Bundespatentgericht:
Urteil vom 17. Februar 2010
Aktenzeichen: 4 Ni 14/09

(BPatG: Urteil v. 17.02.2010, Az.: 4 Ni 14/09)

Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3.

Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 771 048 (Streitpatent), das am 21. Oktober 1996 unter Inanspruchnahme der Prioritäten zweier deutscher Patentanmeldungen angemeldet worden ist.

Das in deutscher Verfahrenssprache veröffentlichte Streitpatent, das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer DE 596 06 276 geführt wird, ist in einem Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt beschränkt aufrechterhalten worden. Das Streitpatent betrifft eine schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen und umfasst gemäß der geänderten Patentschrift EP 0 771 048 B2 (Streitpatentschrift) vier Patentansprüche.

Patentanspruch 1 hat danach folgenden Wortlaut:

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin behauptet, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Es sei zum einen nicht klar, wie nach der patentgemäßen Lehre scharfe Kanten an den Endbereichen der schlauchförmigen Hülle vermieden werden könnten. Auch stelle sich die Frage, wie bei zwei herausgeführten Leitern eine hinreichende Isolation der beiden Leiter zu erreichen sei.

Ferner sei der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig. Eine schlauchförmige Hülle gemäß dem Streitpatent sei gegenüber der deutschen Offenlegungsschrift NK10 DE4110455A1 nicht neu Der Gegenstand beruhe zudem nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Hierzu beruft sich die Klägerin auf folgende Druckschriften:

NK7 DE3439699A1 NK8 GB1604986 NK9 US3908267 NK11 US3385922 NK12 US2997411 Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 771 048 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und trägt vor, die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe seien nicht gegeben.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Im Hinblick auf den zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents bekannten Stand der Technik ist nicht zu erkennen, dass der Gegenstand des Streitpatents für den hier angesprochenen Fachmann einen Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Elektrotechnik, der auch über Kenntnisse aus dem Bereich der Kunststoffund Verfahrenstechnik verfügt -nahe gelegen hat (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1, 4 PatG).

Mit dem Patentanspruch 1 haben auch die angegriffenen und auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 Bestand.

II.

1.

Das Streitpatent betrifft eine schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen. Solche Hüllen werden von der Streitpatentschrift als im Stand der Technik bekannt vorausgesetzt, etwa durch die Druckschrift DE 41 10 455 A1 (NK 10) (vgl. Abs. [0004] der Streit-Patentschrift), wobei eine bekannte Ausführung aber den Nachteil haben soll, dass an beiden Enden der Hülle beim Flachpressen sichelförmige Flächen entstünden. Diese stünden nach außen scharfkantig vor und könnten im Verlauf des Einbaus in eine Schaltung oder ein Gerät zu Verletzungen benachbarter Komponenten oder Leitungen führen (vgl. Abs. [0002] und [0003] der Streitpatentschrift).

2.

Vor diesem Hintergrund soll es Aufgabe der streitpatentgemäßen Erfindung sein, eine isolierende Hülle für elektrische Bauteile zu schaffen, bei der die Verletzungsgefahr benachbarter Komponenten durch ein derart isoliertes Bauteil auf ein Minimum reduziert ist (Abs. [0005] der Streitpatentschrift).

3.

Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 (mit einer von der Patentinhaberin eingeführten Merkmalsgliederung) eine Hülle mit folgenden Merkmalen vor:

"1. Schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen, 1.1 deren überstehende Endbereiche unter Einhaltung der elektrisch notwendigen Abstände durch Flachpressen verschlossen sind, dadurch gekennzeichnet, dass 1.2 der zu verschließende Endbereich (2, 2a und 7, 7a) der Hülle (1 bzw. 7) vor dem Verpressen an gegenüberliegenden Seiten faltenförmig (Falten 3, 4 und 8, 9) eingeschlagen ist, und 1.3 die Falten (3, 4 und 8, 9) so tief sind, dass die verschlossenen Endbereiche (2, 2a und 7, 7a) gegenüber dem übrigen Hüllenkörper keilförmig verjüngt sind."

4. Der Patentanspruch 1 unterliegt folgendem Verständnis des Fachmanns:

a) Die elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelemente sind zwar im Anspruchswortlaut lediglich als Verwendungsangabe genannt, jedoch wird dadurch eindeutig angegeben, dass die erfindungsgemäße Hülle in ihrem verschlossenen Endzustand ein elektrisches Bauelement umgeben muss (Merkmal 1).

b) Auch Verbindungsstellen zweier elektrischer Leiter fallen unter den Sammelbegriff "elektromechanische Bauelemente", da über die Struktur oder Funktion der Bauelemente im Patentanspruch 1 -d. h. etwas über ein elektrisches Bauelement in seiner allgemeinsten Fassung Hinausgehendes -im Einzelnen nichts ausgeführt ist (Merkmal 1).

c) Durch die Angabe in Merkmal 1.1 "unter Einhaltung der elektrisch notwendigen Abstände" ist festgelegt, dass mit der in Merkmal 1 genannten "Isolation" eine elektrische Isolation gemeint ist.

d) Die Angabe, dass die verschlossenen Endbereiche gegenüber dem übrigen Hüllenkörper "keilförmig verjüngt" sind, bezieht sich auf die Ebene, die durch die flachgepressten Endbereiche definiert ist (Merkmal 1.3).

e) Das Productbyprocess-Merkmal 1.2 "vor dem Verpressen .... eingeschlagen" ist insofern Gegenstand der Lehre des Patentanspruchs 1, als dadurch die erfindungsgemäße Hülle in ihrem Endzustand in der Weise gekennzeichnet wird, dass ihre Beschaffenheit für einen Fachmann eindeutig identifizierbar ist und vom Stand der Technik unterschieden werden kann. Dies gilt ungeachtet der Möglichkeit, dass -wie die Klägerin vorgetragen hat -vorher gebildete Falten nahezu bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen sein können, so dass ihr Vorhandensein ggf. nur unter Zuhilfenahme technischer Mittel (z. B. eines Elektronenmikroskops) feststellbar ist.

III.

1. Die schlauchförmige Hülle gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents ist gegenüber dem Stand der Technik, wie er in der Verhandlung diskutiert wurde, neu:

Sowohl aus der Druckschrift DE 41 10 455 A1 (NK10) in der Ausführung gemäß der obigen Figuren 1 und 2 als auch aus der Druckschrift US 2 997 411 (NK12) (in der Ausführung gemäß der dortigen Figur 7) ist eine schlauchförmige Hülle zur Isolation eines elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementes (dort eines Verbinders) bekannt, wobei anders, als erfindungsgemäß vorgesehen, nicht beide Endbereiche unter Einhaltung der elektrisch notwendigen Abstände durch Flachpressen verschlossen sind, sondern nur ein einzelner Endbereich.

Außerdem sind anders als im Merkmal 1.3 angegeben, die verschlossenen Endbereiche weder in DE 41 10 455 A1 (NK10) noch in US 2 997 411 (NK12) gegenüber dem übrigen Hüllenkörper keilförmig verjüngt. Vielmehr verlängert gemäß der in den Figuren 1 und 2 der DE 41 10 455 A1 (NK10) dargestellten Ausführungsform der Endbereich 20 die Kontur des übrigen Hüllenkörpers 10 geradlinig. Gemäß Figur 7 der US 2 997 411 (NK12) ergibt sich sogar eine Verbreiterung des Endbereiches gegenüber dem übrigen Hüllenkörper. Selbst wenn man die in den Figuren 8 bis 10 der US 2 997 411 gezeigten Stempel zum Verpressen des Endbereiches verwendete, ergäbe sich eine Ausgestaltung, die nicht über die Lehre der DE 41 10 455 A1 (NK10) hinausginge, also keine Verjüngung.

In einer alternativen Ausführungsform der Lehre der US 2 997 411 (NK12) ist in den Figuren 1 bis 6 zwar ein Herstellungsprozess dargestellt, bei der eine schlauchförmige Hülle 12 vor dem Verpressen entsprechend Merkmal 1.2 faltenförmig eingeschlagen wird, jedoch wird der Endbereich der Hülle dabei nicht flachgepresst, sondern bildet eine Sternform, die sich außerdem gegenüber dem übrigen Hüllenkörper nicht verjüngt, sondern verbreitert.

Aus der Druckschrift DE 34 39 699 A1 (NK7), die eine Einlage für Schrumpfmuffen zum Gegenstand hat, sind zwar keilförmig verjüngte Endbereiche bekannt. Diese mit Metallfolie beschichtete Einlage dient aber weder der elektrischen Isolation des eingeschlossenen Bauelements noch sind die Endbereiche flachgepresst faltenförmig eingeschlagen.

Die Druckschrift US 3 385 922 (NK11) zeigt keine schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen, sondern eine feuchtigkeitsdichte schlauchförmige Hülle als Verpackung 28 eines elektrischen Bauelements, die vor dem Verwenden des Bauteils entfernt wird (Sp. 1 / Abstract). Deren überstehende Endbereiche sind durch Flachpressen verschlossen, und der zu verschließende Endbereich der Hülle ist vor dem Verpressen an gegenüberliegenden Seiten faltenförmig eingeschlagen. Da die Hülle gemäß US 3 385 922 jedoch nicht zur elektrischen Isolation dient, sondern vordergründig feuchtigkeitsdicht sein soll, sind elektrisch notwendige Abstände in dieser Druckschrift nicht thematisiert. Außerdem ist weder der zeichnerischen Darstellung noch der Beschreibung zu entnehmen, dass die Falten so tief sind, dass die verschlossenen Endbereiche gegenüber dem übrigen Hüllenkörper keilförmig verjüngt sind.

2. Die schlauchförmige Hülle gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents beruht gegenüber dem Stand der Technik, der in der Verhandlung diskutiert wurde, auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Ausgehend von schlauchförmigen Hüllen, wie sie aus den Druckschriften DE 4110 455 A1 (NK10) oder US 2 997 411 (NK12) bekannt sind, mag der Fachmann zwar beide Endbereiche im Bedarfsfall flachpressen, aber weder durch diese Druckschriften selbst, noch durch den anderen im Verfahren befindlichen Stand der Technik, bekommt er einen Hinweis darauf, zur elektrischen Isolation eines elektrischen Bauelements den zu verschließende Endbereich der Hülle vor dem Verpressen an gegenüberliegenden Seiten faltenförmig einzuschlagen, derart, dass die Falten so tief sind, dass die verschlossenen Endbereiche gegenüber dem übrigen Hüllenkörper keilförmig verjüngt sind (Merkmale 1.2, 1.3).

Wenn auch in der Ausführung gemäß den Figuren 1 bis 6 der US 2 997 411 (NK12) ein faltenförmiges Einschlagen gezeigt ist, fehlt in dieser Druckschrift schon ein Hinweis darauf, diese Maßnahme auch bei der Ausführungsform gemäß Figur 7 oder gar bei der Ausführungsform gemäß den Figuren 8 bis 10 vor dem Flachpressen anzuwenden. Selbst wenn der Fachmann diese Überlegung entgegen der Lehre der US 2 997 411 überhaupt in Erwägung ziehen würde, gäbe die US 2 997 411 keinen Anlass, dies so zu tun, dass die verschlossenen Endbereiche gegenüber dem übrigen Hüllenkörper keilförmig verjüngt sind.

Die Verpackung, wie sie in der US 3 385 922 (NK11) gezeigt ist, gibt dem Fachmann keinen Hinweis, diese in gleicher Weise als elektrische Isolierung eines elektrischen Bauteils zu verwenden.

Den weiteren, von der Klägerin schriftsätzlich zitierten Druckschriften, ist noch weniger ein Hinweis zu entnehmen, die den Fachmann ausgehend von der DE 41 10 455 A1 (NK10) oder US 2 997 411 (NK12) zu einer erfindungsgemäßen schlauchförmige Hülle zur Isolation von elektromechanischen und/oder elektronischen Bauelementen führen könnte.

Die Klägerin konnte daher den Senat nicht davon überzeugen, dass der Fachmann die in Patentanspruch 1 beanspruchte Lehre in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik unter Einsatz seiner fachlichen Fähigkeiten auffinden konnte, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen. Dies geht zu ihren Lasten (BGH, GRUR 1991, 522 f. -Feuerschutzabschluss -m. w. N.).

3. Soweit die Klägerin geltend macht, die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, stellt sie damit nicht die Ausführbarkeit der erfindungsgemäßen Lehre in Frage, sondern deren Brauchbarkeit. Fehlende Brauchbarkeit einer Erfindung gehört jedoch nicht zu den in § 22 PatG abschließend aufgezählten Nichtigkeitsgründen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

Rauch Dr. Kaminski Groß Schell J. Müller Pr






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