ArbG Rheine:
Urteil vom 20. August 2009
Aktenzeichen: 2 Ca 172/09

(ArbG Rheine: Urteil v. 20.08.2009, Az.: 2 Ca 172/09)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 12.307,32 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Anpassung der Betriebsrente des Klägers sowie darüber, ob die Beklagte zu 2) zur finanziellen Ausstattung der Beklagten zu 1) verpflichtet ist, damit diese Rentenanpassungsansprüche des Klägers erfüllen kann.

Der am 17.07.1918 geborene Kläger war bis zum 31.07.1983 bei der E1 GmbH beschäftigt. Seit dem 01.08.1983 bezieht er eine Betriebsrente in Höhe von derzeit 661,70 EUR.

Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich historisch um die F1 V1 Gesellschaft mbH (im Folgenden u.a. firmierend unter V1 Produktionsgesellschaft mbH). Im Rahmen der Geschäftsentwicklung der V1-Gruppe wurden in den Jahren 1987 und 1989 die Unternehmensgruppen S1 & D1 und E1 erworben. Die Gesellschaften wurden am 29.01.1992 auf die hier Beklagte zu 1) verschmolzen. Eine Umfirmierung in V2 GmbH erfolgte zum 01.01.2000.

Am 31.12.1999 beendete die Beklagte zu 1) ihre gewerbliche operative Tätigkeit. Stichtag der Veräußerung des gesamten operativen Geschäfts, d.h. des Produktionsbetriebs, war der 08.11.1999. Die Beklagte zu 1) befasst sich seitdem mit der Verwaltung der Betriebsrenten als so genannte "Rentnergesellschaft". Die Anzahl der Betriebsrentner beläuft sich zur Zeit auf 2.200. Die durchschnittliche Betriebsrente beträgt 92,31 EUR.

Mit Datum vom 04.11.1999 erteilte die damalige Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten zu 1), die I1 A1 & I2 Inc., D4, USA, eine Patronatserklärung (Bl. 72 d. A.), mit der die I1 A1 & I2 Inc. "bestätigt, ... die V1 P1 GmbH mit entsprechenden finanziellen Mitteln auszustatten, damit die V1 P1 GmbH in der Lage ist, ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber allen Dritten jederzeit zu erfüllen. Zur Beseitigung einer eventuell bestehenden Überschuldung der V1 P1 GmbH und zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens ist die V1 P1 GmbH zur Rückzahlung von etwaigen Forderungen der I1 A1 & I2 Inc. nur verpflichtet, sobald und soweit das Stammkapital der V1 P1 GmbH in ihrer Handelsbilanz durch Aktivvermögen gedeckt ist. ..."

Mit Vertrag vom 15.12.2006 zwischen der D2 O1, der Beklagten zu 2) (N1 D3 GmbH) und der Beklagten zu 1) (Bl. 86 d. A.) übernahm die Beklagte zu 2) die Patronatserklärung.

Mit Wirkung ab dem 01.01.1992 erhöhte die Beklagte zu 1) die Betriebsrente um 3,7 %. Danach erfolgten keine Rentenanpassungen mehr.

Die Beklagte zu 1) holte 2002 ein versicherungsmathematisches Gutachten ein. Das Gutachten (Bl. 90 d. A.) vom 07.03.2002 geht von liquiden verzinslichen Aktiva am Anfang des Wirtschaftsjahres 2001 in Höhe von 20.366 T Euro, die mit durchschnittlich 4 % verzinslich sind, aus und rechnet in Variante 1 (keine Erhöhung der Versorgungszahlungen) und in Variante 2 (jährliche Erhöhung der Versorgungszahlungen um 1 %). Unter 4.6.1 (Bl. 104 d. A.) kommt das Gutachten zu dem Ergebnis: "Die Entwicklung der Liquidität ist in beiden Varianten der Vorausberechnung durch den vollständigen Verbrauch der liquiden verzinslichen Aktiva im Wirtschaftsjahr 2007 infolge der Versorgungszahlung gekennzeichnet. Soweit die nach diesem Zeitpunkt zu erbringenden Versorgungszahlungen durch Fremdkapitalaufnahme finanziert werden müssen, ist der Aufwand dafür in der Variante 2 zunehmend größer als in der Variante 1." (Bl. 105 d. A.).

Unter 4.6.2 kommt das Gutachten hinsichtlich Auswirkungen auf die Eigenkapitalentwicklung der Firma, ausgehend von einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag am Ende des Wirtschaftsjahres 2001 in Höhe von 16.878 T Euro zu folgendem Ergebnis: "Der Fehlbetrag in der Variante 2 wächst wesentlich stärker als vergleichsweise in der Variante 1, weil die bilanzierten Versorgungsverpflichtungen und als liquide Mittel abfließenden Versorgungszahlungen durch die jährliche Erhöhung den Personalaufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung vergrößern." (Bl. 106 d. A.).

Mit Schreiben der Beklagten zu 1) vom 26.11.2002 teilte die Beklagte zu 1) mit, dass aufgrund der wirtschaftlichen Lage von einer Dynamisierung der Firmenrente abgesehen werden müsse.

Mit Schreiben vom 18.11.2007 und 27.12.2007 machte der Kläger die zum 01.08.2007 fällige sowie die nachholende Betriebsrentenanpassung ab Rentenbeginn geltend und forderte die Zahlung einer monatlichen Rente in Höhe von 1003,57 EUR (Anlage K4 zur Klageschrift, Bl.7 d.A.).

Der Kläger trägt vor, er habe einen Anspruch auf nachholende Anpassung, mindestens habe eine nachträgliche Anpassung für die letzten 6 Jahre zu erfolgen.

Die Beklagte zu 1) sei aus dem hingegebenen Rentenversprechen iVm § 16 BetrAVG anpassungs- und zahlungspflichtig.

Die Beklagte zu 2) sei gesamtschuldnerisch verpflichtet aus der Patronatserklärung sowie dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag einschließlich Verlustausgleich.

Bei der nachholenden Anpassung von Betriebsrenten sei der Anpassungsbedarf in Höhe des Kaufkraftverlustes seit Rentenbeginn maßgeblich.

Die Anpassungsverpflichtung entfalle nicht nach § 16 Abs.4 BetrAVG. Der Arbeitgeber habe keine Anpassungsentscheidung getroffen.

Die Anpassung gelte nicht als zurecht unterblieben. Der Arbeitgeber habe dem Kläger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nicht schriftlich dargelegt und den Kläger nicht auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgemäßen Widerspruchs hingewiesen.

Die Unterlassung der Rentenanpassung sei spätestens mit Schreiben vom 27.12.2007 geltend gemacht worden.

Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, als reine Rentnergesellschaft nicht zur Anpassung verpflichtet zu sein. Die Beklagte zu 1) könne sich auf ihre Vermögenslosigkeit nicht berufen, weil sie diese Vermögenslosigkeit selbst herbeigeführt habe. Ein derartiger Schritt sei ohne die Zustimmung der Gesellschafter der Beklagten zu 1) und Unterzeichnung der entsprechenden organschaftlichen Verträge durch die Geschäftsführer nicht denkbar. Die Ansprüche auf Zuführung von Vermögen zum Zwecke des Verlustausgleichs seien dem Vermögen der Beklagten zu 1) selbst zuzurechnen. Entweder sei die Beklagte zu 1) damit selbst vermögend iS § 16 BetrAVG oder die Beklagten könnten sich wegen des Rechtsgedankens des § 162 Abs.2 BGB nicht auf die Vermögenslosigkeit der Beklagten zu 1) berufen.

Der Beklagten zu 1) sei ein Substanzverzehr zuzumuten. Es gäbe niemanden, für den die Substanz erhalten werden müsse. Irgendwann gäbe es keine Betriebsrentner mehr und das geschonte Substanzvermögen sei noch ungeschmälert erhalten.

Aufgrund der Patronatserklärung habe die Beklagte zu 2) eine Kapitalisierungspflicht gegenüber der Beklagten zu 1). Zu den finanziellen Verpflichtungen gehörten nicht nur die laufenden Betriebsrentenzahlungen, sondern auch deren gesetzlich vorgeschriebene Anpassung. Die Patronatserklärung führe zwar nicht selbst zu einer Anpassungsverpflichtung der Beklagten. Sie verweise jedoch auf Sondertatbestände, dieserhalb die Patronatserklärung gegeben worden sei. Eine Patronatserklärung werde nicht schenkweise gegeben, sondern als Rechtsgeschäft zwischen Kaufleuten, wobei zu vermuten sei, dass dies entgeltlich geschehen sei. Die Patronatserklärung ordne Vermögen kraft Rechtsaktes der Verpflichteten zu 1) zu, um ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, damit habe die Beklagte zu 1) Vermögen.

Zudem bestehe zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Dieser ermögliche die Verluste der Beklagten zu 1) steuerlich der Beklagten zu 2) zuzurechnen. Analog § 302 AktG ergebe sich die Verpflichtung zur Verlustübernahme. Bereits die Konstruktion des Vertrags spreche für die Beherrschung. Der Vertrag diene dem Konzerninteresse. Dass die Beklagte zu 2) diese Rechtsmacht nur im Interesse der Beklagten zu 1) ausübe, bestreite der Kläger mit Nichtwissen. Die Beklagten seien darlegungs- und beweispflichtig, dass die Voraussetzungen des Berechnungsdurchgriffs nicht vorlägen, weil der erste Anschein eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags für die Ausrichtung der Unternehmenshandlungen der Rentnergesellschaft im Konzerninteresse spreche. Die Rentnergesellschaft sei bis auf einen Vermögensstock, der versicherungsmathematisch für die Bedienung der laufenden 2200 Versorgungsempfänger ausreiche, filetiert. Die übrigen Vermögenswerte seien anderen Konzernunternehmen zugeordnet worden.

Wegen der Berechnung der Höhe des geltend gemachten Anspruchs wird auf Anlage K4 zur Klageschrift, Bl.7 der Akte verwiesen.

Der Kläger beantragt

1) Die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 1003,57 EUR Betriebsrente monatlich zu zahlen.

2) Die Beklagte zu 2) zu verurteilen, die Beklagte zu 1) mit den erforderlichen finanziellen Mitteln auszustatten, die erforderlich sind, um die Verpflichtung der Beklagten zu 1) aus dem Rentenanpassungsanspruch des Klägers, der Gegenstand dieser Klage ist, zu erfüllen.

3) Hilfsweise, die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 1003, 57 EUR Betriebsrente monatlich zu zahlen als Gesamtschuldner mit der Beklagten zu 1).

4) Hilfsweise , die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch zu verurteilen, die Betriebsrente des Klägers nach billigem Ermessen anzupassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, sowohl mögliche Ansprüche auf nachträgliche als auch auf nachholende Anpassung seien verjährt und verwirkt. Der Kläger habe Rentenanpassungen vor Klageerhebung nicht geltend gemacht.

Die Beklagte zu 1) sei gem. § 16 BetrAVG nicht verpflichtet, eine Anpassung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, da die Anpassung zum jeweiligen Stichtag zu Recht unterblieben sei.

Dies ergebe sich aus den maßgeblichen Bilanzen sowie den Gewinn- und Verlustrechnungen.

Die Beklagte zu 1) könne als Versorgungsschuldnerin nach § 16 BetrAVG eine Anpassung verweigern, soweit sie nicht in der Lage sei, die Anpassungslast aus dem Wertzuwachs des Unternehmens und dessen Erträgen in der Zeit nach dem Anpassungsstichtag zu erbringen. Dabei sei der Beklagten zu 1) eine angemessene Eigenkapitalverzinsung als Selbstbehalt zuzubilligen.

Die Beklagte zu 1) sei als Rentnergesellschaft generell zur Verweigerung der Anpassung berechtigt, weil weder Erträge noch Wertzuwächse vorlägen und damit die wirtschaftliche Basis für eine Anpassung entfallen sei.

Laut dem Gutachten vom 07.03.2002 würde das Kapital in Höhe von 20.366 T Euro zum Bilanzstichtag 01.07.2000 ohne Erhöhung der Renten auf einer Grundlage einer 4 %-igen Verzinsung pro Jahr am Ende des Geschäftsjahres 2007/2008 nahezu vollständig aufgezehrt sein. Das Kapital werde am Ende des Geschäftsjahres 835.030 EUR betragen und somit nicht mehr ausreichen, um die Pensionsverbindlichkeiten des Jahres 2008/2009 in Höhe von 2.837.900 EUR zu decken. Die Ertragssituation des Unternehmens sei damit weiterhin negativ mit der Folge, dass aus regelmäßiger Geschäftstätigkeit keine Erhöhung der Rentenleistungen erwirtschaftet werden könnte.

Die Patronatserklärung der A1 & I2 Inc., D4, USA, vom 04.09.1999, führe nicht zu einer Anpassungsverpflichtung der Beklagten zu 1). Diese müsse sich aus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit selbst rechtfertigen. Nur diese bestehenden Anpassungsverpflichtungen seien durch die Patronatserklärung gesichert. Die Patronatserklärung stelle selbst keine eigenständige konstitutive Rechtsgrundlage für die Begründung von Anpassungsverpflichtungen dar. Sie begründe keine Ansprüche Dritter, sondern wirke nur zwischen den Erklärenden. Sie stelle allein die grundsätzliche Leistungsfähigkeit der Beklagten zu 1) sicher. Der Sinn der Patronatserklärung liege darin, die Insolvenzantragspflicht infolge Überschuldung abzuwenden. Sie sei nach ihrem Inhalt nur so lange wirksam, so lange das Stammkapital der Beklagten zu 1) nicht durch das Aktivvermögen gedeckt ist. D. h. sie entfalle, wenn ein Überschuss erwirtschaftet werde. Zudem seien alle Beträge, die die I1 A1 & I2 Inc. für die Beklagte zu 1) aufwende, mit Ausnahme der Insolvenz oder Überschuldung, rückzahlbar. Die Beklagte zu 1) sei jedoch ohne Patronatserklärung überschuldet, da die Einkünfte aus der Anlage des Aktivvermögens nicht die laufenden Kosten der Rentenzahlungen deckten.

Zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) sei am 31.07.2007 mit Wirkung zum 31.10.2007 ein Ergebnisabführungsvertrag geschlossen worden, nicht ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Zu diesem Zeitpunkt sei die Beklagte zu 1) seit mehreren Jahren überschuldet gewesen und habe seit sieben Jahren die operative Tätigkeit eingestellt gehabt. Schon aus diesem Grund seien keine Anhaltspunkte für die Ausübung der Konzernleitungsmacht, die auf die Belange des abhängigen Tochterunternehmens keine angemessene Rücksicht genommen habe, ersichtlich. Der Kläger habe auch nicht substantiiert dargelegt, dass sich aufgrund des Ergebnisabführungsvertrages zwischen den Beklagten ein konzerntypisches Risiko verwirklicht habe. Eine Konzerneinbindung sei stets unbeachtlich, soweit die schlechte wirtschaftliche Lage des bis zur Anpassungsprüfung verpflichteten Unternehmens nicht auf die im Eigeninteresse ausgeübte Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens zurückzuführen sei. Ein Eigeninteresse zu Lasten des übernommenen Unternehmens scheide von vornherein aus, wenn die herrschende Gesellschaft das Unternehmen in voller Kenntnis der Notwendigkeit einer Sanierung oder der schlechten wirtschaftlichen Lage in seinen Bereich eingegliedert habe.

In das Verfahren wurden einbezogen die Gewinn- und Verlustrechnungen für die Geschäftsjahre 1993/1994 bis 2006/2007. Bzgl. deren Inhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist sowohl hinsichtlich der Hauptanträge wie auch der Hilfsanträge unbegründet.

Der Kläger hat weder Anspruch auf die konkret berechnete Rentenanpassung noch auf eine Anpassungsentscheidung nach billigem Ermessen. Darüber hinaus kann er die Beklagte zu 2) nicht erfolgreich auf finanzielle Ausstattung der Beklagten zu 1) erfolgreich in Anspruch nehmen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Rentenerhöhung gegen die Beklagte zu 1) und zwar weder in der geltend gemachten Höhe (Hauptantrag) noch als (neue) Entscheidung nach billigem Ermessen (Hilfsantrag).

1.

Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber bei seiner nach billigem Ermessen zu treffenden Anpassungsentscheidung neben den Belangen des Versorgungsempfängers auch seine eigene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Eine dem zwischenzeitlich eingetretenen Kaufkraftverlust entsprechende Anpassung kann der Arbeitgeber ganz oder teilweise ablehnen, soweit dies seine wirtschaftliche Lage nicht zulässt, also sein Unternehmen übermäßig belastet und dessen Wettbewerbsfähigkeit gefährdet würde. Diese Voraussetzung ist dann erfüllt, wenn er annehmen darf, es werde ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, den Teuerungsausgleich aus den Unternehmenserträgen und den verfügbaren Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens aufzubringen (BAG, 23.10.1996, 3 AZR 514/95, aaO). Beurteilungsgrundlage für die langfristig zum Anpassungsstichtag zu erstellende Prognose ist die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens vor dem Anpassungsstichtag, soweit daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung des Unternehmens gezogen werden (ständige Rechtsprechung BAG seit 23.04.1985, 3 AZR 156/83, DB 1985, 1030). Für eine einigermaßen zuverlässige Prognose muss die bisherige Entwicklung über einen längeren repräsentativen Zeitraum von in der Regel mindestens 3 Jahren ausgewertet werden (BAG, 17.04.1996, 3 AZR 56/05, DB 1996, 2496). Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage kann es auf vorhersehbare tatsächliche Entwicklungen auch dann ankommen, wenn sich diese bis zum Anpassungsstichtag nicht ausgewirkt haben (BAG, 31.07.2007, 3 AZR 810/07, DB 2008, 135).

Der Arbeitgeber hat darzulegen und zu beweisen, dass eine Anpassungsentscheidung billigem Ermessen entspricht und sich in den Grenzen des § 16 BetrAVG hält. Die Darlegungs- und Beweislast erstreckt sich auf alle die Anpassungsentscheidung beeinflussenden Umstände (BAG, 20.05.2003, 3 AZR 179/02, AP-Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Auslegung).

Die Gewinn- und Verlustrechnungen der letzten drei Jahre vor dem 01.01.2006 (Geschäftsjahre 2002/2003 bis 2004/2005) weisen aus, dass die Beklagte zu 1) aus ihren einzig zur Verfügung stehenden Wertzuwächsen, den Zinserträgen, bereits die laufenden Verbindlichkeiten aus den Betriebsrenten nicht erfüllen kann. Ausweislich der Gewinn- und Verlustrechnungen ist der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag der Beklagten von 19.517.737,94 EUR gestiegen auf 23.890.897,55 EUR. Der Jahresfehlbetrag ist gestiegen von 1.931.118,81 EUR auf 2.422.661,35 EUR. Unstreitig hat sich der Überschuldungsstatus bis zum Bilanzstichtag 31.10.2007 fortgeschrieben. Es bleibt der Beklagten zu 1) demnach nicht mehr genug Vermögen übrig, um die Versorgungsverbindlichkeiten zu erfüllen.

Die durch die Gewinn- und Verlustrechnungen dokumentierte Entwicklung bestätigt die Annahme des versicherungsmathematischen Gutachtens vom 07.03.2002 in ihrer Entwicklungstendenz, wobei der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag sogar noch stärker angestiegen ist, als nach dem Gutachten angenommen. Dabei ist bereits eine Verzinsung mit 4 % berücksichtigt.

Die Beklagte konnte damit zum Zeitpunkt der Anpassungsprüfung zum Stichtag 01.08.2007 aufgrund der Entwicklung der letzten drei Jahre davon ausgehen, dass sich die Annahme des versicherungsmathematischen Gutachtens bestätigen würde, dass unter Berücksichtigung des Aktivvermögens und der auszukehrenden Betriebsrenten im Jahre 2002 spätestens am Ende des Wirtschaftsjahres 2007 keine liquiden verzinslichen Aktiva mehr vorhanden sein würden. Ein Zugriff auf die Vermögenssubstanz zur Finanzierung des Anpassungsbedarfs scheidet jedoch aus, wenn das Aktivvermögen nicht ausreicht, um die Versorgungsverbindlichkeiten zu erfüllen (BAG, 23.10.1996, 3 AZR 514/05; 23.05.2000, NZA 2001, 1251).

3. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten zu 2) kommt es nicht an.

3.1

Im Rahmen des § 16 BetrAVG ist grundsätzlich auf die wirtschaftliche Lage des Versorgungsschuldners abzustellen. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse eines anderen konzernrechtlich verbundenen Unternehmens kann es nur dann ankommen, wenn ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, auf den sich der Kläger hier nicht konkret berufen hat, oder die konzernrechtlichen Verflechtungen einen so genannten Berechnungsdurchgriff rechtfertigen (BAG, 10.02.2003, 3 AZR 172/02, AP-Nr. 53 zu § 16 BetrAVG; BAG, 25.04.2006, 3 AZR 50/07, DB 2007, 580).

Eine konzernrechtliche Verflechtung führt nur dann bei § 16 BetrAVG zu einem Berechnungsdurchgriff, wenn eine verdichtete Konzernverbindung vorliegt und sich außerdem konzerntypische Gefahren verwirklichen (BAG, 18.02.2003, 3 AZR 172/02, a. a. O.; BAG, 25.04.2006, 3 AZR 50/05, a. a. O.).

Eine verdichtete Konzernverbindung liegt vor, wenn entweder ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen wurde oder wenn ein Konzern angehöriges Unternehmen die Geschäfte des Versorgungsschuldners tatsächlich umfassend und nachhaltig führt (BAG, 18.02.2003, 3 AZR 172/02, a. a. O.). Eine konzerntypische Gefahr hat sich verwirklich, wenn das herrschende Unternehmen die Leitungsmacht in einer Weise ausgeübt hat, die keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft genommen, sondern stattdessen die Interessen anderer konzernangehöriger Unternehmen oder seine eigene Interessen in den Vordergrund gestellt hat und dadurch die mangelnde Leistungsfähigkeit des Unternehmens verursacht worden ist (BAG, a. a. O.).

Die Voraussetzungen für einen Berechnungsdurchgriff hat der Betriebsrentner darzulegen und im Streitfall zu beweisen (BAG, a. a. O.). Es gibt weder einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass die wirtschaftliche Lage eines konzernabhängigen Unternehmens regelmäßig durch nachteilige im Konzerninteresse erfolgende Vorteilsverschiebungen beeinträchtigt werde, noch einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass die Allein- oder Mehrheitsgesellschafterin einer Kapitalgesellschaft deren Geschäfte umfassend und nachhaltig führt. Dem Betriebsrentner können zwar Erleichterungen bei der Darlegungslast zugute kommen. Er darf sich aber nicht auf bloße Vermutungen beschränken, sondern muss wenigstens konkrete Tatsachen vortragen, die greifbare Anhaltspunkte für einen Berechnungsdurchgriff liefern (BAG, a. a. O.).

Dies gilt auch für Rentnergesellschaften (BAG, 23.10.1996, 3 AZR 514/95, AP 36 zu § 16 BetrAVG).

3.2

An Letzterem fehlt es im Streitfall.

Bzgl. der Beklagten zu 2) besteht zwar eine verdichtete Konzernverbindung. Zwischen den Beklagten besteht ein Ergebnisabführungsvertrag. Da die verdichtete Konzernverbindung damit feststeht, kommt es nicht darauf an, ob zwischen den Beklagten ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht.

Der Kläger hat jedoch nichts dazu vorgetragen, dass die Beklagte zu 2) die Geschäfte der Beklagten tatsächlich umfassend und nachhaltig führt. Der Kläger hat insbesondere keinen Tatsachenvortrag dazu geleistet, dass die Beklagte zu 2) gegenüber der Beklagten zu 1) die Leitungsmacht in einer Weise ausgeübt habe, die keine angemessene Rücksicht auf die Belange der Beklagten genommen habe, sondern stattdessen die Interessen anderer konzernangehörender Unternehmen oder ihre eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt habe, wodurch die mangelnde Leistungsfähigkeit der Beklagten verursacht worden wäre.

Gegen Letzteres spricht bereits, dass der Ergebnisabführungsvertrag am 31.10.2007 geschlossen worden ist und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte zu 1) seit mehreren Jahren (mindestens schon seit Einstellung deren operativer Tätigkeit im Jahre 2000) überschuldet gewesen ist.

Soweit der Kläger auf die Möglichkeit rechtsmissbräuchlicher gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen verweist, ist er aus den o. g. Gründen auch hierfür darlegungs- und beweispflichtig. Der Kläger hat den konkreten Einzelfall betreffenden Vortrag nicht geleistet. Dieser liegt auch nicht in der Behauptung, die Beklagte zu 1) sei bis auf einen Vermögensstock zur Begleichung der Rentenverpflichtungen ohne Anpassung filetiert worden und die Vermögenswerte seien anderen Konzernunternehmen zugeordnet worden. Es ist nicht erkennbar, wann dies in welcher Weise aus Sicht des Klägers geschehen sein soll. Wenn sich insoweit der Ergebnisabführungsvertrag ausgewirkt haben soll, müsste es sich um Entwicklungen ab 2007 handeln. Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte zu 1) aber bereits reine Rentnergesellschaft und überschuldet.

4.

Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse eines dritten Unternehmens ist auch nicht aufgrund der Patronatserklärung abzustellen.

Die Patronatserklärung wirkt nur zwischen den beteiligten Gesellschaften und begründet keine Rechte Dritter. Sie stellt allein die grundsätzliche Leistungsfähigkeit der Beklagten zu 1) zur Vermeidung einer Insolvenz sicher. Nach ihrem Inhalt ist sie nur so lange wirksam, so lange das Stammkapital der Beklagten nicht durch das Aktivvermögen gedeckt ist, d. h. sie entfällt, wenn ein Überschuss erwirtschaftet wird. Zudem sind alle Beträge, die die Verpflichtete aus der Patronatserklärung für die Beklagte zu 1) aufwendet, mit Ausnahme der Insolvenz oder der Überschuldung, rückzahlbar.

Soweit die Patronatserklärung "die finanziellen Verpflichtungen gegenüber allen Dritten" anspricht, beinhalteten diese weder zum Zeitpunkt der Patronatserklärung noch zu einem späteren Zeitpunkt Ansprüche der Betriebsrentner auf Rentenanpassung.

Zu den finanzielle Verpflichtungen begründenden Ansprüchen und ggf. Anwartschaften gehören nicht auch die Anpassungschancen eines Arbeitnehmers nach § 16 BetrAVG. Ein Arbeitgeber, der die laufende Rente an einen eingetretenen Kaufkraftverlust entsprechend seiner Leistungsfähigkeit anpasst, verbessert die ursprünglich erteilte Versorgungszusage (BAG, 23.10.1996, aaO). Dass sich die Zusage zur Absicherung finanzieller Verpflichtungen auf die Verbesserung der Versorgungszusage erstrecken würde, hätte daher eindeutig geregelt werden müssen.

5.

Eine Anpassungsverpflichtung folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte zu 1) ihre Vermögenslosigkeit selbst verursacht hätte. Auch insoweit fehlt bereits jeglicher Vortrag des Klägers, aus dem der Rückschluss gezogen werden könnte, dass die schlechte wirtschaftliche Lage der Beklagten zu 1) aus einer Übertragung von Vermögenswerten auf andere Konzernunternehmen resultieren soll. Dies gilt auch, soweit der Kläger den Verkauf des Produktionsbetriebs, mit dem das operative Geschäft aufgegeben wurde, erwähnt.

Es kann daher dahinstehen, ob eine Anpassungsverpflichtung der Beklagten zu 1) aus selbst herbei geführter fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit überhaupt in Betracht kommt.

6. Die Entscheidung, die Betriebsrente nicht anzupassen, entspricht aus den genannten Gründen billigem Ermessen.

II

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2) auf finanzielle Ausstattung der Beklagten zu 1).

Wie unter Abschnitt I 4 der Entscheidungsgründe ausgeführt, gilt die Patronatserklärung zwischen den Parteien dieser Erklärung, nicht jedoch gegenüber Dritten. Der Kläger kann die Beklagte zu 2) zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Beklagten zu 1) daher nicht in Anspruch nehmen.

III

Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Rentenanpassung nach billigem Ermessen gegen die Beklagte zu 2).

1.

Wie unter Abschnitt I 1 der Entscheidungsgründe ausgeführt, ist der Arbeitgeber zur Rentenanpassung verpflichtet. Aus der Patronatserklärung haftet die Beklagte zu 2) nur für Verpflichtungen der Beklagten zu 1). Da die Beklagte zu 1) nicht zur Rentenanpassung verpflichtet ist bzw. die Entscheidung, die Betriebsrente des Klägers nicht anzupassen billigem Ermessen entspricht, scheidet eine Haftung der Beklagten zu 2) gegenüber dem Kläger vorliegend aus. Es kann daher dahinstehen, ob der Kläger vor dem Eintritt des Insolvenzfalls hinsichtlich der Beklagten zu 1) die Beklagte zu 2) in Anspruch nehmen kann.

2.

Soweit der Kläger zudem anführt, es kämen wegen unzureichender Ausstattung der Rentnergesellschaft Schadensersatzansprüche in Betracht, richten sich solche jedenfalls nicht gegen die Beklagte zu 2). An der Aufgabe des operativen Geschäfts durch die Beklagte zu 1) und der damit verbundenen Errichtung der Rentnergesellschaft war die Beklagte zu 2), soweit erkennbar, nicht beteiligt, jedenfalls hat der Kläger auch insoweit Sachvortrag nicht geleistet.

IV

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1 GKG, § 3 ZPO. Die Klageanträge sind mit dem dreijährigen Differenzbetrag, mithin mit 341,87 EUR x 36 Monate = 12307,32 EUR, bewertet.






ArbG Rheine:
Urteil v. 20.08.2009
Az: 2 Ca 172/09


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