Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 16. Oktober 2012
Aktenzeichen: 4 Ws 179/12 (K), 4 Ws 179/12

(OLG München: Beschluss v. 16.10.2012, Az.: 4 Ws 179/12 (K), 4 Ws 179/12)

Tenor

I. Die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt gegen den Beschluss des Landgerichts Kempten vom 10. August 2012 wird als unbegründet verworfen.

II. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde im Verfahren 12 Ds 224 Js 18387/10 dem in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten mit Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 10.3.2011 als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Durch Urteil des Amtsgerichts Kempten vom 21.3.2011 wurde der Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Dem Angeklagten wurden die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen auferlegt. Der in diesem Verfahren bestehende Haftbefehl wurde aufgehoben und der Angeklagte wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte mit Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 22.3.2012, der am selben Tag einging, Rechtsmittel ein. Dieser Schriftsatz gelangte versehentlich zunächst nicht zu den Akten, so dass eine Zustellung des Urteils an den Angeklagten oder dessen Verteidiger unterblieb.

Nachdem dem Verteidiger am 5.5.2011 Akteneinsicht gewährt worden war, bezeichnete dieser mit Schriftsatz vom 6.5.2011, der am selben Tag beim Amtsgericht Kempten einging, das Rechtsmittel als Revision und begründete diese mit seinem Schriftsatz vom 11.5.2011, der ebenfalls am selben Tag einging. Er rügte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

Am 7.6.2011 wurde dem Verteidiger des Angeklagten das Urteil zugestellt.

Am 18.7.2011 fand gegen den Angeklagten im Verfahren 12 Ds 422 Js 6677/11 eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Kempten statt. In diesem Verfahren wurde unter Beteiligung des Beschwerdeführers eine Verfahrensabsprache getroffen. Teil der Verfahrensabsprache war, dass der Angeklagte die Revision im vorliegenden Verfahren zurücknimmt, um durch die damit eintretende Rechtskraft eine Gesamtstrafe mit der neu zu verhängenden Freiheitsstrafe bilden zu können. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.7.2011, der persönlich in diesem Hauptverhandlungstermin übergeben wurde, nahm der Angeklagte die Revision gegen das Urteil des Amtsgerichts Kempten vom 21.3.2011 zurück.

Mit Schriftsatz vom 20.7.2011 hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen in Höhe von 1902,10 € beantragt. Hierbei hat er auch die Festsetzung einer Gebühr für die "Mitwirkung an nicht nur vorläufiger Einstellung des Verfahrens, Verfahrensgebühr für Ermittlungsverfahren Nr. 4141 I 1, 4104 VV RVG" in Höhe von 505 € zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Der Bezirksrevisor hat mit Schreiben vom 8.12.2011 beantragt, die zu erstattende Vergütung auf 1270,92 € festzusetzen. Hinsichtlich der Gebühr Nr. 4141 VV RVG hat er ausgeführt, da keine Revisionshauptverhandlung zu erwarten gewesen sei, sondern allenfalls ein Beschluss nach § 349 StPO, sei die Gebühr nicht angefallen. Mit Schriftsatz vom 5.1.2011 und 16.1.2012 hat der Beschwerdeführer ausgeführt, die Gebühr Nr. 4141 VV RVG sei angefallen, da die Revision von ihm begründet worden sei. Dies sei nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 11.2.2008 (Aktenzeichen 4 Ws 008/08) ausreichend, um die Anweisung der entsprechenden Gebühr zu rechtfertigen. Es wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Urteil des Amtsgerichts Kempten durch das Oberlandesgericht München aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen worden. Es wäre wieder eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr im amtsgerichtlichen Verfahren angefallen. Die Gebühr sei eine Erfolgsgebühr, die anfalle, wenn der Rechtsanwalt an der Vermeidung einer Hauptverhandlung mitgewirkt habe. Vorliegend sei dies gegeben, da durch die Rücknahme der Revision eine Hauptverhandlung vor dem Erstgericht vermieden worden sei.

Das Amtsgericht Kempten hat mit Beschluss vom 13.1.2012 die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 1279,01 € festgesetzt. Gegen diesen ihm am 18.1. 2012 zugestellten Beschluss hat der Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom 20.1.2012, der am 23.1.2012 beim Amtsgericht Kempten einging, "sofortige Beschwerde" eingelegt. Das Amtsgericht Kempten hat mit Beschluss vom 22.3.2012 der Erinnerung nicht abgeholfen und mit Beschluss vom 23.7.2012 die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Gewährung der Gebühr Nr. 4141 VV RVG sei vorliegend nicht gerechtfertigt, da eine Hauptverhandlung im Revisionsverfahren sicher nicht stattgefunden hätte. Das Revisionsgericht hätte durch Beschluss entschieden, da nur der Angeklagte Revision eingelegt hatte.

Der Beschwerdeführer hat gegen diesen, ihm am 26.7.2012 zugestellten Beschluss mit Schriftsatz vom 27.7.2012, der am selben Tag einging, "sofortige Beschwerde" eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Befriedungsgebühr Nr. 4141 VV RVG beziehe sich nicht nur auf den Revisionsrechtszug, sondern falle immer dann an, wenn eine weitere Hauptverhandlung in einem Verfahren durch die Mitwirkung des Verteidigers entfalle. Diese Auslegung entspreche dem mit der Vorschrift beabsichtigen gesetzgeberischen Willen, die Gerichte zu entlasten.

Das Landgericht Kempten hat mit Beschluss vom 10.8.2012 die Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 23.7.2012 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass in Abänderung des Festsetzungsbeschlusses vom 13.1.2012 die Gebühr nach RVG VV Nr. 7000 auf 49,00 € statt 26,80 € festgesetzt wird. Im Beschluss wurde die weitere Beschwerde gegen die Entscheidung zugelassen. In der Begründung wurde ausgeführt, die Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG sei nicht angefallen, da allenfalls eine Zurückverweisung durch Beschluss zu erwarten gewesen sei.

Gegen diesen ihm formlos mit Verfügung vom 14.8.2012 mitgeteilten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 21.8.2012, der am selben Tag beim Landgericht Kempten einging, weitere Beschwerde gegen die Nichtfestsetzung der Gebühr Nr. 4141 VV RVG eingelegt. Hierbei hat er zur Begründung auf seine Schriftsätze vom 5.1., 16.1 und 27.7.2012 Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 33 Abs. 6, Abs. 3 RVG zulässige weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet. Die Festsetzung der Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 i.V.m. Nr. 4130 VV RVG ist im Falle der Revisionsrücknahme nur dann gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass ausnahmsweise im Revisionsverfahren eine Hauptverhandlung anberaumt wird.

1. Der Gebührentatbestand Nr. 4141 enthält im "Unterabschnitt 5. Zusätzliche Gebühren" folgende Regelung:

Durch die anwaltliche Mitwirkung wird die Hauptverhandlung entbehrlich.

Zusätzliche Gebühr

(1) Die Gebühr entsteht, wenn

1.

2.

3. sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl, der Berufung oder Revision des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten erledigt; ist bereits ein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt, entsteht die Gebühr nur, wenn der Einspruch, die Berufung oder die Revision früher als zwei Wochen vor Beginn des Tages, für den die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen wird.

(2) Die Gebühr entsteht nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist.

(3) Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem Rechtszug, in dem die Hauptverhandlung vermieden wurde. Für den Wahlanwalt bemisst sich die Gebühr nach der Rahmenmitte.

Gebühr oder Satz der Gebühr nach § 13 oder § 49 RVG Wahlanwalt/ gerichtlich bestellter oder beigeordneter Rechtsanwalt

in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr (ohne Zuschlag)

2. Danach stünde dem Beschwerdeführer allenfalls eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4141, 4130 VV RVG in Höhe von 412 € zu (zuzüglich Nr. 7008 VV RVG), da der Gebührentatbestand Nr. 4141 VV RVG nur einen Anspruch in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr ohne Zuschlag gewährt.

3. Unter Berücksichtigung des Obersatzes der gesetzlichen Regelung (durch die anwaltliche Mitwirkung wird die Hautverhandlung entbehrlich) und der Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/1971, S. 227, 228) entsteht die Zusatzgebühr Nr. 4141 VV RVG nur dann, wenn eine Hauptverhandlung anberaumt worden ist oder zumindest konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Revisionshauptverhandlung durchgeführt worden wäre und durch die rechtzeitige, durch anwaltliche Tätigkeit bewirkte Rücknahme der Revision entbehrlich wurde. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll durch diese Zusatzgebühr der Verlust der Hauptverhandlungsgebühr für den Verteidiger ausgeglichen und damit die Rücknahme vor der Durchführung der Hauptverhandlung gefördert werden (OLG Rostock Beschluss vom 6.3.2012 Az: I Ws 62/12 (RVG) zitiert nach juris Rdn. 10, 11; OLG Köln Beschluss vom 18.4.2008 Az: 2 Ws 164/08 zitiert nach juris Rdn. 12, 19 m.w.N.).

3.1 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Neuregelung in Nr. 4141 VV RVG den Grundgedanken der Regelung in § 84 Abs. 2 BRAGO übernehmen. Diese Regelung war geschaffen worden, um die intensiven und zeitaufwändigen Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten, gebührenrechtlich zu honorieren. Deshalb erhielt der Rechtsanwalt, wenn durch seine Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich wurde, nicht nur die halbe Gebühr des § 84 Abs. 1 BRAGO, sondern die volle Gebühr des § 83 Abs. 1 BRAGO. Dies sollte die Neuregelung aufgreifen, indem dem Rechtsanwalt in den genannten Fällen nun eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt werden sollte. Diese Gebühr sollte den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen (BT-Drs. 15/1971, S. 227). Diese Regelung die nach der bis zum 30.6.2004 geltenden BRAGO nur für die erste Instanz und die Berufungsinstanz gegolten hat, sollte durch die Regelung in Abs. 1 Nr. 3 auf die Revisionsinstanz ausgeweitet werden. Damit sollte eine Entlastung der Revisionsgerichte herbeigeführt werden (aaO S. 228). Es sollte auch hier nur der Wegfall der Terminsgebühr in dieser (Revisions-) Instanz ausgeglichen werden.

3.2 Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, dass die Gebühr nach Rücknahme der Revision jedenfalls nur dann entstehen kann, wenn eine nicht nur zulässig eingelegte, sondern auch begründete Revision zurückgenommen wird, fest (Senatsbeschluss vom 11.2.2008 AZ: 4 Ws 008/08; OLG Köln aaO Rdn. 12). Denn sonst wäre die Revision bereits als unzulässig zu verwerfen und damit würde eine Revisionshauptverhandlung sicher nicht stattfinden.

3.3 Darüber hinaus ist erforderlich, dass nicht nur eine theoretische Möglichkeit der Durchführung einer Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht besteht, sondern, dass eine anberaumte oder aufgrund konkreter Umstände ausnahmsweise zu erwartende Hauptverhandlung in dieser Instanz aufgrund der durch anwaltliche Tätigkeit bewirkten Revisionsrücknahme entbehrlich wird. Die Zuerkennung der Zusatzgebühr kommt nur dann in Betracht, wenn eine anderenfalls entstehende Gebühr in dieser Instanz durch die Revisionsrücknahme in Wegfall gerät.

Die Einlegung der Revision wird gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG noch von der Verfahrensgebühr der Vorinstanz abgedeckt. Die Begründung der Revision wird durch die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG vergütet und muss nicht noch einmal durch die Befriedungsgebühr abgegolten werden. Würde man einem Verteidiger allein wegen der Revisionsrücknahme eine zusätzliche Gebühr zubilligen, wäre er besser gestellt als der Verteidiger, der das Revisionsverfahren durchführt, ohne dass es zu einer Hauptverhandlung kommt.

Da vorliegend lediglich der Angeklagte Revision eingelegt hatte, war die Durchführung einer Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht zu erwarten. Der zuständige Revisionssenat des Oberlandesgerichts hätte vielmehr im Beschlusswege über diese Revision entschieden. Dabei ist unerheblich, dass das Revisionsgericht möglicherweise das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen hätte und in der Folgezeit vor dem Amtsgericht eine neue Hauptverhandlung stattgefunden hätte. Denn durch die Zusatzgebühr soll nur ein Ausgleich für den Verteidiger für die jeweilige Instanz geschaffen werden. Wenn, wie nicht, der Wegfall der Hauptverhandlung in der 1. Instanz ausreichend wäre, müsste für die Bemessung im Übrigen der Gebührentatbestand Nr. 4104 in Höhe von 112 € herangezogen werden.

Die Gebühren und Auslagenfestsetzung des Amtsgerichts Kempten, bestätigt durch den Beschluss des Landgerichts Kempten, sind somit hinsichtlich der Ablehnung des Gebührenansatzes der Nr. 4141 nicht zu beanstanden, die weitere Beschwerde mithin als unbegründet zu verwerfen.

III.

Die Entscheidung über die Gebühren und Auslagen folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.






OLG München:
Beschluss v. 16.10.2012
Az: 4 Ws 179/12 (K), 4 Ws 179/12


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