Kammergericht:
Beschluss vom 29. August 2003
Aktenzeichen: 1 W 185/03

(KG: Beschluss v. 29.08.2003, Az.: 1 W 185/03)

1. Terminsreisekosten eines auswärtigen, der Partei im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts sind gemäß § 122 Abs 1 BRAGO grundsätzlich aus der Staatskasse zu erstaaten, wenn der Beigeordnungsbeschluss keine Beschränkung hinsichtlich der Reisekosten enhält.

2. Mit dem blßen Antrag auf Beiordnung erklärt sich der Rechtsanwalt nicht schlüssig damit einverstanden, zu den Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtanwalts tätig zu werden.

3. Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, vor der Reise zur Terminswahrnehmung eine Feststellung nach § 126 Abs 2 S. 1 BRAGO zu erwirken.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die der Beteiligten zu 1) aus der Landeskasse Berlin zu gewährende Vergütung wird über die Festsetzung vom 1. Oktober 2002 hinaus auf weitere 71,26 Euro festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

Die gemäß § 128 Abs.4 S.1 BRAGO zulässige Beschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Der Beteiligten zu 1) steht gemäß §§ 121, 122 Abs.1 BRAGO ein Anspruch gegen die Landeskasse auf Erstattung der ihr durch die Reise zum Verhandlungstermin vor dem Landgericht Berlin am 3. September 2002 entstandenen Kosten zu.

Reisekosten und sonstige Auslagen werden dem beigeordneten Rechtsanwalt gemäß § 126 Abs.1 S.1 BRAGO nur dann nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich waren. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Beauftragung der nicht am Prozessgericht zugelassenen Beteiligten zu 1) durch den Kläger notwendig i.S.v. § 91 Abs.2 S.1 Hs.2 ZPO war (vgl. dazu BGH NJW 2003, 898 ff. und 2027 f.). Denn hier geht es nicht um die Kostenerstattung zwischen den Parteien, sondern um den Vergütungsanspruch des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Landeskasse. Der Umfang dieses Anspruchs richtet sich gemäß § 122 Abs.1 BRAGO nach dem Beschluss vom 12. März 2002, durch den die Prozesskostenhilfe bewilligt und die Beteiligte zu 1) € ohne Einschränkung € beigeordnet worden ist. Der Beschluss ist als Kostengrundentscheidung für die Vergütungsfestsetzung bindend; weder ist zu prüfen, ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 121 Abs.1 und 2 ZPO überhaupt erforderlich war, noch ob die Beiordnung gerade dieses (auswärtigen) Rechtsanwalts notwendig und gemäß § 121 Abs.3 ZPO zulässig war. Es ist vielmehr von der Beiordnung auszugehen, durch die das Gericht zum Ausdruck gebracht hat, dass es die Einschaltung des auswärtigen Anwalts für sachdienlich und notwendig erachtet (vgl. OLG München, Rpfleger 2002, 159, 160; Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl., § 126 Rn. 16 m.w.N.).

Der Vergütungsanspruch ist nicht gemäß § 126 Abs.1 S.2 Hs.1 BRAGO ausgeschlossen. Der Ausschlusstatbestand greift gemäß § 126 Abs.1 S.2 Hs.2 BRAGO nicht ein, wenn ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, der weder bei dem Prozessgericht noch bei einem Gericht zugelassen ist, das sich an demselben Ort wie das Prozessgericht befindet. Ein solcher Fall ist hier gegeben, da die Beteiligte zu 1) bei einem Berliner Gericht nicht zugelassen ist. Unter Zulassung i.S.v. § 126 Abs.1 S.2 Hs.2 ZPO ist € ebenso wie bei § 91 Abs.2 S.1 Hs.2 ZPO (vgl. BGH NJW 2003, 898, 900) € die berufsrechtliche Zulassung des Rechtsanwalts bei einem bestimmten Gericht i.S.d. §§ 18 ff. BRAO und nicht die Postulationsfähigkeit i.S.d. § 78 ZPO zu verstehen (OLG Frankfurt, MDR 2003, 177; OLG Nürnberg, Rpfleger 2002, 628, 629; OLG Rostock, FamRZ 2001, 510, 511; Brandenburgisches OLG, JurBüro 1997, 591, 592; Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., § 126 BRAGO Rn. 35). Das folgt sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift; die Beiordnung eines nicht postulationsfähigen Rechtsanwalts kommt nicht in Betracht. Als Anwendungsbereich für § 126 Abs.1 S.2 Hs.1 BRAGO verbleiben € in Übereinstimmung mit § 91 Abs.2 S.2 ZPO € die Fälle, in denen ein am Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat.

§ 121 Abs.3 ZPO steht dem Erstattungsanspruch der Beteiligten zu 1) ebenfalls nicht entgegen, da ein möglicher Verstoß gegen diese Vorschrift die Wirksamkeit der Kostengrundentscheidung nicht berührt. Es ist € unabhängig von der Zulässigkeit einer solchen Einschränkung € auch nicht davon auszugehen, dass das Prozessgericht die Beteiligte zu 1) lediglich zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet hat. Wird eine solche Beschränkung in dem Beiordnungsbeschluss nicht ausgesprochen und bestehen € wie hier € auch keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Auslegung, kann die Einschränkung nicht unterstellt werden (vgl. OLG München, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Rostock, a.a.O.; Brandenburgisches OLG, a.a.O.; OLG Schleswig, Rpfleger 2002, 85; OLG Koblenz, MDR 2002, 175; OLG Düsseldorf, JurBüro 1989, 839, 840; LAG Köln, MDR 1999, 1469; Hartmann, a.a.O.; Baumbach/Hartmann, 61. Aufl., § 121 Rn. 62). Die Gegenansicht (OLG Naumburg, OLGR 2002, 310; MDR 2002, 177; Brandenburgisches OLG, Rpfleger 2000, 279, 280; LAG München, MDR 2002, 1277, 1278) ist abzulehnen, denn der Inhalt gerichtlicher Entscheidungen ergibt sich aus dem tatsächlich Verlautbarten, das auch dann maßgebend ist, wenn es dem Gesetz nicht entspricht. Das Gericht hat die Voraussetzungen des § 121 Abs.3 ZPO vor der Beiordnung zu prüfen; verneint es diese, muss es die Beiordnung des auswärtigen Anwalts ablehnen oder jedenfalls zum Ausdruck bringen, dass sie unter einer Einschränkung erfolgt, die bei der Vergütungsfestsetzung zu berücksichtigen ist.

Schließlich hat die Beteiligte zu 1) auch nicht auf die Vergütung der Reisekosten verzichtet. Insbesondere hat sie sich weder ausdrücklich noch konkludent bereit erklärt, zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts tätig zu werden; in dem bloßen Antrag auf Beiordnung kann eine solche Erklärung nicht gesehen werden (vgl. OLG Rostock, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O., S. 176; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 121 Rn. 13; a.A. OLG Celle, FamRZ 2000, 1387; Brandenburgisches OLG, a.a.O.). Zum einen mag es € auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) zur erstattungsrechtlichen Notwendigkeit der Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts € im Einzelfall trotz entstehender Mehrkosten gerechtfertigt sein, einen nicht beim Prozessgericht zugelassenen Anwalt einschränkungslos beizuordnen. Zum anderen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es dem Rechtsanwalt auf eine Erstattung sämtlicher Auslagen einschließlich der Reisekosten ankommt, für die es in § 126 Abs.1 S.1, S.2 Hs.2 BRAGO eine Rechtsgrundlage gibt.

Die Terminsreise war zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen des Klägers durch die ihm beigeordnete Beteiligte zu 1), deren Auswahl aus den oben genannten Gründen nicht zu überprüfen ist, erforderlich. Im Anwaltsprozess muss sich die Partei im Termin durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen und die Reisekosten der Beteiligten zu 1) liegen unter den Kosten, die durch die Einschaltung eines Unterbevollmächtigten entstanden wären. Der Bewilligung der Reisekostenvergütung steht auch nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 1) vor der Reise zur Terminswahrnehmung eine Feststellung nach § 126 Abs.2 S.1 BRAGO nicht erwirkt hat, denn dazu war sie nicht verpflichtet (vgl. OLG Schleswig, a.a.O.; Hartmann, a.a.O., § 126 BRAGO Rn. 41).

Der Höhe nach steht der Beteiligten zu 1) gemäß §§ 28 Abs.3 S.1, 25 Abs.2 BRAGO ein Abwesenheitsgeld von 31 Euro zuzüglich 16% Umsatzsteuer (insgesamt 35,96 Euro) und gemäß § 28 Abs.1, Abs.2 Nr.2 BRAGO ein Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten von 35,30 Euro zu; diese sind durch Photokopien der Fahrscheine (Bl. 122 f. d.A.) nachgewiesen.

Im Übrigen ist die Beschwerde nicht begründet. Hinsichtlich der Fahrtkosten kann die Beteiligte zu 1) die Umsatzsteuer nicht zusätzlich geltend machen, weil diese in den Fahrpreisen bereits enthalten ist.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 128 Abs.6 BRAGO).






KG:
Beschluss v. 29.08.2003
Az: 1 W 185/03


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