Oberlandesgericht Rostock:
Urteil vom 6. April 2016
Aktenzeichen: 1 U 21/14

(OLG Rostock: Urteil v. 06.04.2016, Az.: 1 U 21/14)

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Grund-Urteil des Landgerichts Stralsund vom 28.01.2014 - 3 HK O 88/09 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist - ebenso wie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stralsund - wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

4. Der Beklagten wird nachgelassen, eine Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erhöhung des Abfindungsbetrages samt Zinsen nach ihrem Ausscheiden als Gesellschafterin der beklagten GmbH zum 31.12.2007 sowie auf die Erstattung außergerichtlicher anwaltlicher Mahnkosten in Anspruch.

Die Beklagte wurde am 22.03.1991 unter der Firma €Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft H mbH" gegründet. Als Gründungsgesellschafter fungierten insgesamt 17 Gemeinden aus dem heutigen Landkreis ... . Zu den Gründungsgesellschaftern gehörte auch die Klägerin, die Gemeinde X. Der Gründungsvorgang ist in der Urkundenrolle Nr. 479/1991 der Notarin A mit Sitz in R festgehalten (Anlage B2, GA IV, Bl. 13 ff.). Vom Stammkapital der Gesellschaft in Höhe von 50.000,00 DM übernahm die Klägerin eine Stammeinlage in Höhe von 7.300,00 DM gem. § 4 des Gesellschaftsvertrages vom 22.03.1991 (Anlage B2, GA IV, Bl. 18 ff.). Die Klägerin hielt dadurch den zweithöchsten Geschäftsanteil und war am Gesellschaftsvermögen der Beklagten zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens mit 15,38% beteiligt.

Den Gegenstand des Unternehmens beschreibt § 2 (1) der Satzung (von 1991 bzw. in der aktuellen Fassung vom 27.04.2006 - Anlage K1, GA I, Bl. 9 ff.) wie folgt:

Die Gesellschaft vermietet, bewirtschaftet und sichert die Instandhaltung eigener und anderer Wohnungen, Geschäftsräume, Garagen und sonstiger Objekte. Sie ist Bauherr für den Neubau bzw. Ausbau/Modernisierung von Wohnungen, Geschäftsräumen und anderen Objekten.

Historischer Hintergrund für die Gründung der Beklagten ist die Umwandlung volkseigener Wohnungswirtschaftsbetriebe der (ehemaligen) DDR in gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften sowie die Übertragung des volkseigenen Grundeigentums an die Wohnungsgenossenschaften.

Eine Prüfung des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2000 ergab, dass die Beklagte im Hinblick auf ihren gesellschaftsvertraglich festgelegten Zweck zu keinem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer gemeinnützigen Gesellschaft erfüllt hatte. Aus diesem Grunde erfolgte im Jahr 2000 eine umfassende Überarbeitung der Satzung; insbesondere wurde der Begriff €gemeinnützig€ aus der Firma gestrichen.

Auf Basis eines notariell beurkundeten Einbringungsvertrages, datierend vom 03.06.1994, Urkundenrolle Nr. 916/1994, hat die Klägerin diverse, ehemals volkseigene Grundstücke mit Wohnbebauung in die Beklagte eingebracht. Der Gesamtwert der eingebrachten Immobilien belief sich auf 8.123.219,00 DM.

Mit Schreiben vom 28.06.2007 erklärte die Klägerin ihren Austritt aus der Beklagten gem. § 15 der Satzung fristgemäß zum 31.12.2007. Auf der Gesellschafterversammlung vom 05.12.2007 beschlossen die übrigen Gesellschafter der Beklagten - gem. § 13 (3) der Satzung hat in diesen Fällen der betroffene Gesellschafter kein Stimmrecht - die Einziehung der Geschäftsanteile der Klägerin.

§ 15 der Satzung (von 2006) der Beklagten bestimmt:

Jeder Gesellschafter kann seinen Austritt aus der Gesellschaft erklären.

Der Austritt kann nur zum Ende des Geschäftsjahres erfolgen. Er ist unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten durch eingeschriebenen Brief zu erklären.

Der ausscheidende Gesellschafter ist nach Wahl der Gesellschaft verpflichtet, seinen Geschäftsanteil jeweils ganz oder zum Teil an die Gesellschaft selbst, an einen oder mehrere Gesellschafter oder an von der Gesellschaft zu benennende Dritte abzutreten oder die Einziehung zu dulden. Bis zum Ausscheiden kann er seine Gesellschafterrechte ausüben. Die verbleibenden Gesellschafter sind verpflichtet, bis zum Wirksamwerden des Austritts über die Einziehung oder Abtretungsverpflichtung Beschluss zu fassen.

Und im Hinblick auf die Bewertung legt § 14 der Satzung (von 2006) fest:

(1) Soweit nach diesem Gesellschaftsvertrag eine Bewertung von Geschäftsanteilen stattzufinden hat, ist der Wert anzusetzen, der sich im Zeitpunkt des Ausscheidens des betreffenden Gesellschafters unter Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften zur Ermittlung des gemeinen Wertes von Geschäftsanteilen ergibt.

(2) ...

(3) Als Zeitpunkt des Ausscheidens im Sinne dieses Vertrages gilt jeweils das Ende des Geschäftsjahres, in dessen Verlauf das zur Bewertung führende Ereignis eingetreten ist.

(4) Das Entgelt ist in 4 Halbjahresraten nach dem Ausscheiden zu entrichten.

Die jeweiligen Restbeträge sind mit 4 Prozent nachträglich zu verzinsen. Der zeitanteilige Gewinn bzw. Verlust ist innerhalb von 3 Monaten nach Feststellung der Jahresbilanz zu zahlen bzw. auszugleichen.

In Ergänzung zum Gesellschafterbeschluss vom 05.12.2007 trafen die Gesellschafter der Beklagten auf einer weiteren Gesellschafterversammlung am 02.04.2008 unter TOP 4 einen Beschluss zur Einziehung der Geschäftsanteile der Klägerin im Nennbetrag von 3.732,43 Euro (entspricht 7.300,00 DM) und zur entsprechenden Erhöhung der Stimmrechte der übrigen Gesellschafter. Der Beschluss unter TOP 5 bestimmt als Abfindungszahlung eine Zahlung in Höhe des Nennbetrags des Geschäftsanteils, zahlbar innerhalb von vier Wochen nach Beschlussfassung.

Der Betrag in Höhe von 3.732,43 Euro wurde der Klägerin überwiesen. Die Klägerin widersprach der Höhe der Abfindungszahlung mit Schreiben vom 15.09.2008. Im Anschluss daran beauftragte sie die Greifswalder Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Schäfer & Dr. Rudel GmbH Revisions-Treuhand mit der Erstellung eines Gutachtens zur Ermittlung der Höhe des Abfindungsanspruches. Die Bewertung der Anteile zum 31.12.2007 erfolgte nach einem modifizierten Stuttgarter Verfahren (Investitionszeitraum 7 Jahre anstelle von 5 Jahren; Vergleichsrendite 3,67% anstelle von 9%. Als gemeiner Wert wurden daher 79 v.H. der Summe aus Vermögenswert und siebenfachem Ertragshundertsatz angesetzt). Nach Berechnung der Revisions-Treuhand beläuft sich der gemeine Wert aller Geschäftsanteile der Beklagten auf 6.175.640,93 Euro. Da die Klägerin mit 15,38 % an der Beklagten beteiligt war, ergäbe sich ein Abfindungsanspruch in Höhe von 949.813,58 Euro (Anlage K9, GA I, Bl. 58 ff.).

Daher forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr eine weitere (wesentlich höhere) Abfindungszahlung zu überweisen. Das lehnte der Geschäftsführer der Beklagten unter Hinweis auf den Gesellschafterbeschluss vom 02.04.2008 ab.

Nachdem auch ein anwaltliches Mahnschreiben erfolglos blieb, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 28.07.2009 (Teil-)Klage erhoben mit folgenden Anträgen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 25.000,00 nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.04.2009 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die Kosten der außergerichtlichen Mahnung in Höhe von € 7.781,41 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 25.05.2009 zu zahlen.

Zur Begründung der Höhe des Abfindungsanspruchs beruft sich die Klägerin auf das Gutachten der Schäfer und Dr. Rudel GmbH Revisions-Treuhand.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung und legte zur Begründung ihrerseits ein (vorläufiges) Gutachten zur Unternehmensbewertung vor, das die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten erstellt hatte (Anlage B1, GA III, Bl. 9 ff.). Die Gutachtenerstellung sei unter Beachtung der €Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen€ des Hauptfachausschusses des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW S 1 2000) erstellt worden. Das Gutachten, das im Vorgriff auf das Ausscheiden der Gemeinde Züssow, einer weiteren Gesellschafterin der Beklagten (Parallelverfahren Az.: 1 U 131/13 = 3 HK O 25/09 LG Stralsund), gefertigt wurde, stellt auf den Stichtag 31.12.2005 ab. Es zeigt, dass sich die wirtschaftliche Situation der Beklagten seit 2001 permanent verschlechtert hat. In den Jahren 2002, 2003 und 2004 belief sich der Unternehmensfehlbetrag auf jeweils sechsstellige Summen. Im Jahr 2005 war sogar ein Jahresfehlbetrag von 3,6 Mio. Euro ausgewiesen, was notwendigen besonderen Abschreibungen auf Gebäude auf den tatsächlichen Wert geschuldet und von den damaligen Wirtschaftsprüfern empfohlen worden war. Auch in den nachfolgenden Jahren sei eine weiter rückläufige Unternehmensentwicklung zu erwarten.

Die Parteien haben im wesentlichen um die Frage nach der €richtigen€ Bewertungsmethode für die Bemessung des Abfindungsanspruchs gestritten. Während die Beklagte die Ansicht vertreten hat, ein ertragsschwaches Unternehmen der Daseinsvorsorge in einer strukturschwachen Region zu sein, so dass nur das Ertragswertverfahren in Betracht käme, hat die Klägerin dies in Abrede genommen und sich auf das von ihr gewählte modifizierte Stuttgarter Verfahren berufen. Wegen der Einzelheiten zum Parteivorbringen wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit Grund-Urteil vom 28.01.2014 hat das Landgericht den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (GA V, Bl. 102 ff.). Die Kammer legt dar, dass in § 14 der Satzung auf eine Bewertung nach dem so genannten Stuttgarter Verfahren verwiesen werde, was sie den Parteien bereits mit Hinweisbeschluss vom 01.10.2013 mitgeteilt hatte. Zwar werde dieses Verfahren zur Ermittlung des Wertes eines Geschäftsanteils als teilweise ungeeignet angesehen, doch sei diese Vereinbarung aufgrund der Vertragsfreiheit zwischen den Gesellschaftern zulässig. Daher erfolge die Bewertung auf Grundlage des Einheitswertes unter begrenzter Berücksichtigung des Ertragswertes. Der Ertragswert der Beklagten zum 31.12.2007 sei negativ. Allerdings seien in diesem Fall besondere Umstände zu berücksichtigen. Es käme auch auf den Substanzwert an. Nach Ansicht der Kammer handele es sich bei der Beklagten um ein ertragsschwaches Unternehmen der Daseinsvorsorge. Das Zugrundelegen des Liquidationswertes komme nicht in Betracht, weil nicht die Absicht bestehe, die Beklagte zu liquidieren. Bei so genannten Non-Profit-Unternehmen habe eine Ermittlung des Substanzwertes durch Ermittlung des Rekonstruktionsoder Wiederbeschaffungswertes aller im Unternehmen vorhandenen immateriellen und materiellen Werte zu erfolgen. Entsprechend habe auch das Landgericht Hamburg bei einem ertragsschwachen Unternehmen der Daseinsvorsorge auf den Rekonstruktionswert zur Ermittlung des Unternehmenswertes abgestellt. Zu dem gleichen Ergebnis komme man nach Auffassung der Kammer, wenn man für die Bewertung die Grundsätze von IDW S 1 zu Grunde lege. Zur weiteren Begründung des Landgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung führt die Beklagte an, dass im Hinblick auf die Bewertungsmethode auf den wirklichen Willen der Gesellschafter bei Vertragsschluss abzustellen sei. Bei der Gründung der Beklagten (und noch bis zum Jahr 2000) seien die Gemeinden als Gesellschafter davon ausgegangen, dass sie ein gemeinnütziges Unternehmen gründen würden. Unter dieser Prämisse sei auch die Aufnahme der Abfindungs- und Bewertungsklausel erfolgt. Beim Ausscheiden aus einer gemeinnützigen Gesellschaft dürften die Kapitalanteile aber lediglich zum Nennwert zurückgezahlt werden.

Hingegen passe das Stuttgarter Verfahren nicht auf Unternehmen von unterdurchschnittlicher Rentabilität, da es tendenziell zu Überbewertungen führe und somit zu einem groben Missverhältnis bei Berechnung der Abfindung. Erforderlich sei deshalb eine ergänzende Vertragsauslegung, die unter Beachtung der bei Gründung angenommenen Gemeinnützigkeit vorzunehmen sei. Vor diesem Hintergrund verbiete sich ein Heranziehen des Substanzwertes.

Das gleiche Ergebnis ergebe sich, wenn im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auf IDW S 1 (Fassung 2008) abgestellt werde. Hierbei komme es bei einer Bewertung auf die Sicht eines potenziellen Käufers an, der sich am Nutzen des Unternehmens, also am Ertragswert, orientiere. Dieser sei negativ. Da nicht die Absicht bestehe, die Gesellschaft zu liquidieren, scheide der Liquidationswert als Untergrenze aus.

Auch der Rekonstruktionswert (Kosten des €Nachbaus€ des Unternehmens) müsse angesichts des negativen Ertragswertes und der Leerstandsquote (ca. 10%) außer Betracht bleiben. Der Rekonstruktionswert spiele zudem nur dann eine Rolle, wenn es auf die Sicht des Leistungserstellers ankäme. Als solcher sei die Klägerin jedoch nicht anzusehen. Die Beklagte stützt ihre Ausführungen im Einzelnen auf einen Beschluss des OLG Düsseldorf vom 28.01.2009 einerseits sowie einen Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 16.07.2007 andererseits.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 28.01.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Beklagte sei kein ertragsschwaches Unternehmen der Daseinsvorsorge. Es gebe keinen Bedarf für eine Daseinsvorsorge wegen der privatwirtschaftlichen Konkurrenten. Daher sei auch eine Liquidation denkbar, was durch den Gesellschafterbeschluss zur Veräußerung der Beklagten belegt werde. Der Liquidationswert bilde die Abfindungsuntergrenze, um unbillige Ergebnisse der Ertragswertmethodik zu korrigieren. Eine Null- oder Nennwertabfindung sei unangemessen, da die Klägerin noch für KfW-Darlehen in Höhe von über 630.000,00 Euro mithaften würde. Daher sei auch das Auslegungsergebnis des Landgerichts, den Rekonstruktionswert heranzuziehen, interessengerecht. Unzutreffend seien die Überlegungen der Beklagten zum Begriff des Leistungserstellers. Da die Klägerin keine Leistungsempfängerin sei, sondern Gesellschafterin der Leistungserstellerin, der Beklagten, stünden beide im gleichen Lager. Damit sei als Untergrenze der Abfindung der Substanzaufwand heranzuziehen, der den Ertragswert modifiziere.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Parteischriftsätze nebst Anlagen sowie den Akteninhalt im Übrigen ausdrücklich Bezug genommen. Die Akten des Verfahrens Landgericht Stralsund - 3 HK O 25/09 - sind beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht Stralsund hat zutreffend festgestellt, dass der Klägerin nach ihrem Ausscheiden aus der Beklagten zum 31.12.2007 dem Grunde nach auf der Basis von § 14 (1) der Satzung ein höherer als der bislang ausgezahlte Abfindungsanspruch sowie die Erstattung der außergerichtlichen Mahnkosten zustehen. Bei der Bewertung des Gesellschaftsanteils der Klägerin ist auf den Substanz- oder Rekonstruktionswert abzustellen.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Nennwert nicht maßstäblich sein; eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass es sich bei der Beklagten um ein gemeinnütziges Unternehmen handelt, verbietet sich.

a. Die Beklagte behauptet mit der Berufungsbegründung (erneut), die Gründungsgesellschafter seien davon ausgegangen, ein gemeinnütziges Unternehmen der Daseinsvorsorge zu gründen. Daraus will sie den Schluss ziehen, dass sich an den Abfindungsregeln für gemeinnützige Gesellschaften zu orientieren sei. Insoweit setzt sie sich jedoch bereits in Widerspruch zu ihrem Schriftsatz vom 23.05.2013. In diesem sieht sie sich selbst als Unternehmen mit Aufgaben der Daseinsvorsorge, nicht jedoch als gemeinnützige Gesellschaft. Die Klägerin ihrerseits hat die Gemeinnützigkeit stets bestritten und die Beklagte als gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen auf dem Immobilienmarkt bezeichnet (Ss vom 13.02.2013, GA IV, Bl. 127 ff.; Ss vom 22.05.2013, GA IV, Bl. 164 ff; Ss vom 02.09.2014, GA V, Bl. 146 ff.).

Festzustellen ist zwar, dass die Beklagte ursprünglich tatsächlich als gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen firmiert hat, doch war dies den damaligen gesetzlichen Vorgaben geschuldet. Wie die Unterlagen aus dem Jahr 1990 ergeben, sollten volkseigene Wohnungswirtschaftsbetriebe der (ehemaligen) DDR in gemeinnützige Wohnungsgesellschaften umgewandelt werden. So ist es auch 1991 bei der Gründung der Beklagten geschehen, obgleich eine Gemeinnützigkeit im Sinne der Abgabenordnung gar nicht vorgelegen hat. Eben deshalb ist es im Jahre 2000 zum Monitum des Landesrechnungshofes Mecklenburg-Vorpommern gekommen, welches wiederum zu einer Satzungsänderung und Umfirmierung der Beklagten geführt hat.

b. Rechtlich betrachtet handelt es sich bei der beklagten GmbH weder derzeit um ein gemeinnütziges Unternehmen, noch hat die Beklagte, nicht einmal bei der Gründung, je die Anforderungen an ein gemeinnütziges Unternehmen i.S.d. §§ 51 ff. AO erfüllt.

Steuervergünstigungen i.S.d. § 51 AO werden u.a. bei Vorliegen von Gemeinnützigkeit gewährt. Im Katalog des § 52 AO, der gemeinnützige Zwecke aufzählt, sind Wohnungsbau und Wohnungsverwaltung nicht genannt. Zudem ist die Satzung der Beklagten mit einer Selbstlosigkeit i.S.d. § 55 AO nicht in Einklang zu bringen. Das gilt insbesondere für die Klauseln betreffend die Gewinnverteilung (§ 7 (3) von 1991) und die Bewertung des Anteils bei Ausscheiden eines Gesellschafters (§ 12 von 1991). In der Vergangenheit wurden keine Gewinne ausgeschüttet, weil entweder keine erzielt bzw. diese für Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen der Wohngebäude verwendet wurden, nicht aber deshalb, weil die beklagte GmbH selbstlos agieren wollte. Selbst in der ursprünglichen Fassung der Satzung war als Entgelt der Wert des eingezogenen Geschäftsanteils für die Abfindungszahlung maßgeblich, nicht der Nennwert. Der Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 02.04.2008 (Abfindungszahlung in Höhe des Nennwertes des Geschäftsanteils) lässt sich überdies nicht mit der Regelung in § 14 der aktuellen Satzung vereinbaren. Diese fordert die Ermittlung des gemeinen Werts des Geschäftsanteils unter Berücksichtigung steuerrechtlicher Vorschriften.

Zudem verkürzt die Beklagte § 55 Abs. 1 Nr. 2 AO. Dieser bestimmt zwar, dass ein Mitglied beim Ausscheiden aus der selbstlosen Körperschaft nicht mehr als den eingezahlten Kapitalanteil zurückerhalten soll, jedoch zusätzlich auch den gemeinen Wert der Sacheinlage. Mit dem notariell beurkundeten Einbringungsvertrag hat die Klägerin 1993 Wohngrundstücke im Wert von mehr als 8 Mio. DM in die beklagte Verwaltungs- und Wohnungsbaugesellschaft eingebracht. Dass diese Immobilien inzwischen vollkommen wertlos seien, ist nicht dargetan, so dass eine Beschränkung auf den Nennwert des Geschäftsanteils als Abfindungszahlung auch deshalb ausscheidet.

c. Schließlich würde das Abstellen auf den Nennwert des Geschäftsanteils im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung eine unzumutbare Benachteiligung der Klägerin mit sich bringen, da diese weiterhin für mehrere Kfw-Darlehen mithaftet.

2. Ebenso wenig kommt im vorliegenden Fall ein Heranziehen des Liquidationswertes in Betracht.

a. Unter dem Liquidationswert ist die Summe der Preise, die sich erzielen lassen, wenn alle Vermögensgegenstände des betroffenen Unternehmens verkauft und von der erzielten Summe die Schulden, Liquidationskosten und eventuell entstehende Ertragsteuern abgezogen werden (Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., S. 203), zu verstehen. Zwar kann der Liquidationswert die Untergrenze der Bewertung bilden, wenn die Ertragsaussichten des Unternehmens dauerhaft negativ sind, weil dessen Fortführung dann nicht unternehmerischem Handeln entspricht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Februar 2004 - 19 W 3/00 AktE, I-19 W 3/00 AktE - ZIP 2004, 753, Rn. 58, juris). Jedoch ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung klargestellt, dass es keinen Automatismus gibt, stets den Liquidationswert heranzuziehen, wenn dieser über dem Ertragswert liegt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 1973 - IV ZR 142/70 - NJW 1973, 509, Rn. 13, 14, juris). Das gilt auch für den vorliegenden Fall.

b. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat und auch die Beklagte selbst bestätigt, handelt es sich bei der Beklagten um ein Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge in kommunaler Trägerschaft, dessen Liquidation nicht geplant ist. Vielmehr besteht ein tatsächlicher oder rechtlicher Zwang zur Fortführung. Davon geht auch die Beklagte selbst aus, wohingegen die Klägerin einen gegenteiligen Standpunkt einnimmt, der jedoch nicht zu überzeugen vermag.

Das Landgericht bezieht sich im Hinblick auf die satzungsmäßige Tätigkeit der Beklagten richtiger Weise auf § 68 der Kommunalverfassung M-V. Dessen Voraussetzungen erfüllt die Beklagte als Unternehmen in kommunaler Trägerschaft: Nach § 68 Abs. 2 KV M-V sind Unternehmen der Gemeinde nur zulässig, wenn

1. der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt,

2. das Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf steht und

3. die Gemeinde die Aufgabe ebenso gut und wirtschaftlich wie Dritte erfüllen kann.

Tätigkeiten, mit denen die Gemeinde an dem vom Wettbewerb beherrschten Wirtschaftsleben ganz überwiegend mit dem Ziel der Gewinnerzielung teilnimmt, entsprechen keinem öffentlichen Zweck. Die Beklagte erfüllt jedoch seit ihrer Gründung Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge (Wohnungsverwaltung und -sanierung in einer strukturschwachen Region) entsprechend dem Staatsziel aus Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Landesverfassung M-V, jedem angemessenen Wohnraum zu sozial tragbaren Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Der öffentliche Wohnungsbau gehört gem. § 2 Abs. 2 GO M-V zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten einer Gemeinde, was ebenfalls für eine Daseinsvorsorge durch die Beklagte spricht. Kommunale Wohnungsunternehmen bezwecken vorrangig die Wohnraumversorgung einkommensschwacher und benachteiligter Haushalte (Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, S. 667). Im Verfahren wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Mieter der Beklagten überwiegend Transferleistungen beziehen. Dass Unternehmen in privater Trägerschaft bereit und in der Lage wären, die Aufgaben der Beklagten dauerhaft zu übernehmen, ist nicht ersichtlich.

c. Für ein Tätigsein im Bereich der Daseinsvorsorge spricht zudem, dass der Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Prüfung von Jahresabschluss und Lagebericht gem. § 11 Abs. 1, 3 Kommunalprüfungsgesetz beauftragt. Das ergibt keinen Sinn, wenn es sich bei der Beklagten um ein €normales" gewinnorientiertes Unternehmen handeln würde.

d. Aufgrund der Betätigung der beklagten GmbH im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge besteht ein tatsächlicher oder rechtlicher Zwang zur Unternehmensfortführung (so für ein Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Januar 2009, I - 26 W 7/07 AktE, 26 W 7/07 AktE -, AG 2009, 667, juris; Großfeld, a.a.O., S. 206), um für eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum zu sorgen. Es fehlt die Absicht der Gesellschafter, die Beklagte trotz unstreitig fehlender Erträge zu liquidieren. Gegen den Fortführungswillen spricht auch nicht, dass die Gesellschafter einen Beschluss gefasst hatten, die beklagte GmbH insgesamt zu verkaufen. Wie sich aus dem Parallelverfahren (3 HK O 25/09 LG Stralsund) ergibt, fand sich dafür weder die erforderliche Mehrheit noch wurde die Veräußerung ernsthaft betrieben.

Aus alledem folgt, dass eine Bestimmung des Anteilswertes der Klägerin nach der Liquidationswertmethode außer Betracht bleiben muss.

3. Zur Bewertung des Anteils der Klägerin ist stattdessen der Substanz- oder Rekonstruktionswert maßgeblich. Der Senat teilt diesbezüglich die überzeugend begründete Ansicht des Landgerichts.

a. Nicht zu verkennen ist allerdings im Ausgangspunkt, dass § 14 der Satzung der Beklagten zur Anteilsbewertung auf das so genannte Stuttgarter Verfahren verweist.

Diese Bewertungsmethode wurde zwar im Zuge der Erbschaftsteuerreform zum 01.01.2009 abgeschafft. Sie galt jedoch sowohl noch bei Gründung der Beklagten im Jahre 1991 wie auch bei der letzten Satzungsänderung im Jahre 2006 und schließlich ebenso bei Wirksamwerden des Austritts der Klägerin im Jahre 2007. Auch waren die Gesellschafter bei Abfassung des Gesellschaftsvertrages - trotz der gegen diese Ermittlungsmethode anzubringenden Bedenken - im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit nicht gehindert, das Stuttgarter Verfahren für die Auseinandersetzung untereinander zu vereinbaren (so auch OLG Naumburg, Urteil vom 02. Oktober 2006 - 2 U 14/06 -, Rn. 18, juris; bejahend sogar für die Zeit nach 2009 Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 34, Rn. 36a). Abgelehnt wurde eine Anwendung des Stuttgarter Verfahrens in der Rechtsprechung nur, wenn es zu einem groben Missverhältnis zwischen Abfindungsbetrag und wirklichem Anteilswert des ausscheidenden Gesellschafters führen würde (OLG Köln, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 4 U 31/97 -, GmbHR 1998, 641, Rn. 17, juris). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

b. Das Stuttgarter Verfahren als Bewertungsmethode bedarf jedoch im Einzelfall der Modifikation.

aa. Das Verfahren war ursprünglich in den Vermögensteuer-Richtlinien geregelt und wurde nach Abschaffung der Vermögensbesteuerung in R 96 ff. der Erbschaftsteuer-Richtlinien verankert.

Beim Stuttgarter Verfahren werden der Wert des Betriebsvermögens (§ 11 Abs. 2 BewG a.F.), der bei Gewerbetreibenden den Steuerbilanzwerten entspricht (Substanzwert, § 109 Abs. 1 BewG a.F.) und die Erträge der letzten fünf Jahre (zeitlich begrenzter Ertragswert) zur Ermittlung des Unternehmenswertes herangezogen (Geißler, GmbHR 2006, 1173, 1174; Moxter, DB 1976, 1585, 1586; Großfeld, a.a.O., S. 52, S. 260; Fastrich in: Baumbach/Hueck, a.a.O., § 34, Rn. 36a). Ehedem diente das Verfahren dazu, den Unternehmenswert im Zusammenhang mit der Bestimmung der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer zu schätzen (R 96 ff. ErbStR). Daneben fand es in der Finanzverwaltung Anwendung (Großfeld, a.a.O., S. 52), wenn Anteile einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft durch Schenkung oder Erbschaft übergingen. In Anlehnung daran wurde das Stuttgarter Verfahren in zahlreichen Gesellschaftsverträgen als Bewertungsmethode gewählt (Ballwieser/Hachmeister, a.a.O., S. 10, S. 210).

bb. Problematisch war im Zusammenhang mit der Anteilsbewertung, dass das Stuttgarter Verfahren in erster Linie eine Gleichmäßigkeit in der Besteuerung bezweckte, aber keine adäquate Wertermittlung des Anteils an einer nicht börsennotierten Gesellschaft ermöglichte. Kritisiert wurde, dass es zu eher €zufälligen€ (Großfeld, a.a.O., S. 261, spricht sogar von €absurden€) Ergebnissen führen würde. Das hat insbesondere auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuergesetzes hervorgehoben, indem es darauf hinwies, dass das Stuttgarter Verfahren die Verwerfungen nicht ausgleichen könne, die durch das Heranziehen der Steuerbilanzwerte verursacht würden (BVerfG, Beschluss vom 07. November 2006- 1 BvL 10/02-, BVerfGE 117, 1, Rn. 125ff., juris).

cc. Mit der Erbschaftsteuerreform zum 01.01.2009 wurde das Stuttgarter Verfahren abgeschafft und durch ein einheitliches Bewertungsverfahren gem. § 11 BewG i.V.m. §§ 199 ff. BewG ersetzt. Dabei ist gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG der Substanzwert als absolute Wertuntergrenze zu berücksichtigen. In der Begründung zum RegE des ErbStRG (BT-Drucks. 16/7918 vom 28.01.2008, S. 38) heißt es:

€... Die Ertragswertmethode ist nicht für die Bewertung jedes Unternehmens geeignet.Untergrenze ist stets der Substanzwert, den ein Steuerpflichtiger am Markt erzielen könnte.€

Zwar war § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG im Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin nicht in Kraft, doch belegt die Vorschrift, dass auch der Gesetzgeber Ausnahmen vom ansonsten verbreiteten Ertragswertverfahren für notwendig hält.

dd. Auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens im Einzelfall einer Korrektur und Ergänzung bedarf. So geht der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Schätzung im Rahmen des Stuttgarter Verfahrens lediglich ein brauchbares Hilfsmittel zur Ermittlung des gemeinen Werts nicht börsennotierter Anteile darstellt (BFH, Beschluss vom 25.10.2007 - VIII B 109/06 -, BFH/NV 2008, 528, Rn. 2 m.w.N., juris), ohne dass jedoch die Gerichte an das Stuttgarter Verfahren wie an ein Gesetz gebunden sein würden. Zugleich weist auch der BFH darauf hin, dass durch die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens in der Bewertungspraxis mit erheblich voneinander abweichenden Schätzwerten zu rechnen sei, da die Schätzungen mit erheblichen Unsicherheiten verbunden wären (BFH, a.a.O., Rn. 2).

c. Die Schätzung des Anteilswertes nach dem Stuttgarter Verfahren hat - wie bereits ausgeführt - auf der Grundlage des Wertes des Betriebsvermögens unter zeitlich begrenzter Berücksichtigung des Ertragswertes zu erfolgen.

aa. Der Ertragswert ist als negativ einzustufen. Insoweit lassen sich die im Parallelverfahren der Gemeinde Züssow (Az.: 3 HK O 25/09 LG Stralsund) im Auftrag des Landgerichts durch die Hannoveraner Gesellschaft für Erstellung betriebswirtschaftlicher Gutachten mbH (BEGUTA) sachverständigerseits ermittelten Ergebnisse heranziehen. Das Gutachten kommt bezüglich des Ertragswertes zum Ergebnis, dass sich dieser zum Stichtag 31.12.2006 auf eine Höhe von 0 Euro belief. Dem sind die Parteien nicht entgegen getreten.

bb. Neben dem Ertragswert ist jedoch das Betriebsvermögen der Beklagten zu berücksichtigen. Dass dieses wie der Ertragswert mit nur 0 Euro anzusetzen wäre, hat keine der Parteien vorgetragen. Vielmehr geht selbst die Beklagte in ihrem Privatgutachten von einem positiven Wert des Betriebsvermögens aus, so dass grundsätzlich auch der Anteilswert der Klägerin positiv einzuschätzen ist.

d. Für die Bemessung des Betriebsvermögens ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf den Substanz- oder Rekonstruktionswert abzustellen.

aa. Ebenso wie das Vordergericht nimmt auch das Landgericht Hamburg (Beschluss vom 06. Juli 2007 - 404 O 173/03 -, a.a.O., Rn. 18, juris) in vergleichbaren Konstellationen wie vorliegend die Rekonstruktionswertmethode zur Bemessungsgrundlage. Im dortigen Verfahren ging es um eine angemessene Barabfindung gem. § 327b AktG eines ausgeschlossenen Minderheitsaktionärs. Zwar ist auch nach Auffassung des Landgerichts Hamburg grundsätzlich das Ertragswertverfahren heranzuziehen, wenn es um eine Unternehmensanteilsbewertung geht. D.h. festzustellen ist der kumulierte Wert der künftig zu erwartenden Erträge des betriebsnotwendigen Vermögens, abgezinst auf den Bewertungsstichtag. Im konkreten Fall waren für das Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs zukünftig jedoch keine Erträge zu erwarten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein Aktionär nicht nur am kumulierten Wert der Zahlungen beteiligt sei, sondern am gesamten Sachvermögen der Gesellschaft (Substanzwert). Das gelte insbesondere für Non-Profit-Unternehmen, die nicht in erster Linie finanzielle Zielsetzungen verfolgen würden, sondern bei denen eine Leistungserstellung im Vordergrund stehe. Der Substanzwert bestimme sich durch Ermittlung des Rekonstruktionswertes. Diese Sichtweise werde auch durch IDW S 1 (Fassung von 2000) gestützt, der in Ziff. 8.2.2. bestimmt, dass bei Non-Profit-Unternehmen im Sinne der Ziff. 8.4. eine Ermittlung des Substanzwertes zu erfolgen habe und zwar durch Ermittlung des Rekonstruktions- oder Wiederbeschaffungswertes, also der Summe der Aufwendungen, die erforderlich wären, um das Unternehmen in dieser Form zum Bewertungsstichtag zu erstellen.

bb. Diese Ansicht steht in Übereinstimmung mit dem aktuellen IDW S 1 2008. Ziff. 8.2.2., Tz. 152 und 153 bestimmen, dass Unternehmen mit nicht vorrangig finanzieller Zielsetzung anhand des Rekonstruktionswertes zu bewerten sind, da bei ihnen eine Leistungserstellung und nicht finanzielle Zielsetzungen im Vordergrund stehen. Insbesondere bei Unternehmen, die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen würden, sei der Unternehmenszweck auf eine Leistungserstellung ausgerichtet.

Die genannten Kriterien treffen sämtlich auf die Beklagte zu.

cc. Fehl geht aus Sicht des Senats die Interpretation der Bewertungsgrundsätze IDW S 1 durch das Landgericht Dortmund (Beschluss vom 16. Juli 2007 - 18 AktE 23/03 -, Der Konzern 2008, 241, Rn. 27, juris), auf die sich die Beklagte stützt. Das Landgericht Dortmund nimmt an, dass IDW S 1 für eine Vielzahl von Bewertungsanlässen geschaffen wurde und Wertermittlungsansätze aus verschiedenen Sichtweisen enthalte. Dabei stelle der Ansatz in Ziff. 8.2.2. ausdrücklich und nur auf die Sicht des Leistungserstellers ab, nicht hingegen auf die des Anteilseigners.

(i) Zu konzedieren ist, dass für die Wahl der Bewertungsmethode der im Einzelfall gegebene Bewertungszweck maßgeblich sein muss. Doch kann der Senat den Bewertungsgrundsätzen IDW S 1 nicht entnehmen, dass der Rekonstruktionswert immer nur dann anzusetzen wäre, wenn es um eine Bewertung aus Sicht des Unternehmens selbst, nicht aber eines beteiligten Gesellschafters, geht. Vielmehr macht IDW S 1 2008 in Tz. 152 deutlich, dass bei Unternehmen mit unzureichender Rentabilität und fehlender finanzieller Zielsetzung an Stelle der üblichen Gewinnorientierung der Gesichtspunkt der Leistungserstellung kennzeichnend ist. Tz. 153 bringt zum Ausdruck, dass insbesondere bei Unternehmen, die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen, von der Leistungserstellung als Unternehmenszweck auszugehen ist. Daher kann die zwischen den Parteien umstrittene Frage offen bleiben, ob es sich auch bei der Klägerin oder nur bei der Beklagten um eine Leistungserstellerin handelt.

(ii) Selbst bei einer anderen Betrachtung zeigt sich kein abweichendes Ergebnis. Zu beachten steht nämlich, dass die Klägerin neben dem Erwerb eines Geschäftsanteils auch mehrere bebaute Grundstücke in die beklagte Gesellschaft eingebracht hat. Dadurch wurde die Beklagte - gemeinsam mit den von anderen Gesellschaftern übertragenen Immobilien - überhaupt erst in die Lage versetzt, als Leistungserstellerin tätig zu sein. Insofern war die Klägerin zumindest bis zu ihrem Ausscheiden einem Leistungsersteller gleichzusetzen, befand sich also €im Lager€ der Beklagten. Für den Zeitpunkt der Bewertung kommt es aber auf den des Ausscheidens an. Deshalb spielt es keine Rolle, dass die Klägerin inzwischen nicht mehr Gesellschafterin der Beklagten ist.

dd. Auch die auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 28. Januar 2009, I - 26 W 7/07 AktE, 26 W 7/07 AktE, AG 2009, 667, Rn. 41 und 42, juris) gestützten Einwendungen der Beklagten gehen fehl. Das gilt zum einen für den Hinweis, dem Rekonstruktionswert komme gemäß IDW S 1 2008 Ziff. 2.1., Tz. 6 bei der Unternehmensbewertung keine eigenständige Bedeutung zu (Rn. 41). Diese Feststellung bezieht sich nur auf Unternehmen mit Gewinnorientierung bzw. finanzieller Zielsetzung (IDW S 1 2008, Ziff. 2.1., Tz. 4). Zum anderen ist der Hinweis auf IDW S 1 2008, Ziff. 8.4., Tz. 172, unbeachtlich, wonach eine Substanzwertermittlung durch die Wirtschaftsprüfer nur bei ausdrücklicher Festlegung im Auftragsgutachten erfolge (Rn. 42), denn die Entscheidung im Rechtsstreit soll gerade erst dazu dienen, einen näheren Auftrag für eine sachverständige Begutachtung zu formulieren.

ee. Zudem sind die von der Beklagten angeführten Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des LG Dortmund generell nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die Beklagte Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge wahrnimmt und daher nicht die in einem Unternehmen übliche Gewinnorientierung verfolgt.

(i) Beim Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf handelt es sich um eine Spruchstellen-Entscheidung, in der es um die Rendite und den

Anteil am Unternehmenswert ging, für den ein außenstehender Aktionär entschädigt werden sollte. Da die zukünftige Dividende mit Null prognostiziert wurde, ließ das Oberlandesgericht die Anwendung des Ertragswertverfahrens zur Bestimmung des Abfindungsspruchs eines außenstehenden Aktionärs zu und erklärte den so genannten €Null-Ausgleich€ in einem Gewinnabführungsvertrag für zulässig, weil die Gesellschaft chronisch defizitär war (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Januar 2009, I - 26 W 7/07 AktE, 26 W 7/07 AktE, a.a.O., Rn. 64, juris).

(ii) Auch das Landgericht Dortmund (Beschluss vom 16. Juli 2007 - 18 AktE 23/03 -, a.a.O.) befasste sich mit der angemessenen Abfindung eines Aktionärs gem. §§ 304, 305 AktG, der aus einem Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs anlässlich des Abschlusses eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ausscheiden musste. Der Ertragswert des Unternehmens war negativ. Das Landgericht Dortmund lehnte es ab, auf den Substanz- bzw. Rekonstruktionswert abzustellen, weil es - wie bereits dargelegt - unzutreffend davon ausging, dass der Rekonstruktionswert nur bei einer Bewertung aus Sicht des Leistungserstellers eine Rolle spiele.

(iii) In beiden Entscheidungen ging es somit um die Rendite einer Aktienanlage und um den Anteil am Unternehmenswert, für den ein außenstehender Aktionär entschädigt werden sollte. Im Mittelpunkt beider Verfahren stand eine Gewinnerwartung. § 304 AktG bezweckt, den Aktionär für den Verlust der Dividende wirtschaftlich zu entschädigen. Auf die Sicht eines möglichen Leistungserstellers kommt es in solchen Fällen nicht an. Die Orientierung an einer Rendite- bzw. Gewinnerwartung unterscheidet die zitierten Fälle aber entscheidend vom hier vorliegenden.

ff. Unzutreffend erscheint im weiteren der Hinweis der Beklagten, angesichts des negativen Ertragswertes und der Leerstandsquote von ca. 10% komme eine Ermittlung des Substanz- oder Rekonstruktionswertes nicht in Betracht. Dass der Ertragswert 0 Euro beträgt, ist unstreitig; die Leerstandsquote kann jedoch nur indirekten Einfluss auf den Wert des Betriebsvermögens haben.

gg. Schließlich greift auch der Hinweis der Beklagten auf eine drohende Insolvenz bei Auszahlung eines erhöhten Abfindungsbetrags nicht durch. Zwar ist im Zusammenhang mit Abfindungsklauseln grundsätzlich ein Bestandsinteresse der verbleibenden Gesellschafter zu beachten (Lutter in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 34, Rn. 91). Doch kann dieses Interesse nicht die Auszahlung von rechtmäßig eingeforderten Abfindungen verhindern. Selbst wenn die Auszahlung zur Insolvenz führen sollte, steht der Klägerin ein erhöhter Abfindungsanspruch zu.

Die Berufung der Beklagten ist daher nach allem als unbegründet zurückzuweisen.

III.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

2. Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Weder die grundsätzliche Bedeutung der Sache noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.






OLG Rostock:
Urteil v. 06.04.2016
Az: 1 U 21/14


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/66a40a5dca91/OLG-Rostock_Urteil_vom_6-April-2016_Az_1-U-21-14




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