Landgericht Kleve:
Beschluss vom 20. Oktober 2014
Aktenzeichen: 4 T 429/14, 4 T 436/1

(LG Kleve: Beschluss v. 20.10.2014, Az.: 4 T 429/14, 4 T 436/1)

War ein Rechtsanwalt im Betreuungsverfahren zum Verfahrenspfleger für einen Betroffenen bestellt, kann er jedenfalls dann nicht zum Betreuer dieses Betroffenen bestellt werden, wenn das dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht.

Tenor

Auf die Beschwerden der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 10.04.2014 teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:

Der Beteiligte zu 1.) wird als Betreuer entlassen.

Anstelle des Beteiligten zu 1.) wird Rechtsanwältin T zur Berufsbetreuerin der Betroffenen bestellt.

Der Aufgabenkreis der Betreuerin umfasst die Gesundheitsfürsorge, die Aufenthaltsbestimmung sowie die Vermögenssorge.

Die Betroffene bedarf zur Wirksamkeit von Rechtsgeschäften im Bereich der Vermögenssorge der Zustimmung der Betreuerin.

Das Betreuungsgericht wird spätestens bis zum 10.04.2021 erneut prüfen, ob die Hilfe durch Betreuung weiter erforderlich ist.

Das Betreuungsgericht wird spätestens bis zum 10.04.2021 erneut prüfen, ob der angeordnete Einwilligungsvorbehalt weiter erforderlich ist.

Die Entscheidung ist sofort wirksam.

Die weitergehenden Beschwerden werden zurückgewiesen.

Die Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei. Die Hälfte der Auslagen der Betroffenen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Beschwerdeverfahren 4 T 436/14 erforderlich waren, werden der Staatskasse auferlegt. Im Übrigen werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Kleve richtete mit Beschluss vom 22.03.2012 eine Betreuung für die Betroffene für die Aufgabenkreise "Gesundheitsfürsorge, Angelegenheiten der Pflegeversicherung und der ambulanten Pflege" ein und bestellte Frau Q zur Berufsbetreuerin. Grundlage des Beschlusses war die persönliche Anhörung durch das Gericht vom 21.03.2012, sowie das Gutachten der Sachverständigen L vom 21.03.2012. Wegen des Inhaltes der gutachterlichen Feststellungen wird auf das schriftliche Gutachten vom 21.03.2012 (= Bl. 20-30 GA), wegen des Ergebnisses der Anhörung auf den Anhörungsvermerk vom 21.03.2012 (= Bl. 33 Rs. GA) verwiesen. Gegen den Beschluss vom 22.03.2012 legte die Betroffene mit Schreiben vom 17.04.2012 Beschwerde ein, worauf das Amtsgericht den Beteiligten zu 1.) mit Beschluss vom 07.05.2012 zum berufsmäßigen Verfahrenspfleger der Betroffenen bestellte. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens, welches beim Landgericht unter dem Aktenzeichen 4 T 133/12 geführt wurde, hörte die Kammer die Betroffene am 03.07.2012 an; wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Anhörungsvermerk vom 03.07.2012 (Bl. 80 GA) Bezug genommen. Im Anschluss holte die Kammer ein Gutachten des Sachverständigen K ein; wegen des Inhaltes der gutachterlichen Feststellungen wird auf das schriftliche Gutachten vom 07.08.2012 (= Bl. 88-95 GA) und vom 28.09.2012 (= Bl. 107-111 GA) verwiesen. Über die Beschwerde im Verfahren 4 T 133/12 brauchte die Kammer nicht zu entscheiden, weil die Betroffene diese zurückgenommen hat. Mit Schreiben vom 19.10.2012 beantragte die Betreuerin Q die Erweiterung der Betreuung um die Vermögenssorge, Wohnungs-, Miet-, Versicherungs- und Behördenangelegenheiten. Mit Beschluss vom 14.11.2012 erweiterte das Amtsgericht Kleve die Aufgabenkreise der Betreuung antragsgemäß (mit Prüffrist bis zum 14.11.2014); Verfahrenspfleger der Betroffenen war erneut der Beteiligte zu 1.). Mit Schriftsatz ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwalt G, vom 05.12.2012 legte die Betroffene gegen die Erweiterung der Betreuung Beschwerde ein. Die Kammer hat mit Beschluss vom 07.01.2013, Az.: 4 T 296/12, die Bestellung des Beteiligten zu 1.) zum Verfahrenspfleger aufgehoben, weil die Betroffene durch Rechtsanwalt G anwaltlich vertreten war und die Erweiterung der Betreuung durch den Beschluss vom 14.11.2012 rückgängig gemacht. Die Betreuerin Q beantragte mit Schreiben vom 02.04.2013 die Erweiterung der Betreuung auf alle Angelegenheiten einschließlich der Postempfangsbefugnis. Darauf holte das Amtsgericht ein Gutachten des Sachverständigen H ein. Wegen des Inhaltes der gutachterlichen Feststellungen wird auf das schriftliche Gutachten vom 06.05.2013 (= Bl. 178-187 GA) verwiesen. Mit Beschluss vom 21.05.2013 bestellte es erneut den Beteiligten zu 1.) zum Verfahrenspfleger der Betroffenen. Mit Beschluss vom 16.07.2013 hob es dessen Bestellung zum Verfahrenspfleger auf, weil die Betroffene seither durch Rechtsanwalt B anwaltlich vertreten wurde. Mit Beschluss vom 02.10.2013 bestellte das Amtsgericht den Beteiligten zu 1.) nunmehr zum Betreuer der Betroffenen mit den Aufgabenkreisen "Gesundheitsfürsorge, Angelegenheiten der Pflegeversicherung und der ambulanten Pflege" und entließ die bisherige Betreuerin Q. Mit Schreiben vom 13.11.2013 beantragte der Beteiligte zu 1.) die Erweiterung der Betreuung auf alle Angelegenheiten. Diesen Antrag wiederholte er mit Schreiben vom 10.02.2014; hilfsweise möge er als Betreuer entpflichtet werden. Nach Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen U und Anhörung der Betroffenen erweiterte das Amtsgericht die Betreuung um die Aufgabenkreise "alle Vermögensangelegenheiten, Befugnis zum Empfang von Post, Aufenthaltsbestimmung, Heim-, Renten und Sozialversicherungsangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Ämtern, Wohnungs- und Immobilienangelegenheiten", verlängerte den Überprüfungszeitpunkt für die (gesamte) Betreuung bis zum 10.04.2021 und richtete einen Einwilligungsvorbehalt für die Gesundheitsfürsorge, alle Vermögensangelegenheiten und alle Vertragsangelegenheiten ein. Wegen des Inhalts der gutachterlichen Feststellungen wird auf das schriftliche Gutachten vom 14.03.2014 (= Bl. 273-334 GA); wegen des Ergebnisses der Anhörung auf den Anhörungsvermerk vom 09.04.2014 (= Bl. 335 GA) verwiesen. Gegen den Beschluss vom 10.04.2014 richten sich die Beschwerden der Betroffenen vom 22.04.2014, denen das Amtsgericht mit Beschluss vom 12.05.2014 nicht abgeholfen hat. Dabei wird die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Betreuung richtet, unter dem Aktenzeichen 4 T 429/14 geführt, soweit sie sich gegen den Einwilligungsvorbehalt richtet, unter dem Aktenzeichen 4 T 436/14. Angesichts der teilweise divergierenden Diagnosen der Sachverständigen L, K, H und U hat die Kammer mit Beschluss vom 13.06.2014 die Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen D angeordnet, welches sich auch mit den Ergebnissen der Vorgutachten auseinandersetzen sollte. Überdies wurde der Sachverständige D mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage beauftragt, ob zu erwarten ist, dass die Betroffene Rechtsgeschäfte tätigt, durch die sie ihre Person oder ihr Vermögen erheblich gefährdet. Wegen des Inhaltes der Feststellungen des Sachverständigen D wird auf das schriftliche Gutachten vom 10.07.2014 (= Bl. 363-383 GA) verwiesen. Nach Mandatsniederlegung von Rechtsanwalt B bestellte die Kammer mit Beschluss vom 25.07.2014 den Beteiligten zu 2.) zum Verfahrenspfleger der Betroffenen, der mit Schriftsatz vom 01.09.2014 und vom 23.09.2014 zur Sache Stellung genommen hat. Die Betroffene wurde am 14.10.2014 durch die Kammer persönlich angehört; wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Anhörungsvermerk vom 14.10.2014 (= Bl. 415 GA) Bezug genommen. Die Beteiligten wurden mit Verfügung vom 03.09.2014 vom Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt, mit Verfügung vom 01.10.2014 wurde ihnen ein Wechsel des Terminsortes mitgeteilt.

II.

Die Beschwerden der Betroffenen sind gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere rechtzeitig und in gehöriger Form eingelegt.

In der Sache sind sie teilweise begründet.

1.)

Das Amtsgericht hat zu Recht eine Betreuung für die Betroffene in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang eingerichtet bzw. diese verlängert.

a.)

Nach § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB ist ein Betreuer zu bestellen, wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen oder geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Gegen den freien Willen des Betroffenen darf ein Betreuer nicht bestellt werden (§ 1896 Abs. 1a BGB). Ist der Wille frei, muss die Anordnung der Betreuung unterbleiben, auch wenn sie für ihn vorteilhaft wäre. Deshalb ist in den Bereichen, in denen ein Betroffener zu einer freien Willensbildung in der Lage ist, die Anordnung einer Betreuung unzulässig. Auch in Zweifelsfällen, das heißt, wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu äußern, muss die Betreuerbestellung unterbleiben. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im€Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich (BGH NJW-RR 2012, 773). Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor (BGH NJW-RR 2012, 773). Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen, wobei aber keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden dürfen (BGH NJW-RR 2012, 773). Ob der an einem Gebrechen im€Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB Leidende einen freien Willen bilden und äußern kann, ergibt sich im Einzelfall aus dem Krankheitsbild des Betroffenen (BGH NJW-RR 2012, 773). So vermag ein an einer Psychose erkrankter Betroffener das Wesen und die Bedeutung einer Betreuung im Detail eher zu begreifen als der an einer Demenz leidende Betroffene (BGH NJW-RR 2012, 773). Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann (BGH NJW-RR 2012, 773). Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können (BGH NJW-RR 2012, 773). Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann, da ihm nur dann möglich ist, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (BGH NJW-RR 2012, 773).

b.)

Die Notwendigkeit der Einrichtung einer Betreuung in dem der Beschlussformel zu entnehmenden Umfang ergibt sich aus den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen D in seinem Gutachten vom 10.07.2014. Dieser hat bei der Betroffenen eine organische Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F07.0) diagnostiziert. Diese werde charakterisiert durch eine auffällige Veränderung des prämorbiden Verhaltensmusters und betreffe die Äußerung von Affekten, Bedürfnissen und Impulsen. Eine Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten und des Denkvermögens könnten ebenfalls Teil des klinischen Bildes der organischen Persönlichkeitsstörung sein. Daneben leide die Betroffene an einer Reihe schwerer körperlicher Behinderungen. Sie sei aufgrund einer fortgeschrittenen Makuladegeneration nahezu erblindet, die Gehfähigkeit sei wegen einer arteriellen Verschlusskrankheit stark eingeschränkt, es liege eine Herzinsuffizienz, eine Neigung zur Niereninsuffizienz und ein Ulcus cruris beider Unterschenkel vor.

Im Rahmen seiner Untersuchung - so der Sachverständige D weiter - haben neben leichten kognitiven Einbußen eine organische Wesensänderung der Betroffenen im Vordergrund gestanden. Die Betroffene zeige die dafür typischen Symptome, wie eine geringe Umstellungsfähigkeit und eine geringe Flexibilität der Bedürfnislenkung. Die Betroffene hafte bei ihren Schilderungen stets im Konkreten und zeige nur einen mangelhaften Überblick über die Zusammenhänge von Handlungsfolgen. Eine Reflexionsfähigkeit sei nahezu gar nicht mehr vorhanden, sie beharre stets auf vorgefassten Meinungen, lebe in ihrer eigenen Welt und könne Argumente ihres Gegenübers nicht in ihre Entscheidung einfließen lassen. Realitätssinn und selbstkritisches Denken seien stark beeinträchtigt. Ein Gespräch sei nur solange möglich, wie man sich auf ihre Themen einlasse. Das prämorbide Zustandsbild sei ihm, so der Sachverständige D weiter, zwar nicht bekannt. Auch wenn die Persönlichkeit der Betroffenen nach seiner Einschätzung auch zu diesem Zeitpunkt bereits akzentuiert gewesen sein dürfte, so schließe er doch mit Sicherheit aus, dass sie dies bereits im nunmehr vorhandenen Ausmaße gewesen sei.

Diese Gebrechen hinderten die Betroffene daran, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Sie benötige eine Betreuung für Gesundheitsangelegenheiten, Vermögens- einschließlich Vertragsangelegenheiten und die Aufenthaltsbestimmung. Sie vermöge aufgrund der organischen Wesensänderung auch keinen freien Willen mehr zu bilden. Sie könne nicht erfassen, dass ein gesetzlicher Vertreter bestellt werde, der eigene Entscheidungen trifft und könne die Vor- und Nachteile auch nicht gegeneinander abwägen.

Dies sei in den zuvor eingeholten Gutachten allein von H zutreffend erkannt worden. In allen Vorgutachten sei die Starrsinnigkeit und die mangelnde Kritikfähigkeit der Betroffenen festgestellt worden. Durchgängig seien nur diskrete kognitive Störungen festgestellt worden, daneben habe man stets eine äußerst akzentuierte Persönlichkeit beschrieben. Diese Persönlichkeitsakzentuierung habe der Sachverständige K bei seinem Gutachten außer Acht gelassen. Die Sachverständige U habe die Anzeichen für eine organische Persönlichkeitsstörung nicht hinreichend berücksichtigt. Diese Diagnose schließe es aus, dass die Betroffene an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leide. Narzissmus und eine organische Persönlichkeitsstörung könnten nicht zugleich vorliegen, sondern schlössen sich gegenseitig aus.

c.)

Die Kammer hat keine Zweifel an den Feststellungen des Sachverständigen D. Sie werden vielmehr durch den bei der Anhörung am 14.10.2014 gewonnenen persönlichen Eindruck bestätigt. Der Berichterstatter, der auch bereits an der persönlichen Anhörung der Betroffenen am 03.07.2012 teilgenommen hatte, hat dabei den Eindruck gewonnen, dass die Einsichtsfähigkeit der Betroffenen in ihre persönliche Lage seither weiter abgenommen hat.

Die Betreuung ist gemäß § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfange erforderlich. Die Kammer folgt insoweit der fachärztlichen Einschätzung des Sachverständigen D. Dabei ist die vom Sachverständigen gewählte Bezeichnung der Vermögens- und Vertragsangelegenheiten durch den in der Sache gleichbedeutenden, juristisch aber vorzuziehenden Begriff der Vermögenssorge zu ersetzen.

2.)

Jedoch ist die Auswahl des Beteiligten zu 1.) zum Betreuer des Betroffenen zu beanstanden. Bei einer Verlängerung der Betreuung wählt das Gericht die Person des Betreuers neu nach § 1897 BGB aus; dabei ist sein Ermessen durch die vorherige Betreuerbestellung nicht gebunden; ein Betreuerwechsel ist insoweit nicht davon abhängig, dass Entlassungsgründe nach § 1908b BGB vorliegen (BGH NJW 2010, 3777, 3778; Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 295, Rn. 1).

Zum Betreuer bestellt das Betreuungsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und für ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen (§ 1897 Abs. 1 BGB). Unterbreitet der Betroffene keinen Vorschlag, so ist bei der Auswahl auf die verwandtschaftlichen und persönlichen Beziehungen sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB). Ein Berufsbetreuer soll demgegenüber nur bestellt werden, wenn kein ehrenamtlicher Betreuer zur Verfügung steht (§ 1897 Abs. 6 BGB). Dies bedeutet aber nicht, dass in jedem Fall ein Verwandter einem anderen Betreuer vorzuziehen ist. An herausragender Stelle bei der Betreuerauswahl ist das objektive Wohl des Betroffenen zu beachten. Dies ergibt sich zum einen aus dem Zweck der Betreuung (vgl. § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB), zum anderen aber auch daraus, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen sogar der Wille des Betroffenen hinter seinem objektiven Wohl zurücktreten muss (§ 1897 Abs. 4 S. 1 BGB). Demgegenüber fällt der sogenannte Verwandtenvorzug (§ 1897 Abs. 5 BGB) nur geringer ins Gewicht. Dies zeigt schon der Wortlaut des Gesetzes, welche nur die "Berücksichtigung" der familiären und persönlichen Bindungen verlangt. Im Verhältnis zum Verwandtenvorzug ist daher letztlich das objektive Wohl und der Wille des Betroffenen ausschlaggebend (vgl. BayObLG FamRZ 1996, 506 und FamRZ 2004, 1991; Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl. 2014, § 1897, Rn. 18). Der Richter hat im Einzelfall die einschlägigen Gesichtspunkte zu ermitteln, zu gewichten und letztlich eine Gesamtabwägung der für und gegen die Bestellung einer bestimmten Person sprechenden Gesichtspunkte vorzunehmen.

a.)

Unter Anwendung der vorstehenden Gesichtspunkte auf den Fall war die Auswahl des Beteiligten zu 1.) durch das Amtsgericht fehlerhaft. Die Betroffene hat keine Person im Sinne von § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB vorgeschlagen. Insbesondere hat die Betroffene bei ihrer persönlichen Anhörung vom 14.10.2014 nicht Herrn X als Betreuer vorgeschlagen. Die Betroffene hat bei ihrer persönlichen Anhörung eindeutig klargestellt, dass dieser für sie nur Vorlesen soll, weil ihre Augen zwischenzeitlich zu schlecht sind. Entscheidungen sollte Herr X nicht treffen dürfen. Die Betroffene hat ausdrücklich gesagt, sie werde ihm dann sagen, was zu machen ist. Geeignete Verwandte oder ehrenamtliche Betreuer sind nicht ersichtlich, was sich u.a. auch aus dem Schreiben der Betreuungsstelle des Kreises Kleve vom 14.08.2013 (= Bl. 219 GA) ergibt.

b.)

Der Beteiligte zu 1.) ist nach den Maßstäben des Beschlusses des 12. Zivilsenates des BGH vom 18.12.2013, Az.: XII ZB 460/13 (= NJW 2014, 935) als für das verfahrensgegenständliche Betreueramt ungeeignet im Sinne von § 1897 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen. Danach ist ein Rechtsanwalt als Betreuer ungeeignet, wenn er durch die Übernahme der Betreuung gegen ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 2 BRAO verstieße (BGH NJW 2014, 935, 936). Gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO darf ein Rechtsanwalt außerhalb seiner Anwaltstätigkeit (also etwa als Betreuer oder Insolvenzverwalter) beruflich nicht tätig werden, wenn er in dieser Angelegenheit bereits als Rechtsanwalt tätig war. Dabei ist es gleichgültig, ob sich die spätere zweitberufliche Tätigkeit gegen den vormaligen Mandanten richtet oder in seinem Interesse liegt; ebenso ist dessen Einverständnis unerheblich (vgl. Feuerich/Weyland/Böhnlein, BRAO, 8. Aufl. 2012, § 45, Rn. 37). Dementsprechend ist ein Rechtsanwalt gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO an der Übernahme der Betreuung gehindert, wenn er den Betroffenen zuvor als anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter in demselben Betreuungsverfahren vertreten hat.

Der Beteiligte zu 1.) hat die Betroffene in dem Verfahren, das zu seiner Bestellung zum Betreuer führte, zwar nicht als anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter vertreten. Er war in eben jenem Verfahren aber zunächst zu deren (berufsmäßigem) Verfahrenspfleger bestellt worden. Dies steht für die Frage der Geeignetheit des Betreuers im Sinne von § 1897 Abs. 1 BGB aber dem Fall gleich, dass er zuvor anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter gewesen ist. Die Funktion des anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten und des als Verfahrenspfleger tätigen Anwalts sind zwar nicht deckungsgleich, aber ähnlich. Aufgabe des Verfahrenspflegers ist es, gegenüber dem Gericht den Willen seines Verfahrenspfleglings kundzutun und dessen Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (BGH NJW 2014, 785, 786). Dazu hat er - ohne gesetzlicher Vertreter seines Verfahrenspfleglings zu sein - dessen rechtliche Interessen im Verfahren wahrzunehmen und zur Geltung zu bringen (BGH NJW 2012, 3509). Dabei hat der Verfahrenspfleger dafür zu sorgen, dass sein Pflegling vor gerichtlichen und behördlichen Fehlentscheidungen bewahrt und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigungen und staatliche Machtüberschreitungen gesichert wird, so dass ihm auch die Befugnis zur Verfassungsbeschwerde im Interesse seines Pfleglings zusteht (vgl. BVerfG NJW 2013, 2658, 2659). Damit entspricht seine Aufgabe im Wesentlichen der in § 1 Abs. 3 BORA beschriebenen Aufgabe des Rechtsanwalts. Interessenkollisionen sind auch hier aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit des Betroffenen tunlichst zu vermeiden. Dies gilt insbesondere, wenn es sich beim Verfahrenspfleger um einen Rechtsanwalt handelt, weil dieser auch außerhalb seiner Anwaltstätigkeit bei einer damit vereinbaren Nebentätigkeit den allgemeinen Berufspflichten der BRAO unterliegt (vgl. Feuerich/Weyland/Vossebürger, BRAO, 8. Aufl. 2012, Einl., Rn. 12).

Dementsprechend scheidet eine Bestellung des vormals als Verfahrenspfleger tätig gewesenen Rechtsanwalts zum Betreuer aus. Dass der Beteiligte zu 1.) vor seiner Bestellung zum Betreuer als Verfahrenspfleger abberufen worden war, ändert daran nichts. Eine zeitliche Begrenzung des Tätigkeitsverbots besteht bei § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO nicht (Feuerich/Weyland/Böhnlein, BRAO, 8. Aufl. 2012, § 45, Rn. 37). Gleiches muss bei der anwaltlichen Verfahrenspflegschaft gelten, die aus den vorstehend erörterten Gründen mit der anwaltlichen Vertretung vergleichbar ist.

Dem steht nicht entgegen, dass eine von einem Rechtsanwalt geführte Verfahrenspflegschaft nicht stets nach dem RVG zu vergüten ist (vgl. dazu BGH NJW 2014, 3036). Die Schutzrichtungen des anwaltlichen Vergütungsrechts und von § 1897 BGB stimmen nicht überein. Überdies erbringt ein anwaltlicher Verfahrenspfleger jedenfalls dann gegenüber dem Verfahrenspflegling auch vergütungsrechtlich "anwaltliche Dienste", wenn sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles ergibt, dass der Verfahrenspfleger Tätigkeiten zu erbringen hatte, für die ein juristischer Laie vernünftigerweise einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde (vgl. BGH NJW 2014, 3036, 3038). Diese Einzelfallbetrachtung wird dem Anliegen des § 1897 BGB aber nicht gerecht, den besonders schutzbedürftigen Betroffenen vor Betreuern zu bewahren, in deren Person sich Interessenkollisionen ergeben. Insoweit ist eine typisierendere Betrachtungsweise angebracht, die dem Schutzbedürfnis des Betroffenen besser Rechnung trägt. Dies zeigt auch der Rechtsgedanke des § 1897 Abs. 3 BGB, bei dem grundsätzlich unerheblich ist, ob tatsächlich ein Interessenkonflikt besteht (vgl. Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl. 2014, § 1897, Rn. 8 m.w.N.). Insoweit ist der darin enthaltene Rechtsgedanke verallgemeinerungsfähig.

c.)

Zu berücksichtigen ist überdies, dass die Betroffene bei ihrer Anhörung durch die Kammer am 14.10.2014 eine Betreuung durch den Beteiligten zu 1.) abgelehnt hat (§ 1897 Abs. 4 S. 2 BGB). Derartige Wünsche kann - ebenso wie den Wunsch, von einer bestimmten Person betreut zu werden - auch ein geschäftsunfähiger Betroffener in beachtlicher Weise äußern (Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl. 2014, § 1897, Rn. 13). Die Betroffene hat ihre Unzufriedenheit mit dem Beteiligten zu 1.) deutlich zum Ausdruck gebracht und geäußert, dass ihr statt des Beteiligten zu 1.) sogar noch Frau Q als Betreuerin lieber sei, obgleich sie von dieser sehr enttäuscht gewesen sei. Dabei ging aus dem Zusammenhang des Gespräches deutlich hervor, dass die Betroffene damit keinesfalls ausdrücken wollte, sich eine erneute Betreuung durch Frau Q zu wünschen. Jedenfalls in Verbindung mit der unter 2.) b.) dargestellten Problematik ist dem Wunsch der Betroffenen Rechnung zu tragen, nicht vom Beteiligten zu 1.) betreut zu werden.

Geeignet im Sinne von § 1897 Abs. 1 BGB ist hingegen die als Berufsbetreuerin tätige Rechtsanwältin T. Diese hat sich telefonisch zur Übernahme der Betreuung bereit erklärt.

3.)

Die Beschwerde der Betroffenen gegen die Anordnung des Einwilligungsvorbehaltes ist teilweise begründet.

Zu Recht hat das Amtsgericht gemäß § 1903 Abs. 1 S. 1 BGB einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet. Aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen D in seinem Gutachten vom 10.07.2014 ergibt sich, dass die Betroffene durch ihre Fixierung auf finanzielle Themen, deren Konsequenzen sie nicht übersehen könne, Rechtsgeschäfte tätigt, durch die sie ihr Vermögen erheblich gefährdet. U.a. hatte die Betroffene bereits versucht, bei ihrer Hausbank ein Darlehen über 11.000,- € aufzunehmen.

Hingegen bedarf es entgegen der Anordnung des Amtsgerichts keines Einwilligungsvorbehaltes für die Gesundheitsfürsorge. Soweit die Betroffene nicht bereit ist, zum Arzt zu gehen, kann dies keinen Einwilligungsvorbehalt rechtfertigen. Durch diesen kann ein Arztbesuch der Betroffenen nicht erzwungen werden, dies ist allenfalls im Wege einer Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3, 3a BGB möglich. Vielmehr kann der Einwilligungsvorbehalt nur einen Arztbesuch ohne Zustimmung des Betreuers verhindern. Dass die Betroffene ihre Person oder ihr Vermögen durch zu häufige Arztbesuche gefährdete, ist aber nicht ersichtlich.

4.)

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 25 Abs. 2 GNotKG, 81, 307 FamFG.

5.)

Die Rechtsbeschwerde für den als Betreuer entlassenen Beteiligten zu 1.) wird gemäß §§ 70 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG zugelassen. Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein Rechtsanwalt auch dann als Betreuer ungeeignet ist, wenn er den Betroffenen zuvor nicht als Verfahrensbevollmächtigter vertreten hat, sondern dessen Verfahrenspfleger gewesen ist. Die Rechtsbeschwerde des Betreuers gegen seine Entlassung ist nicht bereits zulassungsfrei möglich (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 70, Rn. 45a). Im Interesse der Betroffenen ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung statthaft.

Gegenstandswert: jeweils 5.000,- € (§§ 61, 36 Abs. 3 GNotKG)

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt, die binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung dieses Beschlusses durch Einreichung einer schriftlichen Beschwerdeschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt werden kann. Die Beschwerdeschrift muss den Beschluss bezeichnen, gegen den die Beschwerde eingelegt wird, die Erklärung, dass die Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird und sie muss unterschrieben sein. Die Beschwerde kann nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (§§ 10 Abs. 4, 70 Abs. 3 Nr. 2, 71 Abs. 1 FamFG).

Gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes ist die Beschwerde an das Landgericht Kleve statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Kleve, Schloßberg 1 (Schwanenburg), 47533 Kleve, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.

(Unterschriften)






LG Kleve:
Beschluss v. 20.10.2014
Az: 4 T 429/14, 4 T 436/1


Link zum Urteil:
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