Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 15. Dezember 2011
Aktenzeichen: 6 K 5404/10

(VG Köln: Urteil v. 15.12.2011, Az.: 6 K 5404/10)

Tenor

Die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 12.08.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist ein Telekommunikationsunternehmen. Sie bietet ihren Kunden u.a. als sog. Access-Providerin den Zugang zum Internet an, indem sie die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt. Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung einer sog. DNS - Sperrung (Sperrung des Domain-Name-Servers) im Zusammenhang mit Online-Sportwettenangeboten Dritter.

Mit vollziehbaren Verfügungen vom 30.10.2008 und 11.12.2009 untersagte die Bezirksregierung Düsseldorf den Sportwettenanbietern "bwin" und "tipp.24" die Veranstaltung von Sportwetten im Internet.

In der Folgezeit wurde die Klägerin als Access-Providerin mehrfach zur Auferlegung einer Internetsperrung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV angehört. Sie ermögliche Internet-Nutzern den Zugang zu unerlaubtem und damit auch strafbarem Glücksspiel. In ihren Stellungnahmen machte die Klägerin geltend, sie sei für die Inhalte der genannten Anbieter nicht verantwortlich und könne hierauf keinen Einfluss nehmen. Aus diesem Grunde sei sie nicht Störerin. Des Weiteren verwies sie auf technische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Umsetzung der angekündigten Maßnahme.

Die Klägerin wurde mit weiteren Anhörungsschreiben vom 01.03.2010 (bzgl. "bwin") und 30.06.2010 (bzgl. "tipp.24") sodann als "bösgläubiger Störer und verantwortlicher Diensteanbieter" und "hilfsweise als Nichtstörer" angehört: Infolge der vorangegangenen Anhörungen sei ihr die Rechtswidrigkeit des Sportwettenangebots, zu dem sie den Zugang vermittle, bekannt.

In der Folgezeit wurden die Anhörungen dahingehend ergänzt, dass auch für die Länder Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen die DNS-Sperrung ausgesprochen werden solle.

Mit Schreiben vom 27.07., 11.08. und 10.08.2010 erteilten die Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt der Bezirksregierung Düsseldorf eine Ermächtigung für die Sperrung der Seiten von "bwin" und/oder "tipp.24".

Mit der hier streitgegenständlichen Sperrungsanordnung vom 12.08.2010 wurde der Klägerin unter dem Gliederungspunkt "A." aufgegeben, den Zugang zum Internetangebot der Seiten www.bwin.com und www.tipp24.com über die Einrichtung einer DNS-Sperrung innerhalb von vier Wochen nach Bekanntgabe des Bescheides zu erschweren. Diese Anordnung sei für das Land Nordrhein-Westfalen rechtlich verbindlich (Ziffer 1). Des Weiteren wurde der Klägerin eine Frist zur Umsetzung der Sperrung von 4 Wochen auferlegt (Ziffer 2). Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 100.000 EUR angedroht (Ziffer 3). Schließlich wurde eine Verwaltungsgebühr von 2.000 EUR (Ziffer 4) erhoben. Unter dem Gliederungspunkt "B." wurde die Sperrungsverfügung auf die Länder Brandenburg (bzgl. des Angebots von "tipp.24"), Sachsen (bzgl. des Angebots von "bwin") und Sachsen-Anhalt (bzgl. beider Anbieter) erstreckt. Dabei bezog sich die Bezirksregierung Düsseldorf auf die jeweils erteilten Ermächtigungen der genannten Länder.

Zur Begründung der Sperrungsanordnung führte die Bezirksregierung Düsseldorf aus, die Sportwettenanbieter "bwin" und "tipp24" böten trotz vollziehbarer Untersagungsverfügungen weiterhin Sportwetten im Internet an. Wegen des Sitzes der Anbieter im Ausland sei eine Vollstreckung gegen diese nicht erfolgversprechend. Die Klägerin könne als bösgläubige Störerin herangezogen werden, da sie jedenfalls aufgrund der Anhörungen die Rechtswidrigkeit des Sportwettenangebots kenne. Mit der Zugangsvermittlung verstoße sie gegen den Glücksspielstaatsvertrag und das Strafgesetzbuch. Hilfsweise könne die Klägerin als Nichtstörerin in Anspruch genommen werden: Es gelte eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr abzuwehren.

Die Klägerin hat am 27.08.2010 Klage erhoben und parallel dazu ein Eilverfahren anhängig gemacht (- 6 L 1230/10 -). Das Eilverfahren wurde von den Beteiligten vergleichsweise beigelegt, nachdem die Bezirksregierung Düsseldorf auf die Vollstreckung der Ordnungsverfügung bis zum Ergehen einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren verzichtet hatte.

Mit ihrer Klage vom 27.08.2010 macht die Klägerin eine Vielzahl von Einwendungen gegen die Anordnung einer DNS-Sperrung geltend. Zunächst stellt sie die territoriale Zuständigkeit der Bezirksregierung Düsseldorf in Abrede. Auch sei die Verfügung nicht hinreichend bestimmt.

Zu Unrecht werde sie als Störerin angesehen: Als Access-Providerin erfülle sie Bedürfnisse der modernen Informationsgesellschaft und übe eine sozial übliche und auch erwünschte Tätigkeit aus. Sie habe keinen Einfluss auf die angebotenen Inhalte. Nach ihrer Auffassung überschritten allenfalls die Anbieter bzw. die Kunden die ordnungsrechtliche Gefahrschwelle. Auch die hilfsweise ausgesprochene Inanspruchnahme als Nichtstörerin scheide aus: Weder liege eine gegenwärtige erhebliche Gefahr vor, noch seien Maßnahmen gegen den Störer mit hinreichender Intensität versucht worden. Im Óbrigen führe die geforderte Sperrung zu einer Verletzung höherwertiger Pflichten, weil sie vertraglichen Pflichten gegenüber Kunden nicht nachkommen könne. In Bezug auf eine Inanspruchnahme als Nichtstörerin fehle es schließlich an einer Entschädigungsregelung.

Die Klägerin legt darüber hinaus ihre Auffassung dar, wonach mit der Verfügung das Fernmeldegeheimnis nach § 88 TKG und Art. 10 GG verletzt werde. Nach Ansicht der Klägerin ist die Maßnahme zudem nicht geeignet, den angestrebten Erfolg herbeizuführen, denn es sei absehbar, dass die Internet-Nutzer die Sperre unterlaufen würden. So seien bereits jetzt im Internet Anleitungen zur Umgehung von DNS-Sperren verfügbar. An der Eignung fehle es auch, weil die Bezirksregierung Düsseldorf nicht gegen alle Provider vorgehe. Die Klägerin führt hierzu aus, sie habe bei DSL-Anschlüssen im Jahr 2010 einen Vermarktungsanteil von unter 50 % inne gehabt. Die Maßnahme sei auch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Es müsse ein großer Aufwand betrieben werden, bei allenfalls minimaler Wirkung. Die Erfüllung der Verfügung sei ihr nicht zumutbar, weil die DNS-Sperrung nicht räumlich abgrenzbar sei und somit im gesamten Bundesgebiet gelte. Außerdem sei die Maßnahme unzumutbar, weil dritte Internet-Service-Provider, mit denen sie vertraglich verbunden sei, beeinträchtigt würden.

Die Klägerin beanstandet ferner, dass die Verfügung sie in ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen beeinträchtige. Die Beschränkung der Inanspruchnahme auf ein bis allenfalls zwei Access-Provider stelle einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 GG dar. Es führe zu einem massiven Wettbewerbsnachteil, wenn publik werde, dass sie nur einen zensierten Internet-Zugang anbieten könne.

Des Weiteren vertritt die Klägerin die Ansicht, dass das Sportwettenmonopol und das Internetverbot, zu deren Durchsetzung die Verfügung diene, unionsrechtswidrig und deshalb unanwendbar seien. Auch das Internetverbot sei inkohärent und könne nicht unabhängig vom Sportwettenmonopol betrachtet werden. In den Blick zu nehmen seien schließlich auch die anstehenden Ànderungen im Glücksspielrecht, wonach die Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten im Internet unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt seien. Vor dem Hintergrund dieser anstehenden Ànderungen, die eine massive Ausweitung des Glücksspiels im Internet zuließen, sei die Verfügung widersprüchlich.

Zuletzt beanstandet die Klägerin die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes.

Die Klägerin beantragt,

die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 12.02.2010 aufzuheben.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es tritt dem Vorbringen der Klägerin in den einzelnen Punkten entgegen. Namentlich ist es der Auffassung, dass § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 5 GlüStV eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die angeordnete DNS-Sperrung darstelle. Die Existenz dieser Regelung zeige, dass der Gesetzgeber eine sonderordnungsrechtliche Störerbestimmung vorgenommen habe. Die Verantwortlichkeit der Klägerin sei eine solche nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG. Diese Regelungen fügten sich in das System der medienrechtlichen Haftungsgrundsätze: So sähen sowohl § 59 Abs. 4 RStV als auch die Vorgängerregelungen § 18 Abs. 3 bzw. (ab 2002) § 22 Abs. 2 und 3 Mediendienste-Staatsvertrag die Möglichkeit vor, den Diensteanbieter von fremden Inhalten heranzuziehen, wenn Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen sich als nicht durchführbar oder nicht erfolgversprechend erwiesen. Auch in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung seien die Grundstrukturen zur Bekämpfung von Rechtsverletzungen im Internet in der Weise herausgearbeitet worden, dass eine Störerhaftung desjenigen angenommen werde, der einen Beitrag zur Rechtsverletzung geleistet habe. Diese Grundsätze seien auf das öffentliche Recht übertragbar.

Falls die Inanspruchnahme als Störer nicht möglich sei, könne die Klägerin jedenfalls als Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Die Voraussetzungen hierfür lägen vor, da es gelte, einen Verstoß gegen das Strafgesetzbuch abzuwehren.

Das beklagte Land ist zudem der Auffassung, die Heranziehung lediglich zweier Access-Provider sei nicht zu beanstanden. Die Auswahl der beiden größten Anbieter sei unter dem Gesichtspunkt der Effektivität und Schnelligkeit der Gefahrenabwehr erfolgt. Die Heranziehung sämtlicher Zugangsanbieter könne wegen des damit verbundenen Aufwandes von ihm nicht verlangt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie die Akte des Verfahrens 6 L 1230/10 verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die angegriffene Ordnungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 12.08.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dies gilt sowohl in Bezug auf die unter Buchstabe "A." der Verfügung enthaltenen Regelungen (Ziffern 1 - 4) für das Land Nordrhein-Westfalen, als auch auf die unter "B." vorgenommene Erstreckung auf die Länder Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

A. Rechtswidrig ist zunächst die Sperrungsanordnung nach Ziffer 1 sowie die zugehörige Fristsetzung in Ziffer 2 (nachfolgend I.). Infolge deren Rechtswidrigkeit unterliegen zugleich die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 und die Gebührenfestsetzung in Ziffer 4 (nachfolgend II.) der Aufhebung.

I. Die Anordnung, binnen 4 Wochen den Zugang zum Internetangebot der Webseiten www.bwin.com und www.tipp.24.com über die Einrichtung einer DNS-Sperrung zu erschweren, kann weder auf die Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV (1.), noch auf die Auffangermächtigung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV (2.) gestützt werden. Auch die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörer nach § 19 OBG NRW liegen nicht vor (3.).

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV kann die Glücksspielaufsicht Diensteanbietern im Sinne von § 3 Teledienstgesetz, soweit sie nach diesem Gesetz verantwortlich sind, die Mitwirkung am Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. An die Stelle des § 3 Teledienstgesetz (TDG) ist nach Aufhebung des TDG die Nachfolgeregelung des § 2 Nr. 1 Telemediengesetz (TMG) getreten.

Eine Inanspruchnahme der Klägerin nach dieser Norm kommt nicht in Betracht. Insoweit folgt das Gericht nicht der Auffassung des beklagten Landes, wonach allein die Existenz dieser Eingriffsermächtigung belege, dass eine sonderordnungsrechtliche Inanspruchnahme als Störer möglich sein solle. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV enthält - anders als noch § 22 MDStV, der eine Heranziehung des Nichtstörers ausdrücklich vorsah - keine Abgrenzung zwischen Störer und Nichtstörer. Tatbestandlich wird in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV nur gefordert, dass ein Dienstanbieter nach § 2 Abs. 1 TMG "verantwortlich" im Sinne des Telemediengesetzes ist. Das Telemediengesetz enthält ein abgestuftes, technikbezogenes Haftungssystem, das die jeweilige Nähe des Telemedienanbieters zur angebotenen Information berücksichtigt,

vgl. Billmeier in Manssen (Hrsg.) Telekommunikations- und Multimediarecht, Kommentar Band 2 (Stand 12/09) § 7 TMG Rn 2 ff; Schütz, Kommunikationsrecht, 2005 Teil 5 F, Rn 639 ff.

Während der Inhaltsanbieter nach § 7 Abs. 1 TMG für eigene Informationen nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich ist, bestimmt sich die Haftung des Anbieters von fremden Informationen nach § 7 Abs. 2 TMG. Danach sind Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen bleiben auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach §§ 8 bis 10 unberührt.

Für die Klägerin als Access-Providerin ist die Regelung des § 8 TMG maßgeblich: Danach sind Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie die Óbermittlung nicht veranlasst (Nr. 1), den Adressaten der übermittelten Information nicht ausgewählt (Nr. 2) und die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben (Nr. 3). So liegt der Fall hier: Die Dienstleistung der Klägerin besteht ausschließlich darin, dass sie die technische Infrastruktur zur Durchleitung fremder Informationen zur Verfügung stellt. Sie veranlasst weder die Óbermittlung, noch wählt sie den Adressaten oder die übermittelten Informationen aus.

Eine Haftung des Access-Providers kommt nach § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG allein in dem Fall in Betracht, in dem der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen. Dieser Fall des kollusiven Zusammenwirkens scheidet ersichtlich aus.

Das Gericht vermag auch nicht der Auffassung des beklagten Landes zu folgen, wonach die Klägerin in Anwendung des § 10 TMG verantwortlich sei, nachdem sie unter dem Aspekt des "bösgläubigen Störers" angehört worden sei. Nach § 10 TMG sind Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben.

Die Kenntnis von einer rechtswidrigen Handlung kann nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 TMG allein im Falle des Speicherns von fremden Informationen eine Verantwortlichkeit begründen,

vgl. auch OVG NRW vom 26.01.2010 - 13 B 760/09 -, Juris.

Eine Haftung der Klägerin nach dem TMG ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG. Danach bleiben Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 unberührt. Diese Norm lässt lediglich anderweitig begründete Verpflichtungen fortbestehen; sie stellt aber keinen eigenständigen Tatbestand dar, mit dem eine Haftung nach dem Telemediengesetz begründet wird,

vgl. Billmeier in Manssen (Hrsg.) Telekommunikations- und Multimediarecht, Kommentar Band 2 (Stand 12/09) § 7 TMG Rn 49; VG Düsseldorf, Urteile vom 29.11.2011 - 27 K 3883/11 und 27 K 5887/10 -.

Das Gericht verkennt nicht, dass faktisch der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV (auch im Vergleich zur Eingriffsermächtigung des § 59 Abs. 4 Rundfunkstaatsvertrag) eingeschränkt ist. Dieser Befund kann indes nicht dazu führen, dass die Haftungsregelungen des Telemediengesetzes - systemwidrig - erweiternd ausgelegt werden.

2. Die Verfügung kann auch nicht auf die allgemeine Auffangermächtigung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV gestützt werden. Nach Satz 1 der genannten Norm hat die Glücksspielaufsicht die Aufgabe, die Erfüllung der nach diesem Staatsvertrag bestehenden oder aufgrund dieses Staatsvertrages begründeten öffentlichrechtlichen Verpflichtungen zu überwachen sowie darauf hinzuwirken, dass unerlaubtes Glücksspiel und die Werbung hierfür unterbleiben. Nach Satz 2 kann die zuständige Behörde des jeweiligen Landes die erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen.

Das oben dargestellte Haftungssystem des Telemediengesetzes und die hieraus resultierende Nichtverantwortlichkeit der Klägerin stehen nach Auffassung der Kammer auch der Heranziehung aufgrund der Auffangermächtigung entgegen. Denn die Wertung des Gesetzgebers im Telemediengesetz, bestimmte Haftungsprivilegierungen vorzunehmen, muss zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen in der Rechtsordnung auch hier gelten. Dabei kann offen bleiben, wie die "Filterfunktion" des TMG dogmatisch einzuordnen ist,

vgl. zum Meinungsstand Billmeier in Manssen (Hrsg.) Telekommunikations- und Multimediarecht, Kommentar Band 2 (Stand 12/09) § 7 TMG Rn 6 ff; Schütz, Kommunikationsrecht, 2005 Teil 5 F Rn 645, 645 a.

Die Kammer folgt auch nicht der Auffassung des beklagten Landes, wonach sich die Verantwortlichkeit und die Störereigenschaft jedenfalls aus der entsprechenden Anwendung der im Zivilrecht herausgearbeiteten Haftungsgrundsätze ableiten lassen. Der zivilrechtliche Störerbegriff entspricht nicht dem ordnungsrechtlichen: Im Ordnungsrecht wird eine wertende Zurechnung von Gefahren vorgenommen, wobei nach der Theorie der unmittelbaren Verursachung darauf abgestellt wird, ob mit einem Verhalten die ordnungsrechtliche Gefahrengrenze überschritten wird,

vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.0.2008 - 7 B 12.08 - und vom 12.04.2006 - 7 B 30.06 -, OVG NRW, Beschluss vom 11.04.2007 - 7 A 678/07 -, jeweils Juris; Denninger, in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage 2007, Kapitel E, Rn 77.

Demgegenüber knüpft das Zivilrecht, das die Rechtsfigur des Nichtstörers nicht kennt, weitaus weitreichender an die bloße Mitverursachung im Sinne einer willentlichen und adäquaten Kausalität an,

vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2001 - I ZR 22/99 -, LG Hamburg, Urteil vom 12.11.2008 - 308 O 548/08 -, Rn 26, jeweils Juris; Billmeier in Manssen (Hrsg.) Telekommunikations- und Multimediarecht, Kommentar Band 2 (Stand 12/09) § 7 TMG Rn 148 ff, m.w.N.

Die zivilrechtlichen Grundsätze sind somit nach Auffassung des Gerichts nicht im Rahmen der ordnungsrechtlichen Heranziehung übertragbar,

vgl. auch VG Düsseldorf, Urteile vom 29.11.2011 - 27 K 3883/11 und 27 K 5887/10 -.

3. Schließlich kann die Klägerin auch nicht rechtmäßig als Nichtstörerin nach § 19 OBG NRW zur Beseitigung der Gefahren durch das unerlaubte Glücksspielangebot der Anbieter "bwin" und "tipp.24" herangezogen werden. Zwar kommt grundsätzlich eine Inanspruchnahme eines Diensteanbieters als Nichtstörer in Betracht. Die Erwägungen zum Entschließungsermessen in der Verfügung tragen eine solche Inanspruchnahme in der hier zur Entscheidung stehenden Konstellation jedoch nicht.

Eine Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen nach allgemeinem Ordnungsrecht ist nur zulässig, wenn u.a. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist und Maßnahmen gegen die primär Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OBG NRW).

Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob bereits die Tatbestandsvoraussetzung einer erheblichen Gefahr vorliegt. Anders als der allgemeine Gefahrenbegriff, der den Schutz der Rechtsordnung als Ganzes umfasst, muss sich bei der Inanspruchnahme eines Nichtstörers die den Eingriff rechtfertigende Gefahr auf ein qualifiziertes Rechtsgut wie etwa Bestand des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit oder nicht unbedeutende Vermögenswerte beziehen,

vgl. Denninger, in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage 2007, Kapitel E, Rn 61; Tegtmeyer/Vahle, Polizeigesetz NRW, 10. Aufl. 2010, § 8 Rn 14.

Die Verfügung zielt auf die Bekämpfung des unerlaubten Glücksspiels und dient damit letztlich unter anderem dem Schutz vor Spielsucht. Geschützte Rechtsgüter sind somit auch die Gesundheit der suchtgefährdeten oder von der Spielsucht betroffenen Spieler sowie deren Vermögen.

Ihrer Begründung nach (vgl. S. 4 und 5) nimmt die Ordnungsverfügung allerdings primär die Unterbindung des unerlaubten Glücksspieles in den Blick. Dies berührt in erster Linie den Aspekt der Wahrung der Rechtsordnung.

Für die Annahme einer erheblichen Gefahr in dieser Konstellation: OVG NRW, Beschluss vom 26.01.2010 - 13 B 760/09 -, Juris (Rn 16).

Offen bleiben kann auch, inwieweit der Grundsatz der Subsidiarität der Inanspruchnahme des Nichtstörers gewahrt ist. Insoweit fehlt es in der Verfügung an Darlegungen, welche Maßnahmen gegen die Störer "bwin" und "tipp.24" ergriffen worden sind. Auch der Verwaltungsvorgang verhält sich hierzu nicht. Das Gericht geht allerdings davon aus, dass es ich eher um ein Darlegungs- als um ein Handlungsdefizit handeln dürfte.

Ferner muss das Gericht nicht entscheiden, inwieweit die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses einer Inanspruchnahme der Klägerin entgegensteht,

vgl. zum Schutz personenbezogener Daten: EuGH, Urteil vom 24.11.2011 Scarlet Extended (Rs. C-70/10), Juris, wonach die Anordnung an einen Provider, ein Filtersystem einzurichten wegen der damit verbundenen Erfassung von IP-Adressen auch die Grundrechte der Kunden auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten betreffe.

Die Inanspruchnahme erweist sich jedenfalls als ermessenswidrig und unverhältnismäßig im engeren Sinn, weil die Heranziehung der Klägerin und (lediglich) eines weiteren Anbieters gegen die Grundrechte der Klägerin aus Art. 3 und Art. 12 GG verstößt. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat kein schlüssiges Gesamtkonzept vorgelegt, nach dem gleichmäßig gegen die anderen, in Nordrhein-Westfalen ansässigen Access-Provider vorgegangen wird. Vor dem Hintergrund des starken Wettbewerbs auf dem Telekommunikationsmarkt stellt die selektive Heranziehung der beiden größten Anbieter einen wettbewerbsverzerrenden Eingriff in das Marktgeschehen dar und schmälert die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Klägerin. Insofern besteht die Besorgnis, dass die Kunden der Klägerin zu einem anderen Anbieter wechseln, der einen "unzensierten" Internetzugang anbieten kann. Ebenso ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass es für die Klägerin schwerer wird, neue Kunden an sich zu binden. Dies gilt erst recht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass über den Glücksspielbereich hinaus die Klägerin allein wegen ihrer Größe und ihrer Position auf dem Telekommunikationsmarkt auch in anderen Bereichen stets damit rechnen müsste, unter dem Aspekt der Effektivität vorrangig zur Gefahrenabwehr herangezogen zu werden.

Bei der Betätigung ihres Entschließungsermessens hätte die Bezirksregierung Düsseldorf zudem berücksichtigen müssen, dass mit der Möglichkeit des Anbieterwechsels auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne in Frage gestellt ist. Wenngleich die Maßnahme ihre Eignung zur Gefahrenabwehr nicht dadurch verliert, dass sie umgangen werden kann (sei es durch Anbieterwechsel, sei es durch entsprechende Konfiguration des Computers),

vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 19.03.2003 - 8 B 2567/02 -, Rn 68 ff und Beschluss der Kammer vom 07.02.2003 - 6 L 2495/02 - Rn 18, jeweils Juris,

so schlägt der Aspekt der Umgehungsmöglichkeit im Rahmen der Abwägung zwischen den Wirkungen der Anordnungen und der Beeinträchtigungen für den herangezogenen Nichtstörer durch.

Schließlich ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass es sich bei der Sperrungsanordnung um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Der Verfügung ist nicht mit der einmaligen Einrichtung der Sperre Genüge getan, sondern es bedarf der Beibehaltung und Anpassung der Programmierung bei Ànderungen in der Konfiguration des Servers. Bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung muss die erlassende Behörde die Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung fortlaufend überwachen. Hier bestand Anlass dazu, die Rechtmäßigkeit der Verfügung vor dem Hintergrund der anstehenden Ànderungen im Glücksspielrecht zu überprüfen. Zwar ist Rechtsgrundlage für die Prüfung der Glücksspielstaatsvertrag in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung. Gleichwohl darf im Rahmen der Ermessenserwägungen nicht außer Betracht gelassen werden, dass nach dem neuen Glücksspielstaatsvertrag der Glücksspielmarkt liberalisiert wird und fortan auch die Veranstaltung von Sportwetten im Internet unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein wird. Aus diesem Grunde hätte es Erwägungen dazu bedurft, dass die Verfügung trotz der anstehenden Ànderungen (weiterhin) notwendig ist, um erhebliche Gefahren abzuwehren, indem etwa dargelegt worden wäre, dass die von dem unerlaubten Glücksspiel ausgehenden Gefahren um ein Vielfaches schwerer wiegen, als die von einem künftig möglichen konzessionierten Internetglücksspiel ausgehenden Gefahren.

Vgl. zum Aspekt der Rechtsänderung auch VG Düsseldorf, Urteile vom 29.11.2011 - 27 K 3883/11 und 27 K 5887/10 -.

Mithin erweist sich die Sperrungsanordnung nebst Fristsetzung als rechtswidrig.

Auf die übrigen von den Beteiligten unterschiedlich bewerteten Aspekte, etwa die Kohärenz des Internetverbotes und die Beeinträchtigung Dritter durch die Internetsperre, kommt es mithin nicht mehr an.

II. Aus der Rechtswidrigkeit von Ziffern 1 und 2 der Ordnungsverfügung folgt zugleich die Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 der Verfügung sowie die Gebührenfestsetzung in Ziffer 4. Denn infolge der Aufhebung der Grundverfügung entfällt die Grundlage für die Androhung der Vollstreckung dieser Verfügung mittels Zwangsmitteln. Auch die Erhebung einer Verwaltungsgebühr setzt die Rechtmäßigkeit der gebührenauslösenden Amtshandlung voraus.

B. Die Rechtswidrigkeit der das Bundesland Nordrhein-Westfalen betreffenden Regelungen hat zugleich die Rechtswidrigkeit der unter Buchstabe "B." der Verfügung vorgenommenen Erstreckung auf die Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zur Folge.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Die Frage der Zulässigkeit der Inanspruchnahme von Access-Providern zur Unterbindung des Glücksspielangebotes im Internet ist bisher nicht obergerichtlich entschieden.






VG Köln:
Urteil v. 15.12.2011
Az: 6 K 5404/10


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