Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 21. November 2002
Aktenzeichen: 4 U 134/02

(OLG Hamm: Urteil v. 21.11.2002, Az.: 4 U 134/02)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 12. Juni 2002 verkündete

Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen wird

zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch zu, soweit die Beklagten für das Mittel "X", welches aus X2, X3 und X4 besteht, wie folgt

geworben haben:

a) " Dieser Stoff X2 arbeitet im Organismus wie Östrogen. Das heißt: Es werden auf natürliche Art und Weise diese blöden unangenehmen Begleiterscheinungen, die die Wechseljahre nun mal mit sich bringen, beseitigt."

b) " Frauen ... in den Wechseljahren ... werden synthetisch hergestellte

Hormonpräparate verabreicht. Hier gibt es jede Menge Probleme. Ein Problem ist zum Beispiel, dass jede zehnte Frau mit Unverträglichkeiten reagiert auf dieses Hormonpräparat.

Das bedeutet: Hormonpräparat wird wieder abgesetzt. Dann wird ein Neues ausprobiert.

Das ist wieder eine hormonelle Umstellung für den ganzen Körper. Also ein Riesenchaos entsteht dann. Aber was ich am allerschlimmsten finde ist die Tatsache, dass Hormonpräparate ganz stark in dem Verdacht stehen, krebserregend zu sein.

Hormonpräparate sollen Defizite an Östrogen ausgleichen. Aber wie gesagt: mit `ner Riesenpalette an Nebenwirkungen. ...

X2 hat fast exakt die selbe chemische Struktur wie das Geschlechtshormon Östrogen. Das heißt also: Das X2 im Körper natürlich dieselben Aufgaben erledigen kann und das ... natürlich, ohne Nebenwirkungen, weil es total pflanzlich ist. Und das ist wirklich eine Super-Alternative zu den Präparaten, die synthetisch hergestellt sind und ganz stark ... im Verdacht stehen, krebserregend zu sein."

1) Die Berufung ist zulässig. Die Beklagten haben die Berufungsfrist des § 517 ZPO eingehalten. Diese Frist von einem Monat beginnt mit der Zustellung des vollständigen Urteils. Zu dieser ist es am 30. Juli 2002 gekommen. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten auf einem Empfangsbekenntnis nach § 174 Abs. 1 ZPO bescheinigt, dass er das zuzustellende Schriftstück am 29. Juli 2002 erhalten hat. Ein solches Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung Beweis. Der Beweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist jedoch zulässig und hier auch unter den strengen Anforderungen an eine solche Beweisführung (vgl. BGH MDR 2002, 1332) geführt. Nach der anwaltlichen Versicherung des Unterzeichnenden ist das Urteil erst am 30.Juli 2002 eingegangen. Dafür, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses nicht richtig sein können, spricht insbesondere die Tatsache, dass das Urteil nach dem Vermerk der Geschäftsstelle in den Akten erst am 29. Juli 2002 in Essen abgesandt worden ist. Die am 30. August 2002 eingegangene Berufung ist damit rechtzeitig.

2) Die erste im Streit befindliche Werbung a), die Ziffer 2 a) des Urteilstenors entspricht, ist irreführend und verstößt gegen §§ 3 UWG, 17 Abs. 1 Nr. 5 a LMBG. Nach diesen Normen liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn Lebensmitteln Wirkungen beigelegt werden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind.

a) Bei X2 handelt es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel und damit um ein Lebensmittel.

b) Mit dem Landgericht meint der Senat, dass die Werbeaussage beim angesprochenen Verbraucher den Eindruck erweckt, dass X2 im Organismus die gleichen Wirkungen entfaltet wie das körpereigene Hormon Östrogen und X2 deshalb den unangenehmen Begleiterscheinungen der Wechseljahre (gleichsam wie Östrogen) entgegenwirkt.

c) Die dem X2 damit beigelegten Wirkungen kommen ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zu. X2 wirkt in diesem doppelten Sinne nicht wie Östrogen. Man kann nicht sagen, dass zwei Stoffe im Organismus gleich arbeiten, wenn der eine in seiner Wirkung nur 1/1000 der Wirkung des anderen erreicht. Daran ändert auch der in der Berufungsinstanz erstmalige Vortrag der Beklagten nichts, dass X2e nach der Einnahme des Mittels in größerer Menge im Körper vorhanden seien und dadurch ihre geringe Wirkkraft möglicherweise sogar vollständig kompensiert werde.

aa) Die Zulassung des neuen Vortrags hängt von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO ab. Da schon erstinstanzlich die geringe Wirkung der X2e mit dem Faktor 1000 im Gespräch war, hätten die Beklagten ihr jetziges -von ihnen selbst für entscheidend gehaltenes- Vorbringen schon erstinstanzlich bringen müssen. Das Landgericht hätte den Beklagten auch keinen Hinweis erteilen müssen. Es konnte von sich aus nicht wissen, dass das Mengenverhältnis von X2en zu Östrogenen im Körper von erheblicher Bedeutung sein könnte. Mit einem so fachspezifischen weiteren Einwand hätte es nicht rechnen müssen. Das Landgericht hat auch keinen Beweisantritt der Beklagten im Zusammenhang mit dieser Werbeaussage übergangen. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bezog sich allein auf den Verdacht der Krebsverursachung bei der Einnahme von Hormonpräparaten.

bb) Selbst wenn man das Vorbringen aber zulassen wollte, änderte sich auch bei einer eventuellen Relativierung der unterschiedlichen Wirkung durch einen Mengenvergleich in materieller Hinsicht nichts, weil der Verbraucher bei der angegriffenen Werbung berechtigterweise erwartet, dass von einer im wesentlichen gleichen Menge die gleiche Wirkung im Körper eintritt. Er erwartet ohne entsprechende Klarstellung nicht, dass die Östrogenwirkung des Mittels so schwach ist, dass die funktionell gleiche Wirkung erst dann in Betracht kommen kann, wenn die tausendfache Menge zum Einsatz kommt und auch tatsächlich wirkt.

d) Die Aussage ist auch deshalb irreführend, weil ein Einsatz großer Mengen von X2en sogar eine antiöstrogene Wirkung hervorrufen kann, weil X2e wegen der strukturellen Ähnlichkeit mit Östrogenen "als andere Schlüssel für das gemeinsame Schloss" den gemeinsamen Rezeptor im Körper blockieren können und eine Wirkungsmöglichkeit der gleichzeitig vorhandenen wirkungsvolleren körpereigenen Östrogene durch Verdrängung verhindern können (vgl. Hahn, Nahrungsergänzungsmittel, S 201 f. (Bl.55f.). Auch wegen dieser Gefahr der antiöstrogenen Wirkung bei dem Einsatz der erforderlichen großen Mengen arbeitet X2 im Körper nicht wie Östrogen.

e) Die dem X2 beigelegte weitere Wirkung, dass es die unangenehmen Begleiterscheinungen der Wechseljahre wie Östrogen beseitigt, ist jedenfalls nicht wissenschaftlich gesichert, schon weil die Wirkung von X2 viel zu gering ist und die Einnahme großer Mengen zu einer gegenteiligen Wirkung führen kann. Die Beklagten haben noch nicht einmal dargelegt, wieso es dennoch sichere wissenschaftliche Erkenntnisse dazu gibt, dass X2 diese beworbenen Wirkungen hat. Die in der Berufungsinstanz dazu vorgelegte Literatur sagt, soweit sie in deutscher Sprache abgefasst ist, auch nur etwas dazu, dass die Phytoöstrogene, zu denen die X2e gehören, von der Struktur den steroidalen Östrogenen ähneln (Bl.360) und eine Affinität zum Östrogenreflektor besitzen. Aus den Artikeln in der Apothekerzeitung Nr.37 und Nr.22 ergibt sich sogar bestätigend, dass sie an den Rezeptoren sowohl östrogene als auch antiöstrogene Wirkungen entfalten können (Bl.363, 366). Noch bemerkenswerter ist aber, dass sich daraus auch ganz eindeutig erkennen lässt, dass zum wirksamen Ersatz von synthetischen Hormonen, zur richtigen Dosierung der Phytoöstrogene und zu den möglichen Nebeneffekten noch keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen (Bl.365). Andere Erkenntnisse hatte auch das OLG Hamburg in der von den Beklagten zitierten Entscheidung nicht. Wenn es zu der Aussage kam, dass X2e Östrogene sind, so ging es dabei um die strukturellen Ähnlichkeiten, die aber über die gleiche Wirkung im Körper nichts besagen.

3) Ob die Werbung auch gegen § 17 Abs. 1 Nr. 5 c LMBG verstößt und ob der Senat das berücksichtigen darf, kann dahin stehen. Dabei handelt es sich um einen neuen Streitgegenstand, mit dessen Zulassung die Klage geändert würde. Der Zulassung dürfte die strenge Regelung des § 533 ZPO entgegenstehen.

4) Auch im Hinblick auf die Werbeaussagen zu b) (Ziffer 2 b des Urteilstenors) liegt ein Verstoß gegen §§ 3 UWG, 17 Abs. 1 Nr. 5 a LMBG vor, weil auch darin dem Lebensmittel X2 wieder gesundheitsbezogene Wirkungen beigelegt worden sind, die ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind. Es mag an sich zutreffen, dass X2 "fast exakt dieselbe chemische Struktur hat wie das Geschlechtshormon Östrogen". Dieser Satz steht aber in Zusammenhang damit, dass X2 im zweiten Teil der zitierten Passage wieder so dargestellt wird, als ob es als pflanzlicher Stoff die Aufgaben des Östrogens im Körper ohne Nebenwirkungen ebenso erledigen könne, und zwar besser als die synthetischen Produkte. Gerade die vom Verbraucher dieser Aussage entnommene Eignung der Phythoöstrogene zur Hormonersatztherapie ist aber noch nicht wissenschaftlich gesichert.

5) Die einheitlichen Aussagen verstoßen als Ganzes auch gegen § 18 Abs. 1 Nr. 6 LMBG und sind auch deshalb zu verbieten. Die Werbung ist geeignet, Angstgefühle hervorzurufen oder auszunützen, weil neben einem Riesenchaos auch Krebs erwähnt wird.

a) Krebs ist eine der häufigsten Todesursachen und kann mit besonderen Schmerzen und mit langem Leiden verbunden sein. Durch die Werbung kann es bei den angesprochenen Frauen in den Wechseljahren zu einer Verunsicherung kommen. Diese Verunsicherung kann zu Angstgefühlen führen oder jedenfalls bekannte, aber verdrängte Ängste wieder hervorrufen. Die Beklagten haben einen solchen Verdrängungseffekt selbst angeführt. Eine entstandene oder schon vorhandene Angst wird auch ausgenutzt, weil die dargestellten Zusammenhänge den betroffenen Frauen nahe legen, mit dem Erwerb des beworbenen rein pflanzlichen Nahrungsergänzungsmittels dem Risiko entgegenzuwirken.

b) Der Senat teilt nicht die Auffassung, dass die angesprochenen Verkehrskreise den Zusammenhang von Hormonpräparaten und Krebs so genau kennen, dass durch weitere Hinweise darauf keine Angstgefühle mehr auftreten können. Die Fernsehwerbung wendet sich nicht nur an überdurchschnittlich gesundheitsbewusste Kunden, die man als Stammkunden von Reformhäusern kennt. Die Werbung richtet sich vielmehr auch an die Allgemeinheit und damit auch an Personen, die erst durch die Werbeaussagen aufgeklärt werden sollen (vgl. BGH, WRP 1998, 505, 507 -Gelenk-Nahrung). Es ist auch höchst zweifelhaft, ob durch die Einnahme von Hormonpräparaten das Krebsrisiko tatsächlich erhöht wird. Insofern sei auf das Interview mit Y, dem Präsidenten der Deutschen Menopause-Gesellschaft verwiesen (Bl.154).

6) Es kann dahin stehen, ob dem Kläger der Unterlassungsanspruch darüber hinaus auch noch auf der Grundlage einer verbotenen vergleichenden Werbung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UWG zustehen könnte.

7) Die Unterlassung der Aussagen kann auch der Kläger als Wettbewerbsverband verlangen. Die wettbewerbswidrige Werbung ist geeignet, im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG den Wettbewerb auf dem hier einschlägigen Markt für Nahrungsergänzungsmittel wesentlich zu beeinträchtigen. Dies gilt allein schon deshalb, weil die beanstandete Aussage den sensiblen Bereich der Gesundheitswerbung betrifft, in welchem wettbewerbswidriges Verhalten im Regelfall als eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs erscheint.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 21.11.2002
Az: 4 U 134/02


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