Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 12. Dezember 2002
Aktenzeichen: V ZB 23/02

(BGH: Beschluss v. 12.12.2002, Az.: V ZB 23/02)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Rechtsbeschwerde des beklagten Landes gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts wird vom Bundesgerichtshof abgewiesen. Das beklagte Land hatte Kosten für das erstinstanzliche Verfahren geltend gemacht, die vom Landgericht Potsdam festgesetzt wurden. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Das beklagte Land wollte mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erreichen, dass die entstandenen Gebühren ohne den Abschlag erstattet werden. Der Bundesgerichtshof entschied jedoch, dass das beklagte Land die angefallenen Rechtsanwaltsgebühren nach der im Einigungsvertrag bestimmten Maßgabe zur Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) nur zu 90% erstattet bekommt. Es ist dabei unerheblich, ob das beklagte Land nur die bei dem Landgericht Potsdam zugelassenen Mitglieder der beauftragten Rechtsanwaltssozietät oder auch Mitglieder mit Kanzleisitz im Altbundesgebiet beauftragt hat. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs basiert auf der Auslegung der Einigungsvertragsmaßgabe zur BRAGO, aus der sich ergibt, dass die Kürzung auch auf überörtliche Sozietäten mit Sitz im Altbundesgebiet anwendbar ist, wenn ein Mitglied der Sozietät mit Kanzleisitz im Beitrittsgebiet vor Gerichten im Beitrittsgebiet aufgetreten ist. Die Rechtsbeschwerde des beklagten Landes ist somit unbegründet und die angefallenen Rechtsanwaltsgebühren wurden zu Recht gekürzt. Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Land. Der Wert des Verfahrens entspricht der Differenz der Gebühren.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Beschluss v. 12.12.2002, Az: V ZB 23/02


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. März 2002 wird auf Kosten des beklagten Landes zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 327,98

Gründe

I.

Der Kläger erhob beim Landgericht Potsdam gegen das beklagte Land Klage auf Feststellung der Anspruchsberechtigung der Schuldnerin nach dem SachenRBerG in Ansehung eines im Eigentum des beklagten Landes stehenden Grundstücks. Das beklagte Land beauftragte mit seiner Vertretung die Berliner Kanzlei der überörtlichen Rechtsanwaltssozietät B. , Bu. , M. und W. . Das Mandat wurde von dem im Westen Berlins ansässigen Rechtsanwalt Wi. bearbeitet. Die Schriftsätze wurden indes von der sozietätsangehörigen Rechtsanwältin K. unterzeichnet, die ihren Kanzleisitz in Potsdam hat und auch in der mündlichen Verhandlung auftrat. Die Klage blieb erfolglos.

Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2000 hat das beklagte Land die Festsetzung von Kosten für das erstinstanzliche Verfahren in Höhe von insgesamt 6.461,20 DM beantragt. Mit Kostenfestsetzungsbeschluß vom 4. Dezember 2001 hat das Landgericht Potsdam die dem beklagten Land zu erstattenden erstinstanzlichen Kosten antragsgemäß, jedoch unter Abrechnung des in der Maßgabe des Einigungsvertrags zur BRAGO vorgesehenen Abschlags von derzeit noch 10%, auf 5.819,72 DM festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 14. März 2002 zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte das beklagte Land erreichen, daß die entstandenen Gebühren ohne den Abschlag erstattet werden.

II.

Das Beschwerdegericht meint, das beklagte Land habe ausschließlich die beim Landgericht Potsdam postulationsfähigen Rechtsanwälte der überörtlichen Sozietät zu ihren Prozeßbevollmächtigen bestellt. Da deren Kanzlei im Beitrittsgebiet liege, würden sich die Rechtsanwaltsgebühren nach dem in der Maßgabe des Einigungsvertrages zur BRAGO bestimmten Ermäßigungssatz, der durch die Verordnung zur Anpassung der für die Kostengesetze in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet geltenden Ermäßigungssätze vom 15. April 1996 (KostGErmAV, BGBl. I S. 604) auf die Hälfte reduziert worden ist, um 10% ermäßigen, so daß die vom beklagten Land in voller Höhe zur Festsetzung angemeldeten Gebühren entsprechend zu kürzen seien.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Dem beklagten Land stehen die angefallenen Rechtsanwaltsgebühren nach der in Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt I Nr. 26 Buchstabe a des Einigungsvertrags bestimmten und durch die Verordnung vom 15. April 1996 geänderten Maßgabe zur BRAGO (im Folgenden: Buchstabe a der Einigungsvertragsmaßgabe zur BRAGO) nur in Höhe von 90% zu. Sie sind von den Vorinstanzen zutreffend festgesetzt worden.

1.

Das ergibt sich nicht schon aus Satz 2 des Buchstaben a der Einigungsvertragsmaßgabe zur BRAGO. Danach wären die Gebühren unabhängig davon zu kürzen, ob die von dem beklagten Land beauftragten Rechtsanwälte ihren Sitz im Beitrittsgebiet und im Altbundesgebiet haben, wenn es sich bei dem beklagten Land um einen Beteiligten handelte, der im Sinne die Vorschrift seinen (Wohn-) Sitz im Beitrittsgebiet (während des hier abzurechnenden Rechtsstreits noch unter Einschluß des beigetretenen Teil Berlins) hat. Würde man den Sitz des beklagten Landes hier nach § 18 ZPO bestimmen wollen, wäre das allerdings der Fall. Denn die für die Führung des Ausgangsrechtsstreits zuständige Senatsverwaltung für Finanzen hat ihren Sitz im beigetretenen Teil Berlins. Der Sitz bestimmt sich im Rahmen der Maßgabe aber nicht nach § 18 ZPO, weil seine Anwendung zu sachwidrigen Ergebnissen führen würde. Dann nämlich hinge die Anwendung der Maßgabe davon ab, ob das beklagte Land, aber z. B. auch der Bund, in dem konkreten Rechtsstreit gerade durch eine Behörde vertreten wird, deren Dienstsitz sich im Beitrittsgebiet befindet, oder durch eine im Altbundesgebiet ansässige Behörde. Die Anwendbarkeit der Maßgabe würde sich mit der Veränderung von Vertretungszuständigkeiten oder mit der Verlegung des Dienstsitzes der Vertretungsbehörde ändern. Im Fall des beklagten Landes hätte die zur Dokumentation der wiedergewonnen Einheit Berlins vorgenommene Verlegung der Senatskanzlei und einiger Senatsverwaltungen in den beigetretenen Teil Berlins zur Anwendbarkeit der bis dahin weitgehend unanwendbaren Maßgabe geführt. Vor allem aber sind der Bund und das beklagte Land Teil des Altbundesgebiets, für das die Kürzung der Rechtsanwaltgebühren nicht bestimmt ist. Das beklagte Land unterfällt deshalb nicht Satz 2 der Maßgabe.

2.

Die Kürzung folgt aber aus Buchstabe a Satz 1 der Einigungsvertragsmaßgabe zur BRAGO. Für das beklagte Land ist im Sinne dieser Maßgabe ein Rechtsanwalt tätig geworden, der seine Kanzlei in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet hat.

a) Das folgt entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht daraus, daß das beklagte Land nur die bei dem Landgericht Potsdam zugelassenen Mitglieder der überörtlichen Sozietät B. , Bu. , M. und W. mit seiner Vertretung beauftragt hat. Gelegentlich wird zwar angenommen, daß ein Mandant, der eine überörtliche Sozietät beauftragt, einen Vertrag nur mit den vor dem Prozeßgericht postulationsfähigen Mitgliedern dieser Sozietät abschließen wolle (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 376). Dem ist nicht zu folgen. Die Beauftragung einer Sozietät berechtigt und verpflichtet regelmäßig alle Mitglieder der Sozietät (BGHZ 56, 355, 359 f.; BGH, Urt. v. 29. Oktober 1990, AnwSt (R) 11/90, NJW 1991, 49, 50; OLG Karlsruhe, JurBüro 1995, 31, 32; OLG München, JurBüro 1996, 139; OLG Brandenburg, AnwBl. 1999, 413). Der Mandant schuldet nur ein Honorar, das den Mitgliedern der Sozietät gemeinschaftlich und ohne Rücksicht darauf zusteht, welcher Anwalt die Sache tatsächlich bearbeitet hat und ob jeder der Sozien die Tätigkeit selbst wirksam vornehmen konnte (BGHZ 56, 355, 359 f.; OLG Brandenburg, AnwBl. 1999, 413; Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl., § 5 Rdnr. 2; Gerold/Schmidt/v.Eicken/ Madert, BRAGO, 14. Aufl., § 5 Rdnr. 5). Es ist zwar möglich, mit einem oder mehreren Mitgliedern einer Sozietät ein persönliches Mandat zu vereinbaren (BGHZ 56, 355, 361). Das verlangt aber auch unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (dazu: Hartung, MDR 2002, 1224, 1225) und der standesrechtlichen Erfordernisse (dazu: BGH, Urt. v. 29. Oktober 1990, aaO.) eine ausdrückliche Vereinbarung (OLG Koblenz, NJW-RR 1997, 952; Hartung, MDR 2002, 1224), die hier nicht vorliegt.

b) Für die hier zu beantwortende Frage, wer im Sinne des Buchstaben a Satz 1 der Einigungsvertragsmaßgabe zur BAGO für das beklagte Land tätig geworden ist, kommt es hierauf aber nicht an.

aa) Was Tätigwerden in diesem Zusammenhang bedeutet, wird unterschiedlich beurteilt. Das OLG Köln (DtZ 1993, 62, 63) und das Kammergericht (MDR 1993, 388) stehen auf dem Standpunkt, daß die Kürzung nach der Maßgabe des Einigungsvertrags zur BRAGO nicht für überörtliche Sozietäten mit Sitz im Altbundesgebiet gelte. Andere Oberlandesgerichte sind demgegenüber der Ansicht, daß die Kürzung nach der Maßgabe des Einigungsvertrags zur BRAGO auch auf überörtliche Sozietäten mit Sitz im Altbundesgebiet anzuwenden ist, wenn ein Mitglied dieser Sozietät vor Gerichten im Beitrittsgebiet aufgetreten ist, das dort seine Kanzlei eingerichtet hat (OLG Brandenburg, RPfleger 1997, 496; OLG Bremen, OLGR 2001, 35; im Ergebnis genauso, aber mit anderer Begründung: OLG Jena, OLG-NL 1997, 95 und NJW 2001, 685).

bb) Dieser zweiten Meinung schließt sich der Senat an.

Ein "Tätigwerden" kann schon rein sprachlich gesehen auch in dem formellen Auftreten von dem Prozeßgericht gesehen werden. Das entspricht auch dem Sprachgebrauch der BRAGO, an den sich die Maßgabe hier anlehnt. Dort meint Berufstätigkeit (§ 1 Abs. 1 BRAGO) oder Tätigkeit (§ 4 BRAGO) das mandatsbezogene Handeln des Rechtsanwalts (Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., BRAGO Grz Rdnr. 12; § 1 BRAGO Rdnr. 23; § 4 Rdnr. 1). Es kommt deshalb darauf an, ob hier ein Rechtsanwalt für das beklagte Land mandatsbezogen gehandelt hat, der seine Kanzlei in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet eingerichtet hat. Das ist hier der Fall. Die Einspruchsschrift des beklagten Landes und seine weiteren Schriftsätze in der Sache sind von der der Sozietät angehörenden, bei dem Landgericht Potsdam zugelassenen Rechtsanwältin K. unterzeichnet worden, die ihre Kanzlei in Potsdam eingerichtet hat. Diese ist für das beklagte Land auch in der mündlichen Verhandlung aufgetreten. Dieses Handeln war mandatsbezogen. Denn aus dem Mandat, das das beklagte Land der Sozietät (als solcher) erteilt hatte, waren, wie oben ausgeführt, alle Mitglieder der Sozietät verpflichtet, darunter auch die bei dem Landgericht Potsdam zugelassenen und in dem hier abzurechnenden Rechtsstreit seinerzeit auch allein postulationsfähigen Mitglieder der beauftragten Sozietät.

Dem steht nicht entgegen, daß das Mandat des beklagten Landes innerhalb der Sozietät von einem Rechtsanwalt bearbeitet worden ist, der selbst seine Kanzlei in dem nicht beigetretenen Teil Berlins eingerichtet hat. Entscheidend ist nicht, wer in der Sozietät das Mandat bearbeitet, sondern wer nach außen mandatsbezogen den Gebührentatbestand verwirklicht. Das war hier die Rechtsanwältin K. . Sie hat als bei dem Landgericht Potsdam zugelassenes Mitglied der Sozietät alle gebührenrelevanten Handlungen (für die Sozietät) vorgenommen.

3. Darauf, ob die mit der Maßgabe getroffene Regelung sachgerecht ist, was die Rechtsbeschwerde bezweifelt, kommt es hier nicht an. Dies ist eine Frage des gesetzgeberischen Ermessens, dessen Ausübung jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Zeitraum vor dem 1. Januar 2000 nicht zu beanstanden ist (BVerfG, Beschl. v. 15. März 2002, 1 BvR 230/00, NJW 2000, 1939, 1940).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Der Gegenstandswert entspricht der Gebührendifferenz.






BGH:
Beschluss v. 12.12.2002
Az: V ZB 23/02


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