Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 11. Mai 2011
Aktenzeichen: VII-Verg 1/11

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 11.05.2011, Az.: VII-Verg 1/11)

Tenor

Nachdem die Antragstellerin und die Antragsgegnerin das Nachprüfungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist der Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 05. Oktober 2010 (VK 2-89/10) gegenstandslos.

1.

Die Kosten und Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer werden wie folgt verteilt:

Die Kosten der Vergabekammer tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladenen als Gesamtschuldner.

Die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu je 1/3.

Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

2.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (unter Einschluss des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB) einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu je 1/3.

3.

Der Streitwert wird auf bis zu 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)

I.

Die Antragsgegnerin bzw. deren Rechtsvorgängerinnen führte ein offenes Verfahren zur Vergabe des Auftrages zum Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen gemäß § 130a Abs. 8 SGB für insgesamt 72 Wirkstoffe mit jeweils drei Rahmenvertragspartnern auf Grund einer Bekanntmachung im EU-Amtsblatt im Mai 2010 durch. Die Antragstellerin gab ebenso wie die Beigeladenen zu 1. und 2. fristgerecht ein Angebot u.a. zum Los 40 (Hydrochlorothiazid Tabletten) ab. Bei den Beigeladenen handelt es sich um zur W...-Unternehmensgruppe gehörende Unternehmen. Der einzige Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1., Herr S., ist zugleich einer von zwei Prokuristen sowie von drei Geschäftsführern der Beigeladenen zu 2., wobei er bei der Beigeladenen zu 2. nicht allein vertretungsberechtigt ist. Der Prokurist der Beigeladenen zu 1., Herr H., ist zugleich Prokurist bei der Beigeladenen zu 2. Die Beigeladene zu 1. verfügt daneben über lediglich eine Angestellte. Das Angebot der Beigeladenen zu 1. wurde vom Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1., Herrn S., und dem Prokuristen H. unterzeichnet. Das Angebot der Beigeladenen zu 2. wurde vom alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Beigeladenen zu 52, Dr. W..., sowie dem Prokuristen B. unterzeichnet.

Durch Schreiben vom 06. August 2010 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass auf ihre Angebote der Zuschlag nicht erteilt werden könne, da es sich nicht um die jeweils wirtschaftlichsten handele. Sie beabsichtige, den Zuschlag auf die Angebote der Beigeladenen zu 1. und 2. sowie eines weiteren Bieters zu erteilen.

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 11. August 2010 die Vergabeentscheidungen. Sie machte geltend, dass ein schwerwiegender Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vorliege, da es hinsichtlich der Beigeladenen zu 1. und 2. nicht zu einer unabhängigen Angebotsabgabe gekommen sei. Die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine unabhängige Angebotsabgabe lägen nicht vor.

Die Antragsgegnerin richtete daraufhin Aufklärungsschreiben an die Beigeladenen und forderte sie auf, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und etwaige Vorkehrungen zur Sicherstellung eines Geheimwettbewerbs darzulegen.

Die Beigeladenen zu 1. und 2. nahmen fristgemäß Stellung und teilten jeweils mit, wer mit der Bearbeitung der Angebote befasst gewesen sei und welche Aufgaben die genannten Personen bei der Angebotsbearbeitung im Einzelnen gehabt hätten. Genannt wurden unterschiedliche Personen. Ausweislich der Angaben ergaben sich keine personellen Überschneidungen bei der Angebotserstellung. Die Beigeladenen teilten des Weiteren mit, dass Kalkulation und Angebotserstellung räumlich voneinander getrennt erfolgt seien. Beide Unternehmen bestätigten, dass interne Vorgaben existierten, die wettbewerbsbeschränkende und/oder unlautere Verhaltensweisen untersagten. Herr S. - für die Beigeladene zu 1. - und Herr. Dr. W... - für die Beigeladene zu 2. - erklärten, es sei daher eine gegenseitige Geheimhaltung gewährleistet.

Die Antragsgegnerin half dem Rügevorbringen daraufhin nicht ab und teilte der Antragstellerin mit, dass aufgrund der äußeren Form der Angebote keine konkreten Anhaltspunkte für eine etwaige Verletzung des Geheimwettbewerbs vorlägen. Auch den Antworten der Unternehmen seien derartige Anhaltspunkte nicht zu entnehmen.

Den daraufhin erhobenen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin hat die Vergabekammer zurückgewiesen.

Zur Begründung hat sie darauf abgestellt, dass die Angebote der Beigeladenen nicht gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOL/A i.V.m. § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A wegen Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb von der Wertung auszuschließen seien. Die für den Ausschluss der Angebote erforderlichen gesicherten Erkenntnisse darüber, dass die Ausschlussvoraussetzungen vorliegen, seien nicht gegeben. Im Streitfall könne nicht festgestellt werden, dass den Beigeladenen das Angebot oder die Angebotsgrundlagen der anderen Beigeladenen bekannt gewesen seien.

Für eine Beweiserleichterung im Hinblick auf eine bloße Vermutung eines Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb sei kein Raum. Der Umstand, dass beide Unternehmen aufgrund ihrer strukturellen und personellen Verknüpfungen Angebote für dieselben Lose eingereicht haben, reiche allein nicht allein aus, die für einen Ausschlussgrund erforderliche Kenntnis der jeweils anderen Angebote festzustellen. Eine Vermutung des Inhalts, dass Angebote verbundener Unternehmen für denselben Auftrag stets voneinander beeinflusst worden seien, verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Allerdings stammten die Umstände, die einem Angebotsausschluss entgegenstehen können, aus dem alleinigen Verantwortungs- und Einflussbereich des betroffenen Bieters, so dass es diesem relativ leicht möglich sei, diejenigen Umstände nachvollziehbar darzulegen, die die durch sein Verhalten zu erwartende Wettbewerbsbeeinträchtigung ausnahmsweise entfallen lassen könnten. Entsprechende Umstände hätten die Beigeladenen vorgetragen. Insoweit sei maßgeblich, dass die Angebote von unterschiedlichen Personen unterschrieben worden seien. Zudem hätten beide Unternehmen erklärt, dass ihre Angebote von unterschiedlichen Personen erarbeitet und kalkuliert worden seien und dieses auch räumlich getrennt voneinander stattgefunden habe. Ferner hätten beide Unternehmen unter Hinweis auf die Unternehmensrichtlinie der W... Pharmagruppe bestätigt, nicht abgestimmt und unabhängig voneinander im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungen zu agieren. Auch die Kenntnis des gemeinsamen Einkaufspreises reiche nicht aus, weil die beiden Beigeladenen unabhängig voneinander ihre Margen kalkulieren müssten. Des Weiteren sei die nachträgliche Offenbarung des Entgelts bei Zuschlagserteilung im Konzernverbund unschädlich.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Sie hat geltend gemacht, die Vergabekammer habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass für einen Ausschluss der Beigeladenen vom Vergabeverfahren die wechselseitige vollständige Kenntnis ihrer jeweiligen Angebote und Angebotsgrundlagen gesichert festgestellt werden müsse. Zudem habe die Vergabekammer in unzutreffender Weise jegliche Beweiserleichterung im Hinblick auf den Nachweis eines konkreten Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb abgelehnt. Das Vorliegen eines zwingenden Ausschlussgrundes sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, obgleich die Beigeladenen den von der Antragsgegnerin geforderten Nachweis, den Geheimwettbewerb trotz ihrer engen strukturellen und personellen sowie räumlichen Verbundenheit gewahrt zu haben, nicht erbracht hätten.

Die Antragstellerin hat ursprünglich beantragt,

den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 05. Oktober 2010 (VK 2-89/10) aufzuheben,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren keinen Zuschlag an die Beigeladenen zu 1. und 2. hinsichtlich des Loses 40 (Hydrochlorothiazid Tabletten) zu erteilen, die Angebote der Beigeladenen zu 1. und 2. hinsichtlich des Loses 40 wegen Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb auszuschließen und nach erneuter Information gemäߧ 101a GWB Zuschläge nur unter Berücksichtigung ihres, der Antragstellerin, Angebotes hinsichtlich des Loses 40 sowie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu erteilen.

Die Antragstellerin sowie die Beigeladenen haben beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie haben den angefochtenen Beschluss verteidigt und sind dem Beschwerdevorbringen entgegengetreten.

Nachdem die Beigeladenen der Antragsgegnerin mitgeteilt haben, es sei zu einer Durchbrechung der gegenseitigen Geheimhaltung zwischen den Beigeladenen gekommen, hat die Antragsgegnerin die Angebote der Beigeladenen wegen Verletzung des Geheimwettbewerbs ausgeschlossen. Die Antragsgegnerin hat des Weiteren nach Ablauf der Frist des § 101a GWB den Zuschlag u.a. auf das Angebot der Antragstellerin erteilt.

Antragstellerin und Antragsgegnerin haben daraufhin das Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt. Die Beigeladenen haben sich dazu nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten und die Akten der Vergabekammer und die Vergabeakten Bezug genommen.

II.

Nachdem die Antragstellerin und die Antragsgegnerin (eine entsprechende Erklärung der Beigeladenen ist nicht notwendig, vgl. auch OLG Naumburg, Beschluss vom 21.06.2010 - 1 Verg 12/09) das Nachprüfungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Kosten zu entscheiden.

Für die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer ist dabei nach § 131 Abs. 8 GWB die Vorschrift des § 128 Abs. 3, 4 GWB i.d.F. des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes maßgeblich. Diese Vorschrift ermöglicht - anders als in der früheren Fassung - bei einer Erledigung des Nachprüfungsantrages eine Kostenverteilung nach Billigkeit (vgl. Senatsbeschluss vom 11.05.2011 - VII-Verg 10/11 m.w.N.). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (einschließlich des Verfahrens gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB) sind gemäß § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 S. 1 GWB gleichfalls nach Billigkeit zu verteilen. Das weitere Verfahren dient nicht mehr der abschließenden Klärung von Tatsachen- oder Rechtsfragen; es soll lediglich zu einer dem jeweiligen Sach- und Streitstand angemessenen Kostenverteilung führen (vgl. Summa in jurisPK-VergR, § 120, Rdn. 67). Über die Kostentragung ist auf der Grundlage des bei Eintritt der Erledigung geltenden Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Maßgeblich ist der ohne die Erledigung zu erwartende Verfahrensausgang (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 91a, Rdnr. 24 m.w.N.).

1.

Nach diesen Grundsätzen sind der Antragsgegnerin und den Beigeladenen die gesamten Verfahrenskosten einschließlich der im Verfahren vor der Vergabekammer sowie in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen. Ohne die übereinstimmenden Erledigungserklärungen wären die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene in dem Beschwerdeverfahren unterlegen gewesen.

a.) Antragstellerin und Antragsgegnerin haben zu Recht das Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt.

Für die Frage der Erledigung kommt es nicht darauf an, ob der ursprüngliche Nachprüfungsantrag zulässig und begründet war. Es reicht vielmehr aus, dass der auf Vornahme oder Unterlassung gerichtete Antrag des Antragstellers gegenstandslos geworden ist (vgl. Senat, Beschl. v. 11.05.2011, VII-Verg 10/11; OLG Naumburg, Beschl. v. 21.06.2010 - 1 Verg 12/09). Der Wortlaut des § 114 Abs. 2 S. 2, § 128 Abs. 3 S. 3 GWB geht erkennbar von diesem Verständnis aus. Läge eine Erledigung nur dann vor, wenn der Nachprüfungsantrag ursprünglich zulässig und begründet gewesen wäre, wäre der das Ergebnis offen lassende Wortlaut "ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat", nicht verständlich, weil dann bei einer Erledigung immer eine Rechtsverletzung vorläge. Der Gesetzgeber hat sich insoweit an § 71 Abs. 2 S. 4 GWB und § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO orientiert. In der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass - anders als in einem Zivilprozess - Erledigung unabhängig davon eintreten kann, ob der Antrag ursprünglich zulässig und begründet war. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung für die Regelung des § 71 Abs. 2 S. 2 GWB übernommen (WuW/E BGH 2211, 2213 - Philipp Morris/Rothmans). Das Vergabenachprüfungsverfahren hat sich dadurch erledigt, dass die Antragsgegnerin von einer Zuschlagserteilung an die Beigeladenen abgesehen und u.a. das Angebot der Antragstellerin bezuschlagt hat. Dadurch ist der Gegenstand des Nachprüfungsantrages entfallen.

b) Ohne das erledigende Ereignis wäre der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin erfolgreich gewesen.

Wie die Vergabekammer zu Recht angenommen hat, war der Nachprüfungsantrag zulässig. Bis zum Eintritt der Erledigung war er auch begründet. Durch die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Angebote der Beigeladenen nicht wegen Verstoßes gegen den vergaberechtlichen Geheimwettbewerb gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOB/A 2006 (jetzt § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG) auszuschließen, ist die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt worden.

aa) § 97 Abs. 1 GWB und § 2 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A 2006 bestimmen, dass der öffentliche Auftraggeber seine Leistungen im Wettbewerb zu beschaffen hat. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOL/A 2006 (jetzt § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG) ordnet ergänzend an, dass die Angebote derjenigen Bieter, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben, ausgeschlossen werden. Der Begriff der wettbewerbsbeschränkenden Abrede ist mit Blick auf den das gesamte Vergabeverfahren beherrschenden Wettbewerbsgrundsatz weit auszulegen. Er ist nicht auf gesetzeswidriges Verhalten beschränkt, sondern umfasst auch alle sonstigen Absprachen und Verhaltensweise eines Bieters, die mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgebot unvereinbar sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13.04.2011 - VII-Verg 2/11; vom 16.09.2003 - VII-Verg 52/03 und vom 27.07.2006 - VII-Verg 23/06; OLG München, Beschluss vom 11.08.2008, Verg 16/08).

Wesentliches und unverzichtbares Merkmal einer Auftragsvergabe im Wettbewerb ist die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung teilnehmenden Bietern. Nur dann, wenn jeder Bieter die ausgeschriebenen Leistungen in Unkenntnis der Angebote und Angebotsgrundlagen sowie der Angebotskalkulation seiner Mitbewerber anbietet, ist ein echter Bieterwettbewerb um den Zuschlag möglich (vgl. Senat, Beschl. v. 13.4.2011, VII-Verg 2/11; v. 16.9.2003, VII-Verg 52/03). Folgerichtig verpflichtet die Verdingungsordnung für Leistungen den öffentlichen Auftraggeber deshalb auch zur Vertraulichkeit (vgl. § 17 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 VOL/A-EG).

Das Zustandekommen einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache erfordert nicht eine ausdrückliche Verständigung zwischen zwei Unternehmen darüber, wer welche Leistung zu welchem Preis anbietet. Sie ist vielmehr in aller Regel schon dann verwirklicht, wenn ein Angebot in Kenntnis der Bedingungen des Konkurrenzangebots erstellt wird (vgl. Senat, Beschluss vom 27.07.2006, VII-Verg 23/06; Thüringer OLG, Beschluss vom 19.04.2004, 6 Verg 3/04).

Die strenge Ausprägung, die der Vertraulichkeitsgrundsatz in den geltenden Vergaberechtsbestimmungen erfahren hat, gewährleistet zum einen, dass der öffentliche Auftraggeber seiner gesetzlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Beschaffung und die Ausschreibung damit ihrer Funktion als Auswahlverfahren zur Ermittlung des annehmbarsten Angebots gerecht werden kann (vgl. Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, VOB/A, § 2 Rdn. 46). Gerade weil der einzelne Bieter nicht weiß, welche Konditionen der Konkurrent seiner Offerte zu Grunde legt, wird er, um seine Aussicht auf den Erhalt des Zuschlags zu steigern, bis an die Rentabilitätsgrenze seiner individuell berechneten Gewinnzone kalkulieren. Kennt ein Bieter Leistungsumfang und Preise seines Konkurrenten, muss er nicht mehr potentiell preisgünstigere Angebote unterbieten, sondern braucht sein Angebot nur noch an den ihm bekannten Bedingungen auszurichten (vgl. Senat, Beschl. v. 27.7.2006, VII-Verg 23/06).

Darüber hinaus kommt dem Vertraulichkeitsgrundsatz wegen seiner Wettbewerbsbezogenheit aber auch eine dritt- und damit bieterschützende Funktion und Wirkung zu (vgl. Senat, Beschluss vom 13.04.2011, VII-Verg 2/11). Nicht nur wird das Interesse der Bieter gewahrt, dass kein Wettbewerber durch die Kenntnis der Angebotskalkulation einen Einblick in ihr Betriebs- und Wirtschaftlichkeitskonzept gewinnt. Die Bezuschlagung eines unter Verstoß gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz gelegten Angebots entfaltet - vergleichbar der Bezuschlagung eines Angebots mit einem unangemessen niedrigen Preis - automatisch auch Reflexwirkungen zu Lasten der Mitbieter. Während aber dem in § 16 Abs. 6 S. 2 VOL-A, § 19 Abs. 6 S. 2 VOL/A-EG enthaltenen Verbot, den Zuschlag auf ein unangemessen niedriges Angebot zu erteilen, drittschützender Charakter nur zukommt, wenn der Grund für den unangemessen niedrigen Preis nicht wettbewerblicher Natur ist, sondern das Angebot in der Absicht abgegeben worden ist, Wettbewerber gezielt und planmäßig zu verdrängen oder zumindest die Gefahr einer dauerhaften Verdrängung besteht, basiert ein Angebot, das auf der Kenntnis eines oder mehrerer konkurrierender Angebote kalkuliert worden ist, denknotwendig auf einem wettbewerbswidrigen Verhalten.

Das Recht der Bieter, in einem fairen und uneingeschränkten Leistungswettbewerb um die Zuschlagschance zu konkurrieren, wird somit nicht nur dann beeinträchtigt, wenn ein in Kenntnis der Inhalte anderer Angebote kalkuliertes Angebot in Verdrängungsabsicht gelegt wird, sondern unabhängig davon bereits durch den einen echten Leistungswettbewerb ausschließenden Verstoß gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz.

bb) Ausweislich des nunmehr als unstreitig anzusehenden Sachverhaltes lag ein zum Ausschluss der Angebote der Beigeladenen führender Verstoß gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz vor.

Allerdings war ein Ausschluss nicht bereits deshalb veranlasst, weil es sich bei den Beigeladenen um verbundene Unternehmen im Sinne von §§ 15, 18 AktG handelt. Eine unwiderlegbare Vermutung des Inhalts, dass Angebote verbundener Unternehmen für denselben Auftrag infolge der typischerweise bestehenden gesellschaftsrechtlichen, personellen und organisatorischen Verflechtungen stets voneinander beeinflusst worden sind, existiert nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 13.04.2011, VII-Verg 2/11). Vielmehr steht einem systematischen, zwingenden Ausschluss verbundener Unternehmen nicht nur das sich aus dem Wettbewerbsgrundsatz ergebende Interesse an der Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung entgegen. Ein derartiger Automatismus verstieße auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da verbundenen Unternehmen damit die Möglichkeit genommen würde, nachzuweisen, dass zwischen ihnen keine Gefahr einer Beeinträchtigung der Transparenz und Verfälschung des Wettbewerbs bestehe. Die bloße Feststellung der Verbundenheit zweier oder mehrerer sich um den Auftrag bewerbender Unternehmen berechtigt und verpflichtet die Vergabestelle somit noch nicht dazu, diese Unternehmen von dem Vergabeverfahren auszuschließen. Vielmehr hat die Vergabestelle, nachdem sie Kenntnis von der Verbundenheit erlangt hat, zu prüfen und zu würdigen, ob der Inhalt der von den verbundenen Unternehmen abgegebenen Angebote durch die sich aus der Verbundenheit ergebenden Verflechtungen und Abhängigkeiten beeinflusst worden ist, wobei die Feststellung eines wie auch immer gearteten Einflusses für den Ausschluss dieser Unternehmen genügt (vgl. EuGH, Urteil v. 19.5.2009, Rs. C-538/07 "Assitur"). Für die Beteiligung verbundener Unternehmen an Rabattausschreibungen mit "Mehr-Partner-Modell" gelten keine anderen Maßstäbe. Dabei ist allerdings nicht zu verkennen, dass das ausgeschriebene "Mehr-Partner-Modell" einen im Verhältnis zum Normalfall der Ausschreibung stärkeren Anreiz für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen konzernverbundener Unternehmen setzt. Da mehrere Bieter den Zuschlag auf ein Los erhalten können, besteht ein über das wirtschaftliche Interesse der einzelnen Bieter hinausgehendes Konzerninteresse an der Erlangung von Zuschlägen, weil der Gesamtumsatz verbundener Unternehmen dadurch erhöht wird.

Der Vermutungstatbestand greift aber nicht erst ein, wenn inhaltliche Übereinstimmungen in den Angeboten oder personelle, räumliche und infrastrukturelle Verflechtungen festgestellt werden können (a.A. Verfürth in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl., § 16 Rdnr. 140). Ob derartige Verflechtungen oder auch eine abgestimmte Konzernstrategie im Einzelfall existieren, kann die Vergabestelle, die im Regelfall keine spezifischen Kenntnisse über Unternehmensinterna hat, weder anhand des Inhalts der Angebote noch sonstiger allgemein zugänglicher Informationen erkennen und beurteilen. Maßgeblich ist vielmehr, dass bei der Angebotslegung durch verbundene Unternehmen allein im Hinblick auf die zwischen ihnen durch die Konzernverbundenheit bestehenden möglichen Schnittstellen und Berührungspunkte eine im Vergleich zur Angebotslegung voneinander vollkommen unabhängiger Unternehmen objektiv erhöhte Gefahr von Verstößen gegen den Geheimhaltungswettbewerb durch abgestimmtes Verhalten besteht. Ein Ausschluss der Angebote verbundener Unternehmen ist somit nicht erst dann gerechtfertigt, wenn der sichere Nachweis eines Wettbewerbsverstoßes durch den Auftraggeber erbracht ist. Vielmehr obliegt die Widerlegung dieser Vermutung den betreffenden Unternehmen. Abweichend von der üblichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast haben sie diejenigen Umstände und Vorkehrungen aufzuzeigen und nachzuweisen, die die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung gewährleisten. Der Grundsatz, dass der Auftraggeber den zum Angebotsausschluss führenden Sachverhalt sicher festzustellen und gegebenenfalls nachzuweisen hat, kann in der streitgegenständlichen Konstellation keine Geltung beanspruchen. Die Umstände und Vorkehrungen, die die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung trotz der Verbundenheit gewährleisten sollen, stammen ausschließlich aus der Sphäre und dem Verantwortungsbereich der betroffenen Unternehmen, so dass es geboten ist, ihnen die Darlegung und den Nachweis aufzubürden, dass infolge besonderer von ihnen veranlasster Umstände das Verhältnis der Unternehmen den Inhalt der Angebote nicht beeinflusst hat.

Im Streitfall ist die gegen die Beigeladenen wirkende Vermutung nicht erfolgreich widerlegt. Dass sie ihre Geschäftspolitik und entsprechende organisatorische Maßnahmen die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit bei der Erstellung und Ausarbeitung von Angeboten sichergestellt haben, steht nicht fest. Die Antragsgegnerin hat eine unstreitige Durchbrechung der gegenseitigen Geheimhaltung zwischen den Beigeladenen zum Anlass genommen, deren Angebote doch noch wegen Verletzung des Geheimwettbewerbs auszuschließen. Damit steht fest, dass im November 2010 für die Beigeladenen die tatsächliche Möglichkeit bestand, über ein gemeinsam benutztes Laufwerk Kenntnis von Angebotskalkulationen des verbundenen Unternehmens zu erhalten. Dabei ist unerheblich, ob das Laufwerk versehentlich oder fahrlässig installiert bzw. nicht gegen Datenzugriff gesichert war. Maßgeblich ist, dass zu diesem Zeitpunkt keine hinreichenden technischen und organisatorischen Vorkehrungen - sog. "chinese walls" - bestanden, die die Vertraulichkeit der Angebotserstellung gewährleisteten. Dass sich die Sachlage zu dem früheren Zeitpunkt der Erstellung der Angebote in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren anders dargestellt hat, ist weder aus den Umständen erkennbar noch von der Antragsgegnerin vorgetragen worden.

Welche Bedeutung es hat, dass die beiden Unternehmen Kenntnis von den Preisen der gemeinsamen Einkäufe hatten, grundsätzlich über die Unternehmenspolitik des jeweils anderen Unternehmens orientiert waren und Kenntnis des jeweiligen Verkaufspreises jedenfalls nachträglich nach Zuschlagserteilung erhielten, bedarf daher keiner Entscheidung.

2.

a) Damit tragen nach § 128 Abs. 3 GWB die Antragsgegnerin und die Beigeladenen die Kosten der Vergabekammer als Gesamtschuldner.

Die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin haben die Antragstellerin und die Beigeladenen, die sich beide vor der Vergabekammer aktiv am Verfahren beteiligt haben, nach Kopfteilen zu tragen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.2011 - X ZB 4/10 - Rdnr. 75).

Die Entscheidung zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin beruht auf § 128 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG.

b) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs 1 S. 3 GWB) haben nach dem unter 1. Gesagten die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu tragen, und zwar gleichfalls nach Kopfteilen (vgl. BGH, a.a.O.).

III.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

Die für die Streitwertbemessung maßgebliche Bruttoauftragssumme, die das von der Antragstellerin mit dem Nachprüfungsverfahren verfolgte wirtschaftliche Interesse widerspiegelt, ergibt sich aus dem prognostizierten Umsatz für das Los 40.

Bei der Berechnung des Umsatzvolumens ist ein Zeitraum von insgesamt vier Jahren zugrundezulegen. Zusätzlich zu der zweijährigen Laufzeit des Vertrages ist in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 S. 1 VgV auch die in § 13 Abs. 2 der Vertragsbedingungen vorgesehene einseitige rechtsgeschäftliche Verlängerungsmöglichkeit der Laufzeit des Vertrages um zweimal ein Jahr durch die Antragsgegnerin in die Umsatzberechnung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschl. v. 17.01.2006, VII-Verg 63/05).

Der sich aus dem Angebot der Antragstellerin ergebende Betrag muss jedoch angesichts einer durchschnittlichen Umsetzungsquote von ca. 70 % (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.02.2009, L-11 WB 381/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.11.2010, L 21 SF 52/10) entsprechend reduziert werden.

Zudem ist bei Vergabeverfahren, bei denen mehrere Bieter als Zuschlagsempfänger vorgesehen sind, die Auftragssumme entsprechend der Anzahl der in Betracht kommenden Zuschlagsempfänger zu teilen, so dass auf die Antragstellerin lediglich ein Drittel der Auftragssumme entfällt.

Der Senat betont insoweit, dass die beabsichtigte Festsetzung des Streitwertes keine Stellungnahme zu dem Problem beinhaltet, ob in diesem Beschwerdeverfahren Gerichtskosten erhoben werden können.

Die Beschwerde ist - nach der damaligen Rechtslage zu Recht - vor dem Landessozialgericht eingelegt worden. Infolge des § 207 SGG, eingefügt durch Art. 2 Nr. 5 des Arzneimittelneuordnungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I .S. 2262,2271) ist das Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes auf das Oberlandesgericht übergegangen. Insoweit liegt eine seltene Ausnahme von dem Grundsatz vor, dass sich die Zulässigkeit des Rechtsweges nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Antrages richtet und nachträgliche Änderungen an der Zuständigkeit des zu Recht angerufenen Gerichts nichts ändern. Nach der Rechtsprechung des BSG (NZBau 2010, 777) fielen im vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht keine Gerichtskosten an. Ob in einem derartigen Fall hinsichtlich der Gerichtskosten Vertrauensschutz zu gewähren ist, ist unklar (vgl. auch Gabriel/Weiner, NZS 2010, 423). Denkbar wäre eine (analoge) Anwendung des § 71 Abs. 2 GKG. Gegebenenfalls wäre zu klären, ob - anders als noch BVerfGE 11, 139 angenommen hat - nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG zur unechten Rückwirkung (vgl. NJW 2010, 3629 ff.) jedenfalls für einen gewissen Zeitraum aus verfassungsrechtlichen Gründen Vertrauensschutz zu gewähren ist. Einer weiteren Stellungnahme enthält sich der Senat, weil zum einen zuvor der Justizfiskus angehört werden müsste und weil nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für etwaige Erinnerungen gegen Gerichtskostenfestsetzungen die Zuständigkeit des Senats nicht eindeutig ist.

Dicks Schüttpelz Frister






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 11.05.2011
Az: VII-Verg 1/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7c766966efba/OLG-Duesseldorf_Beschluss_vom_11-Mai-2011_Az_VII-Verg-1-11




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share