Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. Februar 2011
Aktenzeichen: 21 W (pat) 309/08

(BPatG: Beschluss v. 22.02.2011, Az.: 21 W (pat) 309/08)

Tenor

Das Patent DE 102 58 248 wird widerrufen.

Gründe

I Auf die am 13. Dezember 2002 beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent DE 102 58 248 (Streitpatent) mit der Bezeichnung "System zur interferometrischen Passeprüfung" erteilt worden. Die Veröffentlichung der Patenterteilung ist am 23. Februar 2006 erfolgt.

Der mit Gliederungspunkten versehene, ansonsten wörtlich wiedergegebene erteilte Patentanspruch 1 lautet:

M1 System zur interferometrischen Passeprüfung eines Prüflings mit einer asphärischen Oberfläche in Reflexion, M2 mit einem Interferometer und einem diffraktiven optischen Element, durch welches die in dem Interferometer erzeugten und in das diffraktive optische Element einfallenden Strahlen so umgeformt werden, dass sie senkrecht auf den Prüfling treffen und von dort aus in sich zurücklaufen, M3 wobei sich zwischen dem Interferometer und dem diffraktiven optischen Element eine Referenzfläche zur Erzeugung einer für ein Interferogramm erforderlichen Referenzwelle befindet, M4 und wonach der Prüfling in einer von Null (m # 0) verschiedenen Beugungsordnung vermessen wird, dadurch gekennzeichnet, M5 dass der Prüfling (2) ein Segment (footprint) eines rotationssymmetrischen Grundkörpers (1) (parent) ist, M6 wobei die optische Achse des Interferometers (3) einen von Null verschiedenen Winkel zur Rotationsachse des Grundkörpers (1) bildet, M7 wobei vor der Passeprüfung nichtrotationssymmetrische Interferometerfehler bestimmt werden, M8 und wobei von den bezüglich der optischen Achse des Interferometers nichtrotationssymmetrischen Fehlern des Prüflings (2) auf die rotationssymmetrischen Fehler des Grundkörpers (1) geschlossen wird M9 und wobei zur Bestimmung der nichtrotationssymmetrischen Interferometerfehler in der nullten Beugungsordnung anstelle des Prüflings (2) eine Planplatte (6) oder ein Kugelspiegel (8) vorgesehen ist.

Hinsichtlich der erteilten Unteransprüche 2 bis 12 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Gegen das Patent ist mit Schriftsatz vom 23. Mai 2006, eingegangen beim Deutschen Patentund Markenamt am selben Tag, Einspruch erhoben worden. Die Einsprechende macht mangelnde Patentfähigkeit, insbesondere mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend.

Zur Begründung der mangelnden Patentfähigkeit verweist die Einsprechende unter anderem auf die Druckschrift E3: DE 100 41 658 A1.

Die Einsprechende beantragt, das Patent DE 102 58 248 zu widerrufen.

Die wie schriftlich angekündigt nicht erschienene Patentinhaberin beantragt sinngemäß, das Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.

Die Patentinhaberin ist der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 im Vergleich mit dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik sowohl neu sei als auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns beruhe.

II 1.

Da die Einspruchsfrist im vorliegenden Verfahren nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist, ist das Bundespatentgericht für die Entscheidung gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung weiterhin zuständig (vgl. BGH GRUR 2007, 862 ff. -Informationsübermittlungsverfahren II; BPatG GRUR 2007, 449 f. -Rundsteckverbinder).

2.

Der formund fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, denn die Einsprechende hat sich im Einspruchsschriftsatz anhand des druckschriftlichen Standes der Technik substantiiert mit allen Merkmalen des Gegenstandes gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 auseinandergesetzt. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist im Übrigen von der Patentinhaberin nicht bestritten worden.

3.

Der Einspruch ist auch begründet. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung erweist sich der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit als nicht patentfähig.

4.

Das Streitpatent betrifft ein System zur interferometrischen Passeprüfung eines Prüflings mit einer asphärischen Oberfläche in Reflexion (vgl. Absatz [0001] der Streitpatentschrift).

Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, eine Prüfanordnung für EUVL-Asphärenfrotprints zu schaffen, mit der Asphärenpassefehler bestimmt werden können, die bezüglich des rotationsymmetrischen Grundkörpers (parent) rotationssymmetrisch sind und welche mit den bereits bekannten Kompensationssystemen schwer ermittelt werden können (vgl. Absatz [0005] der Streitpatentschrift).

Erfindungsgemäß wird zur Passeprüfung der Prüfling (footprint) in Reflexion in den Strahlengang des Interferometers, in welchem sich ebenfalls eine Referenzfläche und ein diffraktives optisches Element (DOE) befinden, gestellt. Das diffraktive optische Element, welches vorteilhafter Weise als ein computergeschriebenes Hologramm (CGH) gefertigt wird, ist notwendig, damit die Prüfwelle an jeder Stelle des asphärischen Prüflings senkrecht auftrifft. Vor der Passeprüfung ist dafür zu sorgen, dass die nichtrotationssymmetrischen Interferometerfehler bestimmt werden und bei der Vermessung des Prüflings das Messergebnis nicht verfälschen (vgl. Absatz [0007] der Streitpatentschrift).

Bei diesem Messverfahren besteht der wesentliche Vorteil darin, dass die bezüglich der Grundform (parent) rotationssymmetrischen Asphärenfehler hier als nichtrotationssymmetrisch erscheinen und somit wesentlich genauer bestimmt werden können als mit den bereits bekannten Standardmessverfahren (vgl. Absatz [0008] der Streitpatentschrift).

Der Kern des Verfahrens ist darin zu sehen, dass die optische Achse des Interferometers nicht parallel zu der Rotationsachse der Grundform steht, sondern mit ihr einen von Null verschiedenen Winkel bildet. Die räumliche Anordnung der beiden Achsen führt dazu, dass bezüglich der Grundform rotationssymmetrische Asphärenfehler im Interferometer als bezüglich dessen Achse nichtrotationssymmetrisch erscheinen. Mit den Standardmethoden lassen sich bezüglich der Interferometerachse nichtrotationssymmetrische Interferometerfehler bestimmen. Dadurch ist die Messung von bezüglich der Interferometerachse nichtrotationssymmetrischen Fehlern des Prüflings (footprint) sehr genau möglich. Durch das erfindungsgemäße Verfahren wird die Messgenauigkeit auf die bezüglich der Grundform rotationssymmetrischen Asphärenfehler übertragen (vgl. Absatz [0009] der Streitpatentschrift).

Dadurch, dass das CGH so ausgelegt ist, dass es nicht nur in der ersten Beugungsordnung beugt, sondern in der nullten Ordnung ohne Beugung transmittiert, ist es möglich, das Interferometer mit einem vorherbestimmten Planspiegel oder einem Kugelspiegel zu kalibrieren (vgl. Absatz [0010] der Streitpatentschrift).

5.

Die erteilten Patentansprüche 1 bis 12 sind, wie der Senat im Einzelnen überprüft hat, durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt und somit zulässig. Insbesondere geht der erteilte Patentanspruch 1 auf die ursprünglichen Patentansprüche 1, 2 und 7 zurück, geht der erteilte Patentanspruch 2 auf den ursprünglichen Patentanspruch 1 (insbesondere...) zurück, gehen die erteilten Patentansprüche 3 bis 6 auf die ursprünglichen Patentansprüche 3 bis 6 zurück, und gehen die erteilten Patentansprüche 7 bis 12 auf die ursprünglichen Patentansprüche 8 bis 13 zurück.

6.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist zwar neu, er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns, einem mit der Entwicklung von Systemen zur interferometrischen Passeprüfung optischer Elemente befassten berufserfahrenen Diplom-Physiker oder Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Optik, denn der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ergibt sich für ihn in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach der Druckschrift E3.

So ist aus der Druckschrift E3 (vgl. Absatz [0001]) ein System zur interferometrischen Passeprüfung eines Prüflings mit einer asphärischen Oberfläche in Reflexion (= Merkmal M1) bekannt, mit einem (vgl. Absatz [0001]) Interferometer und einem diffraktiven optischen Element (DOE), durch welches (vgl. die Figur 1 und die Absätze [0009] und [0020]) die von dem Interferometer erzeugten und in das diffraktive Element einfallenden Strahlen so umgeformt werden, dass sie senkrecht auf den Prüfling treffen und von dort aus in sich zurücklaufen (= Merkmal M2), wobei sich (vgl. Absatz [0011]) zwischen dem Interferometer und dem diffraktiven optischen Element eine Referenzfläche (Fizeaufläche) zur Erzeugung einer für ein Interferogramm erforderlichen Referenzwelle befindet (= Merkmal M3), und wonach der Prüfling (vgl. Absatz [0008]) in einer von Null verschiedenen Beugungsordnung vermessen wird (= Merkmal M4). Vor der Passeprüfung werden (vgl. Absatz [0011]) bei der Kalibrierung nichtrotationssymmetrische Interferometerfehler bestimmt (= Merkmal M7), wobei zur Bestimmung der nichtrotationssymmetrischen Interferometerfehler (vgl. die Figur 1 und Absatz [0020]) in der nullten Beugungsordnung anstelle des Prüflings ein Kugelspiegel (Kalibrierspiegel 4) vorgesehen ist (= Merkmal M9).

In Absatz [0031] ist angegeben, dass neben Inline-DOEs (DOE = diffraktives optisches Element), welche rotationssymetrisch sind, auch sogenannte off-Axis-DOEs möglich sind, die somit nichtrotationssymmetrisch sind. In diesem Fall (vgl. Spalte 3, Zeilen 45 bis 46) wird die Asphäre als Prüfling 4' verkippt eingebaut, wodurch die optische Achse des Interferometers (nach dem diffraktiven optischen Element) einen von Null verschiedenen Winkel zur Rotationsachse des Grundkörpers (Prüfling 4') annimmt (= Merkmal M6), was der Fachmann im Übrigen auch der Angabe (vgl. Spalte 3, Zeilen 46 bis 48) entnimmt, dass auf diese Weise eine verbesserte Störreflexausblendung erhalten wird. Diese Anordnung der beiden Achsen führt zwangsläufig dazu, dass bezüglich des Grundkörpers (Prüfling 4') rotationssymmetrische Asphärenfehler im Interferometer als bezüglich dessen Achse nichtrotationssymmetrisch erscheinen.

Da der Prüfling (Prüfling 4') einen rotationsymmetrischen Grundkörper (Asphäre, vgl. Absatz [0003]) aufweist, ist es für den Fachmann nahegelegt, zur Bestimmung der zu diesem ebenfalls rotationssymmetrischen Asphären-Passefehler der Einfachheit halber lediglich ein Segment des rotationssymmetrischen Grundkörpers zu vermessen (= Merkmal M5). Dabei erscheinen selbstverständlich auch beim Segment des rotationssymmetrischen Grundkörpers die rotationssymmetrischen Fehler im Interferometer als bezüglich dessen Achse nichtrotationssymmetrisch, wie oben dargelegt.

Dass sich dabei von den nichtrotationssymetrischen Fehlern eines Segments des Grundkörpers (Prüfling 4') auf die rotationssymmetrischen Fehler des (gesamten) Grundkörpers (Prüfling 4') schließen lässt, ist per Definition für ein Segment einer rotationssymmetrischen Form gegeben (= Merkmal M8).

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ergibt sich somit für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach der Druckschrift E3.

7. Die Patentinhaberin hat beantragt, das Patent auf der Grundlage der erteilten Patentansprüche aufrecht zu erhalten. Dass sie daneben auch eine Aufrechterhaltung des Streitpatents im Umfang der Unteransprüche 2 bis 12 begehrt, hat sie weder ausdrücklich noch stillschweigend zu Erkennen gegeben. Darüber hinaus lassen diese Unteransprüche keine Patent begründenden Merkmale erkennen, was die Patentinhaberin im Übrigen auch nicht geltend gemacht hat (vgl. dazu BGH GRUR 2007, 862 ff. -Informationsübermittlungsverfahren II in Fortführung von BGH GRUR 1997, 120 ff. -elektrisches Speicherheizgerät).

Daher ist das Patent insgesamt zu widerrufen (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).

Dr. Winterfeldt Baumgärtner Bernhart Dr. Müller Pü






BPatG:
Beschluss v. 22.02.2011
Az: 21 W (pat) 309/08


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