Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 31. Mai 1999
Aktenzeichen: 11 TG 1961/98

(Hessischer VGH: Beschluss v. 31.05.1999, Az.: 11 TG 1961/98)

Gründe

Die von dem Senat zugelassene Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, sich im Verwaltungsverfahren unmittelbar an Beteiligte zu wenden, die den Antragsteller als Bevollmächtigten für das Verwaltungsverfahren bestellt haben, abgelehnt.

Der Antragsteller hat zwar einen Anordnungsgrund für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung; ihm steht aber kein Anordnungsanspruch auf Erlass der von ihm begehrten einstweiligen Anordnung zu. Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass sich die Antragsgegnerin berühmt, sich weiter unmittelbar an Mandanten des Antragstellers zu wenden, anstatt sich an die in der Regel einzuhaltende Verpflichtung des § 14 Abs. 3 Satz 1 HVwVfG zu halten, sich an den für das Verwaltungsverfahren bestellten Bevollmächtigten zu wenden. Insoweit könnte eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sein, um wesentliche Nachteile von dem Antragsteller als Bevollmächtigtem im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 1 HVwVfG abzuwenden. Solche Regelungen im Hinblick auf bestimmte Rechtsverhältnisse, hier die Rechtsbeziehung zwischen der Verwaltungsbehörde und dem Antragsteller als Bevollmächtigtem von Beteiligten des Verwaltungsverfahrens, sind insbesondere im Hinblick auf die Bestimmung des Umfangs einer Rechtsposition statthaft (Kopp, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 123 Rdnr. 8). Gegenstand einer einstweiligen Anordnung kann auch ein Unterlassungsbegehren sein, z. B. - wie im vorliegenden Falle - die Verpflichtung der Behörde, einstweilen eine bestimmte Handlung zu unterlassen (Kopp, a. a. O., § 123 Rdnr. 9). Allerdings besteht kein Anordnungsgrund für die von dem Antragsteller, der Rechtsanwalt ist, ausweislich seines Anordnungsantrages begehrte Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Zwar kann ausnahmsweise auch im Wege einer einstweiligen Anordnung die Hauptsache vorweggenommen werden; dies ist aber nur dann erforderlich und damit statthaft, wenn effektiver Rechtsschutz anders nicht möglich ist, insbesondere weil für den Antragsteller bis zu einem möglichen Obsiegen im Hauptsacheverfahren unzumutbare Nachteile eintreten würden (Kopp, a. a. O., § 123 Rdnr. 13). Dies ist im vorliegenden Falle nicht zu besorgen. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass es nicht ausreichen würde, wenn die Antragsgegnerin nur vorläufig bis zu einer endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu der von ihm begehrten Unterlassung verpflichtet würde.

Der somit wegen Vorliegens eines Anordnungsgrundes im dargestellten Umfang zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber nicht begründet. Denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf Erlass der von ihm begehrten einstweiligen Anordnung. Ein solcher Anordnungsanspruch kann sich aus § 80 Abs. 3 der Abgabenordnung, der in kommunale Abgaben betreffenden Verwaltungsverfahren - wie im vorliegenden Falle die Zahlung von Kläranlagenbeiträgen an die Antragsgegnerin - gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 a) KAG entsprechend anzuwenden ist, für das gerichtliche Verfahren - wie von dem Antragsteller begehrt - schon deshalb nicht ergeben, weil für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ausschließlich die Verwaltungsgerichtsordnung Anwendung findet. Der Antragsteller kann aber auch im Hinblick auf das Verwaltungsverfahren aus dieser Vorschrift keinen Anordnungsanspruch herleiten. Nach dem mit § 14 Abs. 3 VwVfG inhaltsgleichen und diesem nachgebildeten § 80 Abs. 3 AO soll sich die Behörde an den Bevollmächtigten wenden, wenn ein solcher für das Verwaltungsverfahren bestellt ist. Sie kann sich an den Beteiligten selbst wenden, soweit er zur Mitwirkung verpflichtet ist. Wendet sich die Behörde an den Beteiligten, so soll der Bevollmächtigte verständigt werden. Der Antragsteller kann daraus keinen Anordnungsanspruch herleiten, weil diese Vorschrift - wie das Verwaltungsgericht zu Recht dargelegt hat - kein subjektives Recht des Bevollmächtigten auf Einhaltung dieser Verpflichtung begründet. Denn diese Vorschrift dient zum einen dem öffentlichen Interesse an einer zweckmäßigen Verfahrensgestaltung und zum anderen dem Schutz der Verfahrensbeteiligten selbst, die sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Sie begründet kein eigenes subjektiv-öffentliches Recht des Bevollmächtigten in der Weise, dass er unabhängig von dem ihn beauftragenden Beteiligten des Verwaltungsverfahrens selbst die Einhaltung dieser Verfahrensverpflichtung der Behörde geltend machen könnte. Der Bevollmächtigte kann somit aus eigenem Recht die Einhaltung dieser Verpflichtung der Behörde nicht beanspruchen.

Der Senat gibt seine früher zugrunde gelegte Auffassung auf, der Bevollmächtigte könne aus eigenem Recht eine Feststellungsklage gegenüber der Verwaltungsbehörde auf Einhaltung der Verpflichtung der Behörde nach § 14 Abs. 3 VwVfG erheben (Hess. VGH, U. v. 09.04.1984 - 11 UE 149/84 -, NVwZ 1984, 802). Er folgt nunmehr im Ergebnis der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der sich aus § 14 Abs. 3 VwVfG kein subjektives Recht des Bevollmächtigten auf Einhaltung der dort geregelten Verpflichtung der Behörde herleiten lässt (BVerwG, U. v. 10.07.1984 - 1 C 155/79 -, NJW 1985, 339, zu § 14 Abs. 3 Satz 3 VwVfG). Entscheidend dafür ist, dass § 14 Abs. 3 VwVfG der sachgerechten Vertretung des Beteiligten im Verwaltungsverfahren dienen soll, also in seinem Interesse die Bestellung eines Bevollmächtigten und die Pflichten der Behörde gegenüber dem bestellten Bevollmächtigten regelt. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Bevollmächtigte unabhängig von dem Beteiligten Verfahrensrechte gegenüber der Behörde im Verwaltungsverfahren geltend machen können sollte. Die unabhängige und gegenüber dem Bevollmächtigten hervorgehobene Stellung des Beteiligten selbst wird aus § 80 Abs. 3 Satz 2 AO bzw. § 14 Abs. 3 Satz 2 VwVfG deutlich, nach dem sich die Behörde an den Beteiligten selbst wenden kann, soweit er zur Mitwirkung verpflichtet ist. Anders als im gerichtlichen Anwalts-Prozess, in dem der Rechtsanwalt ausschließlicher Ansprechpartner des Gerichts und der Prozessparteien ist, soll der Beteiligten des Verwaltungsverfahrens auch unabhängig und neben seinem Bevollmächtigten von der Verwaltungsbehörde angesprochen werden können.

Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass Bevollmächtigte im Sinne des § 14 VwVfG nicht nur Rechtsanwälte, sondern alle handlungsfähigen natürlichen Personen sein können. Insoweit ist kein zwingender sachgerechter Grund dafür erkennbar, dass ein Kontakt zwischen der Verwaltungsbehörde mit dem Verfahrensbeteiligten nur über seinen Bevollmächtigten hergestellt werden dürfte. Der ausschließliche Verkehr des Gerichts und der Prozessparteien im Anwaltsprozess über den Anwalt der Partei hat seinen Sinn maßgeblich auch darin, dass der Rechtsanwalt im Verhältnis zu der von ihm vertretenen Partei meist ausschließlich oder doch jedenfalls in weit höherem Maße über juristisches Fachwissen verfügt, das er zum Nutzen der Partei bzw. des Beteiligten einsetzt. Der ausschließliche Verkehr mit der Partei über den sie vertretenden Rechtsanwalt dient somit auch maßgeblich dem Schutz der Partei. Diese Gründe gelten aber im Rahmen des § 14 Abs. 3 VwVfG bzw. § 80 Abs. 3 AO nicht, da der Bevollmächtigte des Beteiligten im Verwaltungsverfahren keinerlei besondere Qualifikation aufweisen muss. Es kann somit normativ nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber wegen des oben durch das juristische Fachwissen des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren begründeten Schutzgedankens dem Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren selbst ein eigenes Recht nach § 14 Abs. 3 Satz 1 VwVfG zubilligen wollte. Während das Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass insbesondere die Ausgestaltung der Befugnisse des Rechtsanwaltes zur Strafverteidigung Teil seines Rechts auf freie Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ist (BVerfG, B. v. 08.04.1975 - 2 BvR 207/75 -, BVerfGE 39, 238), kann davon auf der dargestellten normativen Grundlage des § 14 Abs. 3 VwVfG im Hinblick auf den "Jedermann-Bevollmächtigten" nach § 14 VwVfG nicht ausgegangen werden. In diesem Rahmen gilt insoweit nichts anderes auch für Rechtsanwälte. Es ist § 14 Abs. 3 VwVfG nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Vorliegens eigener Rechte des Bevollmächtigten danach differenzieren wollte, ob es sich um Rechtsanwälte oder andere Bevollmächtigte handelte (so im Ergebnis auch BVerwG, U. v. 10.07.1984 - 1 C 155/79 -, a. a. O.).

Die Rechte des Rechtsanwalts nach § 3 Abs. 2 BRAO, in Rechtsangelegenheiten aller Art vor Behörden aufzutreten, und das damit ausgestaltete Recht auf Freiheit der Berufsausübung als Rechtsanwalt wird ausreichend durch das Gebot des § 80 Abs. 3 Satz 3 AO bzw. § 14 Abs. 3 Satz 3 VwVfG gewahrt, nach dem der Bevollmächtigte verständigt werden soll, wenn die Behörde sich an den Beteiligten gewandt hat. Maßgeblich bleibt aber das Verhältnis zwischen Behörde und Verfahrensbeteiligtem, auch wenn dieser einen Bevollmächtigten, insbesondere einen Rechtsanwalt, bestellt hat. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Zustellung eines Bescheides an einen Beteiligten, auch wenn dieser einen Bevollmächtigten bestellt hat, wirksam ist (gemäß § 41 Abs. 1 VwVfG, der insoweit als Sonderregelung § 14 Abs. 3 VwVfG vorgeht: Hess. VGH, U. v. 10.08.1992 - 12 UE 2254/89 -, NVwZ-RR 1993, 432; dieser Auffassung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit Urteil vom 30.10.1997 - 3 C 35.96 -, BayVBl. 1998, 374, angeschlossen).

Insgesamt ist deshalb festzustellen, dass aus dem Verhältnis zwischen Verfahrensbeteiligtem und seinem Bevollmächtigten gegenüber der Verwaltungsbehörde im Verwaltungsverfahren davon auszugehen ist, dass der vertretene Verfahrensbeteiligte neben seinem Bevollmächtigten eine derart eigenständige Position hat, dass die Pflicht der Verwaltungsbehörde nach § 14 Abs. 3 Satz 1 VwVfG neben dem öffentlichen Interesse nur im Interesse des Beteiligten selbst und nicht auch aufgrund eigenen Rechtes im Interesse des Bevollmächtigten besteht. Dies bedeutet, dass eine Verletzung der Pflicht der Behörde aus § 14 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nur von dem Beteiligten selbst, nicht aber von seinem Bevollmächtigten aus eigenem Recht und unabhängig von dem Beteiligten geltend gemacht werden kann (so im Ergebnis auch Kopp, VwVfG, 6. Aufl. 1996, § 14 Rdnr. 18; Stelkens u. a., VwVfG, 5. Aufl. 1998, § 14 Rdnr. 21). Da der Antragsteller somit kein eigenes Recht auf Einhaltung der Verpflichtung der Antragsgegnerin aus § 14 Abs. 3 Satz 1 VwVfG hat, kann er einen Unterlassungsanspruch, der der Einhaltung dieser Verpflichtung dienen soll, nicht aus eigenem Recht geltend machen. Dieses Recht können nur die von ihm vertretenen Mandanten gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil seine Beschwerde ohne Erfolg bleibt (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 entsprechend, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 3 GKG. Dabei legt der Senat den Auffangstreitwert gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG zugrunde, ohne diesen im Hinblick auf die vorläufige Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf die Hälfte zu reduzieren, da der Antragsteller, der Rechtsanwalt ist, mit seinem Unterlassungsantrag die Vorwegnahme der Hauptsache begehrt hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).






Hessischer VGH:
Beschluss v. 31.05.1999
Az: 11 TG 1961/98


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