Verwaltungsgericht Minden:
Beschluss vom 9. Oktober 2007
Aktenzeichen: 1 K 287/06

(VG Minden: Beschluss v. 09.10.2007, Az.: 1 K 287/06)

Tenor

Auf Antrag vom 30.03.2007 wird ein nach § 55 Abs. 1 RVG aus der Landeskasse an den der Klägerin im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt B. S. zu zahlende Vergütungsvorschuss auf 636,23 EUR festgesetzt.

Der weiter gehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Der Klägerin wurde wegen eines Gegenstandswertes von 5.000,00 EUR mit Beschluss vom 23.03.2007 im 1. Rechtszug Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlungsbestimmungen unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. bewilligt.

Mit Schriftsatz vom 30.03.2007 beantragte der Prozessbevollmächtigte die Festsetzung eines nach §§ 45, 49 RVG mit 675,33 EUR berechneten PKH-Vergütungsvorschusses (bei einer nach §§ 13, 50 RVG errechneten Regelvergütung von 919,28 EUR) gegen die Landeskasse und erklärte:

Vorschüsse und sonstige Zahlungen (§ 58 RVG) habe ich nicht erhalten.

Für eine außergerichtliche Vertretung bzgl. desselben Gegenstandes habe ich eine Geschäftsgebühr gem. VV 2400-2403 nicht erhalten.

Der Antrag beinhaltet eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG.

Wegen desselben Gegenstandes vertrat der Prozessbevollmächtigte die Klägerin bereits im behördlichen Ausgangsverfahren. Auf die gerichtlichen Rückfragen zur Anrechnung der Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vom 10.04. und 29.08.2007 teilte er unter dem 05.09.2007 mit, dass er nicht beabsichtige der Klägerin für diese Tätigkeit eine Gebührennote zu berechnen. Er habe lediglich den Baugenehmigungsantrag weitergeleitet. Eine Berechnung hierfür sei nicht gerechtfertigt, weil diese Tätigkeit auf der Grundlage eines Beratungshilfeberechtigungsscheins hätte erfolgen können. Auf weitere gerichtliche Rückfrage vom 06.09.2007 vertrat er unter dem 17.09.2007 ferner die Ansicht, dass er für die einfache Übernahme eines Versendungsauftrags, ohne jegliche eigene rechtliche Tätigkeit, keinerlei Gebühren verlangen könne, zumal die Klägerin berechtigt gewesen wäre, Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen, was auf Grund seiner Rechtsauffassung jedoch nicht erfolgte. Wenn er seine Tätigkeit abrechnen würde, dann nach Nr. 2302 VV RVG mit einer 0,3 Gebühr für ein einfaches Schreiben.

Der Bezirksrevisor beim OVG Münster als Vertreter der Landeskasse erhob gegen die Vorschussabrechnung keine Einwände.

II. Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist eine 0,15 Gebühr von der Verfahrensgebühr (½ einer nach Nr. 2402 VV RVG a.F. berechneten Geschäftsgebühr für die Tätigkeit des beigeordneten Anwalts im behördlichen Baugenehmigungsverfahren) nebst anteiliger Umsatzsteuer abzusetzen - insgesamt 39,09 EUR.

Der Anwalt hat die Klägerin bereits im behördlichen Ausgangsverfahren vertreten. Mit Schriftsatz vom 28.11.2005 reichte er den Bauantrag nebst Grundstückspachtvertrag bei dem Beklagte ein und teilte unter Vorlage der Vollmacht mit, dass er die rechtlichen Interessen der Klägerin vertrete. Nach Eingang des an ihn gerichtete Anhörungsschreibens des Beklagten vom 29.12.2005 bat er mit Schriftsatz vom 04.01.2006 um einen Ablehnungsbescheid. Seine Tätigkeit in diesem Zusammenhang war nach eigenen Angaben nur geringfügig und ist nicht im Rahmen von Beratungshilfe erfolgt. Aufgrund der finanziellen Verhältnisse der Klägerin ist zudem fraglich, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorlagen. Entgegen der Ansicht des Anwalts ist diese Tätigkeit grundsätzlich entgeltpflichtig und mit einer 0,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2402 VV RVG a.F. - nunmehr Nr. 2302 VV RVG - glaubhaft und nach Aktenlage ausreichend bemessen.

Die Vergütung des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalts bestimmt sich nach §§ 2, 13, 45, 48, 49 RVG.

Die Höhe der anwaltlichen Vergütung ist im allgemeine Teil des RVG geregelt. Sie bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (VV RVG). Dies gilt nach § 45 Abs. 1 RVG auch für die Vergütung des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt.

Nach Nr. 3100 VV RVG entsteht für die Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren eine 1,3 Verfahrensgebühr.

Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 bis 2403 VV RVG a.F. nunmehr 2300 bis 2303 VV RVG entstanden ist, ist diese nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen.

Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz enthält keine Bestimmung, nach der diese Anrechnung zu unterbleiben hat, wenn für das gerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde - vgl. VGH München, Beschluss vom 09.05.2006 - 12 C 06.65- , juris.

Die Höhe der tatsächlich erstattungsfähigen Verfahrensgebühr hängt demnach von der Höhe der nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnenden Geschäftsgebühr ab und ist daher nach §§ 55 Abs. 5 RVG, 104 Abs. 2 S. 1 ZPO glaubhaft zu machen - vgl. BGH, Beschluss vom 04.04.2007 - III ZB 79/06 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 20.07.2007 in AN 9 M 07.00439 sowie VG Minden, Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 09.11.2005 in 7 L 382/05, vom 01.08.2007 in 8 K 3544/06, juris [bestätigt durch Beschluss vom 06.09.2007, juris (noch nicht bestandskräftig)]; und vom 03.08.2007 in 9 K 1968/06.A, juris (bestätigt durch Beschluss vom 02.10.2007).

Zwar sind nach § 58 Abs. 2 RVG Vorschüsse und Zahlungen in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses bestimmen, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen sind, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 besteht. Derartige Vorschüsse und Zahlungen hat der beigeordnete Anwalt im vorliegenden Verfahren jedoch nach seinen Angaben nicht erhalten.

Auch hat er keine Zahlungen für die gebührenrechtlich selbstständig in Teil 2 des VV RVG geregelte Vertretung im behördlichen Verfahren - vgl. § 17 Nr. 1 RVG erhalten.

Darauf, ob der Prozessbevollmächtigte die wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat, kommt es für die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG allerdings nicht an. Denn § 58 RVG ist für die Anrechnung der im behördlichen Ausgangsverfahren entstandenen Ansprüche auf die Geschäftsgebühr nicht einschlägig - vgl. Gerold/Schmidt/ v.Eicken/Madert/ Müller-Rabe, Kommentar zum RVG, 17. Auflage, Anmerkung 13 zu § 58 sowie Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, Anmerkung 14 zu § 58 RVG. Maßgeblich ist nach dem Wortlaut dieser Vorschrift allein ob die anzurechnende Gebühr "entstanden ist"

a.A. VG Minden, Beschluss vom 26.08.2005 - 8 K 3648/04 unter Hinweis auf Enders, Anrechnung der Geschäftsgebühr bei Prozesskostenhilfe im nachfolgenden Rechtsstreit in: Das Juristische Büro 2005, 281 (282).

Ein im Einzelfall nach § 49 b Abs. 1 BRAO zulässige Verzicht des Anwalts auf eine Abrechnung der entstandenen Geschäftsgebühr hat daher keinen Einfluss auf die vorzunehmende Anrechnung.

Erst im Anschluss an die Gebührensatzermittlung erfolgt bei Wertgebühren die Bestimmung des Betrags der Gebühr für den Wahlanwalt nach § 13 RVG bzw. für den im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nach §§ 13, 45 Abs. 1, 49 RVG

a.A. VGH München, Beschluss vom 09.05.2006 - 12 C 06.65- , juris. Danach soll die nach § 13 RVG berechnete Geschäftsgebühr auf die nach §§ 13, 45. Abs. 1, 49 RVG berechnete Verfahrensgebühr betragsmäßig angerechnet werden, mit der Folge, dass sich bei höheren Gegenstandswerten ein negativer Betrag errechnet.






VG Minden:
Beschluss v. 09.10.2007
Az: 1 K 287/06


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