Finanzgericht Düsseldorf:
Urteil vom 17. Mai 2011
Aktenzeichen: AO, G, 6 K 3100/09 K

(FG Düsseldorf: Urteil v. 17.05.2011, Az.: AO, G, 6 K 3100/09 K)

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, den Körperschaftsteuerbescheid 2007 und den Gewerbesteuer-Messbescheid 2007, jeweils zuletzt geändert am 19.07.2010 dahingehend zu ändern, dass die Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer-Messbetrag auf jeweils 0 EUR herabgesetzt werden.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Beklagte.

Tatbestand

Die Klägerin schloss am 16.11.2007 mit ihrer alleinigen Gesellschafterin, der zu dem Klageverfahren beigeladenen "B-GmbH" (vormals "G-GmbH") -"G-GmbH"- einen notariell beurkundeten Ergebnisabführungsvertrag (Urkundenrolle für die Klägerin Nr. "001/2007" des Notars "I" in "H-Stadt"), in dem sie sich verpflichtete, erstmals für das ab dem 1.01.2007 laufende Geschäftsjahr ihren ganzen Gewinn an ihre Gesellschafterin abzuführen. Die "G-GmbH" hatte sich ihrerseits zur Verlustübernahme bzw. zum Verlustausgleich verpflichtet. Die Gesellschafterversammlungen beider Gesellschaften stimmten dem Vertrag am selben Tag zu. Die Handelsregisteranmeldung wurde ebenfalls am 16.11.2007 von den Vertragsparteien unterzeichnet.

Der Ergebnisabführungsvertrag wurde nebst Zustimmungsbeschlüssen der Gesellschafter der "G-GmbH" und der Klägerin, sowie der Handelsregisteranmeldung und Begleitschreiben am 10.12.2007 durch den beurkundenden Notar im Wege der elektronischen Registeranmeldung zur Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts "H-Stadt" übermittelt. Diese elektronische Registeranmeldung ging am 10.12.2007 um 15:46:02 Uhr auf dem Server des "Z-Bundesland" Ministeriums der Justiz ein, adressiert an das Amtsgericht "H-Stadt" als Empfänger. Der Antrag auf Eintragung des Ergebnisabführungsvertrages wurde nach Auskunft des Registerrichters des Amtsgerichts "H-Stadt" formell und materiell fehlerfrei gestellt, weshalb es keiner Zwischenverfügung des Registerrichters bedurfte.

Aufgrund einer technischen Panne bei der Weiterverarbeitung der auf dem Server des "Z-Bundesland" Ministeriums der Justiz eingegangenen Daten wurden die korrekten Anmeldedokumente fälschlicherweise in einen sogenannten Fehlerordner verschoben mit der Folge, dass sie nicht an das zuständige Registergericht weitergeleitet wurden und dort nicht bearbeitet werden konnten. Erst am 7.01. 2008 wurde der Abschluss des Ergebnisabführungsvertrages zwischen der Klägerin und der "G-GmbH" im Handelsregister des Amtsgerichts "H-Stadt" eingetragen. Am 14.01.2008 wurde dieser Handelsregistereintrag um den Hinweis ergänzt, dass die Eintragungsvoraussetzungen für den Ergebnisabführungsvertrag bereits am 13. 12. 2007 vorgelegen hatten.

Das für die Klägerin seinerzeit örtlich zuständige Finanzamt "H-Stadt" lehnte den Antrag der Klägerin auf Herabsetzung der Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer 2007 und den Gewerbebesteuer- Messbetrag auf jeweils 0 EUR vom 7.02.2008 mit Bescheid vom 3.03.2008 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG hätten im Streitjahr noch nicht vorgelegen, da der Ergebnisabführungsvertrag erst mit der Eintragung im Folgejahr wirksam geworden sei. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte, der nach Verlegung des Geschäftsleitungssitzes der Klägerin nach "E-Stadt" für den Streitfall zuständig geworden war, mit Einspruchsentscheidung vom 11.08.2009 als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin die unter dem Az. 6 K 3100/09 K,G,AO geführte Klage erhoben.

Am 19.07.2010 hat der Beklagte Jahresbescheide über Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer-Messbetrag 2007 erlassen, die gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens 6 K 3100/09 K,G,AO geworden sind. Den erstmals im Klageverfahren hilfsweise gestellten Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen hat der Beklagte mit Bescheid vom 9.12.2010 abgelehnt. Der gegen diesen Ablehnungsbescheid innerhalb der Einspruchsfrist erhobenen Sprungklage, die unter dem Az. 6 K 4704/10 AO beim erkennenden Senat anhängig geworden ist, hat der Beklagte innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift zugestimmt.

Der Senat hat mit Beschluss vom 11.03.2011 beide Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und gleichzeitig die "B-GmbH" (vormals "G-GmbH") zu diesem Verfahren beigeladen.

Klägerin und Beigeladene beantragen weiterhin die Anerkennung des mit der "G-GmbH" bestehenden körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaftsverhältnisses bereits für das Streitjahr. Zur Begründung tragen sie vor:

Der Abschluss des Ergebnisabführungsvertrags am 16.11.2007 habe zur Begründung einer ertragsteuerlichen Organschaft zum 1.01.2007 mit der Folge geführt, dass ihr steuerliches Einkommen dem Organträger "G-GmbH" zuzurechnen sei.

Die Vertragsparteien hätten am 16.11.2007 einen den Erfordernissen des § 14 Abs. 1 S. 1 KStG entsprechenden Ergebnisabführungsvertrag geschlossen. Mit Einreichung der Anmeldung des Ergebnisabführungsvertrags am 10.12.2007 zum Handelsregister, dem Zugang der Anmeldung beim Handelsregister sowie der anschließenden Verschiebung in den Fehlerordner seien sämtliche Voraussetzungen für die Eintragung erfüllt, so dass die steuerlichen Wirkungen zum 1.01.2007 zugunsten der Klägerin als auch der Organträgerin "G-GmbH" eingetreten seien.

Die steuerliche Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses setze die zivilrechtliche Wirksamkeit des geschlossenen Ergebnisabführungsvertrags voraus, zu der nach § 294 AktG auch die Eintragung in das Handelsregister der Organgesellschaft gehöre. Für die Annahme der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Ergebnisabführungsvertrags im Fall der elektronischen Anmeldung zum Handelsregister reiche die Aufnahme der ordnungsgemäß versandten und vollständigen Anmeldeunterlagen in einen beim elektronischen Handelsregister dafür vorgesehenen Ordner aus. Denn nach Maßgabe des § 8a Abs. 1 HGB werde eine Eintragung in das Handelsregister wirksam, sobald sie in den für die Handelsregistereintragungen bestimmten Datenspeicher aufgenommen sei und auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden könne. Nach dieser gesetzlichen Vorgabe sei es folglich ausreichend, wenn die Aufnahme einer Handelsregisteranmeldung in den Datenspeicher erfolge.

§ 15 HGB unterscheide zwischen der Eintragung und der Bekanntmachung im Handelsregister, so dass zwischen dem Zeitpunkt der Eintragung (Voraussetzung für zivilrechtliche Wirksamkeit) und der Veröffentlichung (Zeitpunkt ab dem ein Außenstehender die Eintragung als solche erkennen könne) ein Unterschied bestehe. Eine Eintragung sei deshalb auch zu bejahen, wenn aufgrund technischer Fehler eine Veröffentlichung noch nicht stattgefunden habe. Soweit der Gesetzgeber laut Gesetzesbegründung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (BT-Drs. 15/119, S. 43) eine Rückwirkung im "Grundsatz" verneint habe, schließe dies eine abweichende Einschätzung in Ausnahmefällen nicht aus. Abweichend vom Regierungsentwurf des Steuervergünstigungsabbaugesetzes bleibe es in begrenztem Umfang möglich, eine Organschaft steuerlich rückwirkend zu begründen (vgl. Förster, DB 2003, 899, 904). Zumindest sei aufgrund der außerordentlichen Umstände im Streitfall eine Ausnahme vom Grundsatz der Voraussetzung einer formalen Eintragung geboten. Da das Registergericht die Eintragung ohne die technischen Probleme unstreitig auch bereits im Dezember 2007 vorgenommen hätte, sei den Wirksamkeitserfordernissen im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG Genüge getan.

Die Klägerin habe ihrerseits alles für eine steuerliche Anerkennung des Vertrages ab dem Jahr 2007 Erforderliche getan und sich bezüglich der zivilrechtlichen Umsetzung "in die Hände" des Staates begeben. Ziel und Zweck der Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG im Rahmen des Steuervergünstigungsabbaugesetzes sei es gewesen, der planerischen und gezielten Steuergestaltung durch Unternehmensverträge zum Jahreswechsel zu begegnen, nicht jedoch ein Unternehmen zu bestrafen, weil dessen Unternehmensvertrag durch ein Fehlverhalten eines Staatsorgans bzw. eines staatlicherseits zur Verfügung gestellten Datenverarbeitungssystems - wie auch die schriftliche Einlassung des Registerrichters zeige - verzögert zur Eintragung gelangt sei.

Da bereits mit Abschluss des Vertrages eine zivilrechtliche Bindung der Vertragsparteien eingetreten sei, wäre es mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar, eine Abhängigkeit der gravierenden Steuerfolgen, die mit einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag verbunden seien, von Zufälligkeiten und Tatbestandsvoraussetzungen abhängig zu machen, die ein Steuerpflichtiger nicht beeinflussen könne. Zudem würde sich hierdurch ein Verstoß gegen der Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit der Besteuerung ergeben, nach dem steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssten, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen könne.

Sollte eine Auslegung des § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG im vorgenannten Sinne nicht möglich sein, sei im Streitfall zumindest eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen gem § 163 S. 1 AO zwingend geboten. Der Beklagte habe ermessenfehlerhaft verkannt, dass die steuerliche Nichtanerkennung des zwischen der Klägerin und der "G-GmbH" geschlossenen Ergebnisabführungsvertrages mit Wirkung ab dem 1.01.2007 sachlich und persönlich unbillig sei.

Die Festsetzung einer Steuer sei sachlich unbillig, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspreche, den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall zuwiderlaufe und nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers davon auszugehen sei, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Eine abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen könne insbesondere das schuldhafte Fehlverhalten einer Behörde begründen und erfordern, soweit dies ursächlich für den Eintritt einer für den Steuerpflichtigen nicht zu vermeidenden nachteiligen Rechtsfolge sei. Der seitens des Registergerichts eingeräumte Systemfehler, der die Verzögerung verursacht habe, sei alleiniger Grund für die erst am 7.01.2008 erfolgte Eintragung des Ergebnisabführungsvertrags gewesen. Dieses Systemversagen müsse sich die Justizverwaltung zurechnen lassen. Denn nach § 25 Abs. 1 S. 1 der Handelsregisterverordnung (HRV) müsse über die Eintragung unverzüglich nach Eingang der Anmeldung bei Gericht entschieden werden. Bei der zwischen der Anmeldung des Ergebnisabführungsvertrages am 10. 12. 2007 und der Eintragung am 7.01.2008 verstrichenen Zeit habe es sich bereits nach der früheren Rechtslage um eine nicht mehr vertretbare Bearbeitungszeit gehandelt. Mit dem Inkrafttreten des Gesetz über das Elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister (EHUG) habe der Gesetzgeber das Beschleunigungserfordernis bei der Bearbeitung von Handelsregisteranmeldungen gegenüber der alten Rechtslage nachdrücklich verschärft. Mit dem erklärten gesetzgeberischen Ziel, die kürzest mögliche Eintragungszeit zu gewährleisten, habe der Gesetzgeber eine erhebliche Verkürzung der Eintragungszeiten angeordnet, die bei Einreichung ordnungsgemäßer und vollständiger Unterlagen nunmehr bei durchschnittlich zwei Werktagen liege.

Aus dem Fehlverhalten des Registergerichts dürfe der Klägerin kein Nachteil entstehen (Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 25.11.2003 6 K 3001/01K).

Der Beklagte hätte bei seiner Entscheidung dieses behördliche Fehlverhalten mit einbeziehen müssen, da es aus Bürgersicht unerheblich sei, welche staatliche Behörde fehlerhaft gehandelt habe. Auch in der Literatur werde die Ansicht vertreten, dass, soweit die Wirksamkeit eines Gewinnabführungsvertrags von der Eintragung in das Handelsregister abhängig gemacht werde, eine Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung geboten sei.

Neben dem Vorliegen eines sachlichen Billigkeitsgrundes sei die Klägerin auch in persönlicher Hinsicht erlasswürdig. Die Klägerin habe sich nicht in vorwerfbarer Weise in eine Lage gebracht habe, aus der ihr der Fiskus nunmehr heraushelfen solle. Insbesondere könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, ihre am 10.12.2007 erfolgte Anmeldung der Eintragung zum Handelsregister sei mit noch verfügbaren 10 Arbeitstagen bis Weihnachten und 13 Arbeitstagen bis Silvester zu knapp bemessen gewesen. Dass die Eintragung bei dieser Zeitspanne noch rechtzeitig erfolgen würde und dies auch der Regel beim Handelsregister "H-Stadt" entspreche, sei der Klägerin im Vorfeld vom beurkundenden Notar ausdrücklich bestätigt worden.

Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,

die Körperschaftsteuer 2007 und den Gewerbesteuer-Messbetrag 2007 auf 0 EUR herabzusetzen; hilfsweise den Beklagten zu einer entsprechenden Herabsetzung der Steuer zu verpflichten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung daran fest, dass der Ergebnisabführungsvertrag erst mit der Eintragung in das Handelsregister am 7.01.2008 wirksam geworden sei und eine Anerkennung des Organschaftsverhältnisses im Streitjahres auch aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht in Betracht komme.

Ergänzend trägt er vor, dass auch der von der Klägerin zitierte § 8a Abs. 1 HGB die Wirksamkeit der Handelsregistereintragung davon abhängig mache, dass die gespeicherten Daten in lesbarer Form wiedergegeben werden könnten, was vor dem 7.01.2008 gerade nicht der Fall gewesen sei.

Eine Billigkeitsentscheidung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber mit der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG eine klare und unmissverständliche Vorgabe für eine erstmalige Ergebniszurechnung auf der Basis eines Organschaftsverhältnisses geschaffen und bewusst - in Verschärfung einer vormals großzügigeren Vorgängerregelung - auf den Zeitpunkt der Eintragung des Gewinnabführungsvertrages im Handelsregister abgestellt habe. Es sei mithin davon auszugehen, dass der Gesetzgeber es für die damit verbundenen Rechtsfolgen einer erstmaligen anderweitigen Ergebniszurechnung bewusst in Kauf genommen habe, dass der Beginn eines steuerlichen Organschaftsverhältnisses von Umständen abhängen könne, die nicht in der ausschließlichen Einflusssphäre des Steuerpflichtigen lägen. Vor diesem Hintergrund könne auch eine verspätete Eintragung, deren Ursache sich nicht in einer von der Steuerpflichtigen selbst zu vertretenden Verantwortungssphäre bewege, für sich allein noch nicht ausreichend sein, um die damit verbundenen Rechtsfolgen einer auf das Folgejahr verlagerten erstmaligen Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses als sachlich unbillig erscheinen zu lassen.

Die Klägerin treffe jedoch auch eine erhebliche Mitverantwortung an der verzögerten Eintragung, da sie die Eintragungsanmeldung des am 16.11.2007 unterschriebenen Gewinnabführungsvertrages und der Gesellschafterbeschlüsse zum Handelsregister viel früher hätte vornehmen können. Diese Zeitverzögerung habe allein in ihrem Einflussbereich gelegen. Wäre die Anmeldung frühzeitiger erfolgt, hätte eine Eintragung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch vor dem 31.12.2007 vollzogen werden können. Zumindest hätte der Fehler in der elektronischen Bearbeitung des Antrages rechtzeitig erkannt und vor dem 31.12.2007 behoben werden können. Mögliche Verzögerungen durch die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel seien weitere Umstände gewesen, mit denen verständiger Weise hätte gerechnet werden müssen. Die Ablehnung der Anträge sei damit auch nicht persönlich unbillig.

Es komme hinzu, dass eine Billigkeitsmaßnahme i. S. des § 163 AO auch stets nachrangig gegenüber einem potentiellen Amtshaftungsanspruch der Klägerin nach § 839 Abs. 2 BGB sei. Denn sollte die Klägerin selbst kein Verschulden treffen und insoweit sämtliche Verantwortung für die verspätete Eintragung allein beim Amtsgericht "H-Stadt" liegen, so müsse sich das Gericht etwaige auf Urlaubszeiten zurückzuführende Personalnotstände vor dem Jahreswechsel 2007 oder erkennbare Softwarefehler als ein eigenes Organisationsverschulden zurechnen lassen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Es kann offen bleiben, ob im Streitfall nach Maßgabe des § 8a Abs. 1 HGB schon davon ausgegangen werden kann, dass es noch vor Ablauf des 31.12.2007 zu einer wirksamen Eintragung des Ergebnisabführungsvertrags im Handelsregister gekommen ist. Denn die Klägerin hat jedenfalls einen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen, da sie die verspätete Eintragung in das Handelsregister nicht zu vertreten hat und die Zurechnung der sich hierdurch ergebenden nachteiligen Rechtsfolgen den Wertungen des Gesetzgebers eindeutig widersprechen würde.

1. Gemäß § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. § 163 AO bezweckt, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhof - BFH - vom 20.05.2010 V R 42/08, BStBl II; Bundessteuerblatt - BStBl - II, 2010, 955 m.w.N.). Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, die durch das Gericht nur nach Maßgabe des § 102 Finanzgerichtsordnung - FGO - auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauch geprüft werden darf (Beschluss des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603).

2. Im Streitfall ist die Ablehnung des beantragten Erlasses ermessensfehlerhaft.

a) Im Streitfall scheiterte die steuerliche Wirksamkeit des Organschaftsverhältnisses gemäß §§ 14 bis 17 KStG ausschließlich an der verspäteten Eintragung der Handelsregisteranmeldung aufgrund eines für die Klägerin weder vorhersehbaren noch rechtzeitig behebbaren technischen Problems bei der Weiterverarbeitung der auf dem Server des "Z-Bundesland" Ministeriums der Justiz eingegangenen elektronischen Handelsregisteranmeldung. Die von der fristgemäßen Eintragung abhängige steuerliche Wirkung des Ergebnisabführungsvertrags ist durch diese Computerpanne letztlich vereitelt worden. Allein wegen des - von der Klägerin nicht zu vertretenden - Zeitablaufs konnte das zuständige Registergericht die Eintragung nicht mehr vor Ablauf des Jahres 2007 vornehmen. Ob der Computerfehler noch rechtzeitig hätte gefunden und behoben werden können, wenn der von der Klägerin beauftragte Notar die Eintragungsanmeldung des bereits am 16.11.2007 unterschriebenen Gewinnabführungsvertrages früher vorgenommen hätte, kann dahinstehen. Entscheidend ist, dass unter Berücksichtigung der mit Umstellung auf die elektronische Registerführung bezweckten und durchweg auch praktizierten Bearbeitungsdauer von allenfalls wenigen Arbeitstagen der Antrag so rechtzeitig gestellt worden ist, dass die Klägerin auf eine rechtzeitige Eintragung vertrauen durfte.

b) Entgegen der Ansicht des Beklagten hat die Klägerin bei dieser Sachlage einen Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen. Das Ermessen des Beklagten ist insoweit auf Null reduziert. Denn die Festsetzung der Mehrsteuer, die wegen der Nichtanerkennung des Ergebnisabführungsvertrages aufgrund nicht von der Klägerin zu vertretenden verspäteten Eintragung in das Handelsregister festgesetzt worden ist, ist nach Lage des Falles offenkundig unbillig und lässt eine andere Entscheidung nicht zu.

aa) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. zuletzt BFH-Urteil in BStBl II 2010, 955; ferner BFH-Urteile vom 26.10.1972 I R 125/70, BStBl II 1973, 271; vom 15.02.1973 V R 152/69, BStBl II 1973, 466, und vom 21.01.1992 VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3; Auch das Fehlverhalten von Behörden kann eine abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen erfordern (vgl. Loose in: Tipke/Kruse AO/FGO § 227 AO Rz. 70).

bb) Entgegen der Ansicht des Beklagten, wonach grundsätzlich nur das Fehlverhalten der Finanzbehörden eine Billigkeitsentscheidung im Sinne des § 163 AO rechtfertigen könne, kann auch das Fehlverhalten einer anderen Behörde eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen erfordern. Zwar kann und soll § 163 AO ein - nach wie vor - fehlendes Staatshaftungsrecht nicht ersetzen. Daher ist ein Fehlverhalten einer Behörde, welches außerhalb des Steuerschuldverhältnisses zu einem Vermögensnachteil eines Steuerpflichtigen führt, nicht unter Anwendung der Vorschriften der §§ 163 bzw. 227 AO zu kompensieren. Jedenfalls aber dort, wo die Finanzverwaltung steuerrechtliche Folgen an die Entscheidung anderer - zwar nicht steuerfestsetzender aber steuerrechtliche Normen anwendenden - Behörden knüpft, wäre es unbillig, wenn aufgrund falscher Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften durch andere Behörden die Finanzämter belastende steuerliche Folgen zögen, ohne den steuerrechtlichen Fehler durch eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen kompensieren zu können. Der Steuerstaat darf sich, wenn er die Entscheidung über die Besteuerung und deren Voraussetzungen auf mehrere Behörden aufteilt, nicht darauf zurückziehen, Billigkeitsentscheidungen kämen nur im unmittelbaren Steuerschuldverhältnis, also bei Fehlern der Finanzverwaltung in Frage.

Die Finanzverwaltung geht im Übrigen selbst davon aus, verspätete Eintragungen im Handelsregister - also Handlungen anderer Behörden -, in Einzelfällen eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen rechtfertigen können. So hat das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 17.11.2000 (BStBl I 2000, 1521) verfügt, dass aus Billigkeitsgründen in Fällen, in denen die (verspätete) Eintragung in das Handelsregister zur Anwendung der Neuregelung des UmwStG führen würde, auf Antrag das UmwStG a.F. anzuwenden ist. Der Zeitpunkt der Eintragung ist aber auch hier nicht vom Verhalten des Steuerpflichtigen, sondern von der Arbeitsbelastung und -geschwindigkeit der Registergerichte abhängig. Die Finanzverwaltung sieht also - anders als der Beklagte vorträgt - gerade das Verhalten einer anderen Behörde als relevant für eine Billigkeitsentscheidung der Finanzverwaltung an.

cc) Es wäre daher für das Rechtsgefühl aller billig und gerecht Denkenden unerträglich, wenn der Beklagte die ausschließlich von der Justiz zu vertretende Eintragungsverzögerung bei seiner Beurteilung, ob die Steuerfestsetzung gegen die Klägerin unter Anwendung des § 14 KStG erfolgen könne, im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung unberücksichtigt lassen würde. Denn es wäre unbillig, wenn die Wirkung einer steuerrechtlichen Norm im Billigkeitswege nicht berücksichtigt würde, sofern der Eintritt der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm ausschließlich durch die rechtsfehlerhafte Anwendung gerade dieser Norm durch eine andere Behörde vereitelt worden ist.

3. Die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen kann auch nicht unter Hinweis auf einen Schadenersatzanspruch der Klägerin abgelehnt werden.

Ein Verschulden des von der Klägerin beauftragten Notars liegt im Hinblick auf die rechtzeitige Anmeldung ersichtlich nicht vor.

Inwieweit die Verzögerungen bei der elektronischen Bearbeitung der Anmeldung als schadensbegründende Ereignis angesehen werden könnte, das auf einem schuldhaften Verhalten eines Amtsträger beruht und inwieweit sich der Amtsträger auf das Richterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB berufen könnte, kann dahinstehen. Denn einem Ersatzanspruch steht jedenfalls der Grundsatz der subsidiären Haftung nach § 839 Abs. 3 BGB entgegen.

4. Die Steuer ist im Streitfall nach alledem aus Billigkeitsgründen so festzusetzen, wie sie festzusetzen gewesen wäre, wenn die fristgerechte Eintragung in das Handelsregister beim Amtsgericht "H-Stadt" nicht durch die weder vorhersehbaren noch rechtzeitig behobenen technischen Probleme bei der Weiterverarbeitung der auf dem Server des "Z-Bundesland" Ministeriums der Justiz eingegangenen Handelsregisteranmeldung verhindert worden wäre.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 139 Abs. 4 FGO erstattungsfähig. Dieser Anspruch steht der Beigeladenen grundsätzlich zu, wenn sie - wie im Streitfall - einen eigenen Sachantrag gestellt hat und damit ein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. Stapperfend/Gräber, FGO, 7. Aufl., § 139 Rdnr. 136).

6. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO sind weiterhin nicht ersichtlich (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss vom 04.11.2004 I B 43/04, BFH/NV 2005, 707) und vom Beklagten im Übrigen auch nicht geltend gemacht worden.






FG Düsseldorf:
Urteil v. 17.05.2011
Az: AO, G, 6 K 3100/09 K


Link zum Urteil:
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