Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 28. November 2002
Aktenzeichen: 20 K 10510/00

(VG Köln: Urteil v. 28.11.2002, Az.: 20 K 10510/00)

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2000 verpflichtet, die im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten des Klägers zu löschen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist ein österreichischer Staatsangehöriger. Er lebt seit längerer Zeit mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG in der Bundesrepublik und ist selbstständiger Versicherungsagent. Über ihn sind folgende Daten im Ausländerzentralregister (AZR) gespeichert:

Name: I. Vorname: I. Geburtsort: M. Geburtsdatum: 10.07.1951 Geschlecht: männlich Staatsangehörigkeit: österreichisch Familienstand: geschieden Ersteinreise: 18.10.1971 Meldestatus: Wiederzuzug aus dem Ausland am 08.03.1996 Aufenthaltsgenehmigung: unbefristete Aufenthaltserlaubnis - EG erteilt am 26.01.1995, von der Stadtverwaltung in T.

Am 26. Juli 2000 beantragte der Kläger die Löschung der gespeicherten Daten. Die Speicherung von Daten eines Unionsbürgers stelle einen Verstoß gegen EG- Recht dar und sei gleichheitswidrig.

Mit Bescheid vom 29. September 2000 wurde der Antrag abgelehnt. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Kläger ein Ausländer im Sinne des Ausländerzentralregistergesetzes (AZRG) sei. Daher sei die Speicherung seiner Daten zulässig. Ein Verstoß gegen EG-Recht liege nicht vor. EU-Ausländer genössen zwar Freizügigkeit, seien aber hinsichtlich des Aufenthaltsstatus nicht im vollen Umfang Inländern gleichgestellt. Die Datenspeicherung diene nicht selten dem Interesse des EU-Ausländers. Sie stelle sicher, dass bei der Aufenthaltserlaubnis-EG die dem Ausländer zukommenden Privilegierungen schnell erkannt und beachtet werden.

Hiergegen legte der Kläger am 10. Oktober 2000 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Speicherung seiner Daten gegen EU- Recht verstoße. Insoweit liege ein Verstoß gegen Art. 12 i.V.m. Art. 39 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vor. Diese Vorschriften verböten es, Bürger eines anderen Mitgliedsstaates ungleich zu behandeln bzw. zu diskriminieren. Eine Speicherung der Daten von Ausländern in einem speziellen Register stelle eine solche Diskriminierung dar. Weiter verstoße die Speicherung gegen die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 (Datenschutzrichtlinie), insbesondere liege ein Verstoß gegen Art. 6 b und Art. 7 e der Datenschutzrichtlinie vor. Schließlich sei nicht einsichtig, weshalb über die Ausländerbehörden hinaus auch alle deutschen Behörden, Gerichte und teilweise auch Private und Behörden von Drittländern Zugang zu den Daten haben sollten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2000 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Speicherung der Daten des Klägers verfassungsrechtlich zulässig sei. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Speicherung im Zusammenhang mit ausländerrechtlichen Maßnahmen, wie etwa der Erteilung einer EG-Aufenthaltserlaubnis, der Ausweisung oder Abschiebung erfolge. Im Übrigen würden auch deutsche Staatsangehörige teilweise mit denselben Daten in den Melderegistern gespeichert. Auch europarechtlich sei die Speicherung der Daten zulässig, insbesondere liege kein Verstoß gegen die Datenschutzrichtlinie vor. Ein Verstoß gegen Art. 6 b der Richtlinie scheide aus, weil der Richtlinie insoweit ein generelles Verbot, personenbezogene Daten von Unionsbürgern in einem Mitgliedstaat zu speichern, nicht zu entnehmen sei. Auch ein Verstoß gegen Art. 7 e sei nicht ersichtlich, da die Kenntnis der Daten von EU-Bürgern für die Aufgabenerfüllung einer Vielzahl öffentlicher Stellen in der Bundesrepublik erforderlich sei. So werde durch die Dateispeicherung im Zusammenhang mit der Erteilung der EG-Aufenthaltserlaubnis gewährleistet, dass andere Stellen sofort in Erfahrung bringen könnten, dass die Freizügigkeitsvor- aussetzungen im Sinne des Aufenthaltsgesetzes EWG vorliegen. Aber auch die Speicherung von Sachverhalten wie Ausweisung und Abschiebung sei im Hinblick auf die Durchsetzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 8 Abs. 2 AuslG erforderlich. Die Weitergabe von Daten an Behörden anderer Staaten und an nichtöffentliche Stellen sei nur eingeschränkt möglich.

Am 16. Dezember 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass die pauschale Speicherung seiner Daten schon von Verfassungs wegen unzulässig sei, weil die unterschiedliche Behandlung von Unionsbürgern und Deutschen gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoße. Weiter verstoße die Speicherung auch gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Sie sei mit der Datenschutzrichtlinie unvereinbar, der - mangels rechtzeitiger Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber - nunmehr unmittelbare Wirkung zukomme. Danach sei die generelle Speicherung von Ausländerdaten von EU-Bürgern nicht zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH unterliege ein Unionsbürger nur der Pflicht, sich innerhalb von 3 Monaten bei den nationalen Behörden melderechtlich erfassen zu lassen, um so den Behörden Kenntnis über die Bevölkerungswanderung zu verschaffen. Eine darüber hinausgehende Speicherung von Daten sei rechtswidrig. Eine ausländerrechtliche Kontrolle sei nur innerhalb der vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen zulässig; dies gelte auch für Melde- und Ausweispflichten. Eine Freizügigkeitsbeschränkung sei nur dann zulässig, wenn sie auf einem Tatbestand beruhe, der eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung des Grundinteresses eines Mitgliedstaates bewirke. Dass die Speicherung seiner Daten europarechtlich unzulässig sei, ergebe sich auch aus der Stellungnahme des euro- päischen Parlaments zu seiner Petition.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2000 zu verpflichten, die vom Kläger im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten zu löschen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass Grundlage für die Speicherung der Daten des Klägers das AZRG sei. Dieses Gesetz differenziere hinsichtlich der von ihm erfassten Ausländer nicht zwischen EU-Bürgern und Drittstaatlern, weswegen auch Daten über EU-Bürger zu speichern seien. Ein Verstoß gegen die Datenschutzrichtlinie liege nicht vor. Diese Richtlinie enthalte kein generelles Verbot, personenbezogene Daten von EU-Bürgern zu speichern. Der vom Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments behauptete Verstoß gegen Art. 7 e der Datenschutzrichtlinie sei nicht gegeben. Die Kenntnis von Daten über EU- Bürger sei für die Aufgabenerfüllung einer Vielzahl von Stellen erforderlich. Dies gelte gerade für die Dateispeicherung im Zusammenhang mit der Erteilung einer EG- Aufenthaltserlaubnis. Durch die Speicherung werde gewährleistet, dass andere Stellen, insbesondere andere Ausländerbehörden, sofort in Erfahrung bringen könnten, dass ein EU-Bürger über eine EG-Aufenthaltserlaubnis verfüge, also die Freizügigkeitsvoraussetzungen im Sinne des Aufenthaltsgesetzes EWG vorlägen. Gerade die Speicherung im AZR stelle damit sicher, dass die Geltung der Privilegierungen schnell erkannt und beachtet würden. Damit werde klar, dass mit der Speicherung der Daten von EU-Bürgern keine "dauerhafte Überwachung" bezweckt werde. Die Dateispeicherung stehe vielmehr in Zusammenhang mit einer ausländerrechtlichen Entscheidung und könne sich für den betreffenden Ausländer auch positiv auswirken. Durch die Speicherung der Daten im AZR erfolge auch keine Diskriminierung gegenüber Deutschen. Auch EU-Ausländer seien hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus nicht vollständig mit deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt. So werden ihnen eine EG-Aufenthaltserlaubnis ausgestellt, auch dürften sie unter engen Voraussetzungen ausgewiesen und abgeschoben werden.

In der Akte befindet sich weiter eine Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Datenschutz vom 20. September 2000 (die z.T. Bezug nimmt auf eine Stellungnahme des BMI) sowie eine Mitteilung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments betreffend die Petition 481/98; auf die Stellungnahme bzw. Mitteilung wird Bezug genommen (Bl. 46 ff., 66 ff. d.A.).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte in diesem Verfahren und im Verfahren 20 L 59/01 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte in der Sache entscheiden, ohne das Verfahren auszusetzen und es dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischem Gerichtshof vorzulegen. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. § 80 BVerfGG an das Bundesverfassungsgericht scheidet aus, da es im vorliegenden Verfahren nicht um die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit nationalem Verfassungsrecht geht; es steht allein die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit europäischem Gemeinschaftsrecht in Rede. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 2 EGV war entbehrlich, da nach Auffassung des Gericht die maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Fragen anhand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und der Literatur zum EGV beantwortet werden können.

Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid vom 29. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2000 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Löschung der Daten, die über ihn im AZR gespeichert sind.

Der Anspruch auf Löschung der Daten aus dem AZR ergibt sich aus § 36 Abs. 1 Satz 4 AZRG. Danach sind im AZR gespeicherte Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder geworden ist. Dass die Löschung auch bei Daten zu erfolgen hat, deren Speicherung unzulässig geworden ist, ergibt sich aus Sinn und Zweck des Gesetzes sowie aus § 36 Abs. 2 Satz 2 AZRG.

Vergl. § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDSG und Gola/Schomerus, BDSG, 7. Aufl. 2002, Rdnr. 11 zu § 35.

Daneben folgt ein solcher Löschungsanspruch aus dem allgemeinen Unterlassungs- bzw. Folgenbeseitigungsanspruch. Danach sind rechtswidrige hoheitliche Handlungen zu unterlassen bzw. sind die Folgen einer rechtswidrigen hoheitlichen Handlung zu beseitigen.

Siehe dazu z.B. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 300 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 1999, § 29, Rdnr. 1 ff.

Die Speicherung der Daten des Klägers zum jetzigen Zeitpunkt ist unzulässig. Zwar ist nach dem AZRG - betrachtet man dieses Gesetz isoliert - die Speicherung der Daten nicht zu beanstanden. Der Kläger ist nämlich Ausländer im Sinne von § 2 Abs. 1 AZRG und sein Aufenthalt im Bundesgebiet ist ein nicht nur ein vorübergehender. Auch die Art der gespeicherten Daten ist vom AZRG gedeckt (vergl. § 3 Nr. 1 - 6 AZRG). Indes sind die genannten Vorschriften des AZRG auf den Kläger nicht anwendbar, da ihre Anwendung gegen primäres (1.) und sekundäres (2.) Recht der europäischen Gemeinschaft verstößt.

1. Die Anwendung der §§ 2, 3 AZRG auf den Kläger verstößt gegen Artikel 49, 50 EGV (Dienstleistungsfreiheit). Nach Art. 49 Abs. 1 EGV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft nach Maßgabe des EGV verboten. Nach Art. 50 Abs. 3 EGV kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welcher dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt.

Damit gewährt Art. 49, 50 EGV nicht nur die Freiheit der Dienstleistungen im engeren Sinne, sondern auch ein konstitutives Aufenthaltsrecht des Dienstleisters im Rahmen der Erbringung der Dienstleistung. Werden die Dienstleistungen dauerhaft erbracht, ist auch das Aufenthaltsrecht dauerhaft.

EuGH, Rs. C-363/89, Slg. 1991, S. 273, 290 ff., Rz. 8 ff. (Roux)

Von ihrer Schutzwirkung her gewährleisten Art. 49, 50 EGV zunächst einmal - und vor allem - ein allgemeines Verbot der unmittelbaren Diskriminierung von ausländischen Dienstleistern aus der europäischen Union. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit erfolgt. Eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist gegeben, wenn der Dienstleister wegen seiner Staatsangehörigkeit anders behandelt wird als die eigenen Staatsangehörigen des Staates, in dem die Dienstleistung erbracht wird.

Siehe z.B. EuGH, Rs. 305/87, Slg. 1989, S. 1461, 1476 ff, Rz. 12 ff (Kom/Griechenland); Rs. C-20/92, Slg. 1993 I, S. 3777, 3794, Rz. 14 (Hubbard); Rs. C-334/94, Slg. 1996, S. 1307, 1339, Rz. 14 (Kom/Frankreich); Rs. C-114/97, Slg. 1998, S. 6717, 6741, Rz. 30 (Kom/Spanien).

Hier sind die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der Art. 49, 50 EGV anwendbar (a), der Kläger erbringt Dienstleistungen im Sinne von Art. 50 Abs. 2 EGV (b), er wird durch die Regelungen des AZRG im Hinblick auf Art. 49, 50 EGV unmittelbar diskriminiert (c), und diese Diskriminierung wird nicht durch Vorbehalte gerechtfertigt (d).

a) Die Regeln des europäischen Gemeinschaftsrechts sind anwendbar, da der Fall einen grenzüberschreitenden europarechtlichen Bezug hat. Der Kläger ist ein EU-Ausländer, der dauerhaft in Deutschland lebt und arbeitet.

b) Der Kläger erbringt als österreichischer Staatsangehöriger in Deutschland Dienstleistungen im Sinne des Art. 50 EGV. Er ist nämlich selbstständiger Versicherungsagent. Die selbstständige Versicherungsagententätigkeit stellt eine freiberufliche "Dienstleistung" im Sinne des Art. 50 Abs. 2 lit. d EGV dar.

Vergl. EuGH, Rs. 39/75, Slg. 1975, S. 1547, 1554 f., Rz 1/4 ff. (Coenen); Rs. 205/84, Slg. 1986, S. 3755, 3799 ff., Rz. 16 ff. (Kom/Deutschland).

c) Der Kläger wird durch die Regelungen des AZRG im Hinblick auf Art. 49, 50 EGV unmittelbar diskriminiert. Die Art. 49, 50 EGV erfassen - wie auch Art. 39 EGV - alle unmittelbaren Diskriminierungen, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf die berufliche Tätigkeit haben können. So erfasst Art. 39 EGV die Verwendung der eigenen Sprache vor Gericht als Beitrag zur Integration des Wanderarbeitnehmers, den Zugang zu Sozialwohnungen als Voraussetzung für die Ausübung einer Tätigkeit, Art. 49/50 die Pflicht zur Leistung einer Sicherheit für die Prozesskosten nur für Ausländer, Art. 49/50 die Registrierung von Schiffen für Freizeitzwecke als Folgeerscheinung der Freizügigkeit, Art. 39 die Beweiskraft von Personenstandsurkunden als Voraussetzung für die Geltendmachung bestimmter Rechte u.s.w. Es werden mithin alle "Diskriminierungen" erfasst, die irgendeinen Bezug zur Dienstleistungsfreiheit haben.

Siehe EuGH, Rs. 137/84, Slg. 1985, S. 2681, 2696, Rz. 16 (Musch); Rs. 63/86, Slg. 1988, S. 29, 52 f., Rz. 15 f. (Kom/Italien); Rs. C-260/89, Slg. 1993 I, S. 3777 (Hubbard); Rs. C-334/94, Slg. 1996 S. 1307, 1341, Rz. 21 (Kom/Frankreich); Rs. c-336/94, Slg. 1997, S. 6761, 6780 f. Rz. 19 (Dafeki). Siehe dazu Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand Februar 2002, Rz. 49 f. zu Art. 49/50 EGV.

Demnach liegt hier eine unmittelbare Diskriminierung des Klägers vor. Er wird nämlich nicht nur wie jeder deutsche Staatsangehörige im Melderegister, sondern darüber hinausgehend - anders als deutsche Staatsangehörige - auch im Ausländerzentralregister geführt. Diese Diskriminierung ist im Rahmen der Art. 49/50 EGV relevant, da sie zumindest einen mittelbaren Einfluss auf seine berufliche Tätigkeit haben kann. Er wird nämlich anders als deutsche Staatsangehörige durch die Eintragung im Ausländerzentralregister schärfer "überwacht", was ihn ggf. auch in seinem beruflichen Bereich beeinträchtigen kann. Diese Diskriminierung ist nicht etwa deswegen irrelevant, weil es sich um eine solche minimaler Natur handelte.

Vergl. EuGH, Rs. 22/80, Slg. 1980, S. 3427, 3437 (Boussac) - de minimis Regel.

Insbesondere ergibt sich ein solcher "Minimalcharakter" nicht daraus, dass der Kläger im AZR mit relativ wenigen Daten gespeichert ist. Grundsätzlich ist nämlich auch eine Speicherung "unsensibler" Daten von Belang, da es unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung kein "belangloses" Datum mehr gibt. Dies gilt zumal im Rahmen des europäischen Gemeinschaftsrechts; Art. 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie erfassen alle personenbezogenen Daten und nicht nur solche, die im Sinne von Art. 8 der Richtlinie "sensibel" sind.

Siehe zum ersten Ansatzpunkt BVerfGE 65, 1 (45) und zum europäischen Datenschutzrecht Rüpke, ZRP 1995, S. 185 (186 f.).

Hinzu treten in der Sache die umfangreichen und schwer eingrenzbaren Verarbeitungsmöglichkeiten der über den Kläger gespeicherten Daten: Ein Teil der Daten des Kläger kann auf Ersuchen nach § 14 AZRG an alle öffentlichen Stellen (d.h. auch an die öffentlichen Stellen nach §§ 15 bis 21 AZRG) übermittelt werden, teilweise ohne dass insoweit eine Zweckangabe notwendig wäre (§ 10 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. AZRG). Die übrigen Daten können unter Zweckangabe und unter den Voraussetzungen der §§ 10 sowie 15 bis 21 AZRG übermittelt werden. Dabei erfolgt die Übermittlung der Daten größtenteils nach Maßgabe des automatisierten Verfahrens nach § 22 AZRG. Dabei erhält die im Rahmen des § 22 AZRG abrufende Stelle ohne weitere Zwischenschaltung irgendeiner Instanz unmittelbaren Zugriff auf die gespeicherten Daten. Im Rahmen des Abrufs im automatisierten Verfahren können die Daten durch die abrufende Stelle schließlich verändert werden (§ 7 AZRG). Schließlich können unter besonderen Voraussetzungen auch Daten an andere Staaten oder zwischenstaatliche Stellen weitergegeben werden (§ 26 AZRG). Von alledem erfährt der Kläger nichts.

Ausführlich zur erheblichen Reichweite des AZRG Streit/Heyder, AZRG, Kommentar, 1997, Rdrn. 8 ff. zur Einführung; Weichert, AZRG, Kommentar, 1998, Rdnr. 11 ff. zur Einführung.

Ein "Minimalcharakter" der gespeicherten Daten ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger mit einem Teil seiner Daten auch im - dezentralen - Melderegister gespeichert ist. Zum einen werden im Melderegister nicht die Daten über Ersteinreise, Meldestatus und Aufenthaltsgenehmigung erfasst. Zum anderen sind auch Doppelspeicherungen von Daten datenschutzrechtlich relevant, dies zumal, weil die zentrale Speicherung von Daten nach dem AZRG zum Teil weit über das Melderecht hinausgeht.

Umfassend Frankenberg, Datenschutz und Staatsangehörigkeit, in: Si- mon/Weis (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, Liber Amicorum Spiros Simitis, 2000, S. 99 (116 f.) und Streit/Heyder, a.a.O:, Rdrn. 16 ff.; Weichert, a.a.O., Rdnr. 39 ff.

Beispielsweise kennt das Melderecht bei Einzelabfragen grundsätzlich nicht die Möglichkeit des unmittelbaren Zugriffs nach § 22 AZRG; dies geht erheblich weiter als die entsprechenden Regelungen des MRRG (vergl. z.B. § 18 Abs. 3 MRRG). Insoweit liegt aber gerade in dieser Regelung eine nicht unempfindliche Beeinträchtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes. Weiter ist im Melderecht z.B. nicht die Möglichkeit gegeben, dass die Daten durch die abrufenden Stelle verändert werden (§ 7 AZRG).

Vergl. Frankenberg, a.a.O., S. 117; Weichert, a.a.O., Rdnr. 1 ff. zu § 22.

d) Die diskriminierende Ungleichbehandlung wird nicht durch Vorbehalte gerechtfertigt. Soweit als Grund für die Ungleichbehandlung der unterschiedliche Aufenthaltsstatus von Deutschen und EU-Ausländern herangezogen wird, ist die Ungleichbehandlung unverhältnismäßig (aa). Soweit als Grund für die Ungleichbehandlung sonstige Gesichtspunkte herangezogen werden, haben diese vor der Schranke der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Art. 55, 46 EGV keinen Bestand (bb).

aa) Soweit als Grund für eine Ungleichbehandlung der im Ansatz verschiedene Aufenthaltstatus von Deutschen und EU-Ausländern herangezogen wird, beeinträchtigt die Ungleichbehandlung die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49, 50 EGV unverhältnismäßig. Insoweit kann offen bleiben, ob die Regelungen des AZRG, soweit sie vor dem Hintergrund des grundsätzlich verschiedenen Aufenthaltsstatus von Deutschen und EU-Ausländern zu verstehen sind, unmittelbar an der - eng zu verstehenden - Schranke der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach Art. 55, 46 EGV zu messen sind.

In diese Richtung wohl Streit/Srocke, ZAR 1999, S. 109 (111); Weichert, a.a.O., Rdnr. 48 ff. Zum engen Verständnis des Begriffes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im EGV siehe z.B. EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, 1350, Rz. 18/19 (von Duyn); Rs. 36/75; Slg. 1975, S. 1219, 1231, Rz. 26/28 (Rutili); EuGH, Rs. 30/77, Slg. 1977, S. 1999, 2012, Rz. 33/35 (Boucherau); Verb. Rs. 115 und 116/81, Slg. 1982, S. 1665, 1707 f., Rz. 8 (Adoui).

Denn die Regelungen des AZRG sind auch dann unverhältnismäßig, wenn man andere, tendenziell schwächere, Maßstäbe heranzieht. Gegen eine Anwendung der Schranke der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" spricht maßgeblich, dass der grundsätzlich unterschiedliche Aufenthaltsstatus von Inländern bzw. EU-Ausländern sowohl im Primärrecht (z.B. Art. 46 EGV) als auch im Sekundärrecht der Gemeinschaft anerkannt ist (z.B. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 68/360/EWG, Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 73/148/EWG). Daher kann dieser Status selbst seinerseits keine Frage der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen. Auch EU-Ausländer bedürfen eines (besonderen) ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels; dessen Vorhandensein muss grundsätzlich kontrolliert und ggf. sanktioniert werden können. Dementsprechend hat der EuGH ausländerrechtliche Aufenthalts- und Anmeldeformalitäten nicht unmittelbar an der Schranke der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemessen und hat hervorgehoben, dass das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten nicht die Befugnis zum Erlass von Maßnahmen genommen habe, die den nationalen Behörden die Kenntnis von Einwanderungsbewegungen in ihr Hoheitsgebiet ermöglichen sollten. Diesbezüglich seien grundsätzlich auch Kontrollen bzw. Sanktionen zulässig.

EuGH, Rs. 118/75, Slg. 1976, S. 1185, 1198, Rz. 17/18 (Watson und Belmann); Rs. 8/77, Slg. 1977, S. 1495, 1503, Rz. 4 (Sagulo); Rs. 321/87, Slg. 1989, S. 997, 1009 ff., Rz. 9 ff. (Kom/Belgien); Rs. C- 265/88, Slg. 1989, S. 4209, 4225 f., Rz. 9, 14 (Messner); Rs. C - 24/97, Slg. 1998, S. 2133, 2144 f., Rz. 11 ff. (Kom/Deutschland).

Voraussetzung für solche Kontroll- bzw. Sanktionsmaßnahmen ist aber, dass sie das Einreise- und Aufenthaltsrecht nicht in der Substanz berühren und bzw. erschweren. Weiter müssen die Maßnahmen verhältnismäßig sein, d.h. sie müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein. Schließlich müssen die Sanktionen für eine Verletzung der ausländerrechtlichen Anmelde- und Aufenthaltsformalitäten in etwa mit denen vergleichbar sein, die Deutsche bei der Verletzung ähnlicher Pflichten treffen.

EuGH, Rs. 118/75, Slg. 1976, S. 1185, 1198, Rz. 17/18 f. (Watson und Belmann); Rs. 8/77, Slg. 1977, S. 1495, 1503, Rz. 4 ff. (Sagulo); Rs. 321/87, Slg. 1989, S. 997, 1009 ff., Rz. 9 ff. (Kom/Belgien); Rs. C- 265/88, Slg. 1989, S. 4209, 4225, Rz. 9, 14 (Messner); Rs. C - 24/97, Slg. 1998, S. 2133, 2144 f., Rz. 11 ff. (Kom/Deutschland).

Zu Unrecht wollen daher Streit und Srocke (a.a.O., S. 112) die Überprüfung auf den Maßstab der Berührung bzw. Erschwerung des Einreise- und Aufenthaltsrecht "in der Substanz" beschränken. Auch der Sache nach ist nicht einzusehen, weshalb unverhältnismäßige Kontrollen bzw. Sanktionen möglich sein sollten, dies zumal es hier um die essentiellen Grundfreiheiten und Diskrimierungsverbote nach dem EGV geht.

Die hier maßgeblichen Regelungen des AZRG sind unverhältnismäßige Kontrollmaßnahmen zur Überwachung des EU-Ausländerstatus des Klägers. Insoweit ist von Bedeutung, dass die maßgeblichen Vorschriften unmittelbar diskriminierend wirken und dass im Sekundärrecht der europäischen Gemeinschaft kein Ansatz für ein solches umfassenden Kontrollsystem, das auch EU-Bürger erfasst, zu finden ist.

Insoweit liegt hier der Sachverhalt anders als in den Fällen Watson und Belman und Messner -Vergl. EuGH, Rs. 118/75, Slg. 1976, S. 1185, 1196 ff. Rz. 1 ff. bzw. Rs. C-265/88, Slg. 1989, S. 4209, 4222 ff., Rz. 1 ff. Dort lag es so, dass bereits das sekundäre EG-Recht ausdrücklich die Möglichkeit zur Statuierung von Anzeigepflichten vorsah. Hingegen lässt sich im vorliegenden Fall dem EG -Recht nicht entnehmen, dass eine grundsätzliche AZR-Datenspeicherung aller EU-Ausländer erfolgen kann. Vielmehr enthält die insoweit einschlägige Datenschutzrichtlinie von der Tendenz her vorwiegend datenschutzrechtliche Schranken.

- Die Regelungen der §§ 2, 3 AZRG sind nicht "erforderlich" im Sinne des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzipes. Zur Erreichung desselben Zwecks - Kontrolle der Einhaltung der formalen Aufenthaltsbestimmungen für EU- Bürger - steht ein milderes Mittel zur Verfügung. Insoweit ist zu beachten, dass der Begriff der "Erforderlichkeit" im Gemeinschaftsrecht bei den Grundfreiheiten streng gehandhabt wird. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Regelung bereits dann nicht erforderlich, wenn das Ziel auch auf andere Art und Weise erreicht werden kann. Voraussetzung hierfür ist dabei nicht, dass das Ziel auch gleichermaßen effektiv erreicht wird. Dementsprechend rechtfertigen Erfordernisse der Verwaltungsvereinfachung grundsätzlich nicht die Beeinträchtigung von Grundfreiheiten. Ausnahmen gelten hiervon nur, wenn sonst der Verwaltungsaufwand jeden vernünftigen Rahmen sprengen würde oder eine effektiver Überwachung durch die Verwaltung anders nicht möglich ist.

Siehe dazu EuGH, Rs. 205/84, Slg. 1986, S. 3755, 3809 ff., Rz. 42 ff. (Kom/ Deutschland); Rs. C-101/95, Slg. 1996, S. 2691, 2726, Rz. 21 ff. (Kom/Italien); Rs. C-250/95, Slg. 1997, S. 2471, 2503 f., Rz. 36 ff. (Futura); Rs. 29/82, Slg. 83, S. 151, 163, Rz. 12 (van Luipen); Verb. Rs. C-369/96 und C-376/96, Slg. 1999, S. 8453, 8514, Rz. 37 (Arblade); Randelzhofer/Forsthoff, a.a.O., Rdnr. 186 zu vor Art. 39-55 EGV.

Zwar ist der Kläger ein EU-Ausländer und unterliegt damit den formellen Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen nach europäischem Gemeinschaftsrecht. Indes kann er das Vorliegen dieser Voraussetzungen gegenüber öffentlichen Stellen ohne weiteres durch Vorlage seiner Aufenthaltserlaubnis-EG führen (wozu er freilich persönlich erscheinen muss); eine Speicherung im AZRG ist nicht notwendig. Daher kann die Speicherung der Daten des Klägers im AZRG letztlich nur damit gerechtfertigt werden, dass insoweit eine (freilich beträchtliche) Verwaltungsvereinfachung vorliegt. Aber gerade Gründe der Verwaltungsvereinfachung reichen für die Einschränkung der Art. 49/50 EGV nicht aus. Dies gilt hier um so mehr, weil die Aufenthaltserlaubnis-EG des Kläger unbefristet erteilt wurde. Damit entfallen Kontroll- bzw. Überwachungsmaßnahmen, die sich auf eine Befristung beziehen. Dass ohne das AZR der Verwaltungsaufwand jeden vernünftigen Rahmen sprengen würde oder eine effektive Überwachung durch die Verwaltung anders nicht möglich ist, ist nicht ersichtlich.

Soweit mit einer Speicherung im AZRG möglicherweise leichter ermittelt werden kann, ob ggf. gefälschte Dokumente vorgelegt wurden - was aber auch das Bundesministerium des Inneren nicht vorträgt - ist darauf hinzuweisen, dass solche Fälschungen nicht belegt sind. Im Übrigen muss solchen Fälschungen durch die Erstellung "fälschungssicherer" Aufenthaltstitel vorgebeugt werden. Dies kann nicht durch eine Generalkontrolle aller (auch Unverdächtiger) ersetzt werden.

Schließlich steht dem Gesagten nicht entgegen, dass die Speicherung der Daten auch im Interesse des Klägers liegen kann, weil er damit jederzeit und sofort sein Aufenthaltsrecht nachweisen kann. Ob und wie er sein Aufenthaltsrecht, etwa durch Vorlage der dementsprechenden Aufenthaltstitel, in seinem eigenen Interesse nachweist, ist seine Sache. Unterläßt er die Vorlage seines Aufenthaltstitels, hat er selbst die Konsequenzen zu tragen. Da aber die Freizügigkeit dem Schutz des Freizügigen dient, kann die Einschränkung seiner Freiheit nicht unter Hinweise darauf erfolgen, dass man diese "nur zu seinem Besten" beschränke. Dass das AZR "freizügigkeitsfördernd" wirken könnte, kann nicht ernsthaft erwogen werden.

So auch Weichert, a.a.O., Rdnr. 50.

- Die Regelungen der §§ 2, 3 AZRG sind auch nicht "Angemessen" im Sinne des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzipes. Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich unmittelbar aus dem EGV bzw. aus dem europäischen Sekundärrecht. Seine Aufenthaltserlaubnis EG ist nur deklaratorischer Natur. Bei einer Einreise bedarf er nur der Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reispasses. Eine Ausweisung oder Abschiebung seiner Person ist europarechtlich nur unter engen Voraussetzungen möglich und dürfte insbesondere nicht nur deshalb erfolgen, weil er - dies einmal unterstellt - formal keinen Aufenthaltstitel hat.

Vergl. zu alledem Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, § 27 Rz. Rdnr. 68 ff. und Randelzhofer/Forsthoff, a.a.O., Rdnr. 187 ff. zu Art. 39 EGV. Die deklaratorische Natur des Aufenthaltsrechts wird z.B. vom EuGH durchwegs betont, z.B. in der in der Sache Sagulo (Rs. 8/77, Slg. 1977, S. 1495, 1504 f., Rz. 8).

Damit unterscheidet sich der Kläger von Nicht-EU Ausländern: Das deutsche Ausländerrecht mit all seinen Regelungen geht zwar im Prinzip davon aus, dass der deutsche Staat souverän - und nur in engen Grenzen unter den Vorgaben der Verfassung - darüber entscheidet, ob, wen und unter welchen Bedingungen er jemand in das Bundesgebiet einreisen und dort sich aufhalten lässt; der erteilte Aufenthaltstitel wirkt konstitutiv. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass der deutsche Staat im Ausländerrecht ein engmaschiges ausländerrechtliches System knüpft und dieses System unter anderem mit dem engmaschigen AZR überwacht. Insoweit ist das AZR von besonderem Wert, da Behörden und insbesondere die Polizei sofort kontrollieren können, ob Personen im Bundesgebiet einen Aufenthaltstitel besitzen. Ist dies nicht der Fall, können sich unmittelbar daran aufenthaltsbeendende Maßnahmen anknüpfen (Vergl. §§ 69 Abs. 2 Satz 2 und § 8 AuslG sowie §§ 42 Abs. 1 und 2, 49, 50 AuslG).

Vergl. zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Einreise und Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik BVerfGE 76, S. 1 (41 ff.).

Bei den EU-Ausländern entscheidet der deutsche Staat hingegen nicht souverän, ob, wen und unter welchen Bedingungen er einreisen lässt. Vielmehr ist ihm diese Entscheidung europarechtlich vorgegeben. Dementsprechend ist das ausländerrechtliche Netz für EU-Bürger erheblich weiter geknüpft. Insbesondere hat die diesen Bürgern erteilte Aufenthaltserlaubnis nur deklaratorische Funktion, und sie können nur unter eingeschränkten Voraussetzungen ausgewiesen und abgeschoben werden (§ 12 AufenthG/EWG). Auch wenn sie sich ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten, können sie nicht ausgewiesen oder abgeschoben werden. Ausgehend von dieser Rechtslage ist nicht einzusehen, weshalb bei zurückgenommenen ausländerrechtlichen Maßstäben eine volle Überwachung nach dem AZRG gelten sollte, insbesondere nachdem eine unverzügliche Einleitung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ausscheidet, auch wenn ein Aufenthaltstitel nicht vorliegt.

bb) Soweit als Grund für die Diskriminierung des Klägers sonstige Gesichtspunkte herangezogen werden können, haben diese im vorliegenden Fall vor der Schranke der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Art. 55, 46 EGV keinen Bestand. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist eng auszulegen. Insoweit muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft betrifft, vorliegen.

EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, S. 1337, 1350, Rz. 18/19 (von Duyn); Rs. 36/75, Slg. 1975, S. 1219, 1231, Rz. 26/28 (Rutili); Rs. 30/70, Slg. 1977, S. 1999, 2012, Rz. 33/35 (Boucherau); Verb. Rs. 115 und 116/81, Slg. 1982, S. 1665, 1707 f., Rz. 8 (Adoui).

Weiter muss die Ungleichbehandlung im gemeinschaftsrechtlichen Sinne verhältnismäßig sein, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist - wie oben ausgeführt, S. 14 - eine Regelung bereits dann nicht erforderlich, wenn das Ziel auch auf andere Art und Weise erreicht werden kann. Voraussetzung hierfür ist dabei nicht, dass das Ziel auch gleichermaßen effektiv erreicht wird. Dementsprechend können Erfordernisse der Verwaltungsvereinfachung nicht die Beeinträchtigung von Grundfreiheiten rechtfertigen.

- Materiellrechtliche ausländerrechtliche Gesichtspunkte können hier eine Speicherung der Daten des Klägers nicht rechtfertigen. Grundsätzlich besteht zwar Einigkeit darüber, dass im AZR auch Daten über EU-Ausländer gespeichert werden können, wenn und soweit bei diesen EU-Ausländern hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des Gemeinschaftsrechts darstellt. Gemeinschaftsrechtlich ist eine solche Speicherung nicht zu beanstanden, da insoweit nach Maßgabe der Art. 55, 46 EGV auch eine Ausweisung bzw. Abschiebung eines EU-Ausländer möglich ist. Dann muss aber auch in diesen Fällen eine Speicherung seiner Daten zulässig sein.

Vergl. zur Speicherung der Daten von EU-Ausländern bei Vorliegen von Anhaltspunkten für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Streit/Srocke, a.a.O., S. 111 f.; Weichert, a.a.O., Rn. 48. Zur prinzipiellen Ausweisungs- bzw. Abschiebungsmöglichkeit von EU- Ausländern z.B. EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, S. 1337, 1349, Rz. 13/14 ff. (van Duyn); Rs. 36/75, Slg. 1975, S. 1219, 1231, Rz. 26/28 ff. (Rutili); Verb. Rs. 115 und 116/81, Slg. 1982, S. 1665, 1707 ff., Rz. 5 ff. (Adoui).

Hinsichtlich des Klägers bestehen aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er in irgendeiner Art und Weise (nachhaltig) die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören könnte. Er lebt und arbeitet in Deutschland als "Normalbürger".

- Auch melderechtliche Gesichtspunkte können nach Maßgabe der Schranke der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" eine Speicherung nicht rechtfertigen. Zwar mag das Melderecht als solches grundsätzlich Aufgaben verwirklichen, die in Bezug zur "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im Sinne des EGV stehen. Der Kläger ist jedoch bereits mit seinen Daten in den jeweiligen Melderegistern gespeichert, sie können dort nach melderechtlichen Regelungen abgerufen werden. Warum er darüber hinaus aus melderechtlichen Gesichtspunkten mit den hier gegebenen Daten auch im AZR gespeichert werden sollte, ist zunächst nicht ersichtlich. Im übrigen geht, wie dargelegt, das AZRG auch wesentlich weiter als das MRRG. Insbesondere können die Daten des Klägers nach dem AZRG im automatisierten Verfahren "online" abgerufen werden (§ 22 AZRG). Diese spezifische Beeinträchtigung ist zudem allein durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt: Der Betroffene kann wie gesagt seinen Aufenthaltstitel selbst vorlegen, zudem kann eine Abfrage der Daten nach dem MRRG erfolgen. Allein verwal- tungstechnische Gesichtspunkt können aber nicht die Speicherung bzw. Verarbei- tung rechtfertigen.

Soweit insoweit zum Teil darauf verwiesen wird, dass die Regelungen des AZRG dazu dienten, für die besonders mobilen Ausländer eine "ununterbrochene Meldekette" zu sichern, kann dahinstehen, ob die dem zugrunde liegenden Annahme - dass nämlich EU-Ausländer wesentlich mobiler seien als Deutsche, die ebenfalls auch in das Ausland ziehen und damit die Meldekette unterbrechen können - stichhaltig ist.

Zum Erfordernis der "ununterbrochenen Meldekette" siehe z.B. Frankenberg, a.a.O., S. 107; Streit/Heyder, a.a.O:, Rdrn. 16; Weichert, a.a.O., Rdnr. 27 ff.

Zum einen ist nicht ersichtlich, weshalb durch eine unterbrochene Meldekette eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft betrifft, vorliegen könnte. Zum anderen könnte das Erfordernis der "ununterbrochenen Meldekette" lediglich eine Speicherung in den Melderegistern, nicht aber im "schärferen" Ausländerzentralregister, rechtfertigen

- Auch die vom Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angeführten Gesichtspunkte der Statistik können eine Speicherung der Daten des Klägers im AZR nicht rechtfertigen. Insoweit kann dahinstehen, ob bei Fehlen solcher statistischen Daten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft betrifft, vorliegen würde. Denn statistische Gründe sind für die Speicherung der Daten des Klägers jedenfalls nur in ganz untergeordnetem Maße relevant; das AZRG ist kein "Statistikgesetz". Nach § 1 Abs. 2 AZRG ist Registerzweck die Speicherung und Übermittlung der im Register gespeicherten Daten von Ausländern an die mit der Durchführung ausländer- oder asylrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden und andere öffentliche Stellen. Es treten in den §§ 12, 16, 17, 18, 20 AZRG Zwecke der Verbrechensverhütung und Bekämpfung sowie Zwecke der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hinzu. Neben der Datenübermittlung zu weiteren Zwecken (§§ 25, 26, 27 AZRG) taucht die Nutzung der Daten zu statistischen Zwecken nur in den §§ 23, 24 AZRG auf. Ist eine statistische Nutzung der Daten des Klägers aber nur in ganz untergeordneter Weise für die Speicherung seiner Daten maßgeblich, kann dieser untergeordnete Speicherungszweck nicht die einheitliche Speicherung der Daten des Klägers zu der Vielzahl der ganz anderen Zwecke rechtfertigen (§§ 1 Abs. 2, 12, 16, 18, 20, 25, 26, 27 AZRG).

- Endlich können auch Gründe der Kontrolle bei der Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nicht die Speicherung der Daten des Klägers im AZR rechtfertigen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger derzeit soziale Leistungen in Anspruch nimmt, die über die Speicherung seiner Daten im AZR kontrolliert werden müssten. Zum anderen kann seine Berechtigung zum Bezug solcher Leistung ohne weiteres durch Vorlage eines Ausweisdokumentes mit seine Aufenthaltserlaubnis EG überwacht werden.

Damit ist die Speicherung der Daten des Klägers im AZR weder zu ausländerrechtlichen Zwecken noch zu sonstigen Zwecken erforderlich bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne bzw. gerechtfertigt.

So im Ergebnis auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Bl. 50 ff. d.A. und der Petitionsausschuss des europäischen Parlaments, Bl. 66 d.A.

Da somit rechtfertigende Gründe für eine diskriminierende Ungleichbehandlung des Klägers im Vergleich zu deutschen Staatsangehörigen nicht vorliegen, würde eine weitere Speicherung der Daten des Klägers im AZR gegen Art. 49, 50 EGV verstoßen.

Das Ergebnis wäre im Übrigen das nämliche, mäße man die Speicherung der Daten des Klägers nicht am besonderen Diskriminierungsverbot nach Art. 49, 50 EGV, sondern am allgemeinen Diskriminierungsverbot nach Art. 12, 18 EGV: Der Kläger ist ein Unionsbürger, und die Art. 12, 18 EGV normieren ein allgemeinen Diskriminierungsverbot für den Bereich der Freizügigkeit, das nur durch Schranken des europäischen Gemeinschaftsrechts eingeschränkt werden kann, wobei diese Schrankenziehung verhältnismäßig sein muss.

Siehe zu alledem EuGH, Rs. C-85/96, Slg. 1998, S. 2691, 2724 ff., Rz. 52 ff. (Sala); EuGH, Rs. C-413/99, NJW 2002, S. 3610, 3612 f. Rz. 80 ff. (Baumbast und R.); Hilf, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand Februar 2002, Rz. 6 ff. zu Art. 18.

Das im Rahmen von Art. 49, 50 EGV Gesagte gilt mithin für Art. 12, 18 EGV entsprechend.

Damit ist festzuhalten, dass die §§ 2, 3 AZRG, die eine Speicherung der Daten des Klägers im nationalen Recht anordnen bzw. rechtfertigen, im Hinblick auf einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht auf den Kläger nicht anwendbar sind.

2. Die Speicherung der Daten des Klägers im AZR verstößt auch gegen die Datenschutzrichtlinie 95/46/EG vom 24. Oktober 1995. Diese ist in ihren Artikeln 6 und 7 unmittelbar anwendbar (a). Die Speicherung der Daten verstößt gegen Art. 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie (b).

a) Art. 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie sind unmittelbar anwendbar. Zwar sind Richtlinien gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV zunächst einmal nur für den Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich und überlassen diesem die Wahl der Form und des Mittels. Werden Richtlinien aber nicht fristgerecht umgesetzt, können sie unmittelbar anwendbar werden. Eine Richtlinie ist dann unmittelbar anwendbar, wenn die für die Umsetzung der Richtlinie gestellte Frist abgelaufen ist, die Richtlinie nicht umgesetzt wurde und sie "self executing" ist.

Siehe zu alledem z.B. EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, S. 1337,1348, Rz. 12 (van Duyn); Rs. 148/78, Slg. 1979, S. 1629, 1641 ff., Rz. 18 ff. (Ratti); Rs. 8/81, Slg. 1982, S. 53, 68 f. Rz. 20 ff. (Becker); Verb. Rs. C-6 u. C- 9/90, Slg. 1991, S. 5357, 5407, Rz. 10 ff. (Francovich) - ständige Rechtsprechung.

Die für die Umsetzung der Datenschutzrichtlinie gestellt Frist ist abgelaufen. Nach Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie war diese bis zum 24. Oktober 1998 umzusetzen.

Die Datenschutzrichtlinie wurde bezogen auf das AZRG noch nicht umgesetzt. Zwar erfolgte durch das Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes vom 18. Mai 2001 (BGBl. 2001 I, S. 904 ff.) eine Änderung des BDSG vor dem Hintergrund der Datenschutzrichtlinie. Das AZRG wurde jedoch nicht geändert. Im Rahmen der Anwendung des AZRG kann auch nicht "hilfsweise" auf das BDSG zurückgreifen kann. Denn bei dem AZRG handelt es sich um ein Spezialgesetz, das insoweit eine abschließende Regelung trifft.

Streit/Heyder, a.a.O. Rdnr. 10; Weichert, a.a.O., Rdnr. 11. Vergl. auch Streit/Srocke, a.a.O., S. 113.

Artikel 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie sind "self executing". Bei der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Richtlinie kommt es auf deren einzelne Bestimmungen an. Innerhalb einer Richtlinie können einzelne Artikel unmittelbar anwendbar sein und andere nicht.

EuGH, Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1651, 1691 f., Rz, 56 ff.(Johnston); Daig/Schmidt, in: Groben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG- Vertrag, 4. Aufl. 1991, Rz. 41 zu Art. 189.

Richtlinienbestimmungen sind dann "self executing", wenn sie inhaltlich unbedingt gelten und hinreichend bestimmt sind.

Art. 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie gelten inhaltlich unbedingt. Eine unbedingte Geltung liegt dann vor, wenn die Richtlinie ohne Ermessens- oder Beurteilungsspiel- räume umzusetzen ist. Insoweit ist es allerdings ausreichend, wenn die Richtlinie unter Heranziehung ihrer Zielvorgabe konkretisierbar ist (wenn und soweit die Zielvorgabe hinreichend ist). Nach der Rechtsprechung des EuGH genügen schon Richtlinienbestandteile mit dem Inhalt "Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" (Ziel: Beseitigung der mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit), bzw. "Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die von ihnen zu schaffende oder zu bestimmende Garantieeinrichtung die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen, die das Arbeitsentgelt für den vor einem bestimmten Zeitpunkt liegenden Zeitraum betreffen, sicherstellen" (Ziel: Die Befriedigung nichterfüllter Arbeitsengeltansprüche sicherzustellen).

So EuGH Rs. 71/85, Slg. 1986, S. 3855, 3876, Rz. 20 (Federatie Nederlandske Vaksbeweging); Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, S. 5357, 5409 f., Rz. 15, 18 (Frankovich).

Nach diesen Maßstäben sind auch die Regelungen in Art. 6 und Art. 7 der Daten- schutzrichtlinie unmittelbar anwendbar. Zwar werden in diesen Artikeln zum Teil generalklauselartige Begriffe wie "Treu und Glauben" und "Erforderlichkeit" verwendet. Auch handelt es sich bei Art. 6 und 7 der Richtlinie um "Grundsätze", wie schon der Titel dieses Abschnittes deutlich macht. Jedoch spricht der Umstand, dass Bestandteile einer Richtlinie im Abschnitt unter "Grundsätze" stehen, nicht gegen deren unmittelbare Anwendbarkeit.

Vergl. EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, S. 455, 475, Rz. 28/29 (Defren- ne/Sabena).

Vielmehr sind die Begriffe des "Treu und Glaubens" sowie der "Erforderlichkeit" der Datenverarbeitung im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie nach herkömmlichen Maßgaben und unter Heranziehung des Zieles der Richtlinie konkretisierbar. Ziel der Richtlinie ist die Vereinheitlichung des Datenschutzes in der europäischen Union unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes der natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten - wie sich schon aus dem Namen der Richtlinie ergibt. Im Rahmen des Schutzes der Daten der natürlichen Personen strebt die Richtlinie ein hohes Schutzniveau an (Erwägung 10 der Datenschutzrichtlinie). Vor diesem Hintergrund sind die Begriffe des "Treu und Glaubens" sowie der "Erforderlichkeit" der Datenverarbeitung nach herkömmlichen Maßstäben bestimmbar. Zum einen werden beide Begriffe in Erwägung 28 und 38 der Datenschutzrichtlinie konkretisiert.

Erwägung 28: "Die Verarbeitung personenbezogener Daten muss gegenüber den betroffenen Personen nach Treu und Glauben erfolgen. Sie hat den angestrebten Zweck zu entsprechen, dafür erheblich zu sein und nicht darüber hinauszugehen. Die Zwecke müssen eindeutig und rechtmäßig sein und bei der Datenerhebung festgelegt werden. Die Zweckbestimmungen der Weiterverarbeitung nach der Erhebung dürfen nicht mit den ursprünglich festgelegten Zwecken unvereinbar sein."

Erwägung 38: "Datenverarbeitung nach Treu und Glauben setzt voraus, dass die betroffenen Personen in der Lage sind, das Vorhandensein einer Verarbeitung zu erfahren und ordnungsgemäß und umfassend über die Bedingungen der Erhebung informiert zu werden, wenn Daten bei ihnen erhoben werden."

Zum anderen handelt sich bei beiden Begriffen um herkömmliche Rechtsbegriffe, die sowohl im europäischem Gemeinschaftsrecht allgemein als auch dem deutschen Datenschutzrecht vertraut sind (Siehe z.B. §§ 13, 14, 15 BDSG a.F.). Auch sind die Art. 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie in ein umfangreiches Regelungsgeflecht eingebunden, aus dem heraus sie ausgelegt werden können. Schließlich dürfte angesichts Erwägung 10 der Datenschutzrichtlinie hinsichtlich des Mindestmaßes des durch die Richtlinie gebotenen Schutzes - um dieses Mindestmaß zugunsten des Bürgers geht es hier - der "Konkretisierungsspielraum" der Mitgliedsstaaten nach "Unten" erheblich schmaler sein als nach "Oben".

Art. 6 und 7 der Richtlinie sind auch hinreichend bestimmt. Eine hinreichende Bestimmtheit liegt vor, wenn die Regelung "allgemein" und "unzweideutig" bestimmte Vorgaben trifft, und zwar zum geschützten Personenkreis, zu den durch die Regelung verpflichteten Einrichtungen und zum sachlichen Regelungsgehalt. Dabei steht die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe einer hinreichenden Bestimmtheit nicht entgegen. Maßgeblich ist insoweit, ob ein Begriff durch den Richter noch konkretisiert werden kann.

Vergl. EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, S. 455, 473 f., Rz. 16/20 ff. (Defrenne/Sabena); Jarras, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, S. 76 f m.w.N.

Im vorliegenden Fall sind sowohl der geschützte Personenkreis (Art. 1 Datenschutzrichtlinie) als auch die zur Regelung verpflichteten Einrichtungen (Art. 1, 34 Datenschutzrichtlinie) klar benannt. Die in Art. 6 und 7 der Richtlinie genannten Begriffe des "Treu und Glaubens" bzw. der "Erforderlichkeit" der Datenspeicherung und Verarbeitung sind nach herkömmlichen Maßstäben richterlich konkretisierbar, zumal die Zielvorgabe der Richtlinie klar ist, die Begriffe in Erwägung 28 und 38 der Richtlinie erläutert werden und die Vorschriften in ein konkretes Regelungsgeflecht eingebunden sind (siehe oben). Damit sind Art. 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie unmittelbar anwendbar.

Für eine unmittelbare Anwendbarkeit jedenfalls von Teilen der Richtlinie auch Haslach, DuD 1998, S. 693 ff.

b) Die Speicherung der Daten des Klägers verstößt gegen Art. 6 und 7 der Datenschutzrichtlinie. Nach Art. 6 Abs. 1 c) Datenschutzrichtlinie können Daten nur für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben werden. Nach Art. 7 lit e der Datenschutzrichtlinie - die für das AZR allein einschlägige Alternative - dürfen Daten unter anderem lediglich dann verarbeitet werden, wenn die Verarbeitung erforderlich ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt. Dabei liegt eine "Verarbeitung" von Daten auch dann vor, wenn Daten erhoben und gespeichert werden (Art. 2 lit. b der Datenschutzrichtlinie).

"Erforderlich" zur Erfüllung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, ist dabei die Datenverarbeitung nur, wenn insoweit kein milderes Mittel zur Verfügung steht. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 7 lit e Datenschutzrichtlinie, der insoweit an den gemeinschaftsrechtlichen Erforderlichkeitsbegriff anknüpft, und im Übrigen auch aus Erwägung 28 der Datenschutzrichtlinie. Wie im Rahmen der Grundfreiheiten ist dabei der Begriff der "Erforderlichkeit" streng zu handhaben. So ist eine Datenverarbeitung bereits dann nicht erforderlich, wenn das Ziel auch auf andere Art und Weise erreicht werden kann. Voraussetzung hierfür ist nicht, dass das Ziel auch gleichermaßen effektiv erreicht wird. Dementsprechend können Erfordernisse der Verwaltungsvereinfachung jedenfalls dann nicht eine Datenverarbeitung rechtfertigen, wenn es insoweit um eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten geht. Dies ergibt sich im Einzelnen aus der oben genannten Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten, die hier entsprechend herangezogen werden muss. Weiter heißt es in Erwägung 33 der Datenschutzrichtlinie, dass Daten, die geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen, nur dann verarbeitet werden dürfen, wenn hierfür "spezifische Notwendigkeiten" vorliegen. Weiter will die Richtlinie, wie sich aus Erwägung 10 der Richtlinie ergibt, ein "hohes Schutzniveau" gewährleisten. Eine Speicherung zur bloßen Verwaltungsvereinfachung ist aber schwerlich mit einem "hohen Schutzni- veau" zu vereinbaren.

Für eine strikte Anwendung des Grundsatzes des "Erforderlichkeit" im Rahmen der Datenschutzrichtlinie auch Rüpke, a.a.O., S. 189. Vergl. zum deutschen Recht BVerwG, DVBl 1991, S. 108 (110).

Soweit als Grund für die Datenspeicherung der unterschiedliche Aufenthaltstatus von Deutschen und EU-Ausländern herangezogen wird, ist die Speicherung nicht erforderlich. Wie dargestellt ist der Kläger zwar ein EU-Ausländer und unterliegt damit den formellen Einreise- und Aufenhaltsvoraussetzungen nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Indes kann er das Vorliegen dieser Voraussetzungen gegenüber öffentlichen Stellen ohne weiteres schlicht durch Vorlage seiner Aufenthaltserlaubnis EG führen (wozu er freilich persönlich erscheinen muss); ein Speicherung im AZR ist nicht notwendig. Daher kann die Speicherung der Daten des Klägers im AZR letztlich nur damit gerechtfertigt werden, dass insoweit eine (freilich beträchtliche) Verwaltungsvereinfachung vorliegt. Aber gerade Gründe der Verwaltungsvereinfachung reichen für eine Datenverarbeitung nach der Datenschutzrichtlinie - jedenfalls dann, wenn die Grundfreiheiten beeinträchtigt werden - nicht aus (siehe oben).

Soweit mit einer Speicherung im AZR möglicherweise leichter ermittelt werden kann, ob ggf. gefälschte Dokumente vorgelegt wurden, gilt auch hier das oben Gesagte. Zwar mag auch hier die Speicherung der Daten möglicherweise im Interesse des Klägers liegen, weil er damit jederzeit und sofort sein Aufenthaltsrecht nachweisen kann. Ob und wie er sein Aufenthaltsrecht, etwa durch Vorlage der dementsprechenden Aufenthaltstitel, im eigenen Interesse nachweist, ist aber zunächst seine Sache. Vielmehr ergibt sich aus Art. 7 lit d der Datenschutzrichtlinie, dass eine Verarbeitung von Daten zur Wahrung der Interessen des Betroffenen nur dann erfolgen darf, wenn es sich um lebenswichtige Interessen handelt. Um lebenswichtige Interessen geht es hier aber ersichtlich nicht.

Auch sonstige Gesichtspunkte können eine Speicherung der Daten des Klägers nicht rechtfertigen. Materiellrechtliche ausländerrechtliche Gesichtspunkte - Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger - rechtfertigen hier eine Speicherung seiner Daten nicht, da er ersichtlich keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Auch melderechtliche Gesichtspunkte können eine Speicherung nicht rechtfertigen, weil der Kläger bereits mit seinen Daten in den jeweiligen Melderegistern gespeichert ist; die Daten können dort nach melderechtlichen Regelungen abgerufen werden. Warum er darüber hinaus aus melderechtlichen Gesichtspunkten mit den hier gegebenen Daten auch im AZR gespeichert werden sollte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Im Übrigen geht, wie dargelegt, das AZRG wesentlich weiter als das MRRG. Die spezifische Beeinträchtigung durch § 22 AZRG ist zudem auch hier allein durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt.

Gesichtspunkte der Statistik stellten auch hier keinen rechtfertigenden Grund dar, die Daten des Klägers zu speichern; das oben Gesagte gilt entsprechend. Zudem heißt es in Art. 6 Abs. 1 lit e der Datenschutzrichtlinie, dass Daten für statistische Zwecke - soweit andere Zwecke nicht greifen - nur dann gespeichert werden dürfen, wenn insoweit "geeignete Garantien" vorgesehen sind. Wie sich aus Erwägung 29 der Richtlinie ergibt, müssen diese Garantien insbesondere ausschließen, dass die Daten für Maßnahmen oder Entscheidungen gegenüber einzelnen Betroffenen verwendet werden. Genau eine solche - untersagte - Verwendung sieht aber das AZRG insoweit vor. Endlich können hier auch Gründe der Kontrolle bei der Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nicht die Speicherung der Daten des Klägers im AZR rechtfertigen, wie schon oben ausgeführt wurde.

Damit ist eine Speicherung der Daten des Klägers im AZR weder zu ausländerrechtlichen Zwecken noch zu sonstigen Zwecken erforderlich im Sinne von Art. 6, 7 der Datenschutzrichtlinie.

So auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Bl. 50 ff. d.A. und der Petitionsausschuss des europäischen Parlaments, Bl. 66 d.A.

Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die Datenschutzrichtlinie unmittelbar anwendbar ist, sie der Speicherung der Daten des Klägers nach dem AZRG entgegensteht und dass insoweit die Speicherung dieser Daten rechtswidrig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da sie wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung des AZRG auf EU-Ausländer hat.






VG Köln:
Urteil v. 28.11.2002
Az: 20 K 10510/00


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/6bb8c6f46be0/VG-Koeln_Urteil_vom_28-November-2002_Az_20-K-10510-00




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