Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. Juni 2001
Aktenzeichen: 8 W (pat) 80/98

(BPatG: Beschluss v. 28.06.2001, Az.: 8 W (pat) 80/98)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Nach Prüfung eines Einspruchs hat die Patentabteilung 25 des Patentamts das unter der Bezeichnung "Dreischichtige Baustoffplatte auf Gipsbasis und Verfahren zur Herstellung" erteilte Patent 42 22 872 (Anmeldetag: 11. Juli 1992; die Priorität einer deutschen Voranmeldung vom 9. August 1991 war in Anspruch genommen worden) mit Beschluß vom 15. September 1998 in vollem Umfang aufrechterhalten.

Zum Stand der Technik waren im Prüfungs- und Einspruchsverfahren die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen worden:

E1: DE 35 23 115 C 2 E2: DE 36 04 388 A 1 E3: DE 26 49 300 A 1 E4: EP 01 53 588 A 1 E5: DE 17 84 657A 1 E6: DE 27 51 473 A1 E7: DE 41 14 911 A1 ("ältere Anmeldung")

E8: DE 34 39 493 A1 E9: EP 0 415 184 B1 (diese Druckschrift ist als Patent-

schrift nachveröffentlicht; die entsprechende Offenlegungs-

schrift 0 415 184 A2 ist jedoch vorveröffentlicht).

Gegen den Aufrechterhaltungsbeschluß hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.

Sie führt in der mündlichen Verhandlung aus, daß es dem Patentgegenstand vor dem Hintergrund des Standes der Technik nach der DE 35 23 115 C2 (E1) und der EP 415 184 A2 (E9) bzw. der DE 36 04 386 A1 (E2) und der DE 17 84 657 A 1 (E5) an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit mangele.

Die Einsprechende beantragt, den Beschluß der Patentabteilung 25 des Patentamts vom 15. September 1998 aufzuheben und das Patent 42 22 872 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin widerspricht dem Vorbringen der Einsprechenden und verteidigt das Streitpatent weiterhin im Umfang der erteilten Unterlagen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Streitpatentschrift lautet:

"Dreischichtige Baustoffplatte auf Gipsbasis, die als Wandplatte oder Deckenplatte einsetzbar ist, bestehend auseiner unteren Deckschicht, hergestellt aus einer Gipsbindemittel/Faser-Mischung mit einem Faseranteil von 10 bis 25 Gew.-%, einer Mittelschicht, hergestellt aus einer faserreichen Gipsbindemittel/Faser-Mischung mit einem Faseranteil von 35 bis 60 Gew.-%, einer oberen Deckschicht, hergestellt aus einer Gipsbindemittel/Faser-Mischung mit einem Faseranteil von 10 bis 25 Gew.-%, wobei die Baustoffplatte im Schnitt eine Verdichtungsstruktur aufweist, die der gleichzeitigen Verdichtung aller drei Schichten entspricht, wobei zumindest die Mittelschicht unter der Wirkung ihrer als porenbildende Federn funktionierenden Fasern aufgefedert ist."

Die nachgeordneten Ansprüche 2 bis 5 sind auf Merkmale gerichtet, mit denen eine Baustoffplatte nach Anspruch 1 weitergebildet werden soll, während die Ansprüche 6 bis 10 ein Verfahren zur Herstellung von Baustoffplatten nach Anspruch 1 kennzeichnen.

Für weitere Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. In der Sache ist sie jedoch nicht begründet.

Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentbegründende Erfindung iSd PatG § 1 bis § 5 dar.

1. Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist unbestritten neu.

Durch die deutsche Offenlegungsschrift 17 84 657 (E5) ist eine dreischichtige Baustoffplatte bekannt geworden (S 12, Beispiel 4) von der sich die patentgemäße Baustoffplatte durch ihren höheren Faseranteil in der Mittelschicht sowie durch den aufgefederten Zustand der Mittelschicht unter der Wirkung der Fasern unterscheidet.

Von der mehrschichtigen Gips-Faserplatte nach der DE 36 04 388 A1 (E2) sowie der DE 35 23 115 C2 (E1) unterscheidet sich die patentgemäße Baustoffplatte jeweils dadurch, daß ihre Mittelschicht unter Faserwirkung aufgefedert ist, während die Span- und Faserplatten nach der EP 0 415 184 A2 (E9) anders als die patentgemäße Baustoffplatte lediglich einschichtig aufgebaut sind.

Auf die übrigen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen ist in der mündlichen Verhandlung nicht mehr eingegangen worden. Auch sie können die Neuheit des Patentgegenstandes nicht in Frage stellen, da sie entweder keine mehrschichtig aufgebauten Platten zum Gegenstand haben (DE 41 14 911 A1, ältere Anmeldung; DE 26 49 300 A1; DE 27 51 473 A1) oder aber mehrschichtige Platten beschreiben, bei denen ein Auffedern einzelner Schichten ausdrücklich nicht zugelassen und einem derartigen Effekt entgegengewirkt wird (DE 34 39 493 A1, EP 0 153 588 A1).

2. Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Das Wesen des Patentgegenstandes nach Anspruch 1 besteht darin, bei einer dreischichtigen Baustoffplatte auf Gipsbasis die Mittelschicht aus einer faserreicheren Gipsbindemittel/Faser-Mischung herzustellen als die obere und untere Deckschicht, wobei zumindest die Mittelschicht unter der Wirkung ihrer als porenbildende Federn funktionierenden Fasern aufgefedert ist. Dies bedeutet, daß durch die Angabe bestimmter Mischungsverhältnisse in den einzelnen Schichten, nämlich einem Faseranteil in der Gipsbindemittel/Faser-Mischung von 10 bis 25 Gew.-% bei der oberen bzw unteren Deckschicht und einem Faseranteil von 35 bis 60 Gew.% in der Mittelschicht, ein Auffedern zumindest der Mittelschicht unter der Faserwirkung Teil des Produktionsvorganges und mithin auch des Endproduktes ist und dort bewußt zugelassen wird. Dies führt zu einer Baustoffplatte mit höherer Dichte in den Deckschichten und damit einer hohen mechanischen Belastbarkeit infolge der Festigkeit der Außenschichten, während die Mittelschicht eine um so geringere Dichte aufweist, die damit die Gesamtdichte der Baustoffplatte reduziert (vgl Streitpatentschrift Sp 1, Z 44 bis 52 und Sp 2, Z 31 bis 54).

Zu einem derartigen technischen Handeln konnte der im Verfahren befindliche Stand der Technik einen Fachmann - einen in der Herstellung von Baustoffplatten erfahrenen Fertigungstechniker - nicht anregen.

Der nächstkommende Stand der Technik hinsichtlich der patentgemäßen dreischichtigen Baustoffplatte nach Patentanspruch 1 wird durch die DE 17 84 657 A1 (E5) gebildet. Diese Entgegenhaltung offenbart ua eine dreischichtige Baustoffplatte auf Gipsbasis (S 13, Beispiel 4), deren untere und obere Deckschicht aus einer Gipsbindemittel/Fasermischung von 9:1, also 10 Gew.% Faseranteil, wie im unteren Grenzwert des Anspruchs 1 nach Streitpatent, besteht und deren Mittelschicht einen höheren Faseranteil als die Deckschicht aufweist, der allerdings bei 3:1, also 25 Gew.%, und damit weit unter dem angegebenen Bereich im Streitpatent liegt. Bei der Baustoffplatte nach der E5 mag sich zwar im Schnitt ebenfalls eine Verdichtungsstruktur einstellen, die der Verdichtung aller drei Schichten entspricht. Jedoch ist von einem Auffedern der Mittelschicht (nach der Verdichtung) nicht die Rede. Auch wenn auf Seite 12 im letzten Absatz viele Faktoren zur Eigenschafts-Veränderung des Endproduktes genannt sind, also zB Zusätze zum Gips, Vorbehandlung der Fasern, Zusätze im Abbindewasser, beliebig hohe Faseranteile und Verdichtungsdrücke, lassen diese für einen Fachmann eine bewußt zugelassene Auffederung bedingt durch einen ausreichend hoch angesetzten Faseranteil als positive Lehre nicht erkennen. Somit vermag diese Entgegenhaltung die patentgemäße Lehre für sich genommen nicht nahezulegen, zumal gemäß Seite 13, 2. Absatz noch ausgeführt wird, daß das hier beschriebene Produkt hohe Festigkeit und Steifigkeit sowie geringen Porenhohlraum aufweisen soll, was einen Fachmann von einer Ausnutzung evtl. vorhandener Rückstellkräfte der Fasern wegführt.

Auch in einer Zusammenschau mit der Lehre gemäß der DE 36 04 388 A1 (E2) kann der Patentgegenstand - anders als die Einsprechende vorträgt - einem Fachmann nicht nahegelegt werden, weil dort zwar eine dreischichtig aufgebaute Baustoffplatte aus Gips und Faserstoff beschrieben wird, deren Mischung für die Mittelschicht jedoch den Zuschlagstoff Perlite enthält, welcher gemäß Sp 3, Z 15 bis 19 der Entgegenhaltung verhindern soll, daß Rückstellkräfte nach dem Verpressen der Platte auftreten. Daher führt auch diese Entgegenhaltung den Fachmann von der bewußten Ausnutzung evtl. vorhandener Rückstellkräfte nach dem Preßvorgang weg, weil die Zuschlagstoffe für die Mittelschicht derart gewählt werden, daß dieser Effekt gerade nicht auftritt.

Auch die weitere, von der Einsprechenden noch herangezogene Kombination der Lehren zweier Entgegenhaltungen, nämlich der DE 35 23 115 C2 (E1) und der EP 0 415 184 A2 (E9) vermag den Gegenstand nach Anspruch 1 des Streitpatents nicht nahzulegen.

Durch die DE 35 23 115 C2 (E1) wird ua eine dreischichtig aufgebaute Gips-Faserplatte offenbart, bei der zB gemäß Anspruch 5 der E1 die mittlere Schicht einen geringeren und die Deckschichten einen höheren Gipsanteil aufweisen. Dadurch wird zwar erreicht, daß der relative Faseranteil in der Mittelschicht gegenüber dem der beiden Deckschichten zunimmt, was gemäß S 2, Z 35 bis 39 der E1 dazu führt, daß die zentrale Schicht eine höhere Flexibilität aufweist als die durch den höheren Gipsanteil wesentlich härteren Deckschichten. Durch die Steuerung des Gipsanteils werden nach der Lehre dieser Entgegenhaltung zwar unterschiedliche Härten der Schichten erzeugt. Die patentgemäßen Faseranteile werden jedoch nicht angegeben. Der Effekt des möglichen Auffederns wird ferner hier nicht beschrieben und noch viel weniger dessen bewußte Nutzung im Rahmen eines Produktionsprozesses bzw als spätere Eigenschaft eines Endproduktes, so daß die patentgemäß vorgeschlagenen Mischungsverhältnisse sowie zumindest eine aufgefederte Mittelschicht dem Fachmann durch die E1 nicht nahegelegt werden konnte.

Die hierzu noch herangezogene EP 0 415 184 A2 (E9) beschreibt lediglich ein Herstellungsverfahren für Formkörper aus anorganisch gebundenen Werkstoffen, insbesondere für Span- oder Faserplatten, die jedoch keinen mehrsichtigen Aufbau aufweisen. Dabei werden zwar Rückstellkräfte des Materialstranges beschrieben (Sp 2, Z 15 bis 47; Anspruch 1), die jedoch durch nachgeschaltete Wiederverdichtungeinrichtungen (Sp 2, Z 27 bis 35) sofort wieder minimiert und abgebaut werden sollen, um hohe Formlingrohdichten zu erreichen, was wiederum von der patentgemäßen Lösung wegführt.

Gemäß einer Alternativlösung zB im Anspruch 1 dieser Entgegenhaltung soll ferner die Rückfederung nur insoweit aufgehoben worden, als die Dicke des Werkstoffstranges der späteren Solldicke der Platte entspricht. Eine derartige Maßnahme lehrt im Kontext der Entgegenhaltung ebenfalls vorrangig die Bekämpfung der Rückstellkräfte des Plattenmaterials, welche im Zuge der Optimierung des Herstellungsverfahrens jedoch lediglich soweit durchgeführt werden soll, wie es zur Erlangung der angestrebten Sollstärke des Plattenmaterials im Endprodukt erforderlich ist. Demgemäß gibt diese Entgegenhaltung keine Fasermischungen an, die geeignet wären in jedem Falle Rückstellkräfte zu erzeugen, und lehrt auch nicht, solchermaßen gezielt erzeugte Kräfte als festen Parameter eines Produktionsprozesses zu nutzen. Über eine entsprechende Verdichtungsstruktur wie sie sich bei einer Mehrschichtplatte einstellen muß, kann die auf die Herstellung einschichtiger Platten gerichtete Entgegenhaltung naturgemäß ebenfalls keine Auskunft geben. Nach alledem konnte einem Fachmann der Gegenstand nach Anspruch 1 auch unter Hinzunahme der Lehre nach der E9 nicht nahegelegt werden.

Hinweise zum Auffinden der patentgemäßen Lehre konnten auch die übrigen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen - soweit diese zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehen sind (die DE 41 14 911 A1 ist eine "ältere Anmeldung") - nicht vermitteln. Wie bereits aus dem Neuheitsvergleich ersichtlich, beziehen diese sich entweder auf einschichtig aufgebaute Platten, bei denen ein Auftreten von Rückstellkräften nicht beschrieben ist, oder auf mehrschichtige Platten, bei denen ein Auffedern ausdrücklich nicht zugelassen werden soll.

Der Patentanspruch 1 des angefochtenen Patents hat somit Bestand. Gleiches gilt auch für die auf den Hauptanspruch unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Ansprüche 2 bis 10, die auf Merkmale zur weiteren Ausgestaltung der Baustoffplatte nach Anspruch 1 gerichtet sind (Ansprüche 2 bis 5) bzw ein Verfahren zur Herstellung von Baustoffplatten nach einem der Ansprüche 1 bis 5 und dessen weitere Ausgestaltung zum Gegenstand haben (Ansprüche 6 bis 10). Der auf ein Herstellungsverfahren von Baustoffplatten nach Anspruch 1 bis 5 gerichtete Anspruch 6 ist ferner auch deshalb zusammen mit den ihm folgenden Ansprüchen 7 bis 10 bestandsfähig, weil keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen ein gezieltes Auffedern zumindest der Mittelschicht bedingt durch einen bestimmten Faseranteil vor Abschluß der Hydratation des Bindemittels nahelegen kann.

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