Finanzgericht Kassel:
Urteil vom 19. März 2013
Aktenzeichen: 12 K 3431/06

(FG Kassel: Urteil v. 19.03.2013, Az.: 12 K 3431/06)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Abzugsfähigkeit von Kosten für die Interessenwahrnehmung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als außergewöhnliche Belastungen bzw. als Werbungskosten bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Kläger werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Für das Streitjahr 1997 erfolgte die Veranlagung zunächst durch Bescheid vom 04.05.1999 entsprechend der am 01.03.1999 bei dem Beklagten (dem Finanzamt -FA-) eingegangenen Erklärung. Dieser Bescheid wurde sodann auf Antrag nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) unter anderem aufgrund fehlender Werbungskosten mit Bescheid vom 14.04.2000 geändert. Aufgrund einer ESt-4-Mitteilung vom 21.03.2003 erfolgte eine weitere Änderung mit Bescheid vom 7.04.2003. Am 30.12.2003 beantragten die Kläger die erneute Änderung des Steuerbescheides 1997 gemäß § 164 Abs. 2 AO. Ziel des Antrages war die Berücksichtigung der dem Kläger zu 1. für die Interessenwahrnehmung vor dem BVerfG und vor dem EGMR entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von xxx DM bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens als außergewöhnliche Belastung.

Der Kläger zu 1. war im Jahre 1987 angeklagt worden. Im 1996 wurde er durch Urteil des Landgerichts verwarnt und mit einer Geldbuße von xxx,-- DM belegt, nachdem auf Betreiben der Staatsanwaltschaft vor insgesamt sechs verschiedenen Strafgerichten verhandelt worden war. Nach der Verurteilung durch das Landgericht legte der Kläger zu 1. wegen der langen Verfahrensdauer und des damit verbundenen Verstoßes gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) zunächst Verfassungsbeschwerde beim BVerfG, anschließend Beschwerde beim EGMR ein.

Der EGMR entschied, dass neun Verhandlungsjahre im Vergleich zum Strafmaß nicht zu rechtfertigen seien. Hierdurch sei gegen Artikel 6 § 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoßen worden. Dem Kläger zu 1. wurde ein Betrag in Höhe von xxxx,-- DM für immaterielle Schäden und von xxxx,- DM für Auslagen und Gerichtskosten zugesprochen. In seinem Urteil führt der EGMR u.a. aus, dass die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland dem Kläger zu 1. unverhältnismäßige finanzielle und psychische Belastung zugemutet habe. Deshalb sei durch die Gerichtsverfahren gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoßen worden.

Für die anwaltliche Interessenwahrnehmung in dem Verfahren vor dem BVerfG wurden an Gebühren und Auslagen berechnet:

Rechnung vom 04.02.1997:xxxx,-- DMRechnung vom 05.02.1997:xxxx,-- DMxxxx,-- DMFür die anwaltliche Interessenwahrnehmung vor dem EGMR wurden an Gebühren und Auslagen berechnet:

Rechnung vom 01.08.1997 xxx,-- DMRechnung vom 16.02.2000xxxx,- DMRechnung vom 04.07.2000 xxxx,- DMxxxx DMinsgesamt:ca. 50.000 DMDie vorgenannten Gebühren und Auslagen waren vom Kläger zu 1. in vollem Umfang zu tragen. Unter Anrechnung des in der Entscheidung des EGMR vom 31.05.2001 ausgeurteilten Betrages von 15.000,-- DM für Auslagen und Gerichtskosten verblieb ein von ihm getragener Restbetrag von ca. 35.000 DM, der von den Klägern mit Antrag vom 30.12.2003 für die Veranlagung 1997 als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht wurde.

Die beantragte erneute Änderung des Einkommensteuerbescheides 1997 wurde mit Schreiben des FA vom 24.05.2006 endgültig abgelehnt. Der hiergegen eingelegt Einspruch blieb ohne Erfolg. Auf die Einspruchsentscheidung vom 12.10.2006 wird Bezug genommen.

Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter, dass die dem Kläger zu 1. entstandenen Kosten für die Interessenwahrnehmung vor dem BVerfG und vor dem EGMR bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens als außergewöhnliche Belastungen bzw. als Werbungskosten berücksichtigt werden. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, dass es sich nach ihrer Auffassung in erster Linie um außergewöhnliche Belastungen handelt. Es seien Aufwendungen, die über die zumutbare Eigenbelastung hinausgingen, zwangsläufig angefallen und existenziell notwendig gewesen seien. Sie seien ausschließlich durch den Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen Artikel 6 § 1 der MRK verursacht worden. Das Verhalten der Bundesrepublik Deutschland sei schuldhaft gewesen.

In der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2006 werde zur Begründung ausgeführt, dass die Aufwendungen auf die Anklageerhebung und somit letztlich auf die den Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen des Einspruchsführers zurückzuführen seien und damit nicht zwangsläufig entstanden seien. Diese Auffassung ist nach Ansicht der Kläger unzutreffend. Hätte die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland das Strafverfahren gegen den Kläger zu 1. innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen, hätte nach dem Vortrag der Kläger ein von dem höchsten Europäischen Gericht, dem EGMR, festgestellter Verstoß gegen die MRK nicht vorgelegen. Allein dieser Verstoß sei für den Kläger zu 1. Veranlassung gewesen, Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG und Klage vor dem EGMR zu erheben und ursächlich für die ihm dadurch entstandenen Kosten und Auslagen. Eine Schuld des Angeklagten sei kein Gesichtspunkt, der die Justizbehörden berechtigen würde, ein Verfahren besonders in die Länge zu ziehen und sich unnötige Verfahrensverzögerungen zu erlauben. Auch derjenige Angeklagte, der verdächtigt werde, sich schwer schuldig gemacht zu haben, stehe unter dem Schutz der MRK und des Grundgesetzes (GG) und habe einen Anspruch auf Abschluss eines Verfahrens innerhalb einer angemessener Frist. Deshalb habe auch der EGMR weder in dem vorliegenden Urteil noch in Entscheidungen, die gegenüber anderen europäischen Staaten wegen überlanger Strafverfahren ergangen sind, auf die Schuld des Angeklagten abgestellt.

Das FA verkenne auch, dass es sich bei den streitgegenständlichen Gebühren und Auslagen nicht um Aufwendungen für ein Strafverfahren handele. Das Strafverfahren sei mit der Entscheidung des Landgerichtes abgeschlossen gewesen. Die durch die Strafverfahren entstandenen Aufwendungen (Gerichts- und Anwaltskosten) seien nicht Gegenstand des Antrages vom 30.12.2003. Gegenstand des Antrages seien vielmehr die Auslagen (Rechtsanwaltsgebühren und Kosten), die dem Kläger zu 1. aufgrund eines Verstoßes der Bundesrepublik Deutschland gegen Artikel 6 § 1 der MRK und der damit verbundenen Verletzung der Menschenrechte entstanden seien. Nur durch die Einlegung der Verfassungsbeschwerde und die Erhebung der Klage vor dem EGMR - nach Beendigung des Strafverfahrens - habe der Kläger zu 1. die ihm zustehenden Grundrechte durchsetzen können. Die nach § 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) geforderte Zwangsläufigkeit der Kosten für die Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR ergebe sich also daraus, dass der Kläger zu 1. die ihm nach dem Grundgesetz und der MRK zustehenden Rechte geltend gemacht und damit Erfolg gehabt habe.

Wenn das FA in der angefochtenen Entscheidung ferner ausführe, dem Kläger sei es um die Erlangung einer Wiedergutmachung für die Verfahrensdauer gegangen, verkürze diese Interpretation das Anliegen des Klägers zu 1., die Menschenrechtsverletzung der Bundesrepublik Deutschland und die damit verbundenen €unverhältnismäßigen finanziellen und psychischen Belastungen€ feststellen zu lassen. Allein diese Feststellung des EGMR mache deutlich, dass es sich bei den Aufwendungen für diese Verfahren um außergewöhnliche Belastungen für den Kläger zu 1. handele.

Wie sehr das FA die Rechtslage verkenne, ergebe sich aus dem letzten Absatz seiner Begründung. Es werde nicht in Abrede gestellt, dass die Strafprozessordnung (StPO) die Frage, inwieweit der Staat die Prozesskosten eines Strafverfahrens zu tragen habe, regele. Die StPO regele aber nicht die Kosten, die einem Bürger der Bundesrepublik Deutschland entstünden, wenn er sich vor dem BVerfG bzw. dem EGMR gegen Menschenrechtsverletzungen und gegen einen Verstoß der MRK wehre, wenn dieser Verstoß auf eine überlange Dauer eines Strafverfahrens zurückzuführen sei. Hier verkenne das FA die Ursache für die den Klägern zwangsläufig entstandenen Aufwendungen. Hierbei handele es sich nicht um die Kosten des Strafverfahrens, einschließlich der Kosten der Strafverteidigung. Es gehe ausschließlich um die Kosten für die Verfassungsbeschwerde und die Beschwerde vor dem EGMR, die mit dem Strafverfahren nur mittelbar im Zusammenhang stünden. Verfassungsbeschwerde und Beschwerde vor dem EGMR hätten sich nicht gegen die in der Anklage erhobenen Vorwürfe und ihre strafrechtliche Beurteilung durch die Strafgerichte gerichtet, sondern gegen den durch den EGMR in seiner Entscheidung festgestellten Verstoß gegen die MRK aufgrund der langen Dauer des Strafverfahrens und der unnötigen Verfahrensverzögerungen. Dabei komme es nicht, wie von dem FA ausgeführt, auf die den €Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen€ des Beschuldigten an. Ohne Verfassungsbeschwerde und ohne Beschwerde vor dem EGMR hätte der Verstoß gegen die Konvention der Menschenrechte nach Ansicht der Kläger nicht festgestellt und die Bundesrepublik Deutschland nicht verurteilt werden können. Die übermäßigen Verfahrensverzögerungen seien, wie der EGMR feststellt habe, der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnen gewesen. Der Kläger zu 1. habe einen Rechtsanspruch auf diese Feststellungen gehabt. Das sei auch sein primäres Anliegen gewesen. Die geltend gemachte Wiedergutmachung sei ein Ausfluss dieses Verstoßes gegen die MRK gewesen. Auch für die vor dem EGMR zuerkannte Wiedergutmachung sei Voraussetzung gewesen, dass der Kläger zu 1. Verfassungsbeschwerde und Beschwerde vor dem EGMR erhoben habe.

In seiner Entscheidung vom 04.12.2001 - III R 31/00 - führe der Bundesfinanzhof (BFH) aus, dass die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde dann zwangsläufig sei, wenn sie der Beseitigung einer den Kernbereich menschlichen Lebens berührenden Beeinträchtigung diene und zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten erforderlich sei. Ob dies der Fall sei, lasse sich allerdings regelmäßig nur dann bejahen, wenn die Verfassungsbeschwerde Erfolg gehabt habe. Diese Feststellungen dürften nach Auffassung der Kläger auch für die bei dem EGMR eingelegte Beschwerde gelten, mit der die Entscheidung des BVerfG aufgehoben und dem geltend gemachten Anspruch des Beschwerdeführers zur Verurteilung des Bundesrepublik Deutschland Rechnung getragen worden sei. Alleine mit dem Erfolg des Klägers zu 1. sei zu bejahen, dass die Beschwerdeverfahren zwangsläufig gewesen seien. Bei der Regelung des § 33 EStG handele es sich nicht um eine Billigkeitsregelung, sondern um die Berücksichtigung atypischer Sonderbelastungen eines Steuerpflichtigen. Es gehe um die Anerkennung der Außergewöhnlichkeit eines Ereignisses, dem der einzelne Steuerpflichtige ausgesetzt gewesen sei. Diese Außergewöhnlichkeit und die sich daraus ergebende Sonderbelastung habe für den Kläger zu 1. darin bestanden, dass er durch das schuldhafte Verhalten der Bundesrepublik Deutschland, wie in der Entscheidung des EGMR festgestellt werde, €unverhältnismäßigen finanziellen und psychischen Belastungen€ ausgesetzt gewesen sei, die zu einer Verletzung der Menschenrechte geführt hätten. Allein zur Feststellung dieser Außergewöhnlichkeit des Ereignisses sei der Kläger zu 1. gezwungen gewesen, zunächst Verfassungsbeschwerde und anschließend Beschwerde zum EGMR zu erheben. Er habe sich den damit verbundenen Aufwendungen nicht entziehen bzw. ihnen nicht ausweichen können.

Soweit das FA die Auffassung vertrete, die von dem Kläger geltend gemachten Aufwendungen seien auf die Anklageerhebung und somit letztlich auf das den Gegenstand der Anklage bildende schuldhafte, sozial inadäquate Verhalten zurückzuführen und damit nicht zwangsläufig entstanden, sei ergänzend darauf zu erwidern, dass der BFH bereits in seiner Entscheidung vom 30.06.2004 - VIII B 265/03 (NV) - entschieden habe, dass Strafverteidigerkosten als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig seien, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setze, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen sei. Auf die Frage, ob dieser Vorwurf zu Recht erhoben werde, komme es hierbei nicht an. Entscheidend sei, dass die dem Steuerpflichtigen vorgeworfene Tat ausschließlich und unmittelbar aus seiner beruflichen Tätigkeit heraus erklärbar sei. Diese Entscheidung werde durch ein aktuelles Urteil des BFH vom 18.10.2007 - VI R 42/04 - noch einmal bestätigt. Danach seien Strafverteidigerkosten Erwerbsaufwendungen, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setze, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen sei. Unstreitig sei, dass die dem Kläger zu 1. vorgeworfene Tat ausschließlich aus seiner beruflichen Tätigkeit erklärbar sei. Aufgrund dieser Tätigkeit sei er im Jahre 1987 angeklagt und 1996 durch Urteil des Landgerichts verwarnt und mit einer Geldbuße belegt worden, obwohl er nach der Entscheidung des EGMR wegen überlanger Dauer des Strafverfahrens nicht mehr hätte verurteilt werden dürfen. Seien aber bereits die Kosten für eine Strafverteidigung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setze, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist, dann seien auch die Aufwendungen für eine gegen die Verurteilung gerichtete Verfassungsbeschwerde bzw. Beschwerde zum EGMR, die erfolgreich gewesen sei, als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abzugsfähig, zumal die überlange Dauer des Strafverfahrens gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 der MRK verstoßen habe.

Die Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR seien eine unmittelbare Folge der Strafverfahren bzw. durch die fehlerhafte Rechtsanwendung dieser Gerichte verursacht gewesen. Die Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR und die dadurch dem Kläger entstandenen Kosten stünden daher in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Strafverfahren und folglich auch mit seiner beruflichen Tätigkeit, die Gegenstand des Strafverfahrens gewesen sei. Wenn das Strafverfahren steuerrechtlich Bestandteil der beruflichen Tätigkeit des Klägers gewesen sei, müsse dies zwangsläufig auch für die hierdurch erzwungenen Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR gelten, mit denen die rechtswidrigen Folgen der Strafverfahren hätten beseitigt werden müssen. Für die rechtliche Beurteilung der Frage, ob die dem Kläger durch die Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR

zwangsläufig entstandenen Kosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten seien, sei entscheidend, dass er sich in beiden Verfahren gegen die strafrechtliche Verurteilung, die nach Auffassung des EGMR nicht hätte erfolgen dürfen, zur Wehr gesetzt habe. Bei ordnungsgemäßer Beachtung der Grundrechte bzw. Menschenrechte durch die Strafjustiz wären dem Kläger nach seinem Vortrag die streitgegenständlichen Kosten nicht entstanden. Auch daraus ergebe sich der unmittelbare Zusammenhang mit dem Strafverfahren und seinem beruflichen Verhalten.

Ergänzend tragen die Kläger vor, das Urteil des BFH vom 12.05.2011

- XI R 42/10 - bestätige ihre Rechtsauffassung, dass es sich bei den hier streitgegenständlichen Aufwendungen um außergewöhnliche Belastungen handele. Die ihnen zugrundeliegenden Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR hätten der Feststellung des Verstoßes der Bundesrepublik Deutschland und der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs gedient. Die Grundsätze dieses Urteils gelten nach Auffassung der Kläger für alle gerichtlichen Verfahren, in denen der Steuerpflichtige, um sein Recht durchzusetzen, €im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten muss€. Der BFH stelle in seiner Entscheidung auch fest, dass Aufwendungen im Rahmen eines Rechtsstreits außergewöhnlich seien, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art nach außerhalb des Üblichen lägen. Dies dürfte nach Ansicht der Kläger auf jeden Fall für ein Verfahren vor dem EGMR gelten, dessen Entscheidung sogar der Rechtsfortbildung in der Bundesrepublik Deutschland gedient habe. So habe z.B. das BVerfG infolge der Entscheidung des EGMR festgestellt, dass die überlange Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens von knapp vier Jahren den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz verletze. In der Entscheidung des BVerfG werde ausgeführt, dass im Interesse der Rechtssicherheit strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären seien.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2006 den Einkommensteuerbescheid für 1997 mit der Maßgabe zu ändern, dass Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung, hilfsweise als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers zu 1. aus nicht selbstständiger Arbeit berücksichtigt werden.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es vertritt - im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 12.10.2006 - die Auffassung, dass die geltend gemachten Aufwendungen weder als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG noch als Werbungskosten abzugsfähig sind. Zur Begründung trägt das FA vor, die Aufwendungen seien auf die Anklageerhebung und somit letztlich auf die den Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen des Klägers zu 1. zurückzuführen und damit nicht zwangsläufig entstanden. Gemäß § 33 Abs. 1 EStG werde die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen erwüchsen. Aufwendungen seien in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen könne und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig seien und einen angemessenen Betrag nicht überschritten. Im Fall von Prozesskosten seien nach Gesetz und Rechtsprechung eine Zwangsläufigkeit von Aufwendungen und eine damit verbundene Existenzgefährdung nur im Ausnahmefall gegeben. Aufwendungen für eine Strafverteidigung seien dann nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar, wenn der Steuerpflichtige verurteilt worden sei und die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner eigenen Auslagen zu tragen habe. Der Kläger zu 1. sei angeklagt und im November 1996 durch Urteil des Landgerichts verwarnt und mit einer Geldbuße von xxxx,-- DM belegt worden. Durch die Anrufung des BVerfG und des EGMR habe der Kläger zu 1. nicht eine Rehabilitation der gegen ihn erhobenen Vorwürfe erstrebt. Gegenstand dieser Verfahren sei vielmehr die Erlangung einer Wiedergutmachung für die Verfahrensdauer gewesen. Eine den Kernbereich des menschlichen Lebens tangierende Beeinträchtigung werde damit aber nicht beseitigt. Auch wenn die Kläger darauf abstellten, dass dem Kläger zu 1. vor dem EGMR ein Verstoß gegen die MRK zuerkannt worden sei, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Der EGMR habe zwar eine übermäßige Verfahrensdauer anerkannt, habe die Verurteilung durch das Landgericht selbst aber unangetastet gelassen. Für den Verstoß gegen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei dem Kläger zu 1. ein Betrag in Höhe von insgesamt 25.000,-- DM zugesprochen worden. Es würde nach Auffassung des FA dem gesetzlichen Zweck widersprechen, die darüber hinaus als notwendige Folge entstandenen Verfahrenskosten zum Teil auf die Allgemeinheit abzuwälzen und damit über das Steuerrecht mittelbar zu mildern oder aufzuheben. Die Strafprozessordnung habe die Frage, inwieweit der Staat die Prozesskosten zu tragen habe, endgültig geregelt. Dies dürfe im Veranlagungsverfahren nicht abgeändert werden. Im vorliegenden Fall habe der Kläger zu 1. durch schuldhaftes, sozial inadäquates Verhalten die Ursache für die entstandenen Aufwendungen selbst gesetzt. Andernfalls wären die Aufwendungen nicht entstanden.

Soweit die Kläger hierzu anführten, das FA verkenne, dass es sich hierbei nicht um Aufwendungen für ein Strafverfahren gehandelt habe, müsse dem entgegengehalten werden, dass die Kosten für die geltend gemachten Prozesse in einem engen, inneren Zusammenhang zum Strafprozess stünden und nicht losgelöst von diesem betrachtet werden könnten. Die Aufwendungen seien, auf die Anklageerhebung und somit letztlich auf die den Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen des Einspruchführers zurückzuführen und damit nicht zwangsläufig entstanden. Prozesskosten seien auch dann nicht als außergewöhnliche Belastung absetzbar, wenn sie auf Geld oder geldwerte Leistungen gerichtet seien, BFH III R 31/00 BStBl. II 2002, 382. Dem Kläger sei es nicht um eine Rehabilitation der gegen Ihn erhobenen Vorwürfe gegangen. Durch die Anrufung des BVerfG und des EGMR habe er eine Wiedergutmachung für die Verfahrensdauer erstrebt. Belegt werde dies zum einen durch das Urteil des EGMR. Im Urteilstenor werde ausgeführt, dass die Forderung nach einer angemessenen Entschädigung für den Überschuss abgelehnt werde. Zum anderen heiße es in der Resolution des Ministerausschusses des Europarates in deutscher Übersetzung: €(...) nachdem der Gerichtshof (...) entschieden hat (...) und den Rest der Forderung des Antragstellers nach angemessener Genugtuung abgewiesen hat€. Der Kernbereich des menschlichen Lebens werde hierdurch aber nicht tangiert. Auf Geld oder geldwerte Ansprüche gerichtete Prozesse beträfen keinen existenziell wichtigen Bereich des menschlichen Lebens und der Kläger sei auch nicht Gefahr gelaufen, seine Existenzgrundlage zu verlieren, BFH Beschluss vom 25.03.2004 - III B 54/03. Auch wenn die Kläger darauf abstellten, dass ihnen vor dem EGMR ein Verstoß gegen die MRK zuerkannt worden sei, ergebe sich keine andere Betrachtungsweise.

Soweit die Kläger geltend machten, die streitgegenständlichen Aufwendungen seien auch als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig, da der BFH bereits in seiner Entscheidung vom 30.04.2004 - VIII B 265/03 - entschieden habe, dass Strafverteidigungskosten als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig seien, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den der Stpfl. sich zur Wehr setze, durch sein berufliches Verhalten veranlasst sei, werde auch diese Auffassung nicht geteilt. Wie die Kläger selbst ausführten, hätten sich die Beschwerden ausdrücklich nicht gegen das Urteil im Strafverfahren vor dem Landgericht gerichtet, sondern vielmehr gegen die zu lange Verfahrensdauer. Es handele sich damit eindeutig nicht um Strafverfahrenskosten, deren Abzugsfähigkeit zu überprüfen wäre. Nach dem Urteil des BFH vom 18.10.2007 - VI R 42/04 - seien Strafverteidigungskosten Erwerbsaufwendungen, wenn der strafrechtliche Vorwurf; gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setze, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen sei. Dies sei der Fall, wenn die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte Tat in Ausübung der beruflichen Tätigkeit begangen worden sei. Im Beschwerdeverfahren, und damit im Streitfall, habe sich der Kläger zu 1. nicht gegen den strafrechtlichen Vorwurf zur Wehr gesetzt, der durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen sei. Dieses Verfahren sei, wie er selbst ausführe abgeschlossen und nicht Gegenstand des Antrags. Folglich habe es sich nicht um Verteidigungskosten in einem Strafverfahren gehandelt, deren Abzugsfähigkeit zu würdigen wäre, sondern um Kosten in einem Verfahren, in dem der Kläger zu 1. sich darauf berufen habe, dass die Dauer des gegen ihn angestrengten Strafverfahrens nicht den Anforderungen einer angemessenen Frist gemäß Art 6 § 1 der MRK entsprochen habe. Es bestehe damit kein unmittelbarer Zusammenhang mehr mit einem beruflichen Verhalten des Klägers zu 1. als Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Somit fehle es am Veranlassungsprinzip. Die geltend gemachten Aufwendungen dienten nach Ansicht des FA nicht mehr der Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

Die Beteiligten haben gemäß § 90 Abs. 2 FGO auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Dem Gericht haben die den Rechtsstreit betreffenden Einkommensteuerakten vorgelegen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet. Die streitgegenständlichen Rechtsverfolgungskosten sind weder als außergewöhnliche Belastungen noch als Werbungskosten abzugsfähig.

1. Außergewöhnliche Belastungen

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer nach § 33 Abs. 1 EStG dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen nach Maßgabe des § 33 Abs. 3 EStG zu ermittelnde zumutbare Belastung übersteigt,vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen namentlich dann €zwangsläufig€, wenn er sich ihnen aus rechtlichen,tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören oder unter § 9 Abs. 5 EStG oder § 9c EStGfallen, bleiben dabei grundsätzlich außer Betracht (§ 33 Abs. 2Satz 2 EStG).

Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung dieser Tatbestandsvoraussetzungen sind auch Zivilprozesskosten als außergewöhnlichen Belastungen anzuerkennen,sofern und soweit die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (BFH-Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10, Bundessteuerblatt -BStBl- II2011, 1015). Insoweit geht die neue Rechtsprechung - entgegen der früher vertretenen Auffassung - unter den gleichen Voraussetzungen von der Unausweichlichkeit der Kosten i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG aus,unter denen das jeweils erkennende Gericht einem mittellosen Rechtssuchenden nach § 114 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe gewähren würde. Die insoweit geänderte Auffassung des VI. Senats des BFHberuht ausweislich der Ausführungen im Urteil vom 12.05.2011(a.a.O.) auf der Erwägung, dass die frühere Meinung, wonach der Steuerpflichtige das Prozesskostenrisiko vor dem Hintergrund der Unwägbarkeit gerichtlicher Entscheidungen freiwillig aufnehme und die Kosten mithin auf seiner persönlichen Entscheidung beruhten,angesichts des staatlichen Gewaltmonopols und des Verweises des Rechtssuchenden auf die vom Staat eingerichteten Justizeinrichtungen nicht haltbar sei. Zivilprozesskosten erwüchsen daher sowohl dem Kläger als auch dem Beklagten eines Zivilrechtsstreits unabhängig von dessen Gegenstand aus rechtlichen Gründen zwangsläufig (BFH vom 12.05.2011 a.a.O. unter II. 2.a.).

Im Gegensatz zu den Kosten eines Zivilprozesses, bei denen es für das Vorliegen der Zwangsläufigkeit nach § 33 EStG wegen des staatlichen Gewaltmonopols und der daraus resultierenden Notwendigkeit, streitige Ansprüche gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren, nicht darauf ankommt, worüber gestritten wird, sind Kosten für eine Verfassungsbeschwerde vor dem nach Ausschöpfung des Rechtsweges vor den staatlichen Gerichten anzurufenden BVerfG nach wie vor nur dann als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn es um die Beseitigung einer existenziellen oder den Kernbereich des menschlichen Lebens berührenden Beeinträchtigung geht (Schmidt/Loschelder, EStG § 33 Rz. 35 €Prozesskosten€m.w.N.). In Anlehnung an diesen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsatz vertritt der Senat die Auffassung, dass die gleichen Maßstäbe auch bei Prozesskosten für Verfahren vor dem EGMR zum Tragen kommen.

Aus den vom FA angeführten Gründen hält der Senat bereits das Vorliegen dieser die Abzugsfähigkeit nach § 33 EStG stark einschränkenden Voraussetzungen dem Grunde nach im Streitfall für sehr fraglich. Doch selbst bei dem Grunde nach unterstellter Zwangsläufigkeit der vom Kläger zu 1. in den beiden Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR getätigten Aufwendungen für die Rechtsverfolgung kommt deren steuerliche Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastungen im Hinblick auf die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Höhe nach aus folgenden Gründen nicht in Betracht:

Die vom Kläger zu 1. für die beiden Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR getätigten Aufwendungen sind nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStGder Höhe nach nur insoweit abzugsfähig, als sie notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten. Der Kläger zu 1. hat in dem Klageverfahren vor dem EGMR für Auslagen und Gerichtskosten in den beiden genannten Verfahren die Erstattung von insgesamt 61.940,92 DM verlangt. Mit seinem Urteil hat der EGMR dem Kläger zu 1. hiervon nach billigem Ermessen einen Teilbetrag in Höhe von 15.000,-- DM zugesprochen. Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des EGMR, wonach Kosten und Auslagen nach Artikel 41MRK nur erstattet werden, wenn nachgewiesen wird, dass sie tatsächlich und notwendigerweise entstanden sind und der Höhe nach angemessen waren (vgl. Urteil EGMR 5. Sektion vom 16.12.2010 39778/07, 11171/08, 43336/08, 52719/08, 15895/09,16123/09, 16127/09, 16129/09, 27529/09, 27533/09, 27596/09, juris).Im Urteil weist der EGMR ausdrücklich auf diesen Maßstab hin und beruft sich hinsichtlich der Anwaltskosten darauf, dass das Gericht €nicht an die internen Praktiken und Tabellen gebunden ist,selbst wenn es sich an diese anlehnen kann.€

Der Senat entnimmt dieser Bewertung, dass die über 15.000,-- DMhinaus vom Kläger zu 1. getätigten Aufwendungen nach Auffassung des EGMR nicht notwendigerweise entstanden sind und der Höhe nach nicht angemessen waren und schließt sich dieser Auffassung an. Folglich sind auch diese über 15.000,-- DM hinausgehenden Aufwendungen mangels Erforderlichkeit und Angemessenheit nicht als zwangsläufig im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG anzusehen.

Die vom Kläger zu 1. aus dem Urteil des EGMR erlangte Leistung in Höhe von 15.000,-- DM für Auslagen und Gerichtskosten ist im Rahmen der Vorteilsanrechnung im Streitjahr 1997 zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 30.06.1999 III R 8/95, BStBl II 1999, 766), so dass per saldo kein Raum für die steuerliche Berücksichtigung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen mehr besteht.

Unbeschadet der vorstehend begründeten Verneinung der Zwangsläufigkeit der streitgegenständlichen Aufwendungen käme nach Auffassung des Senats auch ohne die Angemessenheitsprüfung durch den EGMR und die daraus resultierende Ausgleichszahlung von 15.000,-- DM eine Berücksichtigung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nicht in Betracht. Dies beruht auf folgenden hilfsweisen Erwägungen, nach denen die Angemessenheit der streitgegenständlichen Aufwendungen nach einem noch engeren Maßstab zu beurteilen wäre.

Die Angemessenheit der als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Honorare für die vom Kläger zu 1. mit der Interessenwahrnehmung vor dem BVerfG und dem EGMR beauftragten Rechtsanwälte ist nach der für das Streitjahr geltenden Fassung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) vom 01.07.1994 und der zu § 11 BRAGO ergangenen Anlage zu beurteilen. In § 11 Abs. 1Satz 4 BRAGO war bestimmt, dass sich die Verfahrensgebühr (damals gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO als Prozessgebühr bezeichnet) in Berufungs- und Revisionsverfahren auf 13/10 des Gebührensatzes belaufen sollte. § 113 Abs. 2 Satz 2 BRAGO verwies für die in Verfassungsbeschwerdeverfahren festzusetzenden Gebühren auf § 11Abs. 1 Satz 4 BRAGO. Die Verfahrensgebühr in Verfassungsbeschwerdeverfahren war danach auf 13/10 des Gebührensatzes festzusetzen. Dieser Regelung entsprechend und in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des EGMR vom 16.12.2010hält

der Senat auch die Verfahrensgebühr für Verfahren vor dem EGMRin Höhe von 13/10 des Gebührensatzes gemäß der Anlage zu § 11 BRAGOfür angemessen. Honorarvereinbarungen sind grundsätzlich unbeachtlich (siehe Schmidt/Loschelder, EStG, 31. Aufl. 2012, § 33Rz. 35 €Prozesskosten€).

Die Höhe der Anwaltsgebühren richtet sich nach dem Gegenstandswert des Verfahrens. Unter Zugrundelegung der vom Kläger zu 1. vor dem EGMR geltend gemachten Zahlungsansprüche in Höhe von 20.000,-- DM für den immateriellen Schaden und 61.940,92 DM für Auslagen und Gerichtskosten belief sich der Streitwert auf insgesamt 81.940,92 DM. Der Senat geht davon aus, dass der für die anwaltliche Gebührenbemessung maßgebliche Gegenstandswert des Verfahrens das Dreifache dieses Betrages, mithin 250.000,-- DM,nicht übersteigt. Zumindest ist dies dem klägerischen Vortrag nicht zu entnehmen. Hierbei hat der Senat in Betracht gezogen, dass bei der Festsetzung des Gegen-standswertes in Verfassungsbeschwerdeverfahren alle Umstände des konkreten Einzelfalls nach billigem Ermessen zu würdigen sind, wobei nicht nur das subjektive Interesse des Beschwerdeführers an der Sache sowie der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit,sondern insbesondere die Bedeutung der Angelegenheit zu berücksichtigen sind. Nach der Anlage zu § 11 BRAGO beläuft sich die Verfahrensgebühr bei einem Gegenstandswert von 250.000,-- DMauf 2.925,-- DM und deren Erhöhung auf 13/10 gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO auf den nach Auffassung des Senats angemessenen Betrag von je 3.802,50 DM zuzüglich 15% Umsatzsteuer (= 570,38 DM) und Auslagenpauschale (= 40,-- DM), mithin je 4.412,88 DM für die beiden Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR. Die über den somit als angemessen anzusehenden Gesamtbetrag von 8.825,75 DM für die Anwaltshonorare in beiden Verfahren hinausgehenden Beträge erachtet der Senat nach den vorstehenden Erwägungen als nicht zwangsläufig im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG.

Auch soweit aus dem Verfahren vor dem BVerfG die Kosten für zwei Rechtsanwälte als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht wurden, ist deren Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dem Senat nicht ersichtlich. Insoweit besteht kein Anlass, vom Grundsatz des § 91 Abs. 2 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) - wonach die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten sind, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste - abzuweichen.

Die im Streitjahr vom Kläger zu 1. getätigten Aufwendungen für die Anwaltshonorare in beiden Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMRwären dem Grunde nach mithin in Höhe von 8.825,75 DM zwar als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Sie wirken sich jedoch mangels Überschreitung der sich nach § 33 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung für die Kläger ergebenden zumutbaren Belastung steuerlich nicht aus. Eine Änderung des angefochtenen Bescheides kommt nicht in Betracht, da die zumutbare Belastung nicht überschritten wird.

Letztlich bleibt unbeschadet der vorstehenden Erwägungen festzustellen, dass mit Blick auf das sogenannte Abflussprinzip gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG Ausgaben nur für das Kalenderjahr abzusetzen sind, in dem sie geleistet worden sind. Hiernach könnten allenfalls diejenigen Aufwendungen im Streitjahr 1997berücksichtigt werden, die der Kläger zu 1. auch in diesem Jahr gezahlt hat. Da Streitgegenstand des gegenwärtigen Verfahrens allein der Einkommensteuerbescheid 1997 ist, bedarf es keiner abschließenden Klärung, inwieweit in anderen Jahren Aufwendungen abgeflossen und zu berücksichtigen gewesen wären. Die von den Klägern geltend gemachten Beträge aus den Rechnungen vom 16.02.2000(10.627,92 DM) und vom 04.07.2000 (1.890,80 DM) für die Interessenvertretung vor dem EGMR, mithin insgesamt 12.518,72 DM,hätten daher nach dem Abflussprinzip im Streitjahr ohnehin nicht berücksichtigt werden können.

2. Werbungskosten

Das FA hat es auch zu Recht abgelehnt, die streitigen Aufwendungen des Klägers zu 1. für die Interessenwahrnehmung vor dem BVerfG und vor dem EGMR als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers zu 1. aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.Werbungskosten sind bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit alle Aufwendungen, die durch das Dienstverhältnis veranlasst sind. Berufliche Veranlassung in diesem Sinn liegt vor, wenn ein objektiver Zusammenhang der Aufwendungen mit dem Beruf besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung des Berufs gemacht werden (vgl. BFH-Urteil vom 06.02.1981 VI R 30/77, BStBl II 1981,362).

Der Senat schließt sich uneingeschränkt der Auffassung des FAan, wonach sich der Kläger zu 1. in den Beschwerdeverfahren vor dem BVerfG und vor dem EGMR, und damit im Streitfall, nicht zwecks Rehabilitation gegen den strafrechtlichen Vorwurf zur Wehr gesetzt hat, der durch sein berufliches Verhalten veranlasst war. Dieses abgeschlossene Verfahren war - auch aus der Sicht der Kläger -nicht Gegenstand der Anträge in den hier streitgegenständlichen Beschwerdeverfahren. Folglich hat es sich nicht um Verteidigungskosten in einem Strafverfahren gehandelt, deren Abzugsfähigkeit als Werbungskosten zu würdigen wäre, sondern um Kosten in einem Verfahren, in dem der Kläger zu 1. sich darauf berufen hat, dass die Dauer des gegen ihn angestrengten Strafverfahrens nicht den Anforderungen einer angemessenen Frist gemäß Art 6 § 1 der MRK entsprochen habe. Es besteht damit kein unmittelbarer Zusammenhang mehr mit einem beruflichen Verhalten des Klägers zu 1. als Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit nach § 9Abs. 1 Satz 1 EStG. Somit fehlt es am Veranlassungsprinzip. Die geltend gemachten Aufwendungen dienten nicht mehr der Erwerbung,Sicherung und Erhaltung der Einnahmen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, da der Senat auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalls abzustellen hatte.






FG Kassel:
Urteil v. 19.03.2013
Az: 12 K 3431/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/8c1ddfdbba19/FG-Kassel_Urteil_vom_19-Maerz-2013_Az_12-K-3431-06




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