der Beschwerde wieder aufgegriffene Widerrufsgrund mangelhafter Offenbarung der Erfindung liegt nicht vor.

Wie bereits im angefochtenen Beschluss der Patentabteilung auf Seite 4 unter Punkt 3. zutreffend ausgeführt wird, ist ein hier zuständiger Fachmann ohne weiteres in der Lage, die Lehre des Anspruchs 1 nachzuvollziehen, wenn er den Inhalt der Patentschrift mit einbezieht. Die Verwechslung der Begriffe "Kammleiste" und "Klemmleiste" im Anspruch 1 in Spalte 5 Zeilen 44, 50 und 58 erhellt bereits aus den Begriffen selbst in Verbindung mit dem übrigen Anspruchswortlaut. So entnimmt der Fachmann den Zeilen 38 bis 40 dieses Anspruchs, dass die Kammleiste zur Aufnahmen von Müllbehältern dient und die Klemmleiste zu deren Fixierung. Im weiteren (Z 42-43), dass zusätzliche Klapparme zur Aufnahme von Großmüllbehältern vorhanden sind. Wenn nun die genannten Aufnahmen gemäß Zeile 45 wahlweise zur Aufnahme von Großmüllbehältern einsetzbar sein sollen, dann kann in Zeile 44 neben den Klapparmen nur die Kammleiste und nicht die lediglich zur Fixierung dienende Klemmleiste gemeint sein. Die entsprechende Überlegung klärt den Sachverhalt in den Zeilen 50 und 58 des Anspruchs auf. Gestützt wird diese Erkenntnis zudem durch das Verständnis der Figurenbeschreibung (vgl insb Sp 4 Z 35-39 iVm Fig 1 und 2), wonach die Kammleiste mit ihren Zähnen zur Anlage mit dem oberen Rand des Müllbehälters gelangt und über sie der Müllbehälter angehoben, dh aufgenommen wird. Schließlich hat die Einsprechende den Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls in diesem Sinne verstanden und darauf ihre Argumentation bezüglich der erfinderischen Tätigkeit aufgebaut.

C) Das Müllsammelfahrzeug nach dem Patentanspruch 1 erfüllt die Patentierungsvoraussetzungen.

1. Es ist unbestritten gewerblich anwendbar und auch neu, was sich auch aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt.

2. Der beanspruchte Gegenstand beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit, denn die Merkmalskombination des Anspruchs 1 wird dem Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

Keine der im Verfahren zu berücksichtigenden Druckschriften gibt dem Fachmann einen Hinweis darauf, ein Müllsammelfahrzeug, das durch wenigstens eine vertikale Längstrennwand in wenigstens zwei Kammern für unterschiedliche Müllfraktionen unterteilt ist und dessen hintere Schüttungsöffnungen mit einer am Fahrzeugheck angeordneten Schüttung mit einer Hub-Kipp-Vorrichtung zur Entleerung von Müllbehältern versehen ist (vgl den Oberbegriff des Anspruchs 1), so auszubilden, dass Behälter unterschiedlicher Größen gleichzeitig in entsprechende Kammern des Müllsammelfahrzeugs entleert werden können. Dies ist im Ergebnis die wesentliche Aussage der kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1, nach denen die anspruchsgemäße Hub-Kipp-Vorrichtung eine einteilige, sich quer über alle Schüttungsöffnungen erstreckende Kammleiste mit einer Klemmleiste zur Aufnahme und Fixierung von Müllbehältern an deren oberem Behälterrand aufweist, wobei die Kammleiste eine Mehrzahl von Zähnen trägt, deren Abstände nach den Normgrößen einer Mehrzahl genormter Müllbehälter bemessen sind und die Hub-Kipp-Vorrichtung an der breiteren Kammer zusätzlich Klapparme mit Aufnahmeklauen für Großmüllbehälter aufweist, welche wahlweise zur Aufnahme dieser Behälter eingesetzt werden können. Außerdem sind Kammleiste und Klapparme miteinander gekoppelt und gemeinsam betätigbar. Darüber hinaus enthalten die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 Angaben zu den Größenverhältnissen eines Zweikammern-Müllsammelbehälters und die Zuordnung der Schüttungsöffnung eines Großmüllbehälters mit maximal 1,1 m3 Normgröße zu der größeren Kammer.

Die gemeinsame Betrachtung der DE-OS 21 46 653 (D3) und der DE-PS 25 58 433 (D5) führt nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1.

So ist die in DE-OS 21 46 653 (D3) gezeigte und beschriebene Einrichtung zwar zum Entleeren von unterschiedlich großen Müllbehältern in einen Sammelbehälter konzipiert. Ein Hinweis auf die Verwendung dieser bekannten Hub-Kipp-Einrichtung bei einem Mehrkammern-Müllfahrzeug ist der Schrift aber nicht zu entnehmen.

Das in der DE-PS 25 58 433 (D5) beschriebene Müllsammel- und Transportsystem soll den separierten Abtransport des im Haushalt in besonderen Müllbehältern getrennt gesammelten Mülls vereinfachen. Dies gelingt dort durch die gleichzeitige Entleerung sämtlicher Teilgefäße dieser Haushaltsmüllbehälter - unter Beibehaltung der Trennung - in das Müllfahrzeug (Sp 3 Z 48-56, Sp 4 Z 9-13 u. Sp 7 Z 58-65 iVm Fig 3ac). Dabei werden die Müllbehälter in bekannter Weise mittels einer Hubvorrichtung angehoben und mit angepaßten Öffnungen am Müllfahrzeug in Überdeckung gebracht (vgl zB Sp 8 Z 13-26 iVm den Figuren 2 u.3). Bei diesem System können zB auch zwei Haushaltsmüllbehälter gleichzeitig in entsprechende übereinanderliegende Einfüllöffnungen entleert werden (Sp 4 Z 35-39 sowie Figuren 1, 2 und 4b). Die Anwendung der bereits erläuterten Hub-Kipp-Vorrichtung nach der DE-OS 21 46 653 (D3) in dem hier beschriebenen Müllsammel- und Transportsystem lag für den Fachmann nicht nahe. Denn die bei dieser Hub-Kipp-Vorrichtung mögliche Aufnahme unterschiedlicher Größen von Müllbehältern (vgl (D3) Fig 6) macht an einem Müllfahrzeug, an dem nach Größe und Lage in ganz spezifischer Weise angeordnete getrennte Einfüllöffnungen bedient werden, ersichtlich keinen Sinn. (Der Senat hält weitere, ausführlichere Erläuterungen hierzu, wie sie die Patentinhaberin in ihrem Schriftsatz vom 26. April dieses Jahres unter III bis V abgegeben hat, nicht für erforderlich.)

Auch der Hinweis der Einsprechenden in ihrer Beschwerdebegründung, wonach Müllfahrzeuge mit vertikaler Längstrennung des Sammelbehälters - wie aus der DE-PS 25 58 433 (D5) (seit 1977) bekannt - schon seit mindestens 1980 (vgl Dornier Abschlußbericht "MKMS", Mai 1980 (D6)) im Einsatz seien, spricht nicht dafür, dass eine Zusammenschau mit der bereits 1973 bekannt gewordenen Kammschüttung (nach der D3) im Sinne des Anspruchs 1 nach dem Streitpatent nahegelegen hat. Denn auch in dem Dornier Abschlußbericht (D6) wird von Mehrkammern-Müllsammelbehältern und dazu angepaßten Einfüllöffnungen an den Müllsammelfahrzeugen (vgl S 8 Abb 1) ausgegangen. Selbst wenn dort Müllsammelbehälter mit Größen von 240 bis 1 100 l Inhalt in Betracht gezogen werden (vgl S 44-46), so wird dabei immer an eine Aufteilung des einzelnen Gefäßes in ein Zweikammern-Gefäß gedacht (S 48 "Gefäß") und am Fahrzeug eine angepaßte Schüttung vorausgesetzt (vgl S 49 Punkt 5 und weiter unten unter "Nahtstellen intern"). Bei diesen Angaben hätte der Fachmann möglicherweise zwar an eine an die größten Sammelgefäße angepaßte oder an eine variable Einfüllöffnung denken können, dabei aber immer zumindest die Ausrichtung der Behälter-Trennwand an die Trennwand der Einfüllöffnung des Müllsammelfahrzeuges im Auge behalten.

Einen anderen Weg schlägt jedoch das Streitpatent vor, das die gleichzeitige Aufnahme und Entleerung unterschiedlich großer Behälter in entsprechende Kammern eines Mehrkammern-Müllsammelfahrzeuges lehrt. Dass dabei das Größenverhältnis der zwei Kammern des Müllsammelfahrzeuges (60 zu 40 bis 70 zu 30) an das im Dornier-Bericht (D6) ermittelte Volumen-Verhältnis von 65 zu 35 (für Restmüll zu Wertstoff) angepasst wurde, ändert hieran nichts.

Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften, die von der Einsprechenden im Beschwerdeverfahren nicht mehr diskutiert wurden, kommen dem Gegenstand nach Anspruch 1 des Streitpatents nicht näher. So sollen nach der EP 0 231 848 A2 (D1) Nachteile vermieden werden, die sich aus einer in Fahrzeuglängsrichtung erstreckenden Raumaufteilung beim Sammelfahrzeug ergeben (Sp 1 Abs 2). Gelingen soll das mit in Fahrzeuglängsrichtung hintereinander angeordneten Sammelkammern (vgl Abstract und Fig 1). Diese Schrift führt den Fachmann somit in eine anderen Richtung. Und auch der GEESINK-Prospekt (D8) lenkt in eine andere Richtung, denn er zeigt die Raumaufteilung im Sammelfahrzeug in übereinander liegende Kammern. Darüber hinaus kann der Fachmann diesen beiden Druckschriften ohnehin keine Details hinsichtlich der hier beanspruchten Hub-Kipp-Vorrichtung entnehmen.

Die DE 41 21 442 A1 (D4) befaßt sich wiederum mit der getrennten Aufnahme von Abfallstoffen aus Mehrkammern-Haushaltsmüllbehältern und weist schon deshalb in eine andere Richtung.

Schließlich betreffen die noch verbleibenden Druckschriften DE 34 05 997 C2 (D2), DE 92 17 803 U1 und GB 2 165 814 A verschiedene Hub-Kipp-Vorrichtungen für Einkammer-Müllfahrzeuge, die zur Aufnahme auch mehrerer und oder unterschiedlicher Müllbehälter eingerichtet sind. Hieraus ist zwar auch die Aufnahme von Großmüllbehältern mittels Klapparmen bekannt (vgl (D2) Fig 5 iVm Sp 11 Z 4-43), doch ergibt sich daraus kein Hinweis auf den streitpatentgemäßen Einsatz bei einem Mehrkammern-Müllsammelfahrzeug.

Der Patentanspruch 1 hat somit Bestand.

Gleiches gilt für die Patentansprüche 2 bis 8, die zweckmäßige, nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des Gegenstandes nach Anspruch 1 betreffen.

3. Da keine der Parteien einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat, beide die Gelegenheit wahrgenommen haben ihre Argumente schriftlich vorzutragen und für den Senat keine Fragen offenblieben, konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.

Ch. Ulrich Hövelmann Barton Froweinprö






BPatG:
Beschluss v. 02.08.2000
Az: 34 W (pat) 41/99


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