Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Februar 2003
Aktenzeichen: 11 W (pat) 706/02

(BPatG: Beschluss v. 03.02.2003, Az.: 11 W (pat) 706/02)

Tenor

Auf den Einspruch wird das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I.

Gegen das Patent 42 42 730 mit der Bezeichnung "Bogenausleger einer Druckmaschine" (Veröffentlichungstag der Patenterteilung: 30. Januar 1997) ist am 29. April 1997 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patentanspruches 1 nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Zum Stand der Technik sind zu den bereits im Verfahren vor der Erteilung des Patents berücksichtigten Druckschriften im Einspruchsverfahren noch die DE 34 11 029 C2 (E1) genannt worden. Außerdem ist offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht worden, wozu eine eidesstattliche Erklärung (E2) und ein Blatt 64X714 des Ersatzteilkatalogs der Druckmaschine Roland 600 (E3) vorgelegt worden ist.

Die Einsprechende beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, den Einspruch zurückzuweisen und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, wobei im Patentanspruch 1 am Ende das Wort "ist" in "sind" zu korrigieren ist.

Sie begründet ihren Antrag damit, dass der genannte Stand der Technik den Gegenstand des Anspruchs 1 weder vorwegnehmen noch nahelegen könne. Die angebliche offenkundige Vorbenutzung sei nicht ausreichend substantiiert worden.

Mit Schriftsatz vom 19. April 2002 hat die Patentinhaberin beantragt, das Einspruchsverfahren beim Bundespatentgericht weiterzuführen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Ziff 2 PatG nF durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig.

3. Der Einspruch ist sachlich nicht gerechtfertigt.

Der geltende Anspruch 1 lautet:

"Bogenausleger einer Druckmaschine, bei dem der Bogen über ein Feld von in Luftkästen angeordneten Luftöffnungen schwebend gefördert wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Luftöffnungen (12) in austauschbaren Wechselkassetten (7) angeordnet und diese Wechselkassetten (7) im Ausleger zu einem berührungslosen Bogenträger mit unterschiedlichen Eigenschaften zusammensetzbar sind."

Diesem Anspruch 1 folgen die rückbezogenen Ansprüche 2 - 8.

Aufgabe der Erfindung ist die Gestaltung eines Bogenauslegers der gattungsgemäßen Art mit weitergehenden Möglichkeiten zur universellen Anpassung an Bogen aus dünnerem Papier bis zu mittlerem Karton und anderen Bedruckstoffen mit verbesserter Wirkung.

Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur für Maschinenbau mit einschlägigen Kenntnissen und Erfahrungen in Entwicklung und Bau von Bogenauslegern von Druckmaschinen.

3.1. Der Anspruch 1 ist zulässig. Er ist aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 4 hervorgegangen. Der Ersatz von "ist" durch "sind" am Ende des Anspruchs 1 betrifft die Korrektur eines offensichtlichen Schreibfehlers.

3.2. Der Gegenstand des Anspruches 1 ist neu, denn weder die angebliche offenkundige Vorbenutzung noch die entgegengehaltenen Druckschriften betreffen Bogenausleger mit Luftkästen, die als austauschbare Wechselkassetten zu einem berührungslosen Bogenträger mit unterschiedlichen Eigenschaften zusammensetzbar sind.

Er ist gewerblich anwendbar und beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Erfindung lehrt einen Bogenausleger einer Druckmaschine mit berührungsloser Bogenförderung. Dazu sind Luftkästen mit Luftöffnungen vorgesehen, die als "austauschbare Wechselkassetten" zu einem Bogenträger mit unterschiedlichen, das berührungslose Fördern betreffenden Eigenschaften zusammensetzbar sind, s. Fig 2a der Streitpatentschrift. Je nach Bogenart, die sich durch ihre Grammatur oder Oberflächenbeschaffenheit unterscheidet, werden die für die berührungslose Bogenförderung geeigneten Wechselkassetten eingesetzt. Erfindungsgemäß handelt es sich nicht um einen - beispielsweise im Reparaturfall üblichen - Ersatz der einen Kassette durch eine andere des gleichen Typs, sondern um das Wechseln der zu einer bestimmten Bogenart gehörenden Kassette gegen eine Kassette mit anderen Eigenschaften, wenn die Strömungsverhältnisse der durch die Luftöffnungen austretenden Luft bei geänderter Bogenart anzupassen sind. Dadurch können auch vom Drucker selbst im Bogenausleger seiner Druckmaschine Luftkästen mit unterschiedlichen Eigenschaften, wie Luftöffnungen mit unterschiedlicher Kontur oder unterschiedlicher Strömungsrichtung, aufgabengemäß zur universellen Anpassung der Strömungsverhältnisse an Bogen aus dünnerem Papier bis zu mittlerem Karton und anderen Bedruckstoffen zusammengesetzt werden.

Eine Anregung hierfür lässt sich sowohl der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung als auch den entgegengehaltenen Druckschriften weder einzeln noch in Verbindung miteinander entnehmen.

In dem zur angeblich offenkundigen Vorbenutzung vorgelegten Blatt 64X714 des Ersatzteilkatalogs der Druckmaschine Roland 600 (E3) sind zwar in seitlichen Führungen verschiebbare, aneinandergereihte Luftkästen für eine berührungslose Bogenführung dargestellt. Sie unterscheiden sich je nach Einbauort durch die äußere Form und haben unterschiedliche Bezugsziffern (10, 13, 16). Aber nur die Möglichkeit, diese unterschiedlichen, die Kurvenbahn vor dem Bogenausleger bildenden Luftkästen hintereinander schiebbar anzuordnen, genügt nicht als Hinweis an den Fachmann, sie als austauschbare Wechselkassetten mit unterschiedlichen, das berührungslose Fördern betreffenden Eigenschaften vorzusehen, die je nach Bogenart ausgewechselt werden. Eine Liste mit Ersatzteilnummern für unterschiedliche Kassetten pro Einbauort bzw. Bezugsziffer oder ähnliches ist nicht vorgelegt worden, sodass die Behauptung der Einsprechenden, es erfolge auch ein Austausch einzelner Strömungskanäle mit unterschiedlichen Luftöffnungen, weder aus dem vorgelegten Ersatzteilkatalog-Blatt (E3) ersichtlich noch auf andere Weise belegt ist.

Da ein Hinweis auf einen Satz unterschiedlicher Luftkästen bzw. Wechselkassetten fehlt und es für den Fachmann nicht naheliegend ist, von ersetzbaren Luftkästen nach der E3 zu austauschbaren Wechselkassetten mit unterschiedlichen Eigenschaften zu gelangen, ist die angebliche offenkundige Vorbenutzung nicht geeignet, dem Fachmann die Lehre des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents nahe zu legen.

Somit brauchte der Frage der ausreichenden Substantiierung der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung nicht im Einzelnen nachgegangen zu werden.

Aus der DE 34 11 029 C2 (E1), Fig 2 und 3, ist eine - der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung ähnliche - berührungslose Bogenführung an Druckmaschinen vor dem Bogenausleger bekannt. Sie weist ebenfalls aneinandergereihte Strömungskanäle 3.1 - 3.6 auf, deren Aufteilung in einzelne Bereiche der unterschiedlichen Druckbeaufschlagung durch die Lüfter 8.1 - 8.4 dient, um auch im Kurvenbereich optimale Strömungsverhältnisse zu erhalten, Sp 3, Z 21-29. Dazu und bei Änderung der Betriebsart zwischen einseitig und zweiseitig bedruckten Bogen sind die Lüfter stufenlos regelbar oder zwischen Blas- und Saugluft umschaltbar. Da die Anpassung der Strömungsverhältnisse bei geänderter Bogenart nach der E1 ausschließlich über die Lüfter erfolgt, hat der Fachmann keine Veranlassung austauschbare Wechselkassetten in Betracht zu ziehen.

Auch eine Kombination der E1 und der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung führt den Fachmann nicht zum Gegenstand des Anspruches 1, da auch eine Zusammenschau keinen Hinweis auf die beanspruchten austauschbaren Wechselkassetten mit unterschiedlichen, das berührungslose Fördern betreffenden Eigenschaften gibt.

Die übrigen Druckschriften legen den Patentgegenstand ebenfalls nicht nahe. Die DE-AS 1 176 672, Fig 4 und 5, zeigt einen Bogenausleger mit Blasluftrohren zur berührungslosen Bogenförderung. Zum Erreichen des gewünschten flatterfreien Bogenverhaltens einer Bogenart sind verschieden große Luftöffnungen in einem bestimmten Abstand auf jedem Blasluftrohr sowie Ventilklappen zur Steuerung der Luftmenge vorgesehen. Die Rohre sind zwar mittels Gewinden befestigt, was einen Ersatz ermöglichen würde. Es ist jedoch kein Hinweis zu entnehmen, bei geänderter Bogenart einen Wechsel dieser Blasluftrohre vorzusehen.

Aus der DE-PS 1 449 656 ist eine Vorrichtung zum flatterfreien Führen von Flachmaterial bekannt. Sie weist nebeneinanderliegende Blaskästen mit dazwischenliegenden Abzugsöffnungen auf. Jeder Blaskasten hat Ausblasöffnungen, die in Form und Blasrichtung unterschiedlich ausgebildet sind. Der Schwerpunkt dieser Vorrichtung liegt in der Optimierung der Strömungsverhältnisse, um das Flachmaterial in einem gewünschten Abstand zur Förderebene zu halten und zugleich durch Blasen in entgegengesetzten Richtungen zu strecken. Hinweise auf die Einbauart und somit ein Wechseln der Blaskästen bei Änderung der Bogenart sind dieser Druckschrift nicht zu entnehmen.

Der übrige in Betracht gezogene Stand der Technik liegt noch weiter ab und kann schon deshalb keine zum Gegenstand des Anspruches 1 führenden Anregungen geben.

Da im Stand der Technik ein Hinweis auf austauschbare Wechselkassetten fehlt, war es für den Fachmann nicht naheliegend, von einem ersetzbaren Luftkasten nach der E1 bzw E3 zu austauschbaren Wechselkassetten mit unterschiedlichen Eigenschaften zu gelangen. Es bedurfte mithin erfinderischer Tätigkeit, um die patentgemäße Lösung aufzufinden.

Der Patentanspruch 1 ist somit beständig.

Die Ansprüche 2 bis 8 enthalten zweckmäßige, jedoch nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Patentgegenstandes. Sie bleiben daher im Zusammenhang mit Anspruch 1 bestehen.

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BPatG:
Beschluss v. 03.02.2003
Az: 11 W (pat) 706/02


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