Bundesgerichtshof:
Urteil vom 10. November 2015
Aktenzeichen: X ZR 88/13

(BGH: Urteil v. 10.11.2015, Az.: X ZR 88/13)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 4. Juni 2013 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am 2. Januar 1990 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 20. Dezember 1989 angemeldeten deutschen Patents 40 00 011 (Streitpatents). Es umfasst 55 Patentansprüche, von denen nach rechtskräftigem Abschluss eines vorangegangenen Nichtigkeitsverfahrens Patentanspruch 1 wie folgt lautet:

"1. Vorrichtung zum Erregen von Schwingungen eines Vorrichtungsgestells (100, 222, 300) in einer vorgegebenen Richtung (126), umfassend:

a) in dem Gestell gelagerte, durch wenigstens einen Antriebsmotor zum Umlauf antreibbare, synchron gegenläufige erste Unwuchtkörper (104, 105), b) in dem Gestell gelagerte, durch wenigstens einen Antriebsmotor zum Umlauf antreibbare, synchron gegenläufige zweite Unwuchtkörper (107, 108), wobei die ersten und zweiten Unwuchtkörper im Betrieb synchron umlaufen, jedoch in ihrer relativen Winkellage während des Umlaufs gegeneinander verstellbar sind, wobei c) ein Überlagerungsgetriebe und ein einen Stator und einen Rotor aufweisender Verstellmotor (244), dessen Rotor mit mindestens einem der Unwuchtkörper in Verbindung steht und nach Abschluss einer Verstellung mit den Unwuchtkörpern synchron umläuft und dem Verstellmotor bei eingehaltener Winkellage zum Aufrechterhalten hiervon durch Reaktionsdrehmomente bewirkte Leistung zugeführt oder von ihm abgeführt wird, vorgesehen sind, oder d) mindestens zwei je einen Stator und einen Rotor aufweisende Verstellmotoren vorgesehen sind, deren Rotoren jeweils mit mindestens einem der ersten und zweiten Unwuchtkörper in Verbindung stehen und nach Abschluss einer Verstellung mit den Unwuchtkörpern synchron umlaufen und einem von diesen Verstellmotoren bei eingehaltener Winkellage zum Aufrechterhalten hiervon durch Reaktionsdrehmomente bewirkte Leistung zugeführt und einem anderen abgeführt wird, wobei die Verstellmotoren gleichzeitig Antriebsmotoren sein können."

Die Klägerin hat Teilnichtigkeitsklage erhoben, die sich gegen Patentanspruch 1, Alternative d, und 53 und die übrigen Ansprüche richtet, mit Ausnahme der Patentansprüche 43, 46 und aller übrigen Ansprüche, die sich nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Patentansprüche 1, Alternative d, 43 oder 46 rückbeziehen. Sie hat geltend gemacht, im Umfang der angegriffenen Ansprüche offenbare das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Weiterhin sei dieser Gegenstand nicht patentfähig.

Das Patentgericht hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt und das Streitpatent hilfsweise mit zwei Hilfsanträgen beschränkt verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

I. Das Streitpatent betrifft Schwingungserreger, insbesondere zum Einrammen von Spundbohlen.

1. Nach der Beschreibung des Streitpatents sind Schwingungserreger im Stand der Technik bekannt, die in einem Gestell gelagerte, insbesondere zwei Unwuchten (Unwuchtkörperpaare) aufweisen und durch den Einsatz von Zahnrädern derart synchron laufen, dass sich die Fliehkräfte der (beiden) Unwuchten in einer ersten Richtung aufheben und in einer zweiten, zur ersten Richtung senkrecht stehenden Richtung eine Schwingung bewirken, so dass sie als "Richtschwinger" in einer Achse schwingen. Es ist wünschenswert, die von den Antriebsmotoren maximal abgebbare Leistung mit unterschiedlich hohen, bis hin zu sehr hohen Schwingungsfrequenzen in den Boden abgeben zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Prinzip bekannt, wonach man das Fliehmoment eines Unwuchtkörperpaares mit einem zweiten Unwuchtkörperpaar kombiniert und den Verdrehwinkel, zu dem die jeweiligen Fliehmomente der beiden Unwuchtkörperpaare zueinanderstehen, verändern kann. Dadurch können die Fliehmomente der beiden Unwuchtkörperpaare so zueinanderstehen, dass sie sich in einem Extrem addieren und im anderen Extrem gegenseitig aufheben. Dabei besteht ein Bedarf, den Winkel zwischen den Fliehmomenten während des Betriebs verändern zu können, was im Stand der Technik bereits realisiert wurde.

Das Streitpatent zeigt auf, dass dann, wenn die Fliehkräfte der beiden Unwuchtkörperpaare sich nicht vollständig gegenseitig aufheben und die eine Schwingung in der Schwingungsachse entsteht, dynamische Reaktionsdrehmomente auftreten, indem die Drehachsen der Unwuchten von dieser Schwingung selbst in Richtung der Schwingungsausschläge beschleunigt werden (Streitpatent, Sp. 2 Z. 66 bis Sp. 3 Z. 5). Die Reaktionsdrehmomente sind winkelabhängig, je nach dem in welchem Winkel die Unwucht zur Schwingungsachse des Schwingungserregers steht; sie können auf die Unwucht beschleunigend oder abbremsend wirken. Werden die Unwuchtkörperpaare von Hydraulikmotoren angetrieben, führt dies dazu, dass die beiden Paare zu einem relativen Stellwinkel von 180€ zueinander tendieren, bei dem die Fliehkräfte der beiden Unwuchtkörperpaare sich gegeneinander aufheben (Streitpatent, Sp. 3 Z. 44 bis 49). Um eine Schwingung des Schwingungserregers in Richtung der Schwingungsachse zu erzielen, könnte einer der beiden Hydraulikmotoren mittels eines Druckbegrenzers abgebremst und aufgrund der sich einstellenden Drehmomentdifferenz eine Winkelverstellung zwischen den beiden Unwuchtkörperpaaren erzielt werden, so dass an den Unwuchtkörpern Reaktionsdrehmomente auftreten, die mit der Motor-Drehmomentdifferenz im Gleichgewicht stehen (Streitpatent, Sp. 3 Z. 49 bis 65). Da die Reaktionsdrehmomente bei Schwingungserregern, die beispielsweise für das Einrammen von Spundbohlen zum Einsatz kommen, eine erhebliche Größe erreichen können, wäre mit dem am Druckbegrenzer aufzubauenden Differenzdruck eine Energiemenge zu vernichten, die ein Mehrfaches der eigentlich in den Boden zu leitenden Arbeitsenergie ausmacht.

Das Reaktionsdrehmoment führt zusammen mit der Winkelgeschwindigkeit zu einer Leistung, die wegen der winkelabhängigen Schwankungen zwar stark variiert und sowohl als Beschleunigungs- als auch als Bremsleistung wirksam werden kann. Es führt über die Zeit der Umdrehungen zu einer Energie, die auch als Antriebsenergie genutzt werden kann und vom Streitpatent als "Blindleistung" bezeichnet wird. Das US-amerikanische Patent 3 564 932 (Anl. GSKH-8) zeigt einen Schwingungserreger mit gegeneinander verstellbaren Unwuchtkörperpaaren, bei dem ein Motor die Verstellung vornimmt, indem er mittels eines Überlagerungsgetriebes mit den Unwuchtwellen gekoppelt wird. Nach erfolgter Verstellung wird der Motor blockiert, so dass die dann mittels Zahnräder des Überlagerungsgetriebes miteinander gekoppelten Unwuchtkörperpaare synchron laufen. Die dynamischen Reaktionsdrehmomente werden dabei mit ihren Belastungsspitzen zwischen den Unwuchtkörperpaaren über die Zahnräder ausgetauscht, was zu Verschleiß und Lärmemissionen führt.

Dem Streitpatent liegt danach die Aufgabe zugrunde, einen Schwingungserreger mit verstellbaren Unwuchtkörperpaaren herzustellen, dessen Komponenten weniger belastet werden.

2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Patentanspruch 1 in der angegriffenen Alternative d eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Die Vorrichtung ist zum Erregen von Schwingungen eines Vorrichtungsgestells (100, 222, 300) in einer vorgegebenen Richtung (126) geeignet und umfasst 2. in dem Gestell gelagerte, durch wenigstens einen Antriebsmotor zum Umlauf antreibbare, synchron gegenläufige erste Unwuchtkörper (104, 105) sowie 3. in dem Gestell gelagerte, durch wenigstens einen Antriebsmotor zum Umlauf antreibbare, synchron gegenläufige zweite Unwuchtkörper (107, 108).

4. Die ersten und zweiten Unwuchtkörper laufen im Betrieb synchron, können jedoch in ihrer relativen Winkellage während des Umlaufs gegeneinander verstellt werden.

5. Hierfür sind mindestens zwei je einen Stator und einen Rotor aufweisende Verstellmotoren vorgesehen, deren Rotoren jeweils mit mindestens einem der ersten und zweiten Unwuchtkörper in Verbindung stehen und nach Abschluss einer Verstellung mit den Unwuchtkörpern synchron umlaufen.

6. Einem von diesen Verstellmotoren wird bei eingehaltener Winkellage zum Aufrechterhalten hiervon durch Reaktionsdrehmomente bewirkte Leistung zugeführt und einem anderen abgeführt.

7. Die Verstellmotoren können gleichzeitig Antriebsmotoren sein.

3. Einige Merkmale bedürfen weiterer Erläuterung.

a) Die nach den Merkmalen 2 und 3 vorgesehenen Unwuchtkörper sind sowohl für die ersten Unwuchtkörper als auch für die zweiten Unwuchtkörper jeweils in gerader Zahl erforderlich, denn nur dann können sie synchron gegenläufig angetrieben werden. Durch den synchronen Gegenlauf von zwei Unwuchtkörpern als einem Unwuchtkörperpaar und einem zwischen den beiden Unwuchtkörpern bestehenden Relativwinkel von 180€ wird ein Ausgleich zwischen den beiden Kreisschwingungen der Unwuchtkörpern erreicht, der zu einer Schwungkraft des jeweiligen Unwuchtkörperpaars in nur einer Achse führt.

b) Indem das erste Unwuchtkörperpaar mit dem zweiten grundsätzlich synchron läuft, der Relativwinkel der beiden Paare zueinander aber verstellt werden kann, kann ein Winkel eingestellt werden, bei dem die Fliehkräfte des einen Unwuchtkörperpaars die des anderen stets komplett kompensieren und umgekehrt. Weiterhin kann ein Winkel eingestellt werden, bei dem alle vier Unwuchten in Bezug auf die beiden Richtungen der für beide Paare gleichen Schwingungsachse stets in die gleiche Richtung gedreht sind und sich damit die Fliehkräfte der beiden Unwuchtkörperpaare addieren. Bei der Einstellung von Winkeln zwischen diesen beiden Extremlagen wird die Amplitude der Gesamtschwingung in der Schwingachse schrittweise erhöht beziehungsweise gesenkt.

Damit wird eine Veränderung der Amplitude der Gesamtschwingung bei laufenden Antriebsmotoren, gleicher Drehzahl und folglich gleicher Schwingungsfrequenz erreicht. Würde beim Anlaufen der Antriebsmotoren das Gesamtsystem sogleich in Schwingungen versetzt, dann würde die Frequenz der Schwingungen entsprechend der Beschleunigung der Drehzahl von Null bis zur Höchstdrehzahl steigen. Dies könnte zu störenden Schwingungsfrequenzen im Eigenfrequenz- beziehungsweise Resonanzbereich führen. Zur Vermeidung solcher Frequenzen, sieht der Gegenstand des Streitpatents ein zweites Unwuchtkörperpaar vor, mit dem die Amplitude der Schwingungen im Gesamtsystem bei laufender Drehzahl verändert werden und insbesondere für den Zeitraum des Anlaufens der Antriebsmotoren gleich Null sein kann.

c) Die in den Merkmalen 5 bis 7 vorgesehenen Motoren können beispielsweise sowohl hydraulische als auch elektrische Motoren sein, wie es das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Umstand, dass die Ausführungsbeispiele im Wesentlichen nur hydraulische Motoren vorsehen sowie das Schwingungssystem für jedwede Mittel zur Regelung der Schwingungsfrequenzen und -amplituden ein denkbar ungünstiges Umfeld bietet, insbesondere im Hinblick auf elektrotechnische Komponenten (Streitpatent, Sp. 6 Z. 47 bis 53), beschränkt den Gegenstand des Streitpatents nicht auf Vorrichtungen, die ausschließlich mit hydraulischen Motoren arbeiten.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die nach dem vorangegangenen Nichtigkeitsverfahren beanspruchte Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne, bei dem es sich um einen Diplomingenieur oder Physiker handele mit Hochschulabschluss und mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion, Entwicklung und praktischen Anwendung von Unwucht-Schwingungssystemen und der gegebenenfalls im Team mit einem Hydraulikspezialisten oder Elektroingenieur zusammenarbeite.

Der Gegenstand einer Erfindung sei nicht ausführbar offenbart, wenn sich für ihn kein Ausführungsbeispiel in der Patentschrift finden lasse und der nacharbeitende Fachmann ihn mangels genügender Informationen auch nicht mittels geläufiger Maßnahmen unter zumutbarem Aufwand, insbesondere ohne erfinderisches Zutun praktisch realisieren könne.

Der Gegenstand des Streitpatents beziehe sich hinsichtlich des Merkmals 6 allgemein auf eine unmittelbare Leistungsübertragung durch Verstellmotoren. Er beschränke sich nicht auf eine hydraulische Lösung, wie sie im Streitpatent mit hydraulischen Motoren beschrieben ist, sondern insbesondere auch auf elektrische Lösungen mit Elektromotoren, für die das Streitpatent kein konkret dargestelltes Ausführungsbeispiel enthalte. Der Fachmann könne auch nicht unter zumutbarem Aufwand die beanspruchte Lehre auf andere Weise realisieren, insbesondere werde ihm kein Weg - auch nicht ansatzweise - aufgezeigt, die Leistungsübertragung an den Verstellmotoren mittels Elektromotoren zu realisieren. Eine solche elektrische Lösung sei auch für einen Elektroingenieur keine Selbstverständlichkeit. Der Gegenstand des Streitpatents sei damit anhand der ausführbar an die Hand gegebenen hydraulischen Lösung so weit und unzulässig verallgemeinert, dass der Patentschutz über den tatsächlich geleisteten Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik hinausgehe.

Zwar sei es für eine ausführbare Lehre nicht erforderlich, dass alle denkbaren, unter den Wortlaut eines Patentanspruchs fallenden Ausgestaltungen ausführbar im Streitpatent dargestellt werden. Vielmehr sei es ausreichend, wenn zumindest ein Lösungsweg zur Nacharbeit der beanspruchten Erfindung offenbart werde. Der Patentschutz müsse aber insoweit auf einen konkret offenbarten Weg beschränkt bleiben, wenn eine generalisierende Formulierung bei wertender Betrachtung nicht mehr Teil einer der Allgemeinheit zugänglich gemachten Lösung ist, sondern sich als Verallgemeinerung eines vom Erfinder nur konkret aufgezeigten Beitrags zur Technik darstellt, der durch die allgemein beanspruchte Lehre nicht mehr repräsentiert werde.

Diesen Anforderungen werde die Gesamtoffenbarung der Streitpatentschrift nicht gerecht. Die Beschreibungen zu einer hydraulischen Lösung könnten kein Vorbild für eine Ausführung auf elektrotechnischer Basis bieten. Der Fachmann könne auch im Team mit einem Elektroingenieur aus den im Streitpatent gezeigten hydraulischen Schaltbildern als Lösungsprinzip keine Hinweise oder auch nur eine punktuelle Offenbarung oder Ausgestaltung für eine elektrische Lösung entnehmen. Eine solche Ausgestaltung bedürfte einer eigenständigen technischen Entwicklung aus dem Stand der Technik, so dass diese nicht durch die im Streitpatent gezeigte hydraulische Lösung repräsentiert werde.

III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand. Die Lehre von Patentanspruch 1, Alternative d ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Es kann offen bleiben, ob der Fachmann aufgrund seines Fachwissens zusammen mit der im Streitpatent für eine hydraulische Lösung gegebenen Beschreibung in der Lage wäre, eine elektrotechnische Lösung des Merkmals 6 zu realisieren. Eine die Ausführbarkeit für den Fachmann aufzeigende Offenbarung ist auch im Hinblick auf die gesamte beanspruchte Breite von Patentanspruch 1, Alternative d zu bejahen, weil die Beschreibung des Streitpatents mit der hydraulischen Lösung ein Ausführungsbeispiels für den Gegenstand dieser Alternative des Patentanspruchs 1 offenbart.

1. Für die deutliche und vollständige Offenbarung einer Erfindung ist es nicht erforderlich, dass alle denkbaren, unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallenden Ausgestaltungen mit Hilfe der im Patent offenbarten Informationen ausgeführt werden können. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es regelmäßig den Anforderungen von § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG, wenn zumindest ein nacharbeitbarer Weg zur Ausführung der Erfindung für einen Gegenstand oder ein Verfahren mit einer generisch definierten technischen Eigenschaft oder Anweisung offenbart ist, die erstmals der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird (vgl. BGH, Urteile vom 3. Mai 2001 - X ZR 168/97, BGHZ 147, 306 unter IV - Taxol; vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 Rn. 36 - Polymerisierbare Zementmischung). Etwas anders gilt nur dann, wenn aus fachmännischer Sicht keine technische Lehre in verallgemeinerter Form offenbart ist, die anhand eines Ausführungsbeispiels veranschaulicht ist. Der durch das Patent geschützte Bereich mag dann zwar im Patentanspruch generalisierend umschrieben sein, wäre damit aber über die erfindungsgemäße, dem Fachmann in der Beschreibung lediglich ganz konkret an die Hand gegebene Lösung hinaus verallgemeinert. Der Patentschutz ist dann auf diesen konkret offenbarten Weg beschränkt.

Im Regelfall, in dem der Gegenstand in verallgemeinerter Form beansprucht werden kann, weil das oder die Ausführungsbeispiele aus fachlicher Sicht als Ausführungsformen der Erfindung erkannt werden, darf der durch den Patentanspruch vermittelte Schutz lediglich nicht über das hinausgehen, was dem Fachmann als allgemeinste Form derjenigen technischen Lehre erscheint, die zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems vorgeschlagen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2013 - X ZB 8/12, BGHZ 198, 205 Rn. 21 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Die Verallgemeinerung muss vom Fachmann als solche als prägender Bestandteil der Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems verstanden werden können (vgl. Meier-Beck in Festschrift Ullmann, Der zu breite Patentanspruch, 2006, S. 495, 500 f.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 34 Rn. 84). Der Patentschutz muss demgegenüber dann auf den konkret offenbarten Weg beschränkt werden, wenn eine generalisierende Formulierung im Patentanspruch den durch das Patent geschützten Bereich über die erfindungsgemäße, dem Fachmann in der Beschreibung an die Hand gegebene Lösung hinaus verallgemeinern würde. In einem solchen Fall beansprucht der Satz Geltung, dass der mögliche Patentschutz durch den Beitrag zum Stand der Technik begrenzt wird (vgl. BGH, Urteile vom 25. Februar 2010 - Xa ZR 100/05, BGHZ 184, 300 Rn. 23 mwN - Thermoplastische Zusammensetzung; vom 27. November 2012 - X ZR 58/07, BGHZ 195, 364 Rn. 28 - Neurale Vorläuferzellen II).

2. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen ist die Lehre von Patentanspruch 1, Alternative d in allgemeiner Form in vollem Umfang anhand des beschriebenen Ausführungsbeispiels mit hydraulischen Motoren ausführbar offenbart.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1, Alternative d betrifft Schwingungserreger, die gemäß Merkmal 6 eine von Reaktionsdrehmomenten bewirkte Leistungsübertragung mittels Verstellmotoren vorsehen, wobei diese Motoren gleichzeitig Antriebsmotoren sein können. Mit der Erfindung einer solchen Leistungsübertragung leistet das Streitpatent einen Beitrag zum Stand der Technik und es löst das zugrunde liegende Problem, eine Leistungsübertragung mit weniger Verschleiß und Lärm zu erreichen, sowohl mit Hilfe von hydraulischen als auch mit Hilfe von elektrischen Motoren. Die Lösung mit Hydraulikmotoren ist, worüber zwischen den Parteien Einvernehmen herrscht, ausführbar offenbart. Der Patentschutz ist aber nicht mit der Begründung auf diesen konkret offenbarten Weg beschränkt, dass der durch das Patent geschützte Bereich aus fachmännischer Sicht ansonsten über die erfindungsgemäße, in der Beschreibung an die Hand gegebene Lösung hinaus verallgemeinert würde. Vielmehr wird aus fachlicher Sicht erkannt, dass ein allgemeineres motorisches Wirkungsprinzip anhand des Hydraulikantriebs vorgestellt wird, auch wenn Hydraulikmotoren am Anmeldetag für den Einsatzzweck durchaus besonders prädestiniert gewesen sein mögen. Das gilt schon deshalb, weil in der Streitpatentschrift auch Elektroantriebe angesprochen sind. Schon die auf Spalte 5 Zeile 21 ff. der Beschreibung erläuterte Energieumwandlung von hydraulischer oder elektrischer Energie in Stellenergie ist entgegen den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erhobenen Bedenken ein diesbezüglich fachlich unmissverständlicher Hinweis. Soweit an anderer Stelle (Beschreibung Sp. 6 Z. 41 ff.) gegen elektrotechnische Komponenten sprechende Bedenken artikuliert werden, unterstreicht dies die Möglichkeit von deren Einsatz, auch wenn Hydraulikmotoren - wie sich aus dem Urteil des OLG Düsseldorf im Verletzungsprozess und der dortigen Sachverständigenbefragung ergibt - seinerzeit schon aus wirtschaftlichen Gründen besonders interessant gewesen sein dürften. Ein "Weglehren" vom Gegenstand des Streitpatents, den die Klägerin darin gesehen wissen möchte, liegt in diesem Hinweis nicht. Ein von einem bestimmten Vorschlag wegführender technischer Lösungsansatz im Stand der Technik mag von indizieller Bedeutung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sein, hat aber mit der Frage der ausführbaren Offenbarung nichts zu tun. Aus dem genannten im Verletzungsprozess ergangenen Urteil und den darin in Bezug genommenen Ausführungen des dortigen Sachverständigen ergibt sich im Übrigen, dass die Umsetzung der Erfindung unter Einsatz von Elektromotoren zwar anderen Voraussetzungen unterliegt, als die im Streitpatent primär aufgezeigte Lösung mit Hydraulikmotoren. Auch das steht vor dem Hintergrund der vom Patentgericht festgestellten Zusammensetzung des Personenkreises, der sich am Anmeldetag des Streitpatents mit der Weiterentwicklung des Stands der Technik befasste (oben II), entgegen den von der Klägerin diesbezüglich erhobenen Bedenken, der Ausführbarkeit nicht entgegen.

Soweit die Klägerin in die mündliche Erörterung der Ausführbarkeit den Begriff des pneumatischen Motors geworfen hat, kann dahinstehen, ob der Fachmann dessen Einsatz ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. Für die Reichweite der ausführbaren Offenbarung der Erfindung ergibt sich daraus nach dem vorstehend Ausgeführten aber ohnehin nichts Abweichendes.

IV. Da das Patentgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - sich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht abschließend befasst hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Patentgericht zurückzuverweisen, auch zur Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens (§ 119 Abs. 2 und 3 PatG). Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird. Eine Endentscheidung durch den Bundesgerichtshof (§ 119 Abs. 5 PatG)

ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit unterblieben ist (BGH, Urteil vom 7. Juli 2015 - X ZR 64/13, GRUR 2015, 1095 Rn. 39 - Bitratenreduktion).

Gröning Grabinski Hoffmann Schuster Kober-Dehm Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.06.2013 - 4 Ni 16/11 -






BGH:
Urteil v. 10.11.2015
Az: X ZR 88/13


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