Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 7. November 2006
Aktenzeichen: 8 W 388/06

(OLG Stuttgart: Beschluss v. 07.11.2006, Az.: 8 W 388/06)

Tenor

1. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ellwangen vom 21.08.2006 wird

zurückgewiesen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen und dem Beschwerdegegner dessen außergerichtliche Kosten im Rechtsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

3. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 30.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsgegner gehört seit mehreren Jahren dem Aufsichtsrat der C. AG an. Er ist eines der drei von den Arbeitnehmern gewählten Mitglieder. Er ist außerdem Mitglied des Betriebsrats, des Wirtschaftsausschusses und des bei der S. AG gebildeten Konzernbetriebsrats.

Mit Schriftsatz vom 12.01.2006 hat der Aufsichtsrat gemäß § 103 Abs. 3 AktG Antrag auf gerichtliche Abberufung des Antragsgegners gestellt. Den in der Person des Antragsgegners begründeten wichtigen Grund für die Abberufung sah der Antragsteller darin, dass der Antragsgegner in außerordentlicher und nicht mehr akzeptabler Weise seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied grob verletzt habe. Durch die unbefugte und gesetzeswidrige Weitergabe streng vertraulicher Informationen, die er als Mitglied des Aufsichtsrats erhalten habe, an den Betriebsrat der C. AG habe der Antragsgegner in eklatanter Weise gegen die Interessen der Gesellschaft gehandelt und sei dadurch für diese unzumutbar geworden. Die Weitergabe von Informationen, insbesondere aus der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung vom 19.10.2005, über das streng vertraulich behandelte Projekt F. in der Betriebsratssitzung vom 25.10.2005 ergebe sich aus Erklärungen anderer Betriebsratsmitglieder gegenüber der Unternehmensleitung, deren Richtigkeit sie an Eides Statt versichert hätten.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten mit dem Einwand, dass er nur Informationen weitergegeben habe, die dem Betriebsrat und der Betriebsöffentlichkeit bereits von der Geschäftsleitung bei Betriebsversammlungen der S. AG und ihrer von dem Projekt F.I betroffenen Tochter N. GmbH bzw. Sitzungen des Wirtschaftsausschusses der N.S GmbH bekannt gemacht worden seien. Bereits aus diesen Informationen habe der kundige und interessierte Zuhörer seine Schlussfolgerungen ziehen können. Auch er habe auf der Betriebsratssitzung nur bekannte und von der Firmenleitung verbreitete Tatsachen geäußert und aus diesen seine eigenen Schlüsse gezogen. Er habe das Recht und die Pflicht gehabt, eigenverantwortlich zu beurteilen, was als Geschäftsgeheimnis oder vertrauliche Angabe der Geheimhaltung bedurfte. Diese Pflicht habe er verantwortungsbewusst erfüllt. Angesichts der Befugnis zur Beurteilung der Geheimhaltungspflichten in eigener Verantwortung könne es nicht als Vertrauensbruch gewertet werden, wenn sich ein Aufsichtsratsmitglied über die Rechtsmeinung des Aufsichtsratsvorsitzenden oder der Aufsichtsratsmehrheit hinwegsetze und Informationen verbreite, die nach objektiver Beurteilung keiner Geheimhaltungspflicht unterlägen. Es könne nicht als Grundlage vertrauensvoller Zusammenarbeit verlangt werden, dass auf die Ausübung bloß angemaßter Beurteilungskompetenzen Rücksicht genommen werde. Durch seine Äußerungen im Betriebsrat am 25.10.2005 habe er keine Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, offenbart. Solche seien nach allgemeiner Auffassung nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannte und nicht offenkundige Tatsachen, die nach dem Willen des Unternehmens geheim gehalten werden sollen und an deren Geheimhaltung objektiv ein berechtigtes Interesse des Unternehmens bestehe. Ein solches sei nur dann anzuerkennen, wenn die Weitergabe der Informationen dem Unternehmen einen ins Gewicht fallenden materiellen Schaden mit einiger Wahrscheinlichkeit zufügen wird. Da er die verwendeten Informationen auch in seiner Eigenschaft als Betriebsrat der S. AG, Konzernbetriebsrat und Mitglied des Wirtschaftsausschusses der S. AG erfahren habe, habe er sie frei mit den Betriebsratskollegen erörtern können.

Mit Beschluss vom 24.03.2006 hat das Amtsgericht - Registergericht - den Antragsgegner als Aufsichtsratsmitglied abberufen. Es sah einen wichtigen Grund in der Person des Antragsgegners durch die Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Aufsichtsrat gegeben.

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat die Kammer für Handelssachen des Landgerichts mit Beschluss vom 21.08.2006 zurückgewiesen. Auch das Landgericht bejahte eine gravierende Pflichtverletzung des Antragsgegners durch die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht und sah darin einen wichtigen Grund für seine Abberufung.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich der Antragsgegner mit der sofortigen weiteren Beschwerde. Mit dieser rügt er, dass der angefochtene Beschluss dem zu beurteilenden Lebenssachverhalt nicht gerecht werde. Das Landgericht lasse bei seiner Beurteilung nämlich die Komplexität des zu beurteilenden Sachverhalts und die Einbindung des Antragsgegners in die vielfältigen Funktionen, die untereinander verwoben seien und sich auf unterschiedlichen rechtlichen Ebenen bewegten, außer Betracht. Damit werde der Umstand nicht genügend berücksichtigt, dass der Antragsgegner nicht nur aus den Aufsichtsratssitzungen Informationen zu dem Projekt F. gehabt habe, sondern aus seinen unterschiedlichen Funktionen. Nur wenn er ausschließlich aus Aufsichtsratssitzungen bekannte Tatsachen dem Betriebsrat in der Sitzung vom 25.10.2005 mitgeteilt hätte, könnte ernsthaft über die grob pflichtwidrige Verletzung des Verschwiegenheitsgebots nachgedacht werden. Das Landgericht habe sich auch nicht mit seinem detaillierten Vortrag auseinander gesetzt, welche Informationen von der Geschäftsleitung zu dem Projekt F. bereits in anderen Gremien gegeben worden seien. Teilweise sei es überhaupt von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

Der Antragsteller ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die angefochtenen Entscheidungen sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig (§ 103 Abs. 3 S. 4 AktG, §§ 27, 29 Abs. 1 u. 2 FGG). Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet.

Mit der sofortigen weiteren Beschwerde (Rechtsbeschwerde) kann nur eine Rechtsverletzung durch das Beschwerdegericht geltend gemacht werden (§ 27 Abs. 1 FGG). Eine Rechtsverletzung bei der Anwendung des materiellen Rechts liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet wurde. Dies ist der Fall bei einem Interpretationsfehler (die Tatbestandsmerkmale einer Norm sind nicht richtig erkannt), einem Subsumtionsfehler (der festgestellte Sachverhalt erfüllt die Tatbestandsmerkmale der angewendeten Norm nicht oder erfüllt die einer nicht angewendeten Norm) und einem Gültigkeitsirrtum (irrtümlich wird die angewendete Norm für gültig oder eine nicht angewendete für ungültig gehalten). Eine Rechtsverletzung liegt auch in der fehlerhaften Anwendung von Verfahrensvorschriften. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Grundsätze wird auf die Darstellung bei Meyer/Holz in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 21 verwiesen. Ein an diesen Maßstäben gemessener Rechtsfehler des Landgerichts ist nicht festzustellen.

Der in § 103 Abs. 3 S. 1 als Voraussetzung für die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds aufgeführte wichtige Grund stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Dies bedeutet, dass die Tatbestandsmerkmale der Norm auf Grund einer wertenden Beurteilung der vom Tatrichter festzustellenden Tatumstände auszufüllen sind. Bei Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffs hat also das Gericht der weiteren Beschwerde die Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter das Gesetz nachzuprüfen, wobei die vom Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachen bindend, ihre Bewertung im Hinblick auf die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs aber nachprüfbar ist. Es ist darauf abzustellen, ob der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff zutreffend erfasst und ausgelegt, d. h. insbesondere, die dem Begriff zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe erkannt hat, und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt sind (Keidel/Kuntze/Meyer-Holz, a.a.O., § 27 Rn. 27).

a) Der Beschwerdeführer wirft dem Landgericht mit der weiteren Beschwerde vor, dass dieses den von ihm vorgetragenen Sachverhalt in seiner Komplexität nicht richtig gewürdigt habe, weshalb es fälschlicherweise zu dem Schluss gekommen sei, das Registergericht habe zutreffend das Vorliegen eines in seiner Person begründeten wichtigen Grundes für seine Abberufung aus dem Aufsichtsrat bejaht.

Die Überprüfung des Senats hat diese Beanstandung nicht bestätigt. Zwar ist das Landgericht in den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht im Detail darauf eingegangen, in welcher Versammlung welche Äußerungen zur Betriebsentwicklung gefallen sind und in welcher Funktion der Beschwerdeführer welche Informationen erhalten hat. Es kann jedoch festgestellt werden, dass das Landgericht sich mit dem vom Beschwerdeführer dargestellten Sachverhalt auseinander gesetzt hat, diesen geprüft und bewertet hat. Es musste nicht notwendigerweise in der Begründung des Beschlusses auf die Einzelheiten des Parteivortrags eingehen, es muss nur feststellbar sein, dass das Landgericht den Parteivortrag zur Kenntnis genommen und ihn in seine rechtliche Würdigung einbezogen hat. Ansonsten läge eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

Das Landgericht ist hier unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nachvollziehbar zu dem Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer gegen das im Aufsichtsrat besprochene Gebot der Verschwiegenheit über sensible Vorgänge verstoßen und wegen der Verletzung der Vertraulichkeit der im Aufsichtsrat erhaltenen Informationen ein Verbleib des Beschwerdeführers in dem Aufsichtsrat bis zum Ablauf seiner Amtszeit unzumutbar ist. Dass Verhandlungen über eine Firmenübernahme, jedenfalls in ihren Einzelheiten, einer vertraulichen Behandlung bedürfen, kann unschwer nachvollzogen werden. Es ist zwar richtig, dass über solche Vorhaben sehr schnell Gerüchte in einer Firma im Umlauf sind, und es ist auch zutreffend, dass im vorliegenden Fall von Seiten der Geschäftsleitung Äußerungen getan worden sind, die möglicherweise Schlussfolgerungen auf die künftige Firmenpolitik zulassen, wobei der Beschwerdeführer selbst ausgeführt hat, dass die Ausführungen des Vorstands in den Betriebsversammlungen vom 26.04. und 09.05. als Vision dargestellt wurden. Demgegenüber enthielten die Äußerungen des Beschwerdeführers, wie sie von den Betriebsratsmitgliedern H., Dr. K. und He., unter Versicherung der Richtigkeit der Angaben unter Eides Statt, wiedergegeben wurden, Hinweise, die, insbesondere auf Grund des zeitlichen Zusammenhangs mit der Aufsichtsratssitzung vom 19. Oktober 2005, Schlussfolgerungen auf konkrete Verhandlungen zuließen. Das Projekt F. war in ein Stadium gelangt, in dem bereits über Finanzierungskonzepte hinsichtlich einer konkret ins Auge gefassten Firmenübernahme gesprochen wurde. Der Beschwerdeführer stellte seine Informationen gegenüber dem Betriebsrat in der Versammlung vom 25.10.2005 in Zusammenhang mit der Aufsichtsratssitzung. Damit verlieh er seinen Äußerungen ein Gewicht, das Gerüchte bzw. auch Andeutungen des Vorstands, die zuvor in einem noch nicht konkretisierten Stadium ergangen waren, nicht haben konnten. Nur als Aufsichtsratsmitglied hatte der Beschwerdeführer den konkreten Informationsstand erlangt, nicht aber als Mitglied des Betriebsrats bzw. des Wirtschaftsausschusses.

b) Auch die Schlussfolgerung des Landgerichts, dass aus dem Hinweis des Beschwerdeführers in der Betriebsratsversammlung, dass die Informationen vertraulich seien und nicht in das Protokoll aufgenommen werden sollten, der Schluss gezogen werden könne, dem Beschwerdeführer sei sehr wohl bewusst gewesen, dass er gegen seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verstoße, ist nicht zu beanstanden. Dies hatte im Hinblick darauf, dass auch die Betriebsräte ohnehin zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, nur dann Sinn, wenn er davon ausging, eben gerade Informationen weitergegeben zu haben, die nicht bereits - zumindest innerhalb des Betriebsrats - bekannt waren. Dasselbe gilt für die von ihm als eigene Schlussfolgerungen bezeichneten Äußerungen. Diesen Schlussfolgerungen kam - wie oben ausgeführt - im Hinblick auf seinen aktuellen Informationsstand ein über bloße Folgerungen hinausgehendes Gewicht zu.

c) Es stand dem Beschwerdeführer darüber hinaus nicht zu, selbst darüber zu entscheiden, welche Informationen das Projekt F. betreffend als vertraulich anzusehen seien und welche nicht. Entscheidend ist vielmehr die objektiv am Interesse der Aktiengesellschaft und ihres Unternehmens ausgerichtete Beurteilung, nach der die Weitergabe der Information nachteilig sein kann, auch wenn sie kein Geheimnis (mehr) ist. Geheimnisse der Gesellschaft sind Tatsachen, die nicht offenkundig sind und nach geäußertem oder aus Geschäftsinteresse ableitbarem mutmaßlichem Willen der Aktiengesellschaft auch nicht offenkundig werden sollen, sofern ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis besteht (Hüffer, Aktiengesetz, 7. Aufl., § 93 Rn. 7; MünchKomm, AktG/Semler, 2. Aufl., § 116 Rn. 464 f). Das Gebot der Verschwiegenheit verbietet dabei nicht nur klare Aussagen eines Aufsichtsratsmitglieds zu vertraulichen Vorgängen, es gilt auch für vage Andeutungen, aus denen sich der Inhalt des vertraulichen Vorgangs ableiten lässt. Die Einbindung des Beschwerdeführers in den Betriebsrat rechtfertigt keinen Bruch der Vertraulichkeit. Es gibt keine gespaltene Vertraulichkeit (Hüffer a.a.O., § 116 Rn. 7, MünchKomm, Semler a.a.O., § 116 Rn. 475, 476).

Unter diesen Umständen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht aus den gesamten, von beiden Beteiligten umfassend dargestellten Vorgängen eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht des Beschwerdeführers herleitet, der seinen Verbleib im Aufsichtsrat unzumutbar macht.III.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten im Rechtsbeschwerdeverfahren zu erstatten. Bezüglich des Geschäftswerts der weiteren Beschwerde folgt der Senat der von den Beteiligten nicht angegriffenen Festsetzung der Vorinstanzen.






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