Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 2. Dezember 2014
Aktenzeichen: X ZB 1/13

(BGH: Beschluss v. 02.12.2014, Az.: X ZB 1/13)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den am 7. August 2012 verkündeten Beschluss des 35. Senats (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Gründe

I. Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 20 2007 012 877 (Streitgebrauchsmusters), das eine Einrichtung zur Sitzplatznummerierung der einzelnen Sitze von in Hallen, Sälen oder dergleichen aufgestellten Sitzreihen betrifft. Es wurde am 10. Juli 2007 im Wege der Abzweigung aus einer europäischen Patentanmeldung angemeldet, auf die das europäische Patent 2 040 581 erteilt worden ist. Einen gegen seine Erteilung gerichteten Einspruch hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts bestandskräftig zurückgewiesen.

Die aus dem Streitgebrauchsmuster in Anspruch genommene Antragstellerin hat im vorliegenden Löschungsverfahren unter anderem geltend gemacht, der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters sei nicht schutzfähig. Die Antragsgegnerin hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in mehreren beschränkten Fassungen verteidigt. Das Patentamt hat das Streitgebrauchsmuster gelöscht und das Patentgericht die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der - nicht zugelassenen - Rechtsbeschwerde.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil die Antragsgegnerin den Rechtsbeschwerdegrund nach § 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG in Verbindung mit § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG geltend macht. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.

1. Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters sei dem Fachmann durch die deutschen Offenlegungsschriften 10 2005 054 398 (D8 = E2) und 100 44 589 (D4 = E3) nahegelegt.

Die Rechtsbeschwerde rügt, das Patentgericht habe sich bei seiner Entscheidung nicht mit dem zu den Akten gereichten Zwischenbescheid der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts und ihrer Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das parallele europäische Patent befasst, in denen die Schutzfähigkeit der vorgeschlagenen Einrichtung zur Sitzplatznummerierung auf der Grundlage derselben Entgegenhaltungen bejaht worden sei.

2. Das rechtliche Gehör der Antragsgegnerin ist nicht verletzt.

a) Die deutschen Gerichte haben nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, Entscheidungen, die die Instanzen des Europäischen Patentamts oder Gerichte anderer Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens getroffen haben und die eine im Wesentlichen gleiche Fragestellung betreffen, zu beachten und sich gegebenenfalls mit den Gründen auseinanderzusetzen, die bei der vorangegangenen Entscheidung zu einem abweichenden Ergebnis geführt haben. Dies gilt gerade auch für die Frage, ob der Stand der Technik den Gegenstand eines Schutzrechts nahegelegt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950 - Walzenformgebungsmaschine). Unterlässt ein Gericht die hiernach gebotene Auseinandersetzung mit der Entscheidung eines anderen Gerichts, kann darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen. Das ist hier aber nicht der Fall.

b) Das Patentgericht hat die vorläufige Stellungnahme und die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs ersichtlich zur Kenntnis genommen und ausweislich der Beschlussgründe in einem dem Anspruch der Antragsgegnerin auf Wahrung ihres rechtlichen Gehörs genügenden Umfang gedanklich verarbeitet.

c) Wie eingehend die schriftlichen Gründe das Ergebnis der gebotenen Auseinandersetzung mit einer anderen Entscheidung, welche die im Wesentlichen gleiche Fragestellung zum Gegenstand hat, widerspiegeln müssen, lässt sich nicht verallgemeinern, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Im Streitfall hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts im Zusammenhang mit der Frage, ob der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters auf einem erfinderischen Schritt beruht, zwei technische Gesichtspunkte anders beurteilt als das Patentgericht.

aa) Der erste Gesichtspunkt betrifft den Umstand, dass Schutzanspruch 1 des Streitgebrauchsmusters statt einer Funkschnittstelle, die eine Funk-Sende- und Empfangseinheit zum Kommunizieren beiderseits benachbarter Sitze aufweist, eine Kommunikation über Infrarot vorsieht, bei der die Elektronik der Sitze jeweils eine Sitznummer über eine Infrarot-Schnittstelle überträgt, die entgegengesetzt gerichtete Infrarot-Sender zum Kommunizieren beidseits benachbarter Sitze aufweist. Das Patentgericht hat die Verneinung eines erfinderischen Schritts damit begründet, der Fachmann habe für diese Maßnahme eine hinreichend konkrete Anregung durch D4 erhalten, aus der ein elektronisches Sitzplatzbezeichnungssystem bekannt sei, bei dem die drahtlose Kommunikation zwischen individuellen Sitzplätzen und einer Bedienvorrichtung wahlweise über Infrarot oder Funk erfolge.

Die Divergenz zu der Auffassung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts besteht darin, dass diese keine Veranlassung des Fachmanns dafür gesehen hat, D4 mit D8 zu kombinieren und das aus D8 bekannte System so zu ändern, dass er zum Gegenstand der technischen Lehre des dortigen Streitpatents und hiesigen Streitgebrauchsmusters gelangt. Das Patentgericht war sich insoweit des Umstands bewusst, dass sich die Kommunikation bei D4 auf die Datenübertragung zwischen der Bedienvorrichtung und dem Sitzplatz bezieht, und hat darin gleichwohl eine hinreichend konkrete Anregung für den Fachmann gesehen, im Anschluss hieran für die elektronische Kommunikation auch zwischen den Stühlen statt einer Funkübertragung auch die Übertragung mittels Infrarot vorzusehen.

Beide Ansichten unterscheiden sich in der Sache allein in der unterschiedlichen Beurteilung, ob der Fachmann D4 die Anregung entnimmt, die dort vorgeschlagene Lösung mit dem sich in D8 stellenden Problem in Verbindung zu bringen und sie darauf zu übertragen. Da die Einspruchsabteilung ihre dies verneinende Auffassung nicht weiter konkretisiert hat, konnte es das Patentgericht ohne Verstoß gegen die Pflicht zur Auseinandersetzung mit dieser abweichenden Beurteilung bei den im angefochtenen Beschluss niedergelegten Erwägungen bewenden lassen.

bb) Die Einspruchsabteilung hat ergänzend als weiteren Gesichtspunkt angeführt, durch D8 und D4 sei jedenfalls nicht nahegelegt, dass die Elektronik der Sitze jeweils zwei entgegengesetzt gerichtete Infrarot-Sender aufweise. Demgegenüber hat das Patentgericht erwogen, bei D8 komme es zentral darauf an, dass die Stühle beim Auf- und Abbau wahllos entnommen bzw. gestapelt werden könnten und dass eine Datenübertragung durch die Stühle in beide Richtungen erforderlich sei. Dementsprechend werde der Fachmann die Infrarot-Schnittstelle so ausgestalten, dass sie nach links und nach rechts senden und empfangen könne, was den Fachmann wegen der ihm bekannten Richtungsabhängigkeit der Infrarot-Sender sofort zu einer Ausgestaltung der Schnittstelle mit zwei entgegengesetzt gerichteten Infrarot-Sendern bzw. -Empfängern führe. Mit dieser Würdigung hat sich das Patentgericht mit der abweichenden Sicht der Einspruchsabteilung befasst und seine Abweichung davon begründet.

d) Hinsichtlich der Hilfsanträge und der Unteransprüche sind eigenständige Gehörsverletzungen nicht geltend gemacht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG und § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.

IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich erachtet.

Meier-Beck Gröning Bacher Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 07.08.2012 - 35 W(pat) 410/10 -






BGH:
Beschluss v. 02.12.2014
Az: X ZB 1/13


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