Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. April 2009
Aktenzeichen: 20 W (pat) 71/04

(BPatG: Beschluss v. 15.04.2009, Az.: 20 W (pat) 71/04)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 03 F des Deutschen Patent und Markenamtes vom 28. September 2004 aufgehoben und das Verfahren an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen zur weiteren Prüfung auf Grundlage der Ansprüche 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Die am 7. November 1995 eingereichte Patentanmeldung mit der Unionspriorität vom 9. November 1994 betrifft eine "Temperaturkompensation für Bauteile von integrierten Schaltungen auf der Halbleiterplättchen-Stufe", im Wesentlichen eine Kompensationsschaltung zur Erzeugung eines Symmetrieabgleichsignals für eine integrierte Verstärkerschaltung mit mindestens zwei Transistoren. Die Kompensationsschaltung soll bewirken, dass die Transistoren in der Verstärkerschaltung im Hinblick auf identische Betriebseigenschaften symmetrisch aneinander so angepasst werden, dass Signalverzerrungen durch die Verstärkungssteuereinrichtung und durch Änderungen der Betriebstemperatur minimiert werden können.

In ihrem Prüfungsbescheid vom 9. Februar 2004, den der Senat in vollem Umfang in Bezug nimmt, hat die Prüfungsstelle die Auffassung vertreten, bestimmte Merkmale der nebengeordneten Ansprüche 1 und 17 seien unklar und deswegen könnten diese Ansprüche nicht unter Patentschutz gestellt werden. U. a. heißt es in dem Bescheid:

"II.1. zum Patentanspruch 1 Das Merkmal des Patentanspruchs 1,

"zwei Bauteilen, von denen jedes in wechselseitiger Abhängigkeit als eine Funktion der Temperatur und zumindest eines physikalischen Parameters arbeitet"

ist unklar, so dass der Patentanspruch 1 nicht gewährbar ist. Insbesondere ist nicht klar, was unter "in wechselseitiger Abhängigkeit" in diesem Zusammenhang bei einer Verstärkerschaltung gemeint ist. Die Fassung des Anspruchs 1 lässt nicht erkennen, was die Anmelderin unter Schutz gestellt haben will.

......"

Weiter heißt es in dem Bescheid:

"II.3 zum Patentanspruch 17 Das Merkmal des Patentanspruchs 17.

"irgendeiner Fehlanpassung"

ist unklar, so dass der Patentanspruch 17 nicht gewährbar ist.

Insbesondere ist nicht klar, was unter "irgendeiner Fehlanpassung" in diesem Zusammenhang bei einer Verstärkerschaltung gemeint ist. Die Fassung des Anspruchs 17 lässt nicht erkennen, was die Anmelderin unter Schutz gestellt haben will.

Es wird auf die Ausführungen unter II.1 verwiesen.

....."

Zum Stand der Technik hat die Prüfungsstelle auf die Druckschrift DE 36 22 615 C1 verwiesen und stellt fest:

"Aus der Druckschrift (1) (siehe Fig. 1) ist ein spannungsgesteuerter Verstärker bekannt."

Zu dem Prüfungsbescheid vom 9. Februar 2004 hat die Anmelderin keine Stellungnahme abgegeben. Daraufhin hat die Prüfungsstelle für Klasse H 03 F des Deutschen Patentund Markenamts die Anmeldung mit Formularbeschluss vom 28. September 2004 aus den Gründen des Bescheids vom 9. Februar 2004 zurückgewiesen und sich in dem Formblatt für den Beschlusstext als Zurückweisungsgrund auf § 48 PatG berufen.

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Anmelderin ihre Anmeldung weiter. In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin ihr Anspruchbegehren unter Vorlage neuer Patentansprüche 1 bis 8 verteidigt und beantragt:

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 03 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 28. September 2004 aufzuheben und das Verfahren an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen zur weiteren Prüfung auf Grundlage der Ansprüche 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet wie folgt: "Integrierte Schaltung mit: Verstärkungssteuereinrichtungen zur Erzeugung eines Ausgangssignals als Funktion eines Eingangssignals und eines Verstärkungssteuersignals, wobei die Verstärkungssteuereinrichtung zumindest zwei Transistoren einschließt, die symmetrisch aneinander derart angepaßt sein müssen, daß die Betriebseigenschaften der Transistoren identisch sind, um Signalverzerrungen durch die Verstärkungssteuereinrichtung und durch Änderungen der Betriebstemperatur zu einem Minimum zu machen, und mit einer in der integrierten Schaltung angeordneten Einrichtung zur Erzeugung eines bipolaren Abgleichsignals zur Erzielung eines Symmetrieabgleichs zwischen den Transistoren als eine Funktion einer Fehlanpassung zwischen den Transistoren, so daß der Pegel und die Polarität des bipolaren Symmetrieabgleichsignals während der Herstellung der integrierten Schaltung derart abgeglichen werden kann, daß die Transistoren in vorhersagbarer, gleichbleibender und im wesentlichen von Temperaturänderungen und dem Verstärkungssteuersignal unabhängiger Weise arbeiten, dadurch gekennzeichnet, dass die Einrichtung zur Erzeugung des bipolaren Symmetrieabgleichsignals Einrichtungen zur Erzeugung eines bipolaren Stromes einschließt, welche eine positive Stromeinrichtung zur Erzeugung eines positiven Stromes, eine negative Stromeinrichtung zur Erzeugung eines negativen Stromes und eine Einrichtung zur Summierung der positiven und negativen Ströme zu einem Kompensationsstrom einschließt, wobei die Einrichtung zur Erzeugung des bipolaren Stromes zumindest einen in der integrierten Schaltung angeordneten Transistor einschließt, und der bipolare Strom eine Funktion der Emitterfläche des Transistors ist, und dass die integrierte Schaltung ein mit dem zumindest einen Transistor gekoppeltes Widerstandselement einschließt, das einen vorgegebenen Widerstandswert mit einem Temperaturkoeffizienten aufweist, und bei der die Einrichtung zur Erzeugung des bipolaren Stromes den bipolaren Strom als eine Funktion von VT lnA liefert, worin VT eine zur absoluten Temperatur proportio-

R nale Spannung ist, R einen Widerstandswert mit einer Temperaturkoeffizientencharakteristik darstellt, die an den Temperaturkoeffizienten des Widerstandselementes angepaßt ist, und A die Emitterfläche des Transistors ist."

Zum Wortlaut der anhängigen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen verwiesen.

Die Anmelderin vertritt die Auffassung, dass der beanspruchte Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und durch diesen auch nicht nahe gelegt sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Deutsche Patentund Markenamt auf der Grundlage der neu gefassten Patentansprüche 1 bis 8, weil diese Ansprüche noch keiner Prüfung durch die Prüfungsstelle des Deutschen Patentund Markenamts unterzogen worden sind (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG).

1.

Die Patentansprüche 1 bis 8 sind zulässig. Die Merkmale der Patentansprüche 1 bis 8 sind in den ursprünglichen Patentansprüchen 17, 19 bis 26 und 28 bis 30 als zur Erfindung gehörend offenbart.

Der Anmeldegegenstand ist in der Fassung der geltenden Patentansprüche 1 bis 8 auch so vollständig und deutlich offenbart, dass der zuständige Fachmann, ein Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung elektrische Schaltungstechnik, ihn ausführen kann. Mit der Neufassung der Patentansprüche 1 bis 8 sind auch die im Bescheid der Prüfungsstelle monierten Unklarheiten ausgeräumt worden.

2.

Die integrierte Schaltung nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist unzweifelhaft gewerblich anwendbar und auch gegenüber dem bisher bekannt gewordenen Stand der Technik nach der Druckschrift DE 36 22 615 C1 neu, da in der dort ausgebildeten integrierten Schaltung keine Kompensationsschaltung zum Einsatz kommt, die ein Symmetrieabgleichsignal in Form eines Stromes bereitstellt.

Darüber hinaus ergibt sich der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 auch nicht in nahe liegender Weise aus dem zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Betracht zu ziehenden Stand der Technik nach der DE 36 22 615 C1 und dem Fachwissen des zuständigen Fachmanns. Zwar offenbart die Druckschrift DE 36 22 615 C1 in ihrer Figur 2 einen zum Anmeldegegenstand ähnlich beschalteten spannungsgesteuerten Verstärker für erdsymmetrische, elektrische Signale, bei dem temperaturabhängige Störungsanteile in der Ausgangsspannung weitgehend beseitigt werden können. Diese Kompensation wird aber im Gegensatz zum Anmeldegegenstand nicht durch Einspeisung eines Symmetrieabgleichsignals in Form eines Stromes, sondern durch Zuführung einer Kompensationsspannung erreicht, die von einer einstellbaren Hilfsspannungsquelle P erzeugt wird (vgl. Sp. 3, Z. 62 -67) und Hilfsspannungen zwischen +UH und -UH bereitstellt (vgl. Sp. 4, Z. 5 -15). Damit wird im Stand der Technik ein zum Anmeldegegenstand vollkommen gegensätzlicher Lösungsweg beschritten. Aber selbst, wenn der Fachmann, aus welchen Überlegungen auch immer, anstelle der spannungsgesteuerten eine stromgesteuerte Kompensation ins Auge fassen sollte, überschreiten nach Überzeugung des Senats die zusammenwirkenden und im Hinblick auf einen Symmetrieabgleich speziell aufeinander abgestimmten schaltungstechnischen Maßnahmen für den Aufbau der Kompensationsstromquelle nach dem kennzeichnenden Teil des geltenden Patentanspruchs 1 insgesamt das Maß dessen, was von einem Fachmann bei durchschnittlichem Handeln erwartet werden kann.

3.

Der Senat hat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden. Wie aus der Akte ersichtlich ist, hat zu den vorgenannten Merkmalen der neuen Ansprüche 1 bis 8 das Deutsche Patentund Markenamt im Verfahren nach § 44 PatG für die Prüfung, ob der Anmeldungsgegenstand die Patentierungsvoraussetzungen nach §§ 3 und 4 PatG erfüllt, noch nicht recherchiert. Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise ein Stand der Technik existiert, der einer Erteilung des angemeldeten Patents in dessen jetziger Fassung entgegensteht. Da eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des druckschriftlichen Standes der Technik zu allen Anspruchsmerkmalen ergehen kann, wofür in erster Linie die Prüfungsstellen des Deutschen Patentund Markenamts mit ihrem Prüfstoff und den ihnen zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten in Datenbanken berufen sind, ist die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen.

4.

Die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr beruht auf Billigkeitserwägungen (§ 80 Abs. 3 PatG); denn der angegriffene Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle war -entgegen § 47 Abs. 1 PatG -nicht mit Gründen versehen. Dieser reine Formularbeschluss enthält als einzige und abschließende Begründung eine Bezugnahme auf den Prüfungsbescheid vom 9. Februar 2004, der seinerseits keine Begründung im Sinne des Gesetzes enthält. Ein Beschluss ist dann nicht gem. § 47 Abs. 1 PatG mit Gründen versehen, wenn aus ihm nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (BGHZ 39, 333 -Warmpressen, mit weiteren Nachweisen). Der gänzlich fehlenden Begründung gleichzusetzen ist der Fall, dass -wie vorliegend -die angegebenen Gründe nichtssagend sind.

Ein Zurückweisungsgrund des "unklaren" Anspruchsmerkmals ist im Patentgesetz nicht vorgesehen. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben, dass für die Prüfung der Patentfähigkeit des Gegenstandes eines Patentanspruchs zunächst dieser Gegenstand ermittelt werden muß, indem der Patentanspruch unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen aus der Sicht des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ausgelegt wird. Diese Auslegung muß -wie jede Auslegung -auf tatsächlicher Grundlage getroffen werden, zu der neben den objektiven technischen Gegebenheiten auch ein bestimmtes Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen sowie Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und methodische Herangehensweise dieser Fachleute gehören, die das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können. Bei "Unklarheiten" ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt. Erst wenn eine solche Auslegung erfolgt ist, steht der Gegenstand der nachfolgenden Überprüfung auf Patentfähigkeit fest ( vgl. BGH GRUR 2007, 859, 860 Rz. 13, 14 -Informationsübermittlungsverfahren I). In einem Patentverletzungsverfahren hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich festgestellt, daß das angerufene Gericht eine Patentverletzungsklage nicht mit der Begründung abweisen darf, daß die Angaben des Patentanspruchs unklar seien und ihr Sinngehalt unaufklärbar sei (BGH, Urteil vom 31. März 2009 -X ZR 95/05 -Straßenbaumaschine -zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

Nach Auffassung des Senats gelten diese Grundsätze entsprechend für die Entscheidung der Prüfungsstelle über eine Patentanmeldung. Natürlich ist es sachdienlich, wenn die Prüfungsstelle zunächst den Anmelder auf etwa bestehende Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten hinweist und ihm Gelegenheit zur Klarstellung gibt. Wenn jedoch -wie hier -der Anmelder von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch macht, ist es Aufgabe der Prüfungsstelle, den Gegenstand der zu ihrer Entscheidung gestellten Patentansprüche im Wege der Auslegung festzulegen und über die Schutzfähigkeit des so bestimmten Gegenstandes -oder der so bestimmten Gegenstände -nach den Vorgaben des Patentgesetzes zu entscheiden.

Vorliegend hat die Prüfungsstelle den Gegenstand der zur Entscheidung stehenden Patentansprüche nicht festgelegt. Schon deswegen konnte keine ordnungsgemäße Prüfung der Patentfähigkeit dieser Ansprüche erfolgen und mußten auch diejenigen kurzen Passagen des Prüfungsbescheides ins Leere gehen, in denen es um die gesetzlichen Zurückweisungsgründe der fehlenden Neuheit und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit geht: Da die Merkmale des Anmeldegegenstandes nicht definiert wurden, konnte zu der einzigen in Bezug genommenen Entgegenhaltung DE 36 22 615 C1 nicht dargelegt werden, welche Lehre des Anmeldegegenstandes die Prüfungsstelle dieser Druckschrift als bekannt entnimmt. Genausowenig konnte bei der Heranziehung des Fachwissens dargelegt werden, welche konkreten Merkmale des Anmeldegegenstandes durch das allgemeine Fachwissen belegt werden könnten. Weitere Begründungen enthält der Prüfungsbescheid vom 9. Februar 2004 nicht.

Dr. Mayer Werner Gottstein Kleinschmidt Pr






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