Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. November 2000
Aktenzeichen: 20 W (pat) 76/99

(BPatG: Beschluss v. 30.11.2000, Az.: 20 W (pat) 76/99)

Tenor

1. Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I Das Patentamt - Patentabteilung 51 - hat das Patent durch Beschluß vom 10. Mai 1999 mit der Begründung widerrufen, der Gegenstand des Anspruchs 1 gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus, weil das im erteilten Anspruch 1 enthaltene Merkmal, nach dem "die Zeitschlitze den Teilnehmerstationen nach Bedarf zugeordnet werden", ursprünglich nicht offenbart worden sei. In den Gründen wird außerdem die von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren erklärte Teilung des Patents, mit der nur die erteilten Ansprüche 1 bis 4 im Patent verbleiben, während die erteilten Ansprüche 5 bis 18 abgeteilt sind, als wirksam erachtet.

Gegen diesen Beschluß hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt. Die weiteren Beschwerden, die die Einsprechenden III und V eingelegt haben und die sich gegen die mit dem Beschluß getroffene Feststellung der Wirksamkeit der Teilungserklärung richteten, nehmen diese in der mündlichen Verhandlung zurück.

Am Ende der mündlichen Verhandlung erklärt die Patentinhaberin die Teilung des Restpatents in der Weise, daß die Patentansprüche 3 und 4 erteilter Fassung unter Rückbezug auf Anspruch 1 erteilter Fassung abgetrennt werden, und beantragt, nach Hauptantragden angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Sache zur weiteren Sachbehandlung an das Patentamt zurückzuverweisen, hilfsweise, das Restpatent mit dem Anspruch 1 des Hilfsantrages 6 - Numerierung gemäß Schriftsatz vom 27. Oktober 2000 - aufrechtzuerhalten.

Für den Fall der Zurückweisung des Hauptantrags regt die Patentinhaberin die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.

Die Einsprechenden beantragen übereinstimmend, die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

Außerdem regen sie an, der Patentinhaberin wegen der erst am Ende der mündlichen Verhandlung abgegebenen zweiten Teilungserklärung die Kosten der mündlichen Verhandlung aufzuerlegen.

Der hilfsweise verfolgte einzige Patentanspruch lautet - unter Einfügung einer Merkmalsnumerierung, die an eine von den Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung überwiegend verwendete Numerierung anknüpft:

" 1 Vorrichtung zur Kommunikation zwischen Teilnehmerstationen (41) und einem externen Netzwerk (25) mit 2 einer Zentralstation (10), 2.1 die mit dem externen Netzwerk (25) in Verbindung steht, 3 einem Prozessor (14) in der Zentralstation (10), 3.1 der mit einer Übertragungsstation (11) zum Steuern von Kommunikation zwischen der Zentralstation (10) und der Übertragungsstation (11) in Verbindung steht, 4 mehreren Kanalmodule(n) (20) in der Übertragungsstation (11), 4.1 die mit mehreren Teilnehmerstationen (41) über Hochfrequenzkanäle mit jeweils mehreren Zeitschlitzen in Verbindung stehen, 4.2 wobei die Zeitschlitze den Teilnehmerstationen nach Bedarf, nach einer vorbestimmten Zuordnungsroutine, zugeordnet werden, 5 mindestens einer Steuereinrichtung (19) in der Übertragungsstation (11) zum Steuern von Kommunikation zwischen den Kanalmodulen (20) und der Zentralstation (10), dadurch gekennzeichnet, daß

6 die Zentralstation (10) und die Übertragungsstation (11) miteinander über von beiden Stationen erzeugte und empfangene Bitströme (28) in Verbindung stehen, 6.1 Bitströme, die von der Zentralstation (10) zur Übertragungsstation (11) übertragen werden von dem externen Netzwerk (25) initiierte Signale enthalten, und 6.2 Bitströme, die von der Übertragungsstation (11) zur Zentralstation (10) übertragen werden von den Teilnehmerstationen (41) initiierte Signale enthalten, 6.3 wobei die Bitströme mehrfach sich sequentiell wiederholende Zeitschlitze enthalten, 7 ein Steuerkanal BBC zwischen der Zentralstation (10) und der Übertragungsstation (11) zur Übertragung von Steuersignalen vorgesehen ist, 7.1 die von beiden Stationen (10, 11) initiiert werden können, und 8 die Steuereinrichtung (19, 44) mit den Kanalmodulen (20) über einen Übertragungsweg (37) mit mehreren Kanälen verbunden ist und 8.1 der zum Steuern von Signalen zwischen Zeitschlitzen in den Hochfrequenzkanälen und Kanälen des Übertragungswegs eine Schnittstelle mit den Kanalmodulen (20) bildet."

Zum Stand der Technik sind im Verfahren ua folgende Druckschriften genannt worden:

D2 Klaus-Dieter Eckert, Günter Höfgen: "The Fully Digital Cellular Radio Telephone System CD 900" in Nordic Seminar on Digital Land Mobile Radiocommunication, 5. bis 7. Februar 1985, Espoo, Finnland, Seiten 249 bis 259, D10 Ulrich Langewellpott, Renato D'Avella: "On the Spectral Efficiency of CD 900" in Second Nordic Seminar on Digital Land Mobile Radiocommunication, 14. bis 16. Oktober 1986, Seiten 1 bis 7.

Die Patentinhaberin trägt zur Begründung ihres Hauptantrages vor, das Patentamt habe - unter Verkennung des gesamten Inhaltes der ursprünglichen Offenbarung - die von den Einsprechenden behauptete unzulässige Erweiterung offensichtlich rechtswidrig als gegeben hingenommen und habe zur Frage der Patentfähigkeit in keiner Weise Stellung genommen. Im Beschluß fehle daher eine Abwägung aller relevanten Faktoren. Da somit die große Anzahl von überwiegend kurzfristig zitierten Druckschriften erst jetzt berücksichtigt werden könne, sei der Patentinhaberin die patentamtliche Einspruchsinstanz praktisch genommen worden. Eine Zurückverweisung der Sache an das Patentamt sei zur Vermeidung eines Instanzenverlustes notwendig. Das Ermessen nach § 79 Abs 3 PatG sei auf null geschrumpft.

Zur Frage der Patentfähigkeit weist die Patentinhaberin im wesentlichen darauf hin, daß nach D2 nur eine Frequenz pro Übertragungsstation (BS) vorgesehen sei, während die beanspruchte Vorrichtung pro Übertragungsstation mehrere Kanalmodule und mehrere Frequenzkanäle aufweise, und daß in D2 ein Prozessor in der Zentralstation nicht erwähnt werde. Weiterhin würden in D2 keine Steuersignale von seiten der dortigen Übertragungsstation (BS) initiiert; die dort auf Seite 256, Zeilen 1 bis 4 beschriebene Übertragung von Signalen von der Übertragungsstation (BS) zur Zentralstation (MSC) könne nicht als von der Übertragungsstation (BS) initiiert angesehen werden; vielmehr erfolge diese Übertragung im Rahmen eines reinen Polling-Systems.

Eine zusätzliche Berücksichtigung von D10 konnte nach Auffassung der Patentinhaberin vom Fachmann nicht ohne weiteres erwartet werden, weil D2 keinen Hinweis auf D10 enthalte. Der Hinweis in D10 auf D2 mache D2 nicht zum Inhalt von D10. Selbst wenn aber der Fachmann D10 zusätzlich betrachtet hätte und die dort auf Seite 2, 3. Absatz gegebene Anregung, pro Übertragungsstation (BS) erforderlichenfalls vier Frequenzkanäle vorzusehen, aufgegriffen hätte, so hätte er nach Meinung der Patentinhaberin allenfalls eine Vervierfachung der in D2 Figur 8 gezeigten Anordnung, dh ua 4 MUX/DEMUX-Einheiten, in Betracht gezogen, wohingegen bei der beanspruchten Vorrichtung nur eine Steuereinrichtung mit den Kanalmodulen zur Steuerung derselben verbunden sei. Dadurch ergebe sich hinsichtlich der Zuordnung von Zeitschlitzen ein hohes Maß an Flexibilität zwischen den Frequenzen. Dies sei bei dem in D2 und D10 beschriebenen System CD 900 nicht gegeben; der in D2 Figur 8 gezeigte Multiplexer laufe lediglich zyklisch durch und sei nicht gesteuert; jedem Teilnehmer sei dort, insbesondere auch bei Aufgreifen der erwähnten Anregung aus D10, eine feste Frequenz zugeteilt.

Die Einsprechenden treten dem Vorbringen der Patentinhaberin entgegen. Ihrer Auffassung nach wird die beanspruchte Vorrichtung durch die - als Einheit zu betrachtenden - Druckschriften D2 und D10 soweit vorweggenommen, daß ihr die Neuheit fehle oder sie jedenfalls nicht erfinderisch sei. Sie äußern auch Zweifel hinsichtlich der ursprünglichen Offenbarung einzelner Anspruchsmerkmale.

II Die Beschwerde führt nicht zum Erfolg.

A. Im Verfahren zum Stammpatent ist ohne ein Abwarten der nach § 39 Abs 3 PatG für die Einreichung der Unterlagen der Teilanmeldung und Entrichtung der Gebühren vorgesehenen Frist zu entscheiden.

1. Die in der mündlichen Verhandlung abgegebene weitere Teilungserklärung ist zweifelsfrei wirksam.

Die Möglichkeit der Teilung steht der Patentinhaberin bis zur Beendigung des Einspruchsverfahrens zu, § 60 Abs 1 PatG. Der in § 39 Abs 1 Satz 2 PatG geforderten Schriftform genügt es, daß die Erklärung in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegeben wurde. Ein Rechtsmißbrauch - wie die Einsprechenden zunächst meinen - liegt schon deshalb nicht vor, weil die Erklärung zu keiner Verzögerung der Entscheidung über das Restpatent führt.

Die Teilungserklärung ist auf eine gegenständliche Teilung des Patents gerichtet. Sie trennt aus dem nach der im Einspruchsverfahren vor dem Patentamt vorgenommenen Teilung noch verbliebenen Restpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 erteilter Fassung nunmehr noch die Patentansprüche 3 und 4 ab.

2. Der Senat sieht sich nicht gehindert, über das nunmehrige Stammpatent vor Beendigung des "Schwebezustands" der Teilanmeldung nach § 39 Abs 3 PatG zu entscheiden, auch wenn die Patentinhaberin weder ihr Einverständnis damit erklärt noch auf eine Berücksichtigung des abgetrennten Teils im Stammverfahren bei Eintritt der Nichtabgabefiktion der Teilungserklärung nach § 39 Abs 3 PatG verzichtet.

a) § 60 Abs 1 PatG bestimmt, daß der Patentinhaber das Patent bis zur Beendigung des Einspruchsverfahrens teilen kann. Wird die Teilung erklärt, so gilt der abgetrennte Teil als Anmeldung, für die ein Prüfungsantrag (§ 44 PatG) gestellt worden ist. § 39 Abs 1 Satz 2 und 4, Abs 2 und 3 PatG ist entsprechend anzuwenden. Für den abgetrennten Teil gelten die Wirkungen des Patents als von Anfang an nicht eingetreten. Mit dieser Regelung vereinbar ist ein materiellrechtlicher Teilungsbegriff. Nach ihm ist erforderlich, daß der zu teilende Gegenstand in mindestens zwei Teile aufgespalten wird und ein um den abgespaltenen Teil vermindertes Restpatent entsteht (BGH GRUR 1996, 747, II. 1. - Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem). Da die rechtsgestaltenden Wirkungen jedoch vorerst in der Schwebe bleiben und der abgetrennte Teil wegen des materiellrechtlichen Teilungsbegriffs wieder in das Stammpatent zurückfällt, wenn die Anmeldungsunterlagen und Gebühren nicht fristgerecht eingehen (BGH aaO), kann über das Stammverfahren nicht entschieden werden, solange der Schwebezustand andauert.

b) Logisch zwingend ist dieses Verständnis der Teilung jedoch nicht (Busse PatG 5. Aufl § 60 Rn 10; Kühnen: Die Teilung des Patents, S 14, Carl Heymanns Verlag, Köln, Berlin, Bonn, München 2000). Der Senat schließt sich den aus der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einer Teilungsfrage (GRUR 2000, 688 - Graustufenbild) sich ergebenden Folgerungen an.

aa) Nach "Graustufenbild" bleibt dem Patentinhaber im Erteilungsverfahren die Möglichkeit einer Teilung der Anmeldung bis zum Ablauf der Beschwerdefrist unabhängig davon erhalten, ob Beschwerde eingelegt wird. Die Vorschrift des § 39 Abs 1 Satz 1 PatG korrespondiere insoweit mit § 60 PatG. Nach der gesetzlichen Systematik sollen beide Vorschriften jedenfalls den gesamten Zeitraum abdecken, in dem die Entscheidung des Patentamts auch unter Veränderung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung noch angefochten werden könne. In diesem System betreffe die Regelung des § 60 PatG allein das zum Vollrecht erstarkte, wenn auch noch im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren angreifbare Patent, während § 39 PatG die Anmeldung bis zu diesem Erstarken zum Gegenstand habe. Dabei schließe die Regelung jeweils die anschließenden Rechtsmittelverfahren ein (aaO II. 2. c)).

bb) Nach Verkündung eines Beschlusses oder - im schriftlichen Verfahren - nach dessen Übergabe an die Postabfertigungsstelle kann wegen der Bindung des Patentamts und des Patentgerichts an seine Entscheidung (Busse PatG 5. Aufl § 47 Rn 60, § 94 Rn 13) bei einer Teilungserklärung während der Rechtsmittelfrist vom Stammpatent nichts (mehr) abgespalten werden, eine Teilung im materiellrechtlichen Sinn nicht erfolgen. Gleiches muß auch ohne Bindung an eine Entscheidung gelten. Für das Verfahren vor einer wirksamen Entscheidung über das Patent oder nach Einlegen der Beschwerde einen anderen Teilungsbegriff zugrunde zu legen, wäre nur schwer zu verstehen und erschiene als unnötig kompliziert. Der Teilungserklärung kommt eine materiellrechtliche Wirkung hinsichtlich der Trennanmeldung ohnehin nicht zu, da mit ihr der gesamte Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung ausgeschöpft werden kann (BGH GRUR 1992, 38 - Straßenkehrmaschine). Bei der Teilung des Patents im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren ist daher durchgängig nicht eine Teilung im materiellrechtlichen Sinn zu fordern. Wenn nun nichts abgespalten wird, kann auch nichts zurückfallen. Ein "Schwebezustand" für das Stammpatent nach Erklärung der Teilung entsteht deshalb nicht; im Verfahren zum Stammpatent kann unabhängig vom Schicksal der Teilungserklärung nach § 39 Abs 3 PatG entschieden werden.

Eine Verdopplung in Form identischer Anspruchsgegenstände tritt nicht ein, da im Verfahren der Trennanmeldung kein Gegenstand mehr beansprucht werden darf, über den im Stammverfahren bereits abschließend sachlich entschieden ist (BGH GRUR 2000, 688, 689 - Graustufenbild).

B. Eine Zurückverweisung der Sache an das Patentamt ist nicht geboten.

Es liegen weder Umstände vor, die eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens an das Patentamt zwingend erfordern, noch bestehen Gründe im Sinne des § 79 Abs 3 Nrn 1-3 PatG, die im Hinblick auf den von der Patentinhaberin gerügten Begründungsmangel Anlaß geben, von der dem Senat abschließend möglichen Sachentscheidung abzusehen.

Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Senat schon aufgrund des ihm vorgelegten Materials ohne zusätzliche Sachaufklärung zu einer abschließenden Entscheidung über den zur Prüfung gestellten Patentanspruch bzw den angefochtenen Patentwiderruf iSd § 61 PatG in der Lage ist und nach allgemeiner Meinung bei vorliegender Entscheidungsreife - welche die Patentinhaberin im übrigen auch nicht in Abrede stellt - eine Zurückverweisung der Sache im Rahmen der nach § 79 Abs 3 PatG zu treffenden Ermessensentscheidung nicht in Betracht zu ziehen ist (vgl BGH Bl.f.PMZ 1992, 496, 498 - Entsorgungsverfahren; BGH GRUR 1998, 394, 395 - Active Line; Busse PatG 5. Aufl, § 79 Rn 54; Schulte PatG 5. Aufl, § 79 Rn 8, Benkard PatG 9. Aufl, § 79 Rn 26 - jeweils mit weiteren Hinweisen). Von einer "Schrumpfung des Ermessens auf null" kann keine Rede sein. Das Patentamt hat das Patent zwar wegen unzulässiger Erweiterung seines Gegenstands widerrufen (§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG). Der Widerrufsgrund fehlender Patentfähigkeit, § 21 Abs 1 Nr 1 PatG, ist jedoch schon in den Einsprüchen ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden, und das Gericht kann hierauf seine Entscheidung über die Beschwerde stützen, auch wenn das Patentbegehren unverändert geblieben wäre (BGH GRUR 1995, 333, 337 - Aluminium-Trihydroxyd; GRUR 1998, 901 - Polymermasse). Ein Anspruch auf Prüfung in mehreren Instanzen besteht nicht (Busse PatG 5. Aufl § 79 Rn 54).

Der Senat wäre nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbst im Falle eines schweren Verfahrensverstoßes nicht gehindert, die Frage einer Zurückverweisung an das Patentamt in sein Ermessen zu stellen (vgl BGH Bl.f.PMZ 1992, 496, 498 - Entsorgungsverfahren; BGH GRUR 1998, 394, 395 - Active Line) und in der Sache zu entscheiden. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob der angefochtene - nach dem dortigen Verständnis des Patents folgerichtig begründete - Beschluß des Patentamts überhaupt an einem wesentlichen Verfahrensmangel (§ 79 Abs 3 Nr 2 PatG) wegen Verletzung der Begründungspflicht oder an einer fehlenden (und nicht nur unrichtigen) Sachentscheidung (§ 79 Abs 3 Nr 1 PatG) leidet, die den Antrag der Patentinhaberin rechtfertigen könnten (vgl hierzu im einzelnen Busse PatG 5. Aufl, § 79 Rn 56-58 mit weiteren Hinweisen).

Wegen der Entscheidung über den Hauptantrag der Patentinhaberin die Rechtsbeschwerde zuzulassen, sieht der Senat keine Veranlassung.

C. Die beanspruchte Vorrichtung ist nicht patentfähig (§§ 1, 4, 21 Abs 1 Nr 1 PatG).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorrichtung nach dem Patentanspruch gegenüber dem Stand der Technik neu ist; jedenfalls beruht sie nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie ergab sich nämlich für den Fachmann - einen Entwickler, der eine nachrichtentechnische Hochschulausbildung absolviert hat und über mehrjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der digitalen Mobilfunksysteme verfügt - in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Die Druckschriften D2 und D10 betreffen, wie aus der jeweiligen 1. Seite hervorgeht, beide ein und dasselbe Mobilfunksystem mit der Bezeichnung CD 900. In D10 wird darauf hingewiesen, daß der Aufbau und die Wirkungsweise dieses Systems im einzelnen bereits in D2 veröffentlicht wurden und daß deshalb (in D10) nur die Grundelemente der Systemarchitektur wiederholt werden, vgl in D10 auf Seite 1 den 3. und 4. Satz der Einleitung iVm dem Literaturverzeichnis auf Seite 7.

Bei dieser Sachlage war der Fachmann, dem am Prioritätstag beide Druckschriften zur Verfügung standen, gehalten, die beiden Druckschriften als zusammengehörig im Sinne einer einzigen Druckschrift zu betrachten (BGH in GRUR 1980, 283 - Terephtalsäure). Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin bedeutet dabei der vorstehend zitierte Hinweis in D10 nicht, daß der Fachmann zunächst D10 und dann erst D2 gedanklich zu verarbeiten hatte; vielmehr war der Fachmann in der Wahl der Reihenfolge der gedanklichen Verarbeitung des in den Druckschriften jeweils Beschriebenen frei.

Wie unter den Beteiligten unbestritten ist, dient die in D2 beschriebene Vorrichtung ebenfalls zur Kommunikation zwischen Teilnehmerstationen und einem externen Netzwerk (PSTN) und weist eine Zentralstation (MSC) auf, die mit dem externen Netzwerk (PSTN) in Verbindung steht, sowie eine Übertragungsstation (BS), vgl dort Figur 4. Die Zentralstation (MSC) ist dort für alle Ruf-Verarbeitungsaufgaben und für zahlreiche mit der Verwaltung des Netzwerks zusammenhängende Funktionen zuständig (S 251 le Abs) und steuert den Verkehr zu und von den Teilnehmerstationen über die Übertragungsstation (BS) (S 254 le Abs). Für den Fachmann ist damit ohne weiteres die Schlußfolgerung verbunden, daß die Zentralstation (MSC) einen Prozessor aufweist, der mit der Übertragungsstation (BS) zum Steuern von Kommunikation zwischen der Zentralstation (MSC) und der Übertragungsstation (BS) in Verbindung steht (Anspruchsmerkmale 3 und 3.1).

Die dort in Figur 8 näher dargestellte Übertragungsstation (BS) weist eine als Steuereinrichtung zu betrachtende MUX/DEMUX-Einheit auf, die den über PCM-30-Leitungen von der Zentralstation (MSC) kommenden Datenstrom auf die verschiedenen Sprach- und Organisationskanäle aufteilt, vgl auf Seite 257 die ersten beiden Sätze. Die Übertragungsstation (BS) soll zwar gemäß Seite 251, 3. Absatz, letzter Satz in nur einem Frequenzkanal senden, in welchem gemäß Figur 3 60 Verkehrskanäle TCH in Form von Zeitschlitzen untergebracht sind; in D10 Seite 2, 3. Absatz ist jedoch der Hinweis enthalten, daß dann, wenn in besonders sprechverkehrsreichen Gebieten die 60 Verkehrskanäle nicht ausreichen, vier nebeneinanderliegende Frequenzkanäle vorgesehen werden, die dann eine Kapazität von 240 Verkehrskanälen pro Basisstation (Übertragungsstation) ergeben.

Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin kann dieser Hinweis nicht so verstanden werden, daß dabei dem einzelnen Teilnehmer ein Frequenzkanal fest zugeordnet ist; dies würde nämlich, da beim System CD 900 die Teilnehmer mobil sind, das angesprochene Problem der Überfüllung ersichtlich nicht lösen. Vielmehr ist der genannte Hinweis fachmännisch so zu verstehen, daß, nachdem beim System CD 900 entsprechend dem Begriff TDMA bereits die Zeitschlitze den Teilnehmerstationen nach Bedarf, dh je nach vorliegenden Verbindungswünschen, zugeteilt werden, vgl dazu in D2 Seite 250, 1. Absatz und Seite 251, 2. Absatz, bei Erweiterung des Systems auf vier Frequenzkanäle pro Basisstation (Übertragungsstation) in entsprechender Weise auch die Frequenzkanäle den Teilnehmern nach Bedarf zugeteilt werden, um mit den erwähnten 240 Verkehrskanälen die hohe Nachfrage befriedigen zu können.

Die Anwendung dieses in D10 enthaltenen Hinweises auf die Anordnung nach D2 Figur 8 bedeutete dann für den Fachmann, daß die dort zwischen den PCM-30-Leitungen und der Antennenstufe gezeigten Signalverarbeitungsschaltungen, soweit erforderlich, zu vervierfachen waren, dh in an sich üblicher Weise eine entsprechende Anzahl von sogenannten Kanalmodulen einzurichten war. Dabei war die MUX/DEMUX-Einheit, an die gemäß D2 - entsprechend den 60 HF-Zeitschlitzen - zwei PCM-30-Leitungen (30 Sprechkanäle pro Leitung) angeschlossen sind, auf den Anschluß der vierfachen Menge von PCM-30-Leitungen hin zu erweitern, um die Kommunikation zu den Kanalmodulen zu steuern (Merkmal 5).

Wie der Fachmann eine solche Erweiterung der MUX/DEMUX-Einheit im einzelnen bewerkstelligt hätte, kann hier unerörtert bleiben. Jedenfalls hat der Fachmann entgegen der Auffassung der Patentinhaberin keinen Anlaß, statt dessen vier separat zu betreibende MUX/DEMUX-Einheiten vorzusehen, da, wie schon erwähnt, von dem Erfordernis einer flexiblen Zuordnung sowohl der Zeitschlitze als auch der Frequenzkanäle an die Teilnehmerstationen auszugehen war.

Daß die bedarfsweise Zuordnung der Zeitschlitze "nach einer vorbestimmten Zuordnungsroutine" erfolgt (Merkmal 4.2), versteht sich in dieser Allgemeinheit von selbst. Auch die Patentinhaberin hat hierin nichts Substantielles, sondern eine Stütze für die ursprüngliche Offenbarung des Merkmals "nach Bedarf" gesehen.

Die in der vorgenannten Weise auf mehrere Frequenzkanäle erweiterte Vorrichtung nach D2 entspricht somit, wie aus den obigen Darlegungen hervorgeht, dem Oberbegriff des Patentanspruchs (Merkmale 1 bis 5); sie entspricht aber auch den kennzeichnenden Merkmalen 6 bis 8.1.

Für die Merkmale 6.1 bis 6.3 gilt dies schon allein deswegen, weil nach D2 die Sprachkanäle zwischen der Zentralstation (MSC) und der Übertragungsstation (BS) in Zeitschlitzen der PCM-30-Leitungen geführt sind (S 255 3. Abs) und, da die Sprachkanäle in beiden Richtungen verlaufen, sowohl von den Teilnehmerstationen als auch vom externen Netzwerk initiierte Signale enthalten.

Zwischen den beiden Stationen ist auch ein in beiden Richtungen zu betreibender Steuerkanal vorgesehen - Kanal 16 bzw 0 gemäß Seite 255, 3. Absatz und Seite 256, Zeilen 1 bis 4 - (Merkmal 7 und 7.1), wobei sich das Initiieren der Steuersignale von Seiten der Zentralstation (MSC) aus deren oben schon erwähnten Steuerfunktionen ergibt, während das Initiieren von Steuersignalen von Seiten der Übertragungsstation (BS) aus Seite 256, Zeilen 1 bis 4 hervorgeht.

Zwar handelt es sich bei dem an der letztgenannten Stelle beschriebenen Vorgang, wie die Patentinhaberin einwendet, um eine von der Zentralstation (MSC) aus gesteuerte Polling-Prozedur. Im Rahmen dieser Prozedur erfolgen eine Antwort und das Absenden einer Nachricht von seiten der Übertragungsstation (BS) aber nur, wenn diese eine Nachricht zu übertragen hat, dh die Initiative ("signal in channel 0") liegt dabei bei der Übertragungsstation (BS), während die Zentralstation (MSC) lediglich das zu benutzende Zeitfenster vorgibt. Nach Überzeugung des Senats ordnet sich dieser Vorgang daher dem anspruchsgemäßen allgemeinen Begriff des Initiierens von Seiten der Übertragungsstation (BS) unter.

Da in der gemäß Obigem modifizierten Anordnung von D2 Figur 8 die Steuereinrichtung (MUX/DEMUX) dazu dient, die auf den PCM-30-Leitungen geführten Kanäle zu den Kanalmodulen hin zu verteilen, ist auch ein dem Merkmal 8 entsprechender Übertragungsweg mit mehreren Kanälen vorhanden.

Die im vorliegenden Anspruchswortlaut erfolgende Überleitung zum Merkmal 8.1 mit den Worten "und der" - diese Überleitung war auch bereits im erteilten Anspruch 2 enthalten - entspricht nicht den üblichen Sprachregeln. Man könnte zwar vermuten, daß mit "der" der Übertragungsweg gemeint ist; dies würde jedoch technisch nicht zu der dann folgenden Zweckbestimmung "zum Steuern von Signalen" passen. Nach Überzeugung des Senats ist daher das Merkmal 8.1 in der Weise aufzufassen, daß darin das Wort "der" zu streichen ist; die Patentinhaberin hat sich in der Verhandlung dieser Auslegung angeschlossen.

Das so gefaßte Merkmal 8.1 ist ebenfalls auf die modifizierte Anordnung von D2 Figur 8 lesbar. Daß die Steuereinrichtung (MUX/DEMUX) eine Schnittstelle mit den Kanalmodulen bildet, ist ohne weiteres ersichtlich. Daß sie auch zum Steuern von Signalen zwischen Zeitschlitzen in den Hochfrequenzkanälen und Kanälen des - im Merkmal 8 definierten - Übertragungsweges dient, ergibt sich daraus, daß sie, wie oben bereits festgestellt wurde, für die Verteilung von Signalen auf die verschiedenen Kanalmodule zuständig ist.

Versteht man im Merkmal 8 - abweichend von der vorstehenden wörtlichen Auslegung - unter "Übertragungsweg" den Weg zwischen Zentralstation und Übertragungsstation, was zu der Darstellung in Figur 4 des Patents paßt, wo die Steuereinrichtung (MUX 119) eine Schnittstelle zwischen dem "Übertragungsweg" 128 und den Kanalmodulen 120 bildet, so ergibt sich gleichfalls Übereinstimmung mit D2 Figur 8, da dort die Steuereinrichtung auch zum Steuern von Signalen zwischen Zeitschlitzen in den Hochfrequenzkanälen und Kanälen der PCM-30-Leitungen dient.

Eine dem Patentanspruch entsprechende Vorrichtung ergab sich somit für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem in D2 beschriebenen System mit der in D10 vorgeschlagenen Erweiterung auf mehrere Frequenzkanäle.

D. Es ist nicht geboten, entsprechend der Anregung der Einsprechenden der Patentinhaberin die Kosten der mündlichen Verhandlung aufzuerlegen.

Nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage am 29. und 30. November 2000 erklärt die Patentinhaberin vor dem Schließen der mündlichen Verhandlung wirksam die Teilung des Patents. Dieses Verhalten ist nicht zu beanstanden.

Das Beschwerdegericht kann zwar - abweichend von dem Grundsatz, daß jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt - einem Beteiligten die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise auferlegen, wenn diese durch ein Verhalten veranlaßt worden sind, das mit der bei der Wahrnehmung von Rechten zu fordernden Sorgfalt nicht im Einklang steht, § 80 Abs 1 PatG (BGH in GRUR 1996, 399 - Schutzverkleidung). Nach dem Verhandlungsverlauf ist das Verhalten der Patentinhaberin jedoch verständlich und sachbezogen. Die Erfindung betrifft das technisch anspruchsvolle und wirtschaftlich bedeutende Gebiet des Mobilfunks. Die Patentschrift umfaßt 18 Patentansprüche sowie 32 Spalten Beschreibung und 9 Figuren zu komplexen Sachverhalten elektronischer Kommunikationstechnik mit einer Fülle baulicher und funktioneller Einzelheiten. Daher verletzt die Patentinhaberin nicht ihre prozessuale Sorgfaltspflicht, wenn sie die zweite Teilung nicht schon zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt, wie die Einsprechenden verlangen, sondern die Erörterung in der mündlichen Verhandlung abwartet und die Bedenken des Senats berücksichtigt.

E. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist durch die aus der BGH-Entscheidung "Graustufenbild" gezogenen Schlußfolgerungen veranlaßt (§ 100 Abs 2 PatG).

Dr. Anders Kalkoff Dr. Hartung Engels Mr/Fa






BPatG:
Beschluss v. 30.11.2000
Az: 20 W (pat) 76/99


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